L 17 U 283/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 56/04 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 283/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufungen des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.07.2004 insoweit aufgehoben, als unter Ziffer III Mutwilllenskosten von insgesamt 400,00 EUR (je 200,00 EUR) auferlegt wurden.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Berufung richtet sich aufgrund der Beschränkung lediglich gegen die Verhängung von Mutwillenskosten in Höhe von insgesamt 400,00 EUR.

Der 1950 geborene Kläger stellte bei der Beklagten im Juni 2003 einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) wegen Mobbing. Zur Begründung trug er vor, seit einem Arbeitsunfall am 13.02.1998 sei er ständig von seinen Vorgesetzten psychisch terrorisiert worden, habe mehrere Abmahnungen und ständige Kündigungen trotz Kündigungsschutz erhalten. Nachdem er am 15.11.2002 eine fristlose Kündigung durch den Meister in der Produktionsleitung erhalten hatte, habe er am 18.11.2002 versucht, bei seinem Personalleiter einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend zu machen. Der Personalleiter habe ihn anschließend durch die Polizei abführen lassen. Dabei habe er Verletzungen erlitten. Außerdem sei er seither krank geschrieben und in psychologischer Behandlung. Auch die durch diese Vorfälle hervorgerufene Erkrankung sei als BK anzuerkennen.

Mit Bescheid vom 21.08.2003 lehnte die Beklagte die Anerkennung der psychischen Beschwerden als BK ab, da zu dem Thema Mobbing noch keine arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, die die Anerkennung als BK begründen könnten. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2003 zurückgewiesen.

Mit der am 28.10.2003 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage (Aktenzeichen -Az-: S 2 U 56/04 A) hat der Kläger beantragt, die mit dem Mobbing zusammenhängenden Erkrankungen als BK anzuerkennen. Am 17.11.2003 hat er zudem beantragt, seine Krankheit vom 18.11.2002 bis zum 31.10.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen. In der Verhandlung des SG vom 19.02.2004 hat sich die Beklagte bereit erklärt, den Vorgang vom 18.11.2002 unter dem Gesichtspunkt eines Arbeitsunfalles zu prüfen und hierüber dem Kläger einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen. Der Kläger hat daraufhin die Streitsache für erledigt erklärt.

Am 29.02.2004 teilte der Kläger dem SG mit, er habe lediglich für den Fall, dass die Verletzungen vom 18.11.2002 als Arbeitsunfall anerkannt würden, die Streitsache wegen Anerkennung einer BK für erledigt erklärt. Eine Anerkennung als Arbeitsunfall müsse schon deshalb erfolgen, weil es zu den Verletzungen mit nachfolgender Erkrankung im Zusammenhang mit seiner Arbeit gekommen sei. Am 08.03.2004 hat er erneut mitgeteilt, dass er nicht damit einverstanden sei, dass die BK-Streitsache erledigt sei. Das SG hat daraufhin den Rechtsstreit fortgesetzt. In der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2004 hat der Vorsitzende der 2.Kammer den Kläger darauf hingewiesen, dass er für den Fall, dass er ein Urteil begehre, möglicherweise Mutwillenskosten nach § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) werde zahlen müssen. Das SG hat mit Urteil vom 15.07.2004 erkannt, dass die Klage zurückgenommen sei. Außerdem hat es dem Kläger Mutwillenskosten in Höhe von 200,00 EUR auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nach ausführlicher Besprechung der Sach- und Rechtslage und aus freiem Willen die Erklärung abgegeben. Somit stehe fest, dass der Vorgang vom 18.11.2002 nicht als BK anerkannt werden könne. Da er trotz ausdrücklichen Hinweises auf die Möglichkeit des Ausspruches von Mutwillenskosten die Fortsetzung der Klage aus Sturheit in dieser völlig aussichtslosen und auch sinnlosen Angelegenheit betrieben habe, sei die Verhängung von Mutwillenskosten in Höhe von 200,00 EUR angemessen.

Der Kläger hat am 03.06.2004 eine weitere Klage (Untätigkeitsklage) erhoben (Az: S 2 U 128/04) und diese damit begründet, dass die Beklagte trotz ihrer Zusage vom 19.02.2004 noch keinen rechtsbehelfsfähigen Bescheid erteilt habe. Der Vorsitzende der 2.Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2005 den Kläger auch in dieser Streitsache auf die Möglichkeit der Verhängung von Mutwillenskosten hingewiesen. Das SG hat mit Urteil vom 15.07.2004 die Klage als unzulässig abgewiesen und dem Kläger weitere Mutwillenskosten in Höhe von 200,00 EUR auferlegt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Untätigkeitsklage unzulässig sei, da seit Antragstellung noch keine sechs Monate verstrichen seien und zudem die Beklagte nachweislich tätig geworden sei. Obwohl der Kläger ausdrücklich auf die Möglichkeit des Ausspruches von Mutwillenskosten bei Fortsetzung der Klage hingewiesen worden sei, habe er eine gerichtliche Entscheidung begehrt. Da der Kläger wieder im Arbeitsprozess stehe, müsse ihm soviel Einsicht zugemutet werden, dass er die Erfolglosigkeit seiner unnötigen Untätigkeitsklage einsehe. Ihm habe auch klar sein müssen, dass er mit einer positiven Entscheidung nicht würde rechnen können. Aus Sturheit habe er in dieser völlig aussichtlosen und auch sinnlosen Angelegenheit eine gerichtliche Entscheidung gewollt. Es könne dem Steuerzahler nicht zugemutet werden, dass staatliche Arbeit in ganz offensichtlich sinnloser Weise geleistet werden müsse, ohne dass sich daran der Verursacher beteilige. Der Betrag von 200,00 EUR erscheine angemessen und ausreichend.

Der Kläger hat gegen beide Urteile mit zwei Schreiben vom 27.07.2004 - eingegangen beim SG Nürnberg am 29.07.2004 - Berufung eingelegt. Die Schreiben führten im Betreff an: "Widerspruch gegen die Niederschrift vom 15.07.2004". Das eine Schreiben trug das Az S 2 U 128/04, das andere das Az S 2 U 56/04 A. Diese Schreiben wurden vom Landessozialgericht (LSG) als Berufungen unter den Aktenzeichen L 17 U 301/04 und L 17 U 283/04 erfasst. Mit zwei weiteren Schreiben vom 18.08.2004 - eingegangen beim LSG am 20.08.2004 bzw. 23.08.2004 - legte der Kläger (erneut) Berufung gegen die am 31.07.2004 zugestellten Urteile des SG Az: S 2 U 128/04 und Az: S 2 U 56/04 A ein. Diese Berufungen wurden unter den Az L 17 U 306/04 und L 17 U 302/04 erfasst.

Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, dass er die Klage wegen BK am 19.02.2004 nicht zurückgenommen habe und nach wie vor der Auffassung sei, dass er am 18.11.2002 versichert gewesen sei. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht hätten bestätigt, dass die Kündigung unwirksam gewesen sei. Auch die Untätigkeitsklage sei berechtigt, da der Vorfall sich schon im November 2002 ereignet habe. Seit diesem Zeitpunkt sei die Beklagte über das Geschehen informiert.

Der Senat hat mit Beschluss vom 05.11.2004 die Berufungen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Az L 17 U 283/04 fortgeführt.

In der nichtöffentlichen / öffentlichen Sitzung vom 13.12.2004 hat der Kläger die Berufungen gegen die Urteile des SG vom 15.07.2004 nach Erörterung der Sach- und Rechtslage auf Anraten des Senats auf die Verhängung von Mutwillenskosten in Höhe von jeweils 200,00 EUR beschränkt. Die Beklagte hat beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beklagtenakten und die Akten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Klägers sind form- und fristgerecht eingelegt. Der Kläger hat vorliegend mehrfach Berufung eingelegt. Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des SG sind mit dem Eingang der Schreiben vom 27.07.2004 am 29.07.2004 beim SG zugleich beim LSG anhängig geworden. Die Berufungen konnten vor Beginn der Berufungsfrist, die erst mit der Zustellung des Urteils beginnt (§ 151 Abs 1 SGG), beim SG (§ 151 Abs 2 Satz 1 SGG) eingelegt werden (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7.Aufl, § 151 Rdnr 9). Die weiteren mit Schriftsätzen vom 18.08.2004 am 20.08.2004 und 23.08.2004 eingelegten Berufungen enthielten keine selbstständige Einlegung weiterer Berufungen und leiteten nicht ein zweites Berufungsverfahren ein. Es wurden damit lediglich die vorausgegangenen Berufungseinlegungen wiederholt, ohne dass die bereits anhängigen Berufungsverfahren berührt worden wären (ebenso BSG SozR 3-1500 § 156 Nr 1; BAG NJW 1996, 1430; BGH NJW 1993, 269).

Die Berufungen sind auch im Übrigen zulässig. Der Kläger hat nicht die Kostenentscheidungen in den Urteilen des Erstgerichts gesondert angefochten, sondern die Urteile in ihrer Gesamtheit angegriffen. Eine Anfechtung des Urteils lediglich hinsichtlich der Kostenentscheidung wäre unzulässig gewesen (§ 144 Abs 4 SGG). Denn eine Berufung ist nicht zulässig gegen eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens, auch dann nicht, wenn das Gericht einem Beteiligten Kosten nach § 192 SGG auferlegt (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7.Auflage, zu § 144 Rdnr 49). Der Ausschluss eines Rechtsmittels allein wegen der Kosten dient der Prozessökonomie und verhindert außerdem, dass das Rechtsmittelgericht die Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil von dieser letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt (BSG, Beschluss vom 13.07.2004 - B 2 U 84/04 B, juris KSRE037930222).

Die Zulässigkeit der Berufungen ist nicht durch die nachträgliche Beschränkung auf die Kosten gemäß § 192 SGG entfallen. Für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist auf den Zeitpunkt der Einlegung abzustellen. Die Zulässigkeit wird durch spätere Veränderung des Streitgegenstandes nicht berührt. Die Beschränkung der Berufung macht sie nicht unzulässig (vgl. Meyer-Ladewig aaO vor § 143 Rdnr 10b). Ausnahmsweise wird auf einen späteren Zeitpunkt nach der Einlegung des Rechtsmittels für die Zulässigkeit abgestellt, wenn die spätere Verminderung der Beschwer auf willkürlicher Beschränkung des Rechtsmittels beruht. Das ist z.B. der Fall, wenn von vornherein Anlass zu beschränkter Rechtsmitteleinlegung bestand, oder wenn der Verdacht bestehen kann, ein Rechtsmittel habe erschlichen werden sollen (vgl. Meyer-Ladewig aaO Vor § 143 Rdnr 10b mwN).

Da die Beschränkung der Berufung auf Anraten des Senats erfolgt ist, weil dieser für die Hauptsacheverfahren keine Aussichten auf Erfolg gesehen hat, hatte der Kläger zur Vermeidung weiterer unnötiger Gerichtskosten einen vernünftigen Grund für die Beschränkung seines Rechtsmittels. Von einer willkürlichen Beschränkung kann deshalb nicht die Rede sein (vgl. BSG, Urteil vom 15.11.1979 - 7 RAr 33/78 -, in Breith 80, 718, 719).

Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat dem Kläger zu Unrecht Kosten gemäß § 192 SGG auferlegt. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Kostenentscheidung liegen vor, da die Anforderungen, die § 192 Abs 1 SGG an die Verhängung von Kosten stellt, nicht erfüllt sind.

Das Gericht kann einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die u.a. dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGG).

Vorliegend hat das SG zu Unrecht eine missbräuchliche Rechtsverfolgung i.S. des § 192 Abs 1 Nr 2 SGG angenommen. Missbräuchlichkeit kann danach vorliegen bei Weiterverfolgung trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit. Aussichtslosigkeit allein genügt jedoch nicht, es müssen besondere Umstände hinzu kommen. Rechtsmissbräuchlichkeit liegt insbesondere dann vor, wenn ein Beteiligter den Prozess weiter betreibt, obwohl er subjektiv weiß, dass die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos ist und wenn er entgegen besserer Einsicht von einer weiteren Prozessführung nicht Abstand nimmt (vgl. Meyer-Ladewig aaO zu § 192 Rdnr 9). Nicht ausreichend ist das Weiterprozessieren, wenn der Beteiligte die Hoffnung auf einen günstigen Ausgang noch nicht aufgegeben hat, auch wenn er unbelehrbar und uneinsichtig ist, sofern seine Uneinsichtigkeit nicht ein besonders hohes Maß erreicht (BSG SGb 68, 72).

Das Verhalten des Klägers kann nicht als missbräuchlich im genannten Sinn bewertet werden. Zwar hat er trotz Hinweises des SG, dass seine Klagen erfolglos sein würden und trotz objektiver Aussichtslosigkeit die Klagen nicht zurückgenommen. Hierin liegt aber noch keine Missbräuchlichkeit, weil der Kläger nach seinem Vorbringen und seiner Überzeugung davon ausgegangen ist, dass er die Klage wegen BK nur für den Fall erledigt wissen wollte, dass ein Arbeitsunfall anerkannt würde. Er war davon überzeugt, dass sich die Klage durch die Erklärung vom 19.02.2004 nicht erledigt hatte. Die Untätigkeitsklage hat er deshalb für gerechtfertigt gehalten, weil sowohl seit dem Ereignis vom 18.11.2002 als auch seit dem Antrag vom 17.11.2003, seine Erkrankung vom 18.11.2002 als Arbeitsunfall anzuerkennen, bis zur Erhebung der Klage am 01.06.2004 mehr als sechs Monate verstrichen waren und seiner Ansicht nach die Beklagte insoweit genug Zeit gehabt habe, über seinen Antrag zu entscheiden.

Das Gespräch mit dem Kläger anlässlich der Sitzung vom 13.12.2004 hat dem Senat deutlich gemacht, dass der Kläger nicht aus Mutwillen die Klagen aufrecht erhalten hat, sondern weil er überzeugt gewesen ist, dass er sowohl wegen Mobbing als auch durch das polizeiliche Eingreifen in seiner Gesundheit beeinträchtigt ist und ihm wegen eines Zusammenhangs dieser Ereignisse mit dem Arbeitsverhältnis eine Entschädigung zustünde. Damit war die hartnäckige Weigerung des Klägers, die Klagen vor dem SG zurückzunehmen, auch wenn sie auf einer gewissen Unbelehrbarkeit und Uneinsichtigkeit beruhte, nicht rechtsmissbräuchlich i.S. des § 192 Abs 1 Nr 2 SGG. Die Uneinsichtigkeit hatte angesichts der vom Kläger geäußerten Gesichtspunkte noch kein besonders hohes Maß erreicht. Die Urteile des SG Nürnberg vom 15.07.2004 waren deshalb in Ziffer III des jeweiligen Urteilstenors aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision i.S. des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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