L 22 RA 324/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 12 RA 832/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 RA 324/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 20. September 2004 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVtI) für die Zeit vom 01. Januar 1960 bis 30. Juni 1990 und die Berücksichtigung der während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte.

Der im ... 1930 geborene Kläger ist Diplom-Landwirt (Urkunde der K.-M.-Universität L. vom 26. Januar 1960/10. Februar 1960).

Der Kläger war vom 01. Januar 1960 bis 31. Dezember 1963 als Leiter der Mastprüfungsanstalt K. bei der Bezirkstierzuchtinspektion P., vom 01. Januar 1964 bis 31. Dezember 1964 als Leiter dieser Mastanstalt bei der Vereinigung volkseigener Betriebe (VVB) Tierzucht/Tierzuchtinspektion P., vom 01. Januar 1965 bis 31. Dezember 1970 weiter als Leiter dieser Mastanstalt, ab 01. Januar 1971 als Leiter der Kooperativen Einrichtung (KE) Jungrinderaufzucht jeweils beim volkseigenen Gut (VEG) bzw. VEG (Z) K., vom 01. Januar 1976 bis 31. Dezember 1984 als Leiter dieser KE beim KE-Jungrinderaufzucht Kombinat J. N. und vom 01. Januar 1985 bis wenigstens 30. Juni 1990 als Arbeiterökonom bzw. Sekretär des Kooperationsrates bei der LPG (P) J. tätig. Die Beschäftigung ab 01. Januar 1970 beruhte auf dem am 01. Oktober 1970 zwischen dem Kläger, dem VEG (Z) Tierzucht K. und dem KE Jungrinderaufzucht Kombinat J. N. geschlossenen Delegierungsvertrag, wonach der Kläger in seiner Funktion als Leiter der KE weiterhin Betriebsangehöriger des VEG (Z) Tierzucht K. blieb.

Zum 01. Juli 1976 trat der Kläger der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) bei.

Im Februar 2001 beantragte der Kläger, die Zugehörigkeit zur AVtI festzustellen.

Mit Bescheid vom 11. November 2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Weder habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt worden, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen gewesen wäre.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger unter Vorlage des Schreibens des Gutes K. vom 13. November 1991 geltend, bis 30. Juni 1990 habe eine Betriebszugehörigkeit zum VEG K. bestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01. August 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Als Diplomlandwirt sei der Kläger nicht berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen.

Dagegen hat der Kläger am 28. August 2003 beim Sozialgericht Potsdam Klage erhoben.

Er hat unter Vorlage des Schreibens der H.-Universität zu B. vom 27. Oktober 2003 vorgetragen, er sei nach der Anordnung über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung vom 25. Oktober 1979 (GBl Sonderdruck Nr. 1024, 3) - Anordnung vom 25. Oktober 1979 - berechtigt, die Berufsbezeichnung Diplom-Agraringenieur zu führen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 20. September 2004 die Klage abgewiesen: Der Titel eines Diplom-Landwirts berechtige nicht dazu, den Titel "Ingenieur" zu führen. Außerdem seien die ausgeübten Tätigkeiten eines Leiters der Mastprüfungsanstalt, eines Leiters der Kooperativen Einrichtung und eines Ökonomen nicht einer Tätigkeit als Ingenieur gleichzustellen. Zudem gehörten weder die kooperative Einrichtung K. noch die LPG J. zu den volkseigenen Produktionsbetrieben im Bereich der Industrie oder des Bauwesens. Sie seien auch keine gleichgestellten Betriebe, denn sie würden von der Versorgungsordnung, die abschließend sei, nicht genannt.

Gegen den an ihn als Übergabeeinschreiben aufgegebenen und am 30. September 2004 bekannt gegebenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 19. Oktober 2004 eingelegte Berufung des Klägers.

Er ist der Ansicht, dass er alle Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVtI erfülle. Er dürfe anstelle des Titels eines Diplomlandwirts aufgrund der genannten Anordnung den Titel eines Agraringenieurs führen. Er sei von 1960 bis Juni 1990 nach dem Delegierungsvertrag vom 01. Oktober 1970 Angehöriger des VEG K. gewesen. Das VEG K. und die LPG (P) J. seien an der KE kooperativ beteiligt gewesen und hätten daher entsprechend Arbeitskräfte zu stellen gehabt. Bis 31. Dezember 1984 sei die KE keine selbständige juristische Einrichtung gewesen. Zum 01. Januar 1985 sei sie in das VEG K. eingegliedert worden. Ihm sei zwar seinerzeit eine Versorgungszusage in Aussicht gestellt worden. Wegen seiner DDR-kritischen Haltung, er sei kein SED-Mitglied gewesen, sei eine Einbeziehung jedoch nicht erfolgt. Der Kläger hat das Schreiben der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin vom 31. Januar 2002 zum Titel Diplomlandwirt bzw. Diplomagraringenieur, das Schreiben des ehemaligen Abteilungsleiters der LPG (P) J. H. L. vom 24. Januar 2005 und seine Kaderakte vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 20. September 2004 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2003 zu verpflichten, die Zeit vom 01. Januar 1960 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVtI sowie die während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ( ...), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 11. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2003 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Zeit vom 01. Januar 1960 bis 30. Juni 1990 und die während dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Der Kläger hat keine Anwartschaft aufgrund einer Zugehörigkeit zur AVtI erworben, denn er erfüllte insbesondere nicht am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVtI.

Nach § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 2 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) hat der vor der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften zuständige Versorgungsträger dem für die Feststellung der Leistungen zuständigen Träger der Rentenversicherung unverzüglich die Daten mitzuteilen, die zur Durchführung der Versicherung und zur Feststellung der Leistungen aus der Rentenversicherung erforderlich sind. Dazu gehören auch das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen des Berechtigten oder der Person, von der sich die Berechtigung ableitet, die Daten, die sich nach Anwendung von §§ 6 und 7 AAÜG ergeben, und insbesondere die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, und die als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung gelten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG). Der Versorgungsträger hat dem Berechtigten den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG durch Bescheid bekannt zu geben (§ 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG).

Solche Zeiten der Zugehörigkeit liegen nach § 4 Abs. 5 AAÜG vor, wenn eine in einem Versorgungssystem erworbene Anwartschaft bestanden hatte (§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 AAÜG). Eine solche Anwartschaft setzt die Einbeziehung in das jeweilige Versorgungssystem voraus. Im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG genügt es grundsätzlich nicht, dass ein Anspruch auf Einbeziehung bestand, soweit dieser nicht auch verwirklicht wurde. Wie der Wortlaut dieser Vorschrift zeigt, wird allein auf Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem abgestellt. Dies setzt zwingend voraus, dass der Berechtigte tatsächlich in ein Versorgungssystem einbezogen worden war. Von diesem Grundsatz macht lediglich § 5 Abs. 2 AAÜG eine Ausnahme. Danach gelten als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem auch Zeiten, die vor Einführung eines Versorgungssystems in der Sozialpflichtversicherung zurückgelegt worden sind, wenn diese Zeiten, hätte das Versorgungssystem bereits bestanden, in dem Versorgungssystem zurückgelegt worden wären.

Eine solche Einbeziehung erfolgte in der AVtI grundsätzlich durch eine Entscheidung des zuständigen Versorgungsträgers der DDR. Lag sie am 30. Juni 1990 vor, hatte der Begünstigte durch diesen nach Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakt eine Versorgungsanwartschaft. Einbezogen war aber auch derjenige, dem früher einmal eine Versorgungszusage erteilt worden war, wenn diese durch einen weiteren Verwaltungsakt in der DDR wieder aufgehoben worden war und wenn dieser Verwaltungsakt nach Art. 19 Satz 2 oder 3 EV unbeachtlich geworden ist; denn dann galt die ursprüngliche Versorgungszusage fort. Gleiches gilt für eine Einbeziehung durch eine Rehabilitierungsentscheidung (Art. 17 EV). Schließlich gehörten dem Kreis der Einbezogenen auch diejenigen an, denen durch Individualentscheidung (Einzelentscheidung, zum Beispiel aufgrund eines Einzelvertrages) eine Versorgung in einem bestimmten System zugesagt worden war, obgleich sie von dessen abstrakt-generellen Regelungen nicht erfasst waren. Im Übrigen - dies trifft jedoch auf die AVtI nicht zu - galten auch ohne Versorgungszusage Personen als einbezogen, wenn in dem einschlägigen System für sie ein besonderer Akt der Einbeziehung nicht vorgesehen war (vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 41/01 R).

§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG hat den Kreis der einbezogenen Personen jedoch in begrenztem Umfang erweitert. Er hat damit das Neueinbeziehungsverbot des EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe a, wonach die noch nicht geschlossenen Versorgungssysteme bis zum 31. Dezember 1991 zu schließen sind und Neueinbeziehungen vom 03. Oktober 1990 an nicht mehr zulässig sind, sowie den nach EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 8 zu Bundesrecht gewordenen § 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz der DDR, wonach mit Wirkung vom 30. Juni 1990 die bestehenden Zusatzversorgungssysteme geschlossen werden und keine Neueinbeziehungen mehr erfolgen, modifiziert. Danach gilt, soweit die Regelung der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, dieser Verlust als nicht eingetreten. Dies betrifft jedoch nur solche Personen, die auch konkret einbezogen worden waren. Der Betroffene muss damit vor dem 30. Juni 1990 in der DDR nach den damaligen Gegebenheiten in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen sein und aufgrund dessen eine Position wirklich innegehabt haben, dass nur noch der Versorgungsfall hätte eintreten müssen, damit ihm Versorgungsleistungen gewährt worden wären. Derjenige, der in der DDR keinen Versicherungsschein über die Einbeziehung in die AVtI erhalten hatte, hatte nach deren Recht keine gesicherte Aussicht, im Versorgungsfall Versorgungsleistungen zu erhalten (BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R in SozR 3-8570 § 1 Nr. 1).

Die AVtI kannte den in § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG angesprochenen Verlust von Anwartschaften. Nach § 2 Abs. 1, 3 und 4 Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 - GBl DDR 1951, 487 - (2. DB zur AVtI-VO) wurde die zusätzliche Altersversorgung gewährt, wenn sich der Begünstigte im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles in einem Anstellungsverhältnis zu einem volkseigenen oder ihm gleichgestellten Betrieb befand. Erloschene Ansprüche auf Rente lebten wieder auf, wenn spätestens vor Ablauf eines Jahres ein neues Arbeitsverhältnis in der volkseigenen Industrie zustande kam und die Voraussetzungen nach § 1 dieser Durchführungsbestimmung in dem neuen Arbeitsverhältnis gegeben waren. Für die Dauer von Berufungen in öffentliche Ämter oder in demokratische Institutionen (Parteien, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund usw.) erlosch der Anspruch auf Rente nicht.

War der Betroffene in die AVtI einbezogen, endete die zur Einbeziehung führende Beschäftigung jedoch vor dem Eintritt des Versicherungsfalles, ging der Betroffene, vorbehaltlich der oben genannten Ausnahmen, seiner Anwartschaft verlustig.

Das BSG hat wegen der bundesrechtlichen Erweiterung der Anwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG über die Regelungen der Versorgungssysteme hinaus einen Wertungswiderspruch innerhalb der Vergleichsgruppe der am 30. Juni 1990 Nichteinbezogenen gesehen. Nichteinbezogene, die früher einmal einbezogen gewesen seien, aber ohne rechtswidrigen Akt der DDR nach den Regeln der Versorgungssysteme ausgeschieden gewesen seien, würden anders behandelt als am 30. Juni 1990 Nichteinbezogene, welche nach den Regeln zwar alle Voraussetzungen für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hätten, aber aus Gründen, die bundesrechtlich nicht anerkannt werden dürften, nicht einbezogen gewesen seien (BSG, Urteil vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R). Wie oben ausgeführt, konnten zwar weder die ehemals einbezogenen, aber ausgeschiedenen Betroffenen, noch die Betroffenen, die zwar am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt hatten, tatsächlich aber nicht einbezogen waren, nach den Regelungen der DDR mit einer Versorgung rechnen. Wenn bundesrechtlich jedoch einem Teil dieses Personenkreises, nämlich dem der ehemals einbezogenen, aber ausgeschiedenen Betroffenen, eine Anwartschaft zugebilligt wird, so muss nach dem BSG § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass eine Anwartschaft auch dann besteht, wenn ein Betroffener aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach den zu Bundesrecht gewordenen abstrakt-generellen und zwingenden Regelungen eines Versorgungssystems aus bundesrechtlicher Sicht einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte (BSG, Urteile vom 09. April 2002 - B 4 RA 31/01 R und B 4 RA 41/01 R). Der aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete rechtfertigende sachliche Grund für eine solche Auslegung ist darin zu sehen, dass bundesrechtlich wegen der zu diesem Zeitpunkt erfolgten Schließung der Versorgungssysteme am 30. Juni 1990 angeknüpft wird und es aus bundesrechtlicher Sicht zu diesem Zeitpunkt nicht auf die Erteilung einer Versorgungszusage, sondern ausschließlich darauf ankommt, ob eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt worden ist, derentwegen eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen war (zu Letzterem Urteile des BSG vom 24. März 1998 - B 4 RA 27/97 R - und 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R).

Die oben genannte Rechtsprechung des BSG zum so genannten Stichtag des 30. Juni 1990 hat das BSG mit den weiteren Urteilen vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R und B 4 RA 20/03 R - fortgeführt und eindeutig klargestellt. Im Urteil vom 08. Juni 2004 - B 4 RA 56/03 R hat das BSG betont, es bestehe kein Anlass, diese Rechtsprechung zu modifizieren. An dieser Rechtsprechung hat das BSG mit Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 12/04 R festgehalten. Eine Anwartschaft im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG, die eine Zugehörigkeit zum Versorgungssystem begründet, beurteilt sich allein danach, ob zum Zeitpunkt des 30. Juni 1990 die Voraussetzungen für eine Einbeziehung vorgelegen haben.

Mit der oben genannten Rechtsprechung befindet sich das BSG nicht im Widerspruch zu seinen Urteilen vom 24. März 1998 - B 4 RA 27/97 R - und 30. Juni 1998 - B 4 RA 11/98 R. In jenen Urteilen wird zwar nicht auf den 30. Juni 1990 abgestellt. Dies rührt ersichtlich daher, dass bereits durch den Zusatzversorgungsträger jeweils Zeiten der Zugehörigkeit bis zum 30. Juni 1990 festgestellt waren und lediglich um einen vor dem Zeitpunkt der Aushändigung beziehungsweise Gültigkeit der ausgehändigten Urkunde gestritten wurde. Diese Entscheidungen betrafen somit tatsächlich Einbezogene. Allerdings haben diese Urteile zu erheblichen Missverständnissen geführt, die unter anderem zur Folge hatten, dass seitens des Versorgungsträgers - aber auch durch Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - Zeiten der Zugehörigkeit, insbesondere zur AVtI, entgegen der tatsächlichen Rechtslage festgestellt wurden. Insbesondere die Formulierung, die Typisierung solle immer dann Platz greifen, wenn in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt (nicht notwendig noch zum 01. Juli 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden sei, derentwegen ein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem errichtet gewesen sei, ist hierfür maßgebend gewesen. Dabei wurde jedoch verkannt, dass das BSG damit ausschließlich Zeiten von tatsächlich einbezogenen Berechtigten hat erfassen wollen. Über sonstige, nicht einbezogene Berechtigte, die also keinen Versicherungsschein erhalten hatten, hat das BSG mit diesen Urteilen überhaupt nicht entschieden. Auch das Urteil des BSG vom 10. April 2002 - B 4 RA 32/01 R steht nicht entgegen. In jenem Urteil kam es auf den Zeitpunkt des 30. Juni 1990 nicht an, weil der dortige Kläger bereits den erforderlichen Titel eines Ingenieurs nicht führte bzw. von 1977 bis 30. Juni 1990 eine dem Berufsbild eines Ingenieurs entsprechende Tätigkeit nicht verrichtete.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, lagen beim Kläger am 30. Juni 1990 nicht die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die AVtI vor. Der Senat lässt hierbei offen, ob der Kläger als Arbeiterökonom bzw. Sekretär des Kooperationsrates tatsächlich eine seiner Ausbildung und dem nach der AVtI maßgebenden Titel entsprechende Beschäftigung ausübte. Er lässt auch dahingestellt, ob der Kläger in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (der Industrie oder des Bauwesens) oder einer gleichgestellten Einrichtung tätig war. Der Titel eines Diplomlandwirts bzw. - nunmehr - eines Diplomagraringenieurs genügte jedenfalls für eine obligatorische Einbeziehung in die AVtI nicht.

Nach § 4 Abs. 1 Anordnung vom 25. Oktober 1979 (GBl DDR 1979, Sonderdruck Nr. 1024, 3) und nach § 4 Abs. 1 Anordnung vom 03. März 1976 (GBl DDR 1976, Sonderdruck Nr. 869, 3) jeweils über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulausbildung konnten Inhaber einer Urkunde über einen Hochschulabschluss (Staatsexamen, Hauptprüfung, Diplom, Attestation, Zuerkennung u. a.) bzw. einen Fachschulabschluss eine ihrer Ausbildung entsprechende im Verzeichnis der Berufsbezeichnungen für Absolventen der Universitäten, Hoch- und Fachschulen genannte Berufsbezeichnung bzw. ihnen mit Zeugnis oder Urkunde erteilte Berufsbezeichnung führen. Die Anlage zu letztgenannter Anordnung differenzierte die Berufsbezeichnungen der Hochschulausbildung nach der Fachrichtungsgruppe bzw. der Fachrichtung. Als solche werden dort u. a. genannt: Technische Wissenschaften mit den Fachrichtungen Maschinenwesen, Werkstoffwesen, Verfahrenstechnik, Elektrotechnik/Elektronik, Bauwesen, Städtebau und Architektur, Verkehrswesen, Geodäsie und Kartografie, Bergbau, Informationsverarbeitung, Verarbeitungstechnik, übrige Ingenieurdisziplinen mit der Berufsbezeichnung Diplomingenieur sowie Agrarwissenschaften mit den Fachrichtungen Pflanzenproduktion, Agrochemie und Pflanzenschutz, Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion und Tierproduktion mit der Berufsbezeichnung Diplomagraringenieur, gärtnerische Produktion mit dem Titel Diplomgartenbauingenieur, Fischproduktion mit der Berufsbezeichnung Diplomfischingenieur, Veterinärmedizin mit der Bezeichnung Tierarzt, Forstwirtschaft mit der Berufsbezeichnung Diplomforstingenieur, Meliorationswesen mit der Berufsbezeichnung Diplommeliorationsingenieur, Mechanisierung der Landwirtschaft sowie Lebensmitteltechnologie jeweils mit der Berufsbezeichnung Diplomingenieur. Die Anordnungen vom 25. Oktober 1979 und 03. März 1976 beruhen auf den § 79 Abs. 2 bzw. § 61 Abs. 4 Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 (GBl DDR I 1965, 84), wonach der Ministerrat und die Leiter der für die Bereiche des sozialistischen Bildungssystems verantwortlichen Organe des Ministerrates die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen erließen bzw. der Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen die Grundsätze für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und für die Verleihung akademischer Grade erließ.

Wie der genannten Anlage zu entnehmen ist, waren die Absolventen der technischen Wissenschaften befugt, den Titel eines Diplomingenieurs zu führen. Die Absolventen der Agrarwissenschaften waren befugt, den Titel eines Diplomingenieurs zu führen, sofern sie einen Abschluss in der Fachrichtung Mechanisierung der Landwirtschaft oder Lebensmitteltechnologie besaßen. Die anderen Absolventen aus dem Bereich Agrarwissenschaften durften demgegenüber in den Fachrichtungen Pflanzenproduktion, Tierproduktion, Agrochemie und Pflanzenschutz sowie Pflanzenzüchtung und Saatgutproduktion lediglich die Berufsbezeichnung Diplomagraringenieur führen. Daraus wird ersichtlich, dass der Titel eines Diplomingenieurs nur solchen Hochschulabsolventen zuerkannt wurde, die eine technische Ausbildung (im weitesten Sinne) absolviert hatten.

Dementsprechend bescheinigte die H.-Universität zu B. in dem Schreiben vom 27. Oktober 2003 auch lediglich, dass der Kläger berechtigt sei, die Berufsbezeichnung Diplomagraringenieur zu führen. Nichts anderes ergibt sich aus der Auskunft der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin vom 31. Januar 2002. Darin wird ausgeführt, dass nicht mehr der akademische Grad Diplomlandwirt, sondern nur noch der akademische Grad Diplomagraringenieur im Verzeichnis für die Abschlüsse in den Agrarwissenschaften enthalten sei, wobei beide völlig gleichwertig seien.

Die Befugnis zur Führung des Titels Diplomingenieur stand dem Kläger weder nach der genannten Anlage noch den genannten Auskünften zu.

In diesem Zusammenhang ist auch die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 12. April 1962 (GBl DDR II 1962, 278) - Ingenieur-VO - zu beachten.

Nach § 1 Abs. 1 Ingenieur-VO waren zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" berechtigt:

1. in der Wortverbindung "Dr.-Ing." und "Dr.-Ing. habil." Personen, denen dieser akademische Grad von einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen, Universitäten und Akademien der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt verliehen wurde;

2. in der Wortverbindung "Dipl.-Ing." Personen, die den Nachweis eines ordnungsgemäß abgelegten technischen Abschlussexamens an einer deutschen Hochschule oder Universität vor 1945 oder den Hochschulen bzw. Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können und denen das entsprechende Diplom verliehen wurde;

3. Personen, die den Nachweis eines abgeschlossenen technischen Studiums bzw. einer erfolgreich abgelegten Prüfung durch das Ingenieurzeugnis einer staatlich anerkannten deutschen Fachschule vor 1945 oder einer Fachschule der Deutschen Demokratischen Republik nach diesem Zeitpunkt erbringen können;

4. Personen, denen die Berufsbezeichnung "Ingenieur" aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen zuerkannt wurde.
Rechtskraft
Aus
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