S 11 RJ 42/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 RJ 42/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 85/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 22.02.2002, 12.11.2002 und 10.01.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2003 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.01.2001 Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 2/3 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die dem Kläger gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit aufgrund von zeitgleich gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) in Höhe von 1/3 oder von 2/3 zu zahlen ist.

Der am 00.00.1950 geborene Kläger arbeitete zuletzt bis September 1996 und bezog anschließend Krankengeld (Krg) von September 1996 bis Januar 1998. Auf seinen Antrag vom 29.07.1997 zahlte ihm die Beklagte zunächst bis Dezember 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und anschließend aufgrund ihres Bescheides vom 11.06.2001 (i.F.: Rentenbescheid) ab dem 01.01.2001 Rente wegen Berufsunfähigkeit (nach bis zum 31.12.2000 geltendem Recht).

Am 15.12.2000 beantragte der Kläger Alg, welches die (jetzt:) Bundesagentur für Arbeit (i.F.: BA) im Oktober 2001 für die Zeit ab dem 01.01.2001 bewilligte und auszahlte.

Nach vorheriger Ankündigung hob die Beklagte mit Bescheid vom 22.02.2002 den Rentenbescheid vom 11.06.2001 insoweit auf, als der Kläger ab dem 01.01.2001 wegen des Alg-Bezugs nur Anspruch auf eine Rente in Höhe von 1/3 habe. Sie führte aus, durch den Alg-Bezug sei in den tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten, die zur Abänderung des Rentenbescheides berechtige.

In seinem am 04.04.2002 erhobenen Widerspruch führte der Kläger aus, das von der BA zugrundegelegte Bemessungsentgelt enthalte auch Einmalzahlungen, die aufgrund der arbeitsförderungsrechtlichen Berechnungsmodalitäten auf das monatliche Entgelt umgerechnet worden seien. Da aber solche Einmalzahlungen in der Zeit seiner letzten Beschäftigung nur zwei mal jährlich angefallen seien, müsse es jedenfalls für die übrigen 10 Monate bei einer Rente in Höhe von 2/3 bleiben.

Mit Bescheid vom 12.11.2002 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 22.02.2002 aus formalen Gründen ab. Zur Begründung führte sie nunmehr aus, der Rentenbescheid sei bereits am 01.01.2001 und somit von Anfang an rechtswidrig gewesen. Inhaltlich blieb sie bei der Kürzung der Rente auf 1/3 ab dem 01.01.2001 und machte eine Überzahlung in Höhe von 8.524,77 Euro für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis 31.03.2002 geltend. Den weiter aufrecht erhaltenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 28.01.2003 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage, mit der der Kläger die Weiterzahlung der Rente in Höhe von 2/3 begehrt und sich in entsprechendem Umfang gegen die Rückforderung wendet.

Das Klageverfahren ruhte zunächst bis 13.04.2004, da der Kläger seinen Antrag auf Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Berufungsverfahren (LSG Nordrhein-Westfalen, L 8 RJ 65/02) weiterverfolgte, wo er ohne Erfolg geblieben ist.

Die Beklagte änderte mit Bescheid vom 10.01.2005 ihre früheren Entscheidungen dahingehend ab, dass der Rentenbescheid nur mit Wirkung ab dem 01.11.2001 abgeändert werde und sich die Überzahlung nur auf 2.863,12 Euro wegen der Differenz zwischen der Rente in voller Höhe und der Rente in Höhe von 1/3 im Zeitraum 01.11.2001 bis 31.03.2002 belaufe.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und hat eine Bescheinigung der IKK Nordrhein über erhaltene Einmalzahlungen vorgelegt. Er sieht sich in der Entscheidung des BSG vom 20.11.2003, B 13 RJ 43/02 R, bestätigt und vertritt die Auffassung, bei der Berücksichtigung von Sozialleistungen als Hinzuverdienst zur Rente sei auf die Zahlungsmodalitäten des dieser Leistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts abzustellen und nicht auf die Berechnungsmodalitäten für das hieraus ermittelte Bemessungsentgelt. Allein die von der BA vorgenommene Umrechnung der Einmalzahlungen führe in seinem Fall zur ständigen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe von 2/3.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 22.02.2002, 12.11.2002 und 10.01.2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2003 zu verurteilen, ihm ab dem 01.01.2001 Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 2/3 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer bisherigen Auffassung.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der BA sowie die beigezogene Akten des Sozialgerichts Aachen S 15 AL 157/01, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind in dem vom Kläger gerügten Umfang rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte die Rente wegen Berufsunfähigkeit nur - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auf 2/3 absenken, nicht jedoch auf 1/3.

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, liegt in der Bewilligung und Leistung von Alg eine wesentliche Änderung, die die Beklagte berechtigte, die Rente ab dem 01.11.2001 nicht länger in voller Höhe zu leisten. Sie musste jedoch - wie der Kläger geltend macht - die Rente in Höhe von 2/3 zahlen, denn auch das Hinzutreten von Alg führte nicht zur Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe von 2/3.

Nach § 96 a Abs 1 Satz1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) wird Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze überschritten ist. Ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze im Laufe eines Kalenderjahres bleibt außer Betracht (§ 96 a Abs. 1 Satz 2, 2. HS SGB VI). Das Zusammentreffen von Alg und Rente wegen Berufsunfähigkeit (nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht) regelt § 313 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 SGB VI i.V.m. § 96 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und Satz 3 SGB VI und § 18 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Hierbei ist nach § 96 a Abs. 3 Satz 3 SGB VI als Hinzuverdienst das der Sozialleistung (hier: dem Alg) zugrundeliegende Arbeitsentgelt zu berücksichtigen.

Das dem Alg zugrunde liegende Entgelt bestimmt sich grundsätzlich nach den Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts (SGB III). Jedoch erfordern Sinn und Zweck des § 96 a Abs. 3 Satz 3 SGB VI bei einem Übergang vom Arbeitsentgelt zur Entgeltersatzleistung eine Auslegung von § 96 a Abs. 3 Satz 3 SGB VI im Lichte von § 96 a Abs. 1 Satz 2 2.HS SGB VI, denn mit der Berücksichtigung des Erwerbsersatzeinkommens soll nichts grundsätzlich anderes geschaffen werden als bei der Berücksichtigung des Arbeitseinkommens selbst (ausführlich hierzu und dem folgenden BSG, Urteil vom 20.11.2003, B 13 RJ 43/02 R, SozR 4-2600 § 96 a Nr. 3 = BSGE 91, 277 ff). Die Bezugnahme nicht auf den Zahlbetrag der Entgeltersatzleistung sondern auf deren Bemessungsgrundlage soll lediglich eine Besserstellung des Versicherten durch den Bezug der Ersatzleistung verhindern. Sie soll ihn aber nicht umgekehrt schlechter stellen als er stünde, wenn er weiterhin das Arbeitseinkommen erzielte.

Von diesen vom BSG aufgestellten Grundsätze ist im vorliegenden Fall auch nicht deswegen abzuweichen, weil der hiesige Kläger (anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall) zu keinem Zeitpunkt Arbeitsentgelt und Berufsunfähigkeitsrente gleichzeitig bezogen hat. Er hat vielmehr sein letztes Arbeitsentgelt geraume Zeit vor Beginn des Rentenbezugs erzielt. Dies ändert jedoch nichts an der Auslegung von § 96 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 3 SGB VI, denn diese beruht nicht etwa auf Vertrauensschutzerwägungen, sondern letztlich auf dem Gleichbehandlungsgebot, aus dem sich eine solche zeitliche Differenzierung gerade nicht ergibt. Ein Bezug der in § 96 a Abs. 3 Satz 1 SGB VI aufgezählten Sozialleistungen soll deswegen zu keinem anderen Zustand führen als Weiterzahlung des Arbeitsentgelts, weil die Sozialleistungen dem Arbeitsentgelt nach dem Wortlaut von § 96 a Abs. 3 Satz 1 gleichstehen (ausführlich BSG, a.a.O.). Die Vorschriften in § 96 a Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 SGB VI haben nicht den Charakter einer Übergangsregelung zur Aufrechterhaltung eines bestehenden wirtschaftlichen Zustands beim Parallelbezug von Arbeitsentgelt und Rente, sondern sollen den Kläger beim Bezug von Sozialleistungen so stellen, als erziele er weiterhin das der Sozialleistung zugrundeliegende Arbeitsentgelt.

Ebensowenig steht dieser Auslegung von § 96 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB VI im vorliegenden Fall entgegen, dass der Kläger zwischen Arbeitsentgelt und Alg noch Krg bezogen hatte. Auch hierbei handelt es sich um Erwerbsersatzeinkommen (§ 18 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB IV) und auch insoweit besteht die von § 96 a Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB VI vorgesehene Anknüpfung an das "ursprüngliche" Arbeitseinkommen.

Dass der Kläger bei Zugrundelegung des zuletzt erzielten "echten" Arbeitsentgelts die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe von 2/3 nicht überschreitet, ist nicht streitig. Der Kläger hat (ausweislich der von ihm vorgelegten Bescheinigung der IKK Nordrhein) in den letzten 12 Kalendermonaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Weihnachtsgeld i.H.v. 4.049,37 DM und Urlaubsgeld i.H.v. 5.307,69 DM, insgesamt also 9.357,06 DM erhalten. Nach Abrechnung dieser Beträge vom Monatsbetrag des Bemessungsentgelts für das Alg bliebt dieses bei 5.893,57 DM, was unterhalb der von der Beklagten errechneten Hinzuverdienstgrenze für eine Berufungsfähigkeitsrente in Höhe von 2/3 von monatlich 5979,37 DM liegt.

Die von der Beklagten geltend gemachte Rückforderung (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X) besteht nach alledem nur in der Höhe der Differenz zwischen der Rente in voller Höhe und der Rente in Höhe von 2/3 und ist - entsprechend dem Klageantrag - insoweit auch unstreitig. Eine hierüber hinaus gehende Rückforderung scheitert daran, dass die Beklagte den Rentenbescheid nicht in noch weiterem Umfang aufheben durfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass sich der Kläger sein Begehren bereits im Widerspruchsverfahren auf die Leistung einer Rente in Höhe von 2/3 beschränkt hatte.
Rechtskraft
Aus
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