L 20 R 672/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 194/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 672/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.10.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der 1948 in Polen geborene Kläger hat dort den Beruf eines Kfz-Schlossers erlernt. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik im Jahre 1988 war er bis 11.09.1996 immer nur kurzfristig als Hilfsarbeiter, zuletzt als Tankstellenarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dieser Zeit ist er arbeitslos und krank.

Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist im Wesentlichen durch folgende Gesundheitsstörungen eingeschränkt: Dysthymia (mittelschweren Grades), Alkoholkrankheit (derzeit abstinent), Hals- und Lendenwirbelsäulen-Wurzelreizsyndrom (leichten bis mittelschweren Grades), Schwerhörigkeit mittleren Grades (durch Hörgerät weitgehend kompensiert), Leberzirrhose und Hypakusis beidseits.

Den Rentenantrag vom 28.09.2000 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.11.2000 und Widerspruchsbescheid vom 14.02.2001 ab, nachdem das Gutachten der Sozialmedizinerin Dr.M. vom 28.11.2000 ergeben hatte, dass der Kläger noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, auch im bisherigen Beruf vollschichtig zu verrichten.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Nürnberg (SG) nach Beinahme verschiedener ärztlicher Unterlagen zur Einsetzbarkeit des Klägers den Internisten und Arbeitsmediziner Dr.K. (Gutachten vom 20.08.2001) sowie auf Antrag des Klägers den Internisten und Sozialmediziner Dr.G. (Gutachten vom 31.05.2002) gehört, die beide zu der Beurteilung gelangt sind, der Kläger sei zumindest für leichte Tätigkeiten bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen vollschichtig einsatzfähig.

Die Beklagte gewährte dem Kläger als Maßnahme der medizinischen Rehabilitation ein stationäres Heilverfahren, das vom 17.07. bis 14.08.2002 in der K. Klinik in W. durchgeführt wurde. Nach dem Entlassungsbericht war der Kläger aus orthopädischer Sicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Er wurde aber als arbeitsunfähig im Hinblick auf die ausgeprägte psychische Symptomatik entlassen (einsatzfähig nur unter 3 Stunden); eine weitere diagnostische Abklärung wurde empfohlen. Nach Beinahme des Befundberichtes des Neurologen und Psychiaters Dr.M. , bei dem sich der Kläger am 29.10.2002 vorstellte, hat der Nervenarzt Dr.W. das Gutachten vom 02.01.2003 erstattet; dieser ist ebenfalls zu der Beurteilung gelangt, der Kläger sei noch vollschichtig für leichte Arbeiten einsetzbar.

Mit Urteil vom 23.10.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt, nach der durchgeführten medizinischen Beweisaufnahme sei der Kläger vollschichtig einsatzfähig. Nach den von den ärztlichen Sachverständigen beschriebenen Einsatzbeschränkungen sei dem Kläger der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verschlossen. Damit sei der Kläger nicht erwerbsgemindert. Er genieße auch keinen Berufsschutz als gelernter Kfz-Mechaniker. Denn diesen Beruf habe er nur bis 1980 in Polen ausgeübt. Anschließend habe er nur Tätigkeiten verrichtet, die auf der Ebene der ungelernten Arbeiten lägen und nicht berufsschutzbegründend seien.

Mit der dagegen eingelegten Berufung weist der Kläger in erster Linie darauf hin, schon die Entlassung aus der Reha-Klinik sei als arbeitsunfähig erfolgt. Ferner sei der Verdacht auf das Vorliegen eines hirnorganischen Psychosyndroms gegeben. Nach Auffassung seiner behandelnden Psychotherapeutin sei die Erwerbsfähigkeit nicht mehr zu erreichen. Außerdem lägen bei ihm noch weitere Gesundheitsstörungen vor.

Der Senat hat zunächst Befundberichte und Unterlagen des praktischen Arztes Dr.R. , des Neurologen Dr.M. und der Psychotherapeutin Dr.A. (zweimalige Behandlung im November 2003) zum Verfahren beigezogen. Zur Frage der Minderung der Erwerbsfähigkeit hat der Neurologe und Psychiater Dr.B. das Gutachten vom 24.08.2004 erstellt. Er gelangt zu der Beurteilung, der Kläger sei ab Rentenantragstellung weniger als 8, jedoch mindestens 6 Stunden bei durchschnittlicher Belastung und betriebsüblichen Arbeitspausen einsatzfähig. Nicht zumutbar seien mittelschwere und schwere Arbeiten, Tätigkeiten unter Lärm und Arbeiten, die mit Telefonieren verbunden sind, stresshafte Arbeitsbedingungen und Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an die geistige Flexibilität stellen. Eine dauerhafte Leistungsminderung liege aber nicht vor, da die therapeutischen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 23.10.2003 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 30.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2001 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit - ab 01.10.2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, auch eine 6- bis unter 8-stündige Einsatzfähigkeit des Klägers ergebe keine andere Beurteilung als bisher. Zwar wäre durch die bereits am 28.09.2000 erfolgte Antragstellung die Streitsache nach den bis 31.12.2000 geltenden Vorschriften zu beurteilen, was bei dem von Dr.B. angenommenen Leistungsvermögen zu einem Zeitrentenbeginn am 01.04.2001 führen würde. Die jeweilige Rechtsanwendung sei aber vom Rentenbeginn abhängig, so dass § 43 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung anzuwenden sei. Dann liege eine Erwerbsminderung nicht vor, da der Kläger mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren neben den Streitakten erster und zweiter Instanz die Verwaltungsunterlagen der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 23.10.2003 vielmehr zu Recht entschieden, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.

Die Rechtslage beurteilt sich gemäß § 300 Abs 2 SGB VI nach den §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung (aF), da ein Leistungsbeginn vor dem 01.01.2001 im Streit steht.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den §§ 43 Abs 1 Satz 1 aF, 44 Abs 1 Satz 1 aF SGB VI. Nach diesen Vorschriften haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit, wenn sie - neben anderen Voraussetzungen - 1. berufs- bzw erwerbsunfähig sind und 2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Berufs- bzw Er werbsunfähigkeit 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicher te Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Das unter Nr. 2 genannte Tatbestandsmerkmal erfüllt der Kläger nach seinem Beitragsbild. Der Kläger ist aber weder berufs- noch erwerbsunfähig.

Das zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist zwar schon seit Rentenantragstellung am 28.09.2000 eingeschränkt, aber noch nicht in einem rentenerheblichen Maße. Insoweit folgt der Senat den in sich schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der vom SG gehörten Sachverständigen Dr.K. , Dr.G. und Dr.W ... Zwar liegen beim Kläger auch auf dem orthopädischen Gebiet Gesundheitsstörungen vor, die ihn letztlich nach eigenen Angaben zur Rentenantragstellung veranlasst haben. Insoweit haben aber die Ermittlungen im Klage- und Berufungsverfahren ergeben, dass der Kläger auch in Anbetracht des bei ihm vorliegenden Wirbelsäulensyndroms durchaus in der Lage war und ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wenigstens leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Zu vermeiden wären insoweit allein häufig wiederkehrende Überkopfarbeiten sowie häufiges Bücken und Heben und Tragen von schweren Lasten. Auch die Gesundheitsstörungen auf dem internistischen Gebiet, die Alkoholkrankheit und die Leberzirrhose, schränken die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht in einem rentenrechtlich erheblichen Maße ein. Insoweit handelt es sich einmal um eine chronische Lebererkrankung geringerer Aktivität, die bisher noch keine gravierenden Dekompensationszeichen bewirkt hat, und zum Anderen betreibt der Kläger z.Z. offensichtlich keinen Alkoholabusus. Insoweit haben auch die Ermittlungen des Senats keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt, so dass sozialmedizinisch relevante Einschränkungen insoweit nur in Form der Nichteignung für Fahr- und Steuertätigkeiten vorliegen.

Bezüglich der Beurteilung der beim Kläger auf dem psychiatrischen Gebiet vorliegenden depressiven Entwicklung bzw Dysthymia folgt der Senat den Ausführungen von Dr.W. im Gutachten vom 02.01.2003. Dieser hat auch erstmals darauf hingewiesen, dass beim Kläger ein hirnorganisches Psychosyndrom nicht vorliegt, nach dem es keinen der Entwicklung eines hirnorganischen Psychosyndroms entsprechenden Leistungsabfall in den letzten Jahren gab. Es handelt sich beim Kläger vielmehr um einen einfach strukturierten minder intelligenten und eher unselbstständigen Mann mit Antriebsminderung. Dr.W. hat ferner darauf hingewiesen, dass der Verdacht auf einen Hirninfarkt vor etwa 5 Jahren (vor der Untersuchung durch Dr.W.) sich nicht bestätigen konnte. Weder der Kläger noch seine Ehefrau konnten sich auch nach mehrfachem Nachfragen an ein derartiges Ereignis erinnern. Auch eine Aphasie wurde für ausgeschlossen gehalten. Es entstand bei der Untersuchung durch den Sachverständigen vielmehr der Eindruck einer leichten depressiven Entwicklung, die aber therapierbar wäre. Eine andere schwerwiegende psychische Störung, die das Leistungsprofil beeinflussen würde, liegt nicht vor. Deshalb hält auch der Senat den Kläger bei zumutbarer Willensanstrengung für fähig, leichte Arbeiten unter Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen zu verrichten. Dabei ist im Anschluss an die Ausführungen von Dr.W. davon auszugehen, dass der Kläger - in Übereinstimmung mit den Vorgutachten - jedenfalls bis Januar 2003 etwa 8 Stunden täglich einsatzfähig war.

Nicht folgen konnte der Senat der Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr.B. im Gutachten vom 24.08.2004. Denn in Anbetracht der zahlreichen Vorbefunde und Untersuchungen seit Rentenantragstellung am 28.09.2000 konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers bereits seit Antragstellung in den 6- bis unter 8-stündigen Bereich gesunken ist. Der Senat geht vielmehr im Anschluss an die Ausführungen der bis dahin gehörten Sachverständigen Dr.M. , Dr.K. , Dr.G. und Dr.W. davon aus, dass allenfalls nach der Untersuchung durch Dr.W. die von Dr.B. festgestellte Leistungseinschränkung auf unter 8 Stunden eingetreten ist, also nach dem Januar 2003. Damit sind die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung anzuwenden, wonach beim Kläger keine Erwerbsminderung vorliegt, da er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, auch nach den Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr.B ...

Damit liegen weder die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit i.S. des § 44 aF SGB VI noch für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung vor.

Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Denn der Kläger genießt keinen Berufsschutz.

Ausgangspunkt für die Feststellung der BU ist der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen. Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend derjenige, den der Kläger zuletzt in der Bundesrepublik Deutschland überwiegend ausgeübt hat, somit der eines Hilfsarbeiters, zuletzt der eines Tankstellenarbeiters. Dieser stellte keine Lehrtätigkeit dar, so dass der Kläger nicht als Facharbeiter zu betrachten ist. Unter Anwendung der Grundsätze des vom BSG entwickelten Mehrstufenschemas ist der Kläger vielmehr der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen. Insbesondere genießt er nicht Berufsschutz als Kfz-Mechaniker. Denn insoweit hat das SG zu Recht darauf verwiesen, dass der Kläger diesen Beruf nur bis 1980 in Polen ausgeübt hat und anschließend als Armierer bis 1983 tätig war, wofür er keine Lehrausbildung besaß. Nach erneuter Mechanikertätigkeit von etwa einem Jahr war der Kläger dann ebenfalls in Polen von 1984 bis 1988 als Konservator im Wesentlichen mit Hausmeistertätigkeiten betraut. Nach alledem ist der Kläger im Hinblick auf sein versicherungspflichtiges Erwerbsleben auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. In zeitlichem Umfang war der Kläger bis in das Jahr 2003 zur Überzeugung des Senats vollschichtig, d.h. bis 8 Stunden und spätestens ab der Untersuchung durch Dr.B. im August 2004 über 6 Stunden täglich einsetzbar, so dass Rentenleistungen weder nach altem (Erwerbsunfähigkeits-/Berufsunfähigkeitsrente) noch nach neuem Recht (Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung) zustehen.

Der Kläger kann auch keinen Rentenanspruch daraus herleiten, dass er arbeitsunfähig i.S. der Krankenversicherung ist. Denn der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist nicht gleichbedeutend mit dem der Berufsunfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit. Arbeitsunfähigkeit liegt bereits dann vor, wenn der Erkrankte nicht oder nur noch mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es kommt hier - anders als bei der Berufsunfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit - ausschließlich darauf an, ob die letzte Beschäftigung weiterhin ausgeübt werden kann. Der Erkrankte kann nicht auf andere Beschäftigungen verwiesen werden und es fehlt ebenfalls an der Festsetzung einer Leistungsgrenze. Ein arbeitsunfähiger Versicherter muss infolge dessen nicht berufsunfähig oder erwerbsunfähig sein.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und musste daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass auch die Berufung des Klägers erfolglos geblieben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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