L 4 RA 119/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 3 RA 754/01 ZV
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 119/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. März 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Feststellungsbescheides, mit dem die Entgelte aus den Beschäftigungszeiten des Klägers vom 01.10.1965 bis 17.03.1990 nach § 6 Abs. 2 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) für Leistungszeiträume bis zum 31.12.1996 begrenzt wurden.

Der im Jahr 1928 geborene Kläger war überwiegend als Finanzwirtschaftler tätig. Bis zum 31.05.1953 wurde er als Revisor beim Kreisrat D ... eingesetzt. Anschließend übte er eine Tätigkeit als Revisor der Staatlichen Finanzrevision - Kreisinspektion D ... - aus. Danach wechselte er in die Funktion des Leiters der Kreisinspektion und war in verschiedenen Funktionen bei der Staatlichen Finanzrevision - Bezirksinspektion L ... - tätig.

Im Februar 1971 trat der Kläger mit Wirkung vom 01.03.1971 der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates bei. Auf der Beitragsnachweiskarte wurde ihm eine ununterbrochene Tätigkeit im Staatsapparat ab dem 15.05.1946 bescheinigt

Mit Bescheid vom 16.09.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.1993 stellte die Beklagte die Zeiten vom 01.01.1950 bis 30.06.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates sowie die in diesen Zeiten erzielten Entgelte fest. Für die Zeiten vom 01.04.1953 bis 30.06.1990 erfolgte eine Begrenzung der in der Rentenversicherung zu berücksichtigenden Entgelte auf die Werte der Anlagen 4, 5 oder 8 zum AAÜG. Im anschließenden Klageverfahren gab die Beklagte für die Zeit vom 18.03.1990 bis 30.06.1990 ein Teilanerkenntnis ab. Danach hob sie für den genannten Zeitraum die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgelte auf die Werte der Anlage 5 zum AAÜG auf und stellte diese in Höhe der Werte der Anlage 3 zum AAÜG fest. Dieses Teilanerkenntnis setzte die Beklagte mit dem Bescheid vom 14.12.1994 um. Für die übrigen Zeiträume wies das Sozialgericht die Klage ab (Urteil vom 18.08.1994 - S 3 An 463/93). Im anschließenden Berufungsverfahren gab die Beklagte ein weiteres Teilanerkenntnis für die Zeiten vom 01.04.1953 bis 30.09.1965 ab. Auch für diese Zeiten hob sie die Begrenzung der Entgelte auf die Werte der Anlage 8 zum AAÜG auf (Feststellungsbescheid vom 04.07.1995). Bei der übrigen Begrenzung der Entgelte für die Zeiten vom 01.10.1965 bis 17.03.1990 verblieb es. Für diese Zeiten wies das Sächsische Landessozialgericht (SächsLSG) die Berufung des Klägers zurück (Urteil vom 10.01.1996 - L 4 An 143/94). Hiergegen hat der Kläger die vom LSG zugelassene Revision nicht eingelegt.

Nach Inkrafttreten des AAÜG-Änderungsgesetzes vom 11.11.1996 (AAÜG-ÄndG - BGBl. I S. 1674) zum 01.01.1997 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.1997 die berücksichtigungsfähigen Entgelte für Rentenbezugszeiten ab dem 01.01.1997 neu fest. Danach erfolgte eine Begrenzung der Entgelte für den gesamten streitigen Zeitraum nur noch auf die Werte der Anlage 3 zum AAÜG. Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die zeitliche Begrenzung der Änderung erst für Rentenbezugszeiten ab dem 01.01.1997. Er begehre eine Berücksichtigung der geänderten Entgelte bereits ab 01.03.1993 (Rentenbeginn). Er berief sich auf die Geltung des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). § 6 Abs. 2 AAÜG in seiner früheren Fassung sei verfassungswidrig, was offensichtlich den Deutschen Bundestag bewogen habe, die pauschalen Rentenkürzungen für bestimmte Berufsgruppen mit dem Änderungsgesetz zu beseitigen. Es sei widersinnig, das AAÜG-ÄndG wegen seines Inkrafttretens zum 01.01.1997 so auszulegen, als seien die Rentenkürzungen ab 1997 rechtswidrig, bis Dezember 1996 jedoch rechtens.

Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 05.08.1997). Das AAÜG-ÄndG vom 11.11.1996 sei hinsichtlich des § 6 Abs. 2 AAÜG mit Wirkung vom 01.01.1997 in Kraft getreten. Diese Regelung sei zwingend. Damit würden leistungsrechtliche Verbesserungen, die sich aufgrund der geringeren Begrenzung (Anhebung des Grenzwertes der Anlage 4 zum AAÜG) ergäben, erst für Leistungszeiträume ab dem 01.01.1997 wirksam.

Mit der am 20.08.1997 vor dem Sozialgericht Leipzig erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin eine Berücksichtigung der Wirkungen des AAÜG-ÄndG auch für Leistungszeiten vor dem 01.01.1997 geltend. Wegen der zu erwartenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und der erforderlichen Gesetzgebung ruhte das Verfahren (Beschlüsse vom 29.09.1997 und 12.07.1999).

Nach Inkrafttreten des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1939) nahm der Kläger das ruhende Verfahren wieder auf und beantragte, die mit dem Bescheid vom 12.03.1997 erfolgten günstigeren Entgeltfeststellungen auch auf Leistungszeiträume vor dem 01.01.1997 auszudehnen. Er habe den neuen Überführungsbescheid vom 12.03.1997 gerade wegen der begrenzten Wirkung auf Leistungszeiträume ab dem 01.01.1997 angefochten. Somit handele es sich um keinen unanfechtbar gewordenen Überführungsbescheid.

Die Beklagte lehnte eine Rücknahme des Bescheides vom 16.09.1993 ab. Dieser Bescheid sei am Tage der Verkündung der Entscheidung des BVerfG bereits unanfechtbar gewesen. Nach Artikel 11 des 2. AAÜG-ÄndG seien Bescheide, die am 28.04.1999 unanfechtbar waren, nur mit Wirkung ab dem 30.04.1999 zurückzunehmen. Die mögliche Änderung für die Zukunft (ab 01.05.1999) entfalle, da die Neuregelung durch das 2. AAÜG-ÄndG derjenigen entspreche, die im Fall des Klägers bereits nach dem 1. AAÜG-ÄndG ab 01.01.1997 Anwendung finde.

Das Sozialgericht gab der Klage mit Urteil vom 12.03.2002 statt. Der Bescheid vom 12.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.1997 sei rechtswidrig. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Feststellung der tatsächlichen Arbeitsverdienste bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze bereits für Leistungszeiträume ab dem 01.07.1993 zu. Dies ergebe sich aus Artikel 13 Abs. 7 des 2. AAÜG-ÄndG, der für den Kläger anzuwenden sei. Danach treten § 6 Abs. 2 und 3 sowie Anlage 4 und 5 des AAÜG-ÄndG vom 11.11.1996 mit Wirkung vom 01.07.1993 für Personen in Kraft, für die am 28.04.1999 ein Überführungsbescheid eines Versorgungsträgers noch nicht bindend war. Der Überführungsbescheid der Beklagten vom 12.03.1997 sei zum 28.04.1999 noch nicht bindend gewesen. Nach Art. 13 Abs. 7 des 2. AAÜG-ÄndG komme es nicht darauf an, ob der ursprüngliche Bescheid zum 28.04.1999 bestandskräftig gewesen sei. Entscheidend sei nur, ob ein Überführungsbescheid des Versorgungsträgers zum 28.04.1999 bindend war. Es genüge also, dass zum 28.04.1999 ein Überführungsbescheid des Versorgungsträgers wirksam angefochten war, der auch eine Regelung über die Leistungszeiträume vor dem 01.01.1997 beinhalte. Nur dieses Verständnis der Norm werde den Besonderheiten des Sozialrechts und den Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) gerecht.

Die Bestandskraft von Bescheiden werde durch die Regelungen der §§ 44 bis 49 SGB X durchbrochen. Durch den Erlass eines weiteren Bescheides nach den o.g. Regelungen werde die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes zeitlich begrenzt. Dem Versicherten werde dadurch die Möglichkeit der Anfechtung eröffnet, den neuen Verwaltungsakt auch hinsichtlich seiner Wirkungen für die Vergangenheit anzufechten (§ 44 SGB X). Der Versicherte könne sich daher stets auf die Vorschrift des § 44 SGB X berufen, soweit er behauptet, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig sei. Da der Kläger den Bescheid vom 12.03.1997 insbesondere hinsichtlich seiner zeitlichen Wirkung angefochten habe, liege noch keine bestandskräftige Entscheidung darüber vor, ob auch für Leistungszeiträume vor dem 01.01.1997 die tatsächlichen Entgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen seien. Der Bescheid vom 12.03.1997 habe den Bescheid vom 04.07.1995 insoweit bestätigt, dass die Entgelte vor dem 01.01.1997 weiterhin zu begrenzen seien. Somit sei dem Kläger die Möglichkeit eröffnet gewesen, den Bescheid vom 12.03.1997 hinsichtlich der zeitlichen Wirkung unter Berufung auf § 44 SGB X anzufechten. Mit seinem Widerspruch habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass der Bescheid vom 04.07.1995 nicht nach § 48 SGB X mit Wirkung für die Zukunft, sondern nach § 44 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen sei.

Die Vorschrift des § 44 SGB X sei in dem vorliegenden Verfahren anzuwenden. Dem stehe die Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht entgegen. Danach sollten bestandskräftige Bescheide vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes unberührt bleiben. Eine derartige Spezialvorschrift zu § 79 Abs. 2 BVerfGG stelle § 44 SGB X dar (vgl. Urteil des BSG vom 08.09.1988, Az: 11/7 RAr 61/87 = BSGE 64, 62; vgl. auch Spellbrink-Hellmich, SGb 2001/605 ff.).

Die Vorschrift des § 44 SGB X sei auch nicht durch die Regelungen der Art. 13 Abs. 7 und 11 des 2. AAÜG-ÄndG ausgeschlossen, soweit über den Antrag nach § 44 SGB X zum 28.04.1999 noch keine bestandskräftige Entscheidung getroffen und der Antrag nach § 44 SGB X vor dem 28.04.1999 gestellt worden sei. Art. 13 Abs. 7 des 2. AAÜG-ÄndG stelle nur darauf ab, ob ein Überführungsbescheid des Versorgungsträgers zum 28.04.1999 noch nicht bestandskräftig sei. Nach Art. 11 des 2. AAÜG-ÄndG sei § 44 SGB X nur für die Fälle in ihrem Regelungsgehalt eingeschränkt worden, in denen es um einen Überführungsbescheid ging, der am 28.04.1999 unanfechtbar war. Zwar sei in der Gesetzesbegründung zum 2. AAÜG-ÄndG ausgeführt, dass Überführungsbescheide, "die am 28. April 1999 nur aufgrund eines Widerspruchs gegen eine Neufestsetzung der Entgelte nach dem 1. AAÜG-Änderungsgesetz vom 11. November 1996 nicht bestandskräftig waren, werden nur mit Wirkung vom 01. Mai 1999 neu festgesetzt". Ferner sollte nach Auffassung des Gesetzgebers die Wirkung des § 44 SGB X auch dann ausgeschlossen sein, soweit vor dem 28.04.1999 ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt worden sei (vgl. BT-Drucks. 14/5640, 14/6063 und 14/6355). Dieser Wille des Gesetzgebers komme aber im Gesetz selbst nicht zum Ausdruck. Durch Art. 11 des 2. AAÜG-ÄndG habe nur der Vorrang des § 79 Abs. 2 BVerfGG vor dem § 44 SGB X geregelt werden sollen. Sinn und Zweck des § 79 Abs. 2 BVerfGG sei es, den Rechtsfrieden zu erhalten, auch wenn er zur Beibehaltung der Wirkungen fehlerhafter Akte der öffentlichen Gewalt führe. Dadurch solle die Rechtsordnung vor unübersehbaren Rückabwicklungen abgeschlossener Sachverhalte geschützt werden. Durch eine Entscheidung des BVerfG sollen somit nur diejenigen Personen begünstigt werden, die vor Erlass der Entscheidung Rechtsmittel gegen belastende Verwaltungsakte eingelegt haben. Zu den Rechtsmitteln im Sozialrecht gehöre aber nicht nur das Widerspruchsrecht, sondern auch das Recht auf Überprüfung des Bescheides nach § 44 SGB X. Das vorliegende Verfahren war zum 28.04.1999 noch nicht abgeschlossen. Es war vielmehr noch offen, ob der Bescheid vom 12.03.1997 auch für Leistungszeiträume vor dem 01.01.1997 gelten müsse. Der Klage sei daher stattzugeben gewesen.

Gegen das der Beklagten am 26.04.2002 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 16.05.2002 eingelegte Berufung. Die erstinstanzliche Entscheidung sei nicht überzeugend. Der Bescheid vom 12.03.1997 durchbreche nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 04.07.1995 hinsichtlich der Zeit bis Juni 1990 (gemeint sind offensichtlich die Feststellungen bis Dezember 1996).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die mit dem Bescheid vom 12.03.1997 für Leistungszeiträume ab 01.01.1997 erfolgten Feststellungen zur Höhe der in der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigungsfähigen Entgelte auch auf Leistungszeiten ab dem 01.07.1993 auszudehnen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.04.1999 - 1 BvL 22/95 und 1 BvL 34/95 (BVerfGE 100, 59; SozR 3- 8570 § 6 Nr. 3) § 6 Abs. 2 (i.V.m. Anlagen 4, 5 und 8) und § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG in der Fassung des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes (Rü-ErgG) vom 24.06.1993 (BGBl. I S. 1038) seit 01.07.1993 für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar erklärt. Diese Erklärung betrifft ausschließlich den Zeitraum vom 01.07.1993 bis 31.12.1996, denn § 6 Abs. 2 AAÜG (i.V.m. den Anlagen 4 und 5) i.d.F. des AAÜG-ÄndG vom 11.11.1996 war nicht zur verfassungsmäßigen Prüfung gestellt. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis zum 30.06.2001 eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Diese Verpflichtung erstreckt sich auf den gesamten von der Unvereinbarerklärung betroffenen Zeitraum zwischen dem 01.07.1993 bis 31.12.1996. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass § 6 Abs. 2 und § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG in dem sich aus dem Urteilstenor ergebenden Umfang von den Gerichten und Verwaltungen nicht mehr angewendet werden dürfen. Die auf der Grundlage der verfassungswidrigen Vorschriften ergangenen und im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Urteils des BVerfG bereits bestandskräftigen Bescheide, insbesondere die nicht mehr anfechtbaren (Entgeltüberführungs-)Bescheide gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG, bleiben unberührt. Dies entspricht dem Grundgedanken des § 82 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, der auch zur Anwendung kommt, wenn das BVerfG eine Vorschrift als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt (vgl. BVerfGE 100, 59 [103 f.]). Das BVerfG hat es dem Gesetzgeber jedoch offen gelassen, eine andere Regelung zu treffen. Er kann die erforderliche Neuregelung auch auf bereits bestandskräftige Bescheide für Rentenbezugszeiten vor Inkrafttreten der Neuregelung erstrecken; von Verfassungs wegen verpflichtet ist der Gesetzgeber hierzu jedoch nicht.

Diese Entscheidung des BVerfG macht deutlich, dass allein die Regelungen des § 6 Abs. 2 (i.V.m. den Anlagen 4, 5 und 8) und des § 6 Abs. 3 AAÜG jeweils i.d.F. des Rü-ErgG zur verfassungsmäßigen Überprüfung standen. Die mit dem AAÜG-ÄndG vom 11.11.1996 seit 01.01.1997 erfolgten Verbesserungen für die Versicherten waren weder mit den Vorlagebeschlüssen zur Überprüfung gestellt noch vom BVerfG selbst mit in die Prüfung einbezogen worden. Das BVerfG hat daher auch nicht, wovon der Kläger und das Sozialgericht offensichtlich ausgehen, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des (1.) AAÜG-ÄndG zum 01.01.1997 verfassungsrechtlich beanstandet.

Der Bundesgesetzgeber hat mit dem 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1993) die vom BVerfG angemahnte verfassungskonforme Regelung dadurch getroffen, dass er mit Art. 13 Nr. 7 die § 6 Abs. 2 und 3 sowie die Anlagen 4 und 5 zum AAÜG mit Wirkung vom 01.07.1993 für Personen in Kraft gesetzt hat, für die am 28.04.1999 ein Überprüfungsbescheid eines Versorgungsträgers noch nicht bindend war. Genau diese Regelung ist auf den Feststellungsanspruch des Klägers anzuwenden.

Zutreffend weist das Sozialgericht darauf hin, dass die Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen durch die Bekanntgabe eines neuen Bescheides durchbrochen werden kann. Eine derartige Durchbrechung erfolgte jedoch stets nur im Umfang des Verfügungssatzes der neuen Entscheidung. Ebenfalls zutreffend hat das Sozialgericht dargestellt, dass der Bescheid vom 16.09.1993 in Ausführung der im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Teilanerkenntnisse durch den Bescheid vom 04.07.1995 in vollem Umfang ersetzt wurde. Mit dem Bescheid vom 04.07.1995 wurden die berücksichtigungsfähigen Entgelte des Klägers nur noch für die Zeiten vom 01.10.1965 bis 17.03.1990 nach § 6 Abs. 2 AAÜG i.d.F. des Rü-ErgG begrenzt. Dem Bescheid ist zu entnehmen, dass die festgestellten Daten dem Rentenversicherungsträger zur Berechnung einer Leistung nach dem SGB VI bzw. zur Neuberechnung der zum 01.01.1992 umgewerteten bisherigen Leistung dienen. Dieser Bescheid hat nach Abschluss des Berufungsverfahrens mit dem Urteil des SächsLSG vom 10.01.1996 Bestandskraft erlangt. Mit dem von Amts wegen nach Inkrafttreten des AAÜG-ÄndG zum 01.01.1997 von der Beklagten erteilten Bescheid vom 12.03.1997, mit dem der Bescheid vom 04.07.1995 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X für Leistungszeiträume ab dem 01.01.1997 zu Gunsten des Klägers abgeändert wurde, konnte die Bestandskraft des Bescheides vom 04.07.1995 lediglich für die Zukunft durchbrochen werden. Diesem Bescheid ist nach seinem Verfügungssatz zweifelsfrei zu entnehmen, dass er ausschließlich für Leistungszeiten ab dem 01.01.1997 Geltung erlangt. Damit entfaltet der Bescheid vom 12.03.1997 ausschließlich Wirkungen seit dem Inkrafttreten des AAÜG-ÄndG. Einen darüber hinausgehenden Verfügungssatz enthält er, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts, nicht; auch keinen bestätigenden Hinweis auf den bestandskräftigen Bescheid vom 04.07.1995.

Der Bescheid vom 12.03.1997 erging auch nicht, wie das Sozialgericht zu unterstellen sucht, auf einen Antrag des Klägers nach § 44 Abs. 1 SGB X, sondern er erging ausschließlich von Amts wegen aufgrund der den Kläger begünstigenden gesetzlichen Änderung durch das AAÜG-ÄndG. Dem Kläger stand es zwar frei, diesen Bescheid durch Einlegung eines Widerspruchs und Führung eines anschließenden Klageverfahrens wegen dessen zeitlicher Wirkung anzufechten und damit im Schwebezustand zu halten. Dieser Zustand führt, entgegen der Ansicht des Sozialgericht, nicht dazu, dass dadurch in die Wirkung des Bescheides vom 04.07.1995 für Leistungszeiten bis zum 31.12.1996 eingegriffen wäre. Der Überführungsbescheid vom 04.07.1995, dessen Eintritt der Bestandskraft der Kläger in der Hand hatte, indem er auf eine Einlegung der vom SächsLSG im Urteil vom 10.01.1996 (L 4 An 143/94) zugelassenen Revision verzichtet hatte, entfaltet damit nach wie vor Wirkung bis zum 31.12.1996. Weder das Widerspruchs- noch das Klageverfahren gegen den nach dem AAÜG-ÄndG erteilten Bescheid vom 12.03.1997 waren geeignet, den Bescheid vom 04.07.1995 abzuändern. Wie bereits dargestellt, hatte sich das BVerfG ausschließlich mit dem § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG in der bis 31.12.1996 geltenden Fassung des RÜ-ErgG befasst. Damit konnte der Bescheid vom 12.03.1997 nicht vom Urteil des BVerfG vom 28.04.1999 (1 BvL 22/95 und 1 BvL 34/95) erfasst sein. Die Klage vom 20.08.1997, die eine Erstreckung der Wirkung des Bescheides vom 12.03.1997 auch auf Leistungszeiträume vor dem 01.01.1997 begehrt, hätte abgewiesen werden müssen, denn das AAÜG-ÄndG ist erst zum 01.01.1997 in Kraft getreten und von der Entscheidung des BVerfG vom 28.04.1999 nicht berührt. Damit hätte sich eine den Kläger begünstigende Regelung nur aus einer gesetzlichen Neufassung mit Rückwirkung für alle Feststellungsbescheide ergeben können.

Soweit der Bundesgesetzgeber mit dem 2. AAÜG-ÄndG die vom BVerfG angemahnte verfassungskonforme Regelung dadurch getroffen hat, dass er mit Art. 13 Nr. 7 des 2. AAÜG-ÄndG die § 6 Abs. 2 und 3 sowie die Anlagen 4 und 5 zum AAÜG i.d.F. des AAÜG-ÄndG vom 11.11.1996 mit Wirkung vom 01.07.1993 für einen bestimmten Personenkreis in Kraft gesetzt hat, lag diese Entscheidung in seinem Gestaltungsraum. Ihm standen insoweit mehrere denkbare Möglichkeiten zur Verfügung, die Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG i.d.F. des Rü-ErgG zu beseitigen. Die Anknüpfung des Gesetzgebers an das AAÜG-ÄndG aus dem Jahr 1996 belegt, dass er insoweit von einer verfassungsgemäßen Regelung ausgeht.

Die Ausführungen des Sozialgerichts zum Verhältnis zwischen dem § 44 SGB X und dem § 79 Abs. 2 BVerfGG gehen insoweit für den vorliegenden Sachverhalt ins Leere. Sie sind für die Entscheidung nicht relevant (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.12.2001 - B 4 RA 6/01 R).

Der die jetzt noch streitigen Zeiten vom 01.10.1965 bis 17.03.1990 für Leistungszeiten bis zum 31.12.1996 feststellende Überführungsbescheid vom 04.07.1995 war, wie die Beklagte bereits zutreffend ausgeführt hat, zum Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung des BVerfG am 28.04.1999 bestandskräftig. Damit hätte dieser Bescheid nach Art. 11 des 2. AAÜG-ÄndG nur mit Wirkung für die Zeiten ab 01.05.1999 nach § 44 Abs. 1 SGB X zurückgenommen werden können. Einer solchen Rücknahme bedurfte es hingegen nicht, denn die den Kläger belastenden Begrenzungen der berücksichtigungsfähigen Entgelte waren bereits mit dem Bescheid vom 12.03.1997 für Leistungszeiten ab dem 01.01.1997 vollständig aufgehoben worden.

Aus den genannten Gründen war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Leipzig aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 12.03.1997 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). -
Rechtskraft
Aus
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