L 4 KR 7/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 128/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 7/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 7. November 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenerstattung für eine operative Gewebestraffung in der Zeit vom 11. bis 14.07.2001 in Höhe von 4.561,07 EUR.

Die 1971 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin litt bis zum Jahre 1999 an einer Adipositas permagna; nach einer Gewichtsabnahme trat ein Haut- und Bindegewebsüberschuss auf. Sie beantragte am 17.05.2001 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Gewebestraffungsoperation unter Vorlage eines Attestes der internistischen Gemeinschaftspraxis P./Dr.M. (A.). Die Kostenträger sollten die Gewichtsreduktion von 40 kg ausreichend würdigen, die Klägerin wiege bei einer Körpergröße von 167 cm nur noch 66 kg. Der Eingriff sei vor allem aus psychischen Gründen unbedingt erforderlich. Die Klägerin schloss am 25.27.05.2001 mit dem Facharzt für plastische Chirurgie Dr.G. (M.) eine privatrechtliche Honorarvereinbarung für die ästhetischen Operationen Oberschenkelstraffung und Abdominoplastik, wofür ein Honorar von 11.000,00 DM veranschlagt wurde.

Der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (MDK) kam im Gutachten vom 20.06.2001 aufgrund einer Untersuchung der Klägerin zu dem Ergebnis, es bestehe eine gering ausgeprägte Fettschürze sowie ein gering- gradiger Gewebeüberschuss im Bereich der Innenseite beider Oberschenkel. An den unteren Extremitäten lägen Rötungen bzw. Entzündungszeichen nicht vor; die Klägerin fühle sich durch ihr Aussehen beeinträchtigt. Eine medizinische Indikation zur Minderung oder Beseitigung des Gewebeüberschusses bestehe nur bei objektivierbaren erheblichen Beschwerden oder durch das Gewicht der Fettschürze bzw. bei hartnäckigen intertriginösen Hautbeschwerden, die über mindestens drei verschiedene Jahreszeiten hinweg dermatologisch vergeblich therapiert worden seien. Diese Kriterien seien bei der Versicherten nicht erfüllt. Am 02.07. 2001 teilte die Beklagte der Klägerin fernmündlich die Ablehnung des Leistungsantrags mit.

Vom 11.07. bis 14.07.2001 wurde die Klägerin in der HNO-Klinik B. Dr.G. stationär behandelt; die Operation wurde am 11.07.2001 durchgeführt. Mit den Rechnungen vom 16.07. bis 21.08.2001, die bei der Beklagten am 26.08.2001 eingingen, wurden für die Anästhesie, die Operation und den Krankenhausaufenthalt insgesamt 14.788,16 DM gefordert (Anästhesie: 64,41 DM, 2.253,75 DM, Operation: 11.000,00 DM, Krankenhausaufenthalt: 1.470,00 DM). Im Arztbrief der internistischen Gemeinschaftspraxis P./Dr.M. vom 26.07.2001 wurde ein weiteres Mal darauf hingewiesen, dass es sich bei der Operation nicht um ein kosmetisches, sondern in erster Linie um ein psychisches Problem handle. Würde der Gewebeüberschuss nicht beseitigt, könnte bei der Klägerin der Eindruck entstehen, ihre Bemühungen zur Gewichtsreduktion seien vergeblich gewesen. Der nochmals gehörte MDK verneinte in der Stellungnahme vom 03.08.2001 eine Erkrankung im Sinne der Krankenversicherung, der Eingriff sei rein kosmetischer Art.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.08.2001 die Kostenübernahme der Gewebestraffung erneut ab. Für Behandlungen,die aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, könne die Krankenkasse keine Kosten übernehmen.

Die Kägerin legte hiergegen am 26.08.2001 Widerspruch ein. Die operative Gewebestraffung sei aufgrund der erheblichen Gewichtsreduktion und ihrer depressiven psychischen Verfassung dringend erforderlich gewesen. Die Beklagte sei verpflichtet, die gesamten Kosten der Operation in Höhe von 14.788,16 DM (7.561,07 EUR) zu erstatten.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2002 den Widerspruch zurück. Im Anschluss an das Gutachten des MDK sei eine Bauchdecken- und Oberschenkelstraffung medizinisch nicht begründet gewesen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung umfasse die Leistungspflicht der Krankenkassen nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen regelrechten Körperzustand, um dadurch eine psychische Störung zu beseitigen. Liege eine derartige Störung vor, so sei sie mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 10.06.2002 beim Sozialgericht Regensburg (SG) geltend gemacht, sie leide unter Depression und einem starken Leidensdruck, bei wärmerer Witterung träten wunde Stellen an den Oberschenkeln auf. Damit sei die Operation medizinisch notwendig gewesen. Da kein anderer Arzt die Operation hätte durchführen können, habe auch ein Notfall vorgelegen.

Das SG hat mit Urteil vom 07.11.2002 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die durchgeführte Operation. Ein Notfall habe nicht vorgelegen; die Beklagte habe die Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Die Ablehnung der Beklagten sei nicht ursächlich für die entstandenen Kosten der Klägerin gewesen, wie sich bereits aus dem Zeitablauf ergebe. Die Klägerin habe die Kostenübernahme beantragt, habe dann aber ohne die Entscheidung der Beklagten abzuwarten, die Operation durchführen lassen. Sie habe also der Entscheidung der Beklagten vorgegriffen. Einer solchen der Beschaffung vorgeschalteten Entscheidung der Krankenkasse bedürfe es aber zur Anwendung des Kostenerstattungsanspruchs. Ursächlich für die Inanspruchnahme des Nichtvertragsarztes Dr.G. und die dadurch entstandenen Kosten seien daher nicht die Ablehnung der Beklagten, sondern der unbedingte Wille der Klägerin gewesen, sich bei diesem Arzt operieren zu lassen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 13.01.2003, mit der sie wieder geltend macht, die Operation sei medizinisch indiziert gewesen; sie habe unter Depressionen und an wunden Stellen an den Oberschenkeln gelitten. Es habe sich nicht um einen kosmetischen Eingriff gehandelt. Die Beklagte habe es versäumt, ihr einen zugelassenen Arzt zu benennen. Im Erörterungstermin vom 13.01.2005 wurde die Klägerbevollmächtigte eingehend auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Kostenübernahme für kosmetische Eingriffe und zur mittelbaren Behandlung hingewiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 07.11.2002 sowie der Bescheide vom 02.07. 2001 und 10.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2002 zu verurteilen, die Kosten für die operative Gewebestraffung in Höhe von 7.561,07 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG). Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs.2 SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung der Hautstraffungsoperation (Gesamtkosten 14.788,16 DM = 7.561,07 EUR), auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Heilung bzw. Besserung der ärztlich bescheinigten psychischen Befunde (§ 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn.1, 5 i.V.m. § 39 Sozialgesetzbuch V - SGB V -).

Es entspricht allgemeiner Meinung und wird von der Beklagten und vom SG nicht verkannt, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung auch die Therapie psychischer Erkrankungen mit einschließt (Kasseler Kommentar-Höfler, § 27 SGB V, Rdnrn.12, 39 mit weiteren Nachweisen der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall wurde in den ärztlichen Bescheinigungen der behandelnden Ärzte P./Dr.M. vom 09.05.2001 und 26.07. 2001 die Indikation zur Operation im aufgrund der Gewichtsabnahme entstandenen Gewebeüberschuss und in psychischen Problemen gesehen. Im letzteren Fall handelt es sich um eine mittelbare Behandlung, da die Klägerin die Therapie der psychischen Befunde durch eine plastisch-chirurgische Operation hat durchführen lassen.

Wie bereits im Erörterungstermin am 13.01.2005 der Prozessbevollmächtigten der Klägerin erläutert wurde und wie der Senat mehrmals entschieden hat (z.B. Beschluss vom 13.12.2004 L 4 KR 77/03) stellen Abweichungen von einer morphologischen Idealnorm (z.B. Hautfalten), die noch befriedigende körperliche Funktionen zulassen, keine Krankheit im Sinne des § 27 SGB V dar. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat außerdem die Krankenkassen nur unter eingeschränkten Voraussetzungen als verpflichtet angesehen, die Kosten einer mittelbaren Behandlung zu übernehmen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 10.02. 1993 (BSGE 72, 96) für Recht erkannt, dass die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet sind, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten für den operativen Eingriff in einem im Normbereich liegenden Körperzustand (hier: Beinverlängerung) zu tragen. Die Krankenbehandlung hat unmittelbar an der eigentlichen Krankheit anzusetzen. Liegt eine psychische Stö- rung vor, so ist sie mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln. Jedenfalls umfasst die Leistungspflicht der Krankenkassen nicht die Kosten für operative Eingriffe in einen regelrechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Dies gilt selbst dann, wenn wegen der psychiatrisch/psychotherapeutischen Behandlung keine andere Möglichkeit der ärztlichen Hilfe besteht. Mit Urteil vom 09.06.1998 (BSGE 82, 158) hat das BSG entschieden, dass ein zwecks Behebung oder Linderung einer psychischen Störung vorgenommener operativer Eingriff in einen für sich genommen nicht behandlungsbedürftigen Körperzustand keine Leistungspflicht der Krankenkasse (hier: Hodenprothese) begründet. Bei einer nur mittelbaren Beeinflussung einer Erkrankung sind Maßnahmen zur gezielten Krankheitsbekämpfung nicht mehr hinreichend von sonstigen wegen einer Krankheit notwendig werdenden Hilfen im Bereich der Lebensführung zu unterscheiden, für welche die Krankenversicherung nicht aufzukommen hat.

Das BSG hat mit der neuesten Rechtsprechung an diese Entscheidungen angeknüpft (Urteile vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R, B 1 KR 23/03 R, B 1 KR 9/04 R, s. Presse-Mitteilung Nr.57/04 (zum Presse-Vorbericht Nr.57/04)). Ein regelwidriger Körperzustand ohne entstellende Wirkung und ohne wesentliche Funktionseinschränkung ist danach auch dann nicht als Krankheit zu werten, wenn er eine psychische Belastung für den Betroffenen darstellt, die ihrerseits zu einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung geführt hat. Eingriffe am gesunden Körper betreffen selbst dann nicht das von der Krankenversicherung abzudeckende Krankheitsrisiko, wenn in mittelbarer Folge positive Auswirkungen auf den Seelenzustand zu erwarten sind. Der Begriff Regelwidrigkeit als Kriterium der Krankheit im Sinne des SGB V ist nicht so zu verstehen, dass darunter jede Abweichung von einem Aussehen fällt, das gesellschaftlich als erstrebenswert angesehen wird, da es für den Körper keine Normgröße oder Normalform gibt, sondern vielfältige Ausprägungen. Dies hat auch dann seine Berechtigung, wenn ein Versicherter sich durch sein äußeres Erscheinungsbild psychisch belastet fühlt. In diesem Fall hat die gesetzliche Krankenversicherung die entsprechenden psychotherapeutischen Leistungen zur Verfügung zu stellen.

Somit ist die Beklagte nicht verpflichtet, die Kosten der beantragten Operation zu erstatten, zumal die vorgelegten Atteste der behandelnden Ärzte der Klägerin und das Gutachten des MDK vom 20.056.2001 auf Grund einer Untersuchung der Klägerin sowie die gutachterliche Stellungnahme des MDK vom 38.08.2001 nicht erkennen lassen, dass die Hautveränderungen an Bauch und Oberschenkel als solche einen krankhaften Befund darstellen; auch ist von einer entstellenden Wirkung nicht die Rede.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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