S 11 AL 15/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AL 15/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AL 87/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 06.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2005 verurteilt, dem Kläger ungemindertes Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 01. bis 28.11.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung des an ihn erbrachten Arbeitslosengelds (Alg) wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend.

Der am 00.00.1980 geborene Kläger arbeitete seit dem 01.08.2000 als Rechtsanwaltsfachangestellter bei der Kanzlei C in E. Sein Arbeitsvertrag wurde am 31.03.2004 bis zum 31.10.2004 befristet.

Am 23.09.2004 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg. Nach Einholung einer Arbeitsbescheinigung gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 06.12.2004 Alg ab dem 01.11.2004 und nahm hierbei eine Minderung i.H.v. 210.- Euro vor, da er sich um 52 Tage zu spät arbeitsuchend gemeldet habe. Als Minderungszeitraum nahm sie die Zeit vom 01. bis 28.11.2004 an. Den am 27.12.2004 eingelegten Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 05.01.2005 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage.

Der Kläger führt aus, er habe erst im September 2004 erfahren, dass eine weitere Verlängerungen des Arbeitsverhältnisses nicht beabsichtigt sei und sich sodann sofort bei der Beklagten gemeldet.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2005 zu verurteilen, ihm ungemindertes Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 01. bis 28.11.2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Kläger habe sich bis zum 01.08.2004 melden müssen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtswidrig i. S. von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte durfte den Alg-Anspruch des Klägers nicht wegen verspäteter Meldung mindern.

Die §§ 37 b Satz 1 und 2, 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) sind zu unbestimmt, um die Beklagte zur Minderung des Anspruchs auf Alg zu ermächtigen.

Nach § 140 Satz 1 SGB III mindert sich der Anspruch auf Alg, das dem Arbeitslosen auf Grund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat. Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Gemäß § 37 b Satz 2 SGB III hat die Meldung im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen.

Die §§ 37 b, 140 SGB III sind keine geeignete Ermächtigungsgrundlage zur Minderung von Alg oder auch Alhi in Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen. § 37 b Satz 2 SGB III ist in Verbindung mit § 37 b Satz 1 SGB III derart unbestimmt, dass er (wiederum i.V.m. § 140 SGB III) keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in den Anspruch auf Alg darstellt (SG Dortmund, Urteil vom 26.07.2004 - S 33 AL 127/04). Die Vorschrift besagt mithin nicht, dass sich der Alg-Anspruch (nach Maßgabe von § 140 SGB III) mindert, wenn die genannte Frist verstrichen ist und der Versicherte sich nicht arbeitsuchend gemeldet hat. Vielmehr ist § 37 b Satz 2 SGB III bei verfassungsrechtlich gebotener geltungserhaltender Reduktion (vgl. BVerfGE 69, 1, 55 m.w.N.) dahingehend auszulegen, dass er lediglich regelt, ab wann sich ein Versicherter arbeitsuchend melden und somit die Pflicht der Beklagten zur Arbeitsvermittlung nach § 38 Abs. 4 SGB III auslösen kann.

Aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG, ergibt sich, dass eine Ermächtigung der Verwaltung zum Eingriff in Grundrechte durch Gesetz erfolgen und insbesondere hinreichend bestimmt sein muss. Klarheit und Bestimmtheit einer Vorschrift bedeutet Erkennbarkeit des gesetzgeberisch Gewollten. Betroffene müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfGE 52, 1, 41). Das Handeln der Verwaltung muss für den Bürger voraussehbar und berechenbar sein (BVerfGE 56, 1, 12; BVerwGE 100, 230, 236; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 20, Rn. 60, 61).

§ 37 b Satz 2 SGB III wird diesen Anforderungen schon deswegen nicht gerecht, weil die Vorschrift in Zusammenschau mit § 37 b Satz 1 SGB III, auf den sie sich unmittelbar bezieht, mehrere ungefähr gleich naheliegende und plausible Auslegungen zulässt, die jedoch im Einzelfall zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen: § 37 b Satz 1 und 2 SGB III kann zum einen so verstanden werden, dass die Meldung mit Ablauf des nächsten dienstbereiten Tages zu erfolgen hat, nachdem der Versicherte Kenntnis von der Befristung hat und es nur mehr 3 Monate bis zur Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses sind (Satz 1 als nähere Ausgestaltung des Tatbestandsmerkmals "frühestens" in Satz 2). Denkbar ist jedoch auch eine Auslegung, wonach die Meldung ab Kenntnis und Unterschreitung der Frist erfolgen kann, jedoch nicht unverzüglich erfolgen muss (das Tatbestandsmerkmal "frühestens" in Satz 2 verdrängt das Tatbestandsmerkmal "unverzüglich" in Satz 1). Diese Unklarheiten betreffen nicht nur den isoliert betrachteten Norminhalt von § 37 Satz 2 SGB III, sondern auch die Frage, ob neben § 37 b Satz 2 SGB III noch Raum für eine subsidiäre Anwendung von § 37 b Satz 1 SGB III ist. Welche der möglichen Auslegungen die vom Gesetzgeber gewollte ist, erschließt sich den - regelmäßig mit juristischen Auslegungsmethoden ohnehin nicht vertrauten - Betroffenen selbst bei genauer Kenntnis des Wortlauts von § 37 b SGB III nicht. Die von dieser Regelung betroffenen Versicherten haben mithin keinerlei Möglichkeit, das gesetzgeberisch Gewollte zu erkennen und ihr Verhalten an der gesetzlichen Regelung auszurichten.

Es handelt sich schließlich auch nicht um einen derjenigen Fälle, in denen ein Minus an inhaltlicher Bestimmtheit zulässig ist, da der Gesetzgeber die fragliche Materie nur durch Generalklauseln und/oder durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe regeln kann (zu derartigen Konstellationen Jarass, a.a.O., Rn. 61). Dies mag auf die Verwendung des Begriffs "unverzüglich" in § 37 b Satz 1 SGB III zutreffen, der Begriff "frühestens" ist jedoch kein unbestimmter Rechtsbegriff.

Es kommt nach alledem nicht darauf an, ob der Kläger auf eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über den ihm bekannten Beendigungszeitpunkt hinaus vertrauen durfte. Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass eine bloße entsprechende Aussicht nicht von der Meldeobliegenheit aus § 37 b SGB III entbindet, wie sich im Erst-recht-Schluss aus § 37 b Satz 3 SGB III ergibt. Solange kein Arbeitsvertrag für die Zeit nach der ursprünglich vorgesehenen Beendigung geschlossen ist, kann sich der Arbeitssuchende nicht darauf berufen, er habe keine Kenntnis vom Beendigungszeitpunkt gehabt. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit mehrfach verlängert worden war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung auf § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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