L 12 AL 187/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AL 193/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 187/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.05.2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist, ob dem Kläger ab 04.11.2000 Arbeitslosenhilfe zu gewähren ist. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob der Wohnsitz des Klägers in S/Niederlande dem Anspruch entgegensteht oder nicht.

Der am 00.00.1955 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er wurde in Indonesien geboren. Mit neun Jahren zog er mit seinen Eltern (die Mutter ist Niederländerin und der Vater Deutscher) von dort nach Deutschland. Hier besuchte er zunächst die Volks-, dann die Hauptschule. Nach Abschluss der Hauptschule machte er eine zweieinhalbjährige Lehre als Bierbrauer und Mälzer. Danach arbeitete er noch ein Jahr in diesem Beruf als Geselle. Im Anschluss daran war der Kläger vom 01.05.1978 bis 29.12.1994 bei der M in E beschäftigt. Er arbeitete zunächst in der Produktion im Cateringgewerbe, später als Gruppen- und Schichtleiter. Zuletzt war er hauptverantwortlicher Schichtleiter im Zentrallager bei der LSG M Service Skychef GmbH. Die GmbH versorgt Passagiere und Besatzung auf Flügen mit Speisen und Getränken.

Der Kläger heiratete 1975 eine Holländerin. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. 1991 verlegte die Familie ihren Hauptwohnsitz von der Bundesrepublik Deutschland in die Niederlande nach W. Von dort aus pendelte der Kläger werktäglich zu seiner Arbeitsstelle nach E. Im Mai 2000 trennten sich die Eheleute. Der Kläger zog von W zu seiner Mutter nach S (Niederlande). S ist von der bundesdeutschen Grenze ca. 4 km entfernt. Die drei Kinder des Klägers lebten zunächst bei der Mutter. Die Ehe wurde 2001 geschieden. Heute wohnt nur noch die jüngste Tochter dort. Die beiden anderen Kinder leben in den Niederlanden und arbeiten bei einer amerikanischen Firma.

Dem Kläger wurde zum 23.12.1994 gekündigt. Der Arbeitgeber warf den Kläger Verfehlungen im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit vor. Der Kläger meldete sich bei der Beklagten arbeitslos und bezog bis 03.11.1996 Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe.

Die Beklagte versuchte im Jahr 2000 dem Kläger die Arbeitslosenhilfe rückwirkend zu entziehen. Dieses Verfahren, das vor dem Sozialgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen S 13 AL 39/01 geführt wurde, endete damit, dass die Beklagte den Aufhebungsbescheid aufhob und dem Kläger Arbeitslosenhilfe bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnittes am 03.11.2000 weiter zahlte. Das Klageverfahren wurde daraufhin Ende November 2001 für erledigt erklärt.

Parallel zu diesem Verfahren hatte der Kläger am 04.11.2000 die Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe beantragt. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26.02.2002 ab. Der Kläger habe durch seinen Aufenthalt in den Niederlanden den Status eines atypischen Grenzgängers. Durch den Umzug nach S habe sich manifestiert, dass der Lebensmittelpunkt des Klägers nicht mehr in Deutschland sei.

Dem widersprach der Kläger am 20.03.2002. Sein Wohnort sei lediglich drei Kilometer von der Grenze und weniger als 50 km von dem Sitz der Beklagten entfernt. Er sei im Rahmen des üblichen Grenzverkehrs sehr wohl in der Lage, auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt eingesetzt zu werden. Ferner habe er seine Arbeitskraft ausschließlich dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Er habe bisher alle Anträge auf Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe bei der Beklagten gestellt. Auch habe er dort an allen Maßnahmen teilgenommen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2002 als unbegründet zurückgewiesen. Arbeitslose Grenzgänger mit Wohnsitz in einem EU-Nachbarstaat könnten nur dann Leistungen aus der deutschen Arbeitslosenversicherung erhalten, wenn noch eine so enge persönliche und berufliche Beziehung zu Deutschland bestehe, dass die Aussichten für die Eingliederung ins Berufsleben hier besser seien. Davon sei bei dem Kläger nicht auszugehen. Abgesehen von den regelmäßigen Meldungen bei der Beklagten habe der Kläger keine beruflichen und persönlichen Kontakte in die Bundesrepublik nachgewiesen. Auch habe er seit 1994 keinen Kontakt zum deutschen Arbeitsmarkt mehr gehabt. Seinen Lebensmittelpunkt habe er vielmehr in den Niederlanden. Dafür spreche zusätzlich, dass der Kläger nach der Trennung von der Ehefrau nicht nach Deutschland zurückgekehrt, sondern zu seiner Mutter nach S gezogen sei.

Dagegen hat der Kläger am 24.07.2002 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und vorgetragen: Dass er durch den Umzug zu seiner Mutter seinen Lebensmittelpunkt in die Niederlande verlegt habe, sei eine zynische Behauptung. Wohin sonst solle ein Ehemann, dessen Ehe gescheitert sei, dessen Ehefrau und Kinder nicht mehr mit ihm zusammenleben, der ohne entsprechende finanzielle Mittel sei, ziehen, wenn nicht zu seiner Mutter? Nur dort könne man kostenlos und entsprechend ernährt die schlimme Folgezeit überstehen. Durch den geringen Abstand zur deutschen Grenze dürfte auch die räumliche Entfernung einer Vermittlung in Deutschland nicht im Wege stehen. Schließlich habe er sein ganzes Arbeitsleben in Deutschland verbracht und kenne diesen Arbeitsmarkt viel besser. Die Beklagte setze durch die Verweigerung der ihm zustehenden Leistungen sein Menschenschicksal aufs Spiel. Er werde schlichtweg auf die Niederlande verwiesen. Der europäische Gedanke werde hier mit Füßen getreten. In den Niederlanden habe er nicht die geringste Chance, Arbeitslosenhilfe zu erhalten. Schon in einem Vorprozess vor dem Sozialgericht Nürnberg habe die Beklagte durch ein Anerkenntnis zu erkennen gegeben, dass ihm in der Sache beizupflichten sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2002 zu verurteilen, ihm ab 04.11.2000 Arbeitslosenhilfe zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, aufgrund des Zeitablaufs sei die Situation des Klägers mittlerweile anders zu bewerten. Nach einer nahezu acht Jahre andauernden Arbeitslosigkeit sei nicht mehr davon auszugehen, dass die Vermittlungsaussichten in Deutschland besser seien. Auch sei nicht von einer nur vorübergehenden Übersiedlung in die Niederlande auszugehen.

Das Sozialgericht hat einen Erörterungstermin anberaumt. Hierin hat der Kläger erklärt, sich in Holland und Deutschland zu bewerben. In Deutschland habe er sich insbesondere bei T und bei I beworben. Derzeit seien die Stellenaussichten schlecht. Möglicherweise könne er demnächst bei M1 in N arbeiten. Genaues stehe noch nicht fest. Er bewerbe sich im Umkreis von 50 bis 100 km. Das Indonesische, Deutsche und Holländische spreche er neben dem Englischen fließend. Er sei in drei Kulturkreisen (dem Indonesischen, Deutschen und Holländischen) groß geworden. Sein Herz hänge noch an Indonesien, da er dort aufgewachsen sei. Wenn er genügend finanzielle Mittel habe, werde er bei seiner Mutter ausziehen und sich im niederländischen Grenzgebiet eine Bleibe und eine Stelle suchen.

Mit Urteil vom 14.05.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung wörtlich ausgeführt: "Der Bescheid vom 26.02.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2000 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach §§ 190 Abs. 1, 118 Abs. 1 und § 119 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i. V. m. § 30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), Art. 71 Abs. 1 a ) ii EWG-Verordnung 1408/71).

Einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat nur, wer eine Beschäftigung sucht und verfügbar ist, d. h. den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung steht. Den Vermittlungsbemühungen stehen grundsätzlich nur solche Arbeitslose zur Verfügung, die ohne Verzug eine versicherungspflichtige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkts aufnehmen können. Grundsätzlich können nach § 30 Abs. 1 SGB I nur Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB III geltend machen.

Ein Anspruch kann ausnahmsweise über § 30 Abs. 2 SGB I gegeben sein, soweit zwischenstaatliche Regelungen dies vorsehen. Eine solche Regelung enthält Art. 71 der EWG-Verordnung 1408/71. Er betrifft Arbeitslose, die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat wohnten. Nach Art. 71 Abs. 1 a) ii) EWG-VOP-1408/71 erhalten Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnen, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats für sie gegolten hätten. Der Kläger fällt als echter Grenzgänger unter diese Regelung. Vor seiner Arbeitsstelle in Deutschland (E) gependelt. Leistungsansprüche wegen Vollarbeitslosigkeit muss er grundsätzlich den Niederlanden gegenüber geltend machen.

Von der grundsätzlichen Regelung des Art. 71 I a) ii) EWG-Verordnung 1408/71 hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) durch richterliche Rechtsfortbildung eine Ausnahme gemacht, wenn der konkrete Fall von dem Sinn und Zweck des Art. 71 a) ii) der VO 1408/71 abweicht. Nach Art 71 I a) ii) EWG-Verordnung 1408/71 ist es grundsätzlich am sachgerechtesten, Bemühungen um die berufliche Wiedereingliederung an dem Ort anzustellen, an dem der Schwerpunkt der Lebensgestaltung anzunehmen ist. Davon ist nach der Entscheidung des EUGH ausnahmsweise abzuweichen, wenn der Arbeitslose im Beschäftigungsstaat ausgebildet wurde, dort immer tätig war und den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Beschäftigungsstaat hat. Im Sinne einer interessengerechten Lösung ist dem Arbeitslosen in diesem Fall ein Wahlrecht zwischen Wohnstaat und Beschäftigungsstaat zuzubilligen. Das Wahlrecht gilt aber nur dann, wenn er im Beschäftigungsland bessere Aussichten auf eine berufliche Wiedereingliederung hat als im Wohnstaat (EUGH "Horst Miethe", BLR 3056, Seite 1837 - Sonstiges Recht/EG Recht Art. 71 VO 1408/71).

Ein solches Wahlrecht steht dem Kläger nicht zu. Seine Vermittlungschancen sind in Deutschland jedenfalls nicht besser als in den Niederlanden.

Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt werden maßgeblich durch die schulische und berufliche Ausbildung sowie die kulturelle und soziale Bindung bestimmt.

Der Gesichtspunkt "schulische und berufliche Ausbildung" spricht nicht zwingend für eine bessere Vermittlungschance des Klägers in Deutschland. Zwar hat er einerseits seit seinem 9. Lebensjahr dort die Schulbildung absolviert und nach einer ca. 3 ½ jährigen Tätigkeit als Brauer und Mälzer 17 Jahre lang für ein deutsches Unternehmen gearbeitet. Desweiteren ist er durch die bei der Beklagten absolvierten Schulungen und Arbeitsförderungen auf den deutschen Arbeitsmarkt ausgerichtet worden. Auf der anderen Seite hat der Kläger zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor zehn Jahren zum letzten mal in Deutschland gearbeitet. Zudem ist die Tätigkeit des Klägers als Produktionsmitarbeiter, Gruppe-, Schicht- und zuletzt Produktionsleiter bei der E GmbH keine Arbeit, die nur auf dem deutschen Arbeitsmarkt angeboten wird bzw. ausgeübt werden kann. Das Cateringgeschäft im international ausgerichteten Flugverkehr wird durch die zunehmende Europäisierung und Globalisierung weitgehend ähnlich gehandhabt. Internationale Fluggesellschaften verfügen alle über entsprechende Cateringgesellschaften. Die Anforderungen an die Mitarbeiter hinsichtlich Qualifikation und Knowhow sind daher nahe zu gleich, unabhängig davon, ob die Fluggesellschaft ihren Sitz in den Niederlanden oder in Deutschland hat. Die branchenspezifischen Kenntnisse des Klägers sind demzufolge nicht nur auf dem deutschen Arbeitsmarkt nutzbar zu machen. Zudem ist der Kläger durch seinen Lebensweg in der Lage, nicht nur fließend deutsch, sondern auch fließend holländisch, indonesisch und englisch zu sprechen. Eine Sprachbarriere besteht für ihn - anders als bei den meisten Grenzgängern - überhaupt nicht. Auch zeigen die tatsächlichen Bewerbungsbemühungen des Klägers, dass eine Wiedereingliederung in Deutschland nicht wahrscheinlicher ist als in den Niederlanden. Der Kläger bewirbt sich im Umkreis von 50 bis 100 km um seinen Wohnort herum sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland. Zur Zeit hat er die Aussicht, für M1 in N zu arbeiten. Dies konkretisiert die Vermittlungschancen des Klägers auf dem niederländischen Arbeitsmarkt. Im Gegensatz dazu ist dem Kläger bei T und I trotz intensiver Bewerbungsbemühungen in Deutschland keine Beschäftigungsmöglichkeit avisiert worden.

Das Kriterium der kulturellen und sozialen Bindung ordnet den Kläger ebenfalls nicht eindeutig Deutschland zu. Dies steht mit seinem weltoffenen Selbstverständnis in Einklang. Der Kläger sieht sich als Europäer. Sein Lebensweg führte ihn nach neun Jahren Indonesien nach Deutschland. Seit 1991 lebt er in den Niederlanden. Damit hat der Kläger neun Jahre in Indonesien, 26 Jahre in Deutschland und 13 Jahre in den Niederlanden gelebt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seine letzten 13 Lebensjahre in den Niederlanden verbracht hat. Zwar ist es richtig, dass der Kläger im Grenzgebiet wohnt und durch die geringe Entfernung von drei Kilometern zur niederländisch-deutschen Grenze leicht in die BRD kommt. Die Tatsache, dass seine ganze Familie in den Niederlanden wohnt, verlegt seinen persönlichen Lebensmittelpunkt jedoch in die Niederlande. Von den Eltern lebt noch die Mutter, die niederländischer Herkunft ist. Sie wohnt in den Niederlanden. Der Kläger lebt bei ihr. Der Kläger hat eine Niederländerin geheiratet. Auch nach der Scheidung leben seine Exfrau und die drei Kinder ebenfalls alle in den Niederlanden. Die ältesten Kinder arbeiten in den Niederlanden.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, sein Herz schlage immer noch für Indonesien. Das Gericht entnimmt dieser Aussage im Zusammenhang mit dem Lebenslauf des Klägers, dass der Kläger eher ein internationales Selbstverständnis hat. Durch seinen besonderen Lebensweg ist der Kläger im Verhältnis zu einer Person, die ausschließlich in Deutschland aufwächst, in der Lage, sowohl auf dem niederländischen als auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt zumindest gleich gut vermittelt zu werden. Auch der Kläger selbst möchte, sobald er die ausreichenden finanziellen Mittel für einen Umzug hat, weiterhin im niederländischen Grenzgebiet wohnen. Damit liegt auch für die Zukunft der Lebensmittelpunkt eher in den Niederlanden als in Deutschland."

Gegen dieses ihm am 22.07.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.07.2004 eingegangene Berufung des Klägers. Er vertritt die Auffassung: Es könne nicht richtig sein könne, dass er allein wegen seines Wohnsitzes in den Niederlanden weder dort Leistungen noch in Deutschland erhalte. Nach der Ablehnung der Leistungen durch die Beklagte habe er in den Niederlanden Leistungen beantragt, dort sei ihm jedoch gesagt worden, dass er sich an die deutschen Ämter wenden solle, wo er ja auch eingezahlt habe. Einen schriftlichen Bescheid über eine Ablehnung in den Niederlanden könne er nicht vorlegen. In den Niederlanden sei er nicht vermittelbar auf dem dortigen Arbeitsmarkt. Entsprechende Bewerbungen seien ohne Erfolg gewesen. Der maßgebliche Arbeitsmarkt sei für ihn der Deutsche. Die Auffassung der Beklagten, die Vermittlungsaussichten in den Niederlanden seien besser als in Deutschland, könne er nicht teilen. Im Übrigen habe die Beklagte durch ihre Entscheidung in dem Prozess vor dem Sozialgericht Nürnberg selbst dokumentiert, dass der deutsche Arbeitsmarkt für ihn maßgeblich sei. Das Ergebnis, dass er weder Leistungen aus den Niederlanden noch aus Deutschland erhalte, widerspreche dem europäischen Gedanken. Er sei im Sinne der Rechtsprechung des EuGH als "unechter Grenzgänger" anzusehen, dessen Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besser seien als auf dem niederländischen. Schließlich habe er sein gesamtes Berufsleben in Deutschland zurückgelegt und dort Beiträge entrichtet. Es könne nicht sein, dass man ihm seinen Wohnsitz in den Niederlanden, den er notgedrungen bei seiner Mutter aufrecht erhalten um seinen Lebensunterhalt zu sichern, für einen Leistungsanspruch nachteilig vorhalte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.05.2004 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf dem Inhalt der Gerichtsakte, Kopien aus dem Rechtsstreit des SG Nürnberg S 13 AL 39/01 sowie die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten mit der Kunden-Nr. 000 (2 Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht und die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass dem Kläger über den 03.11.2000 hinaus keine Arbeitslosenhilfe mehr zusteht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des europäischen Rechtes, denn mit dem Kläger ist der Senat der Ansicht, dass es nicht rechtens sein kann, dass der Anspruch des Klägers allein daran scheitern sollte, dass Wohnsitzland und Beitragsentrichtungsland auseinander fallen. Zur Überzeugung des Senats hatte der Kläger Anspruch auf Leistungen vom niederländischen Träger der Arbeitslosenversicherung. Wenn diese allein deshalb verweigert worden sein sollte, weil der Kläger in Deutschland seine Beiträge entrichtet hat, was der Kläger behauptet, aber nicht nachgewiesen hat, würde diese Haltung gegen Europarecht verstoßen. Gegen die Beklagte besteht jedenfalls ab 04.11.2000 kein Anspruch mehr auf Leistungen der Arbeitslosenhilfe.

Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben nach § 190 SGB III Arbeitnehmer, die 1. arbeitslos sind, 2. sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, 3. ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben, 4. in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist und 5. bedürftig sind.

Ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe folgt nicht bereits aus dem Umstand, dass der Kläger bis 03.11.2000 tatsächlich diese Leistung bezogen hat. Dabei kann dahin stehen, ob er Arbeitslosenhilfe bis 03.11.2000 zu Recht bezogen hat oder nicht. Arbeitslosenhilfe wird nach § 190 Abs. 2 SGB III jeweils längstens für ein Jahr bewilligt. Bei jeder Neubewilligung sind alle Anspruchsvoraussetzungen neu zu prüfen. Fehlt eine Anspruchsvoraussetzung, ist der Antrag abzulehnen. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt seit 1991 in den Niederlanden, zuerst in W und seit dem Jahr 2000 in S. Gemäß § 30 Abs. 1 SGB I gelten die Vorschriften des Sozialgesetzbuches für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Der Kläger wohnt außerhalb des Geltungsbereichs des SGB. Nach § 30 Abs. 2 SGB I bleiben Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechtes unberührt. Zu diesen anzuwendenden zwischenstaatlichen Recht gehört die EWG-VO 1408/71 und auch die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes (EuGH).

Der Kläger gehört zu dem von Art. 71 EWG-VO 1408/71 erfassten Personenkreis. Diese Vorschrift regelt die Gewährung von Leistungen an arbeitslose Personen, die während ihrer letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des zuständigen Staates wohnten. Diese Vorschrift ist einschlägig, weil der Kläger in den Niederlanden wohnt und Beschäftigungsland zuletzt Deutschland gewesen ist. Nach Art. 71 Abs. 1 b) ii) EWG-VO 1408/71 erhalten Arbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind und die sich der Arbeitsverwaltung des Mitgliedstaates zur Verfügung stellen, in dessen Gebiet sie wohnen, oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren, bei Vollarbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen wären. Diese Leistung gewährt der Träger des Wohnortes zu seinen Lasten. Dies bedeutet also, dass der Kläger trotz der Beitragsentrichtung in Deutschland Leistungen vom niederländischen Träger nach den dortigen Vorschriften erhalten kann, wenn er die niederländischen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Weshalb der Kläger keine Leistungen in den Niederlanden bezieht, ist für den Senat nicht ganz nachvollziehbar. Einen schriftlichen Ablehnungsbescheid aus den Niederlanden kann der Kläger offenbar nicht vorlegen. Eine Ablehnung von Leistungen in den Niederlanden allein mit der Begründung, der Kläger sei Deutscher und habe nur in Deutschland Beiträge gezahlt, wäre jedenfalls ein Verstoß gegen europäisches Recht. Leistungsansprüche wegen Vollarbeitslosigkeit muss der Kläger grundsätzlich den Niederlanden gegenüber geltend machen.

Von dieser grundsätzlichen Regelung des Art. 71 Abs. 1 a) ii) EWG-VO 1408/71 hat der europäische Gerichtshof (EuGH) durch richterliche Rechtsfortbildung eine Ausnahme gemacht, wenn der konkrete Fall von dem Sinn und Zweck des Art. 71 Abs. 1 a) ii) der EWG-VO 1408/71 abweicht (Urteil vom 12.06.1986 in SozR 6050 Art. 71 Nr. 8). Nach Art. 71 Abs. 1 a) ii) EWG-VO 1408/71 ist es grundsätzlich am sachgerechtesten, Bemühungen, um die berufliche Wiedereingliederung an dem Ort anzustellen, an dem der Schwerpunkt der Lebensgestaltung anzunehmen ist. Davon ist nach der Entscheidung des EuGH ausnahmsweise abzuweichen, wenn der Arbeitslose im Beschäftigungstaat ausgebildet wurde, dort immer tätig war und den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Beschäftigungsstaat hat. Im Sinne einer interessengerechten Lösung ist dem Arbeitslosen in diesem Fall ein Wahlrecht zwischen Wohnstaat und Beschäftigungsstaat zuzubilligen. Das Wahlrecht gilt aber nur dann, wenn er im Beschäftigungsstaat bessere Aussichten auf eine berufliche Wiedereingliederung hat als im Wohnstaat (Leitsatz 2 der EuGH Entscheidung vom 12.06.1986).

Ein solches Wahlrecht steht dem Kläger aber nicht zu. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass seine Vermittlungschancen in Deutschland jedenfalls nicht besser sind als in den Niederlanden. Dies gilt jedenfalls für die Zeit ab November 2000. Für die Zeit bis Ende Oktober 2000 hat die Beklagte dem Kläger offensichtlich Leistungen in Anwendung des zitierten EuGH-Urteils gezahlt. Für die Zeit ab 04.11.2000 lässt sich jedoch nicht feststellen, dass die Aussichten auf berufliche Wiedereingliederung in Deutschland besser sind als in den Niederlanden.

Der Senat hat den diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts auf Seite 6 unten bis Seite 8 des angefochtenen Urteils nichts hinzuzufügen und nimmt gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf diese Ausführungen Bezug. Auch die Angaben des Klägers im Termin vom 16.03.2005 bestätigen die Richtigkeit der Auffassung des Sozialgerichts. Der Kläger selbst hat in Deutschland keine Arbeitsstelle erhalten, obwohl er sich mehrfach beworben hat. Er bezeichnet seine Chancen mit "gleich Null". Selbst wenn die Aussichten in den Niederlanden nicht besser sein sollten, würde dies dem Kläger nichts nützen, denn es müsste für die Bejahung des Anspruchs des Klägers - wie ausgeführt - festgestellt werden, dass die Vermittlungsaussichten in Deutschland besser sind. Diese Feststellung lässt sich aber jedenfalls für die Zeit ab November 2000 nicht treffen. Es verbleibt daher bei dem Grundsatz, dass der Kläger sein Wohnsitzland in Anspruch nehmen muss.

Das gefundene Ergebnis verstößt auch nicht gegen allgemeine Grundsätze des europäischen Rechtes. Nach Art. 42 EG-Vertrag (Amsterdamer Fassung) und Art. 19 EWG-VO 1408/71 darf der Wohnsitz allein keine entscheidende Rolle spielen. Das europäische Gemeinschaftsrecht will verhindern, dass ein Arbeitnehmer durch alle sozialen Maschen fällt, wenn Wohnsitzland und Beschäftigungsland auseinander fallen. Dies aber muss der einzige Grund sein. Der Kläger irrt, wenn er meint, Leistungen stünden ihm nur deshalb nicht zu, weil die Niederlande sein Wohnsitzland sind und Deutschland als sein Beschäftigungsland gilt. Aus welchen Gründen der Kläger in den Niederlanden keine Leistungen erhält, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Einen schriftlichen Bescheid über eine Ablehnung von Leistungen hat er sich dort offenbar nicht erteilen lassen. Die Nichtgewährung von Leistungen beruht möglicherweise darauf, dass der Kläger seine Ansprüche gegen den niederländischen Träger nicht mit der Sorgfalt betrieben hat, wie er es gegen die Beklagte getan hat.

Klage und Berufung konnten somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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