L 8 AL 4106/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 1765/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 4106/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Einladung der Agentur für Arbeit zu einem vom Arbeitslosen selbst gewünschten Beratungstermin enthält noch keine Aufforderung zur Meldung. Wird eine solche Einladung dennoch als Meldeaufforderung bezeichnet, ist die Erklärung ohne weitere Erläuterung in sich widersprüchlich. In einem solchen Fall ist die Benennung eines Meldezwecks in der Meldeaufforderung selbst notwendig, damit die Doppelnatur der Erklärung – einerseits Einladung, andererseits aber auch Aufforderung zur Meldung – für den Betroffenen erkennbar wird.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03. September 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich dagegen, dass die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) während einer Säumniszeit festgestellt hat.

Der am geborene und zuletzt 1992 versicherungspflichtig beschäftigt gewesene Kläger bezog von der Beklagten nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld seit 1993 Alhi. Aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 18.07.2001 wurde dem Kläger von der Beklagten für die Zeit vom 01.07.2001 bis 30.06.2002 Alhi - ab 01.01.2002 in Höhe von 251,44 EUR wöchentlich - weiter bewilligt.

Im Anschluss an diese Leistungsbewilligung kam es zwischen dem Kläger und der Beklagten zu Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Anspruchsberechtigung. Mit Schreiben vom 28.11.2001 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit, sich noch einmal zur Verfügbarkeit und zur Frage des Getrenntlebens von seiner Ehefrau zu äußern. Die Beklagte setzte dem Kläger hierfür eine Frist bis zum 14.12.2001. Der Kläger erwiderte hierauf mit Schreiben vom 14.12.2001. In diesem Schreiben stellte er u.a. Antrag auf Akteneinsicht und persönliche Anhörung. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 14.01.2002 wie folgt: " ..., gemäß Ihrem Wunsch erhalten Sie eine Einladung zu einem Beratungsgespräch in meinem Hause ... Näheres entnehmen Sie bitte beigefügter Anlage." Beigefügt war eine weiteres Schreiben vom 14.01.2002 in dem es heißt: " ..., Sie haben einen Antrag auf rechtliches Gehör gestellt. Ich lade Sie aus diesem Anlass ein. Bitte kommen Sie am 18.01.2002 um 11.00 Uhr in das Arbeitsamt, Geschäftsstelle W.-T., ... Dies ist eine Einladung nach § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Beachten Sie bitte unbedingt auch die Rechtsfolgenbelehrung und die weiteren Hinweise auf der Rückseite ..." Zu diesem Termin erschien der Kläger nicht.

Daraufhin teilte ihm das AA am 18.01.2002 per Fax an die Postagentur in Ü.-B. mit, dass die Leistungen vorläufig eingestellt würden, weil der Kläger der Einladung zum 18.01.2002 nicht nachgekommen sei. Gleichzeitig erfolgte eine weitere Einladung zum 21.01.2002 mit dem Hinweis: "Ich möchte mit Ihnen über Ihre Leistungsangelegenheiten sprechen." In diesem Schreiben wurde der Kläger in der Rechtsfolgenbelehrung auf die Verlängerung der Säumniszeit nach § 145 Abs. 2 SGB III hingewiesen. Auch zu diesem Termin erschien der Kläger nicht.

Daraufhin hob das AA mit Bescheid vom 23.01.2002 die Bewilligung von Alhi ab 19.01.2002 auf und stellte den Eintritt einer mindestens sechswöchigen Säumniszeit fest. Mit am 31.01.2002 beim AA eingegangenem Schreiben vom 16.01.2002 teilte der Kläger mit, der mit Schreiben vom 14.01.2002 angesetzte Termin sei viel zu kurzfristig (4 Tage) anberaumt worden, sodass er die Möglichkeit, vorher anwaltlichen Rat einzuholen, nicht wahrnehmen könne. Ferner benötige er nach Akteneinsicht mindestens 14 Tage zur Vorbereitung und für die Entscheidung, ob er sich durch einen Anwalt vertreten lasse. Zudem sei er erkrankt und in ärztlicher Behandlung. Er legte die Kopie der von dem Arzt K., Z., am 17.01.2002 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) vor, wonach der Kläger seit 18.01.2002 bis voraussichtlich 25.01.2002 arbeitsunfähig sei. Der Bescheinigungsvordruck datierte von 1996.

Mit seinem Widerspruch vom 18.02.2002 gegen den Bescheid vom 23.01.2002 machte der Kläger unter Hinweis auf seine bisherigen Schreiben geltend, die Termine vom 18.01. und 21.01.2002 habe er jeweils aus wichtigem Grund (gesundheitliche Gründe) nicht wahrnehmen können. Das Original der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 17.01.2002 befinde sich seit 15.02.2002 in den Akten der Beklagten. Hinzu komme, dass er die Meldeaufforderung zum Termin am 21.01.2002 nicht erhalten habe. Er habe in der ganzen Woche vom 21. bis 26.01.2002 nichts erhalten, was als Briefpost des Arbeitsamtes hätte identifiziert werden können (außer dem Aufhebungsbescheid). Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2002 wies die Widerspruchsstelle des AA den Widerspruch zurück. Gleichzeitig gab sie dem Antrag des Klägers auf Feststellung der Befangenheit des zuständigen Widerspruchssachbearbeiters nicht statt. Die rechtmäßig erfolgten Einladungsschreiben, die vollständige und verständliche Belehrungen über die möglichen Rechtsfolgen enthalten hätten, seien dem Kläger ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt worden. Den Einwendungen des Klägers, er habe das Einladungsschreiben zum Termin am 21.01.2002 nicht erhalten, könne nicht gefolgt werden. Ein wichtiger Grund für die Meldeversäumnisse sei nicht erkennbar. Insbesondere könne die vom Kläger vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht als Nachweis eines wichtigen Grundes anerkannt werden. Unabhängig davon, ob die kassenärztlichen Formvorschriften eingehalten seien (eine - wie hier - außerhalb des Praxisbereichs ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei grundsätzlich unwirksam), sei es nicht nachvollziehbar, dass die Arbeitsunfähigkeit zwar am 17.01.2002 festgestellt, aber lediglich ab dem nächst folgenden Tag (1. Meldetermin) bescheinigt worden sei. Da der die Bescheinigung ausstellende Arzt ohne Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, die der Kläger nicht vorgelegt habe, eine Stellungnahme abgelehnt habe, hätten die erheblichen Zweifel an der Bescheinigung und damit der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht beseitigt werden können.

Mit einem am 13.06.2002 beim Arbeitsamt Lörrach eingegangenen Schreiben erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Er machte geltend, hinsichtlich des Termins am 18.01.2002 habe er sich am 16.01.2002 schriftlich abgemeldet bzw. sein Nichterscheinen schriftlich entschuldigt. Zum Beweis dafür, dass das Schreiben vom 16.01.2002 in den Briefkasten der Beklagten gelegt worden sei und auch zum Beweis des Inhalts des Schreibens, berief er sich auf die Vernehmung eines in der Schweiz wohnhaften Zeugen. Ferner brachte er vor, die angebliche zweite Einladung der Beklagten, die per Einlage in sein Postfach erfolgt sein solle, sei von ihm nicht als Briefpost des Arbeitsamts erkennbar gewesen. Mit Gerichtsbescheid vom 03.09.2003 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung verwies es auf den für zutreffend gehaltenen Widerspruchsbescheid und führte zusätzlich aus, die im Schreiben vom 16.01.2002 vom Kläger vorgebrachten Gründe für sein Nichterscheinen stellten keine wichtigen Gründe dar. Ferner sei es nicht glaubhaft, dass der Kläger durch Krankheit an der Wahrnehmung des zweiten Meldetermins gehindert gewesen sei. Aus der am 17.01.2002 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (mit Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit vom 18.01. bis 25.01.2002) sei zu schließen, dass der Kläger ohne entsprechende Mitteilung an das AA verreist gewesen sei. Wenn er deshalb Meldeaufforderungen und Rechtsfolgenbelehrungen nicht rechtzeitig erhalten habe, gehe das zu seinen Lasten und hindere den Eintritt einer Säumniszeit nicht. Die für den Kläger bestimmte Ausfertigung des Gerichtsbescheides wurde am 05.09.2003 als Übergabe-Einschreiben zur Post gegeben.

Dagegen hat der Kläger am 06.10.2003 Berufung eingelegt, mit der an seinem Ziel fest hält. Der Kläger wendet sich gegen die Prozessführung durch das SG und macht insbesondere geltend, dass dieses nicht durch Gerichtsbescheid, sondern nur aufgrund mündlicher Verhandlung hätte entscheiden dürfen. Ferner habe das SG sein Beweisangebot übergangen. In der Sache selbst wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und betont, er sei vom 17.01. bis 25.01.2002 krank gewesen und habe daher nicht zu den Terminen am 18.01. und 21.01.2002 erscheinen können.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03. September 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 23.01.2002 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

Eine wesentliche Änderung nach der mit Bescheid vom 18.07.2001 erfolgten Bewilligung von Alhi wäre eingetreten, wenn der Anspruch auf Alhi teilweise zum Ruhen gekommen wäre, weil der Kläger die Termine am 18.01.2002 und 21.01.2002 nicht wahrgenommen hat. Dies ist aber nicht der Fall.

Kommt der Arbeitslose einer Aufforderung des Arbeitsamts, sich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen (allgemeine Meldepflicht) trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ohne wichtigen Grund nicht nach, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während einer Säumniszeit von zwei Wochen, die mit dem Tag nach dem Meldeversäumnis beginnt (§ 145 Abs. 1 SGB III). Versäumt der Arbeitslose innerhalb einer Säumniszeit nach Absatz 1 von zwei Wochen einen weiteren Meldetermin trotz Belehrung über die Rechtsfolgen und ohne wichtigen Grund, so verlängert sich die Säumniszeit nach Absatz 1 bis zur persönlichen Meldung des Arbeitslosen beim Arbeitsamt, mindestens um vier Wochen (§ 145 Abs. 2 SGB III).

Voraussetzung für den Eintritt einer Säumniszeit ist danach u.a. eine rechtmäßige Meldeaufforderung. Eine solche liegt nur vor, wenn sie der Verwirklichung eines der in § 309 SGB III abschließend aufgezählten Meldezwecke dient. Wie der Senat mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 27.09.2002 (L 8 AL 855/02) entschieden hat, ist ferner erforderlich, dass der Meldezweck wenigstens stichwortartig in der Meldeaufforderung selbst mitgeteilt wird. Daran fehlt es hier. Einen konkreten Meldezweck hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 14.01.2002 nicht genannt.

Ob der Senat an seiner Rechtsprechung hinsichtlich der Pflicht zur Angabe des Meldezwecks in der Meldeaufforderung auch in den Fällen festhält, in denen sich der Zweck der Meldung mit hinreichender Deutlichkeit und für den Betroffenen erkennbar aus den konkreten Umständen ergibt, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn hier besteht zusätzlich die Besonderheit, dass die Beklagte mit ihren Schreiben vom 14.01.2002 den Kläger – seinem Wunsch entsprechend – zu einem Beratungsgespräch eingeladen hat bzw. ihm rechtliches Gehör gewähren wollte. In beiden Fällen handelte es sich der Sache nach nicht um eine – von der Verwaltung ausgehende – Aufforderung zur Meldung, sondern um eine Einladung zu einem vom Kläger selbst gewünschten Gesprächstermin. Die Einladung zu einem vom Arbeitslosen selbst gewünschten Beratungstermin enthält noch keine Aufforderung zur Meldung. Wird eine solche Einladung – wie hier – dennoch als Meldeaufforderung bezeichnet, ist die Erklärung ohne weitere Erläuterung in sich widersprüchlich. In einem solchen Fall ist die Benennung eines Meldezwecks in der Meldeaufforderung selbst notwendig, damit die Doppelnatur der Erklärung – einerseits Einladung, andererseits aber auch Aufforderung zur Meldung – für den Betroffenen erkennbar wird. Nach § 145 SGB III ruht der Anspruch nur, wenn der Kläger einer Meldeaufforderung nicht nachkommt, nicht aber bereits dann, wenn er einer Einladung zu einem von ihm selbst gewünschten Gesprächstermin fernbleibt. Damit kann offen bleiben, ob der Kläger für sein Nichterscheinen zu dem Termin am 18.01.2002 (Freitag) einen wichtigen Grund hatte oder nicht.

Entsprechendes gilt für das Fernbleiben zum Termin am 21.01.2002. Denn dieser Termin wurde anberaumt, weil der Kläger zum ersten Termin nicht erschienen ist. Der zweite Termin ist damit im Zusammenhang mit dem ersten Termin zu sehen. Im Übrigen setzt der Bescheid der Beklagten vom 23.01.2002 voraus, dass der Kläger innerhalb der Säumniszeit von zwei Wochen einen weiteren Meldetermin versäumt hat. Da eine Säumniszeit durch das Fernbleiben am 18.01.2002 aber nicht eingetreten ist, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved