L 1 R 4110/03 SK

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 582/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 R 4110/03 SK
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. November 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 2. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1999 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auf Grund seines Antrags vom 17. Februar 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1946 geborene Kläger hat den Beruf des Kfz-Kaufmanns er- lernt (1964 bis 1967). Er war u.a. von Oktober 1977 bis Juli 1979 als Schiffsmaschinist und zuletzt von Juni 1990 bis März 1997 als Autoverkäufer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Ab 17.10.1995 bestand wegen einer Hauterkrankung Arbeitsunfähigkeit.

Am 17.02.1998 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Er sei wegen einer chronisch-rezidivierenden Urticaria mit Flushsymptomatik und Pruritus seit Oktober 1995 erwerbsunfähig.

Die Beklagte zog u.a. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 28.05.1996 und 07.10. 1996 sowie Entlassungsberichte der Klinik für Dermatologie und Allergie D. vom 09.02.1996 über eine stationäre Behandlung vom 27.10.1995 bis 05.02.1996 und der Privatklinik Dr. S. vom 13.03.1996 über eine stationäre Behandlung vom 13. bis 28.02.1996 - jeweils wegen der Hauterkrankung - bei und ließ den Kläger durch die Nervenärztin Dr. R. (Gutachten vom 26.01.1998 sowie den Internisten und Psychotherapeuten Dr. A. (Gutachten vom 28.05.1998) begutachten. Beide Sachverständige hielten den Kläger noch für fähig, seinen erlernten Beruf als Kfz-Kaufmann vollschichtig auszuüben. Sowohl psychiatrisch als auch internistisch lägen keine leistungsbeeinträchtigenden Gesundheitsstörungen vor.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag vom 17.02.1998 ab (Bescheid vom 02.07.1998). Der Kläger könne den Beruf des Autoverkäufers noch vollschichtig ausüben.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und legte ein in seinem Auftrag erstelltes Gutachten des Neurologen Dr. B. vom 10.12.1998 vor. Danach sei der Kläger wegen der vordiagnostizierten Urticaria unbekannter Ursache mit Pruritus, häufig verknüpft mit Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel, Synkopen, flüchtigen Paresen, Schmerzzuständen und psychischen Beeinträchtigungen bis hin zu einer einmaligen Bewusstlosigkeit, bei allenfalls diskreten psychovegetativen Beeinträchtigungen ohne weiteres erwerbsunfähig. Die Erkrankung sei auf Grund der Vorbefunde (ohne eigene neurologische Untersuchung) als chronische Verlaufsform einer schweren Migräne einzuordnen, verknüpft mit einer migraine accompagnée sowie einer autonomen paroxysmalen Dysregulation, begleitet von entsprechenden Hautreaktionen. Angaben zu den sich daraus ergebenden Einschränkungen des Leistungsvermögens (positives und negatives Leistungsbild) enthält das Gutachten nicht.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.04.1999). Die erhobenen Befunde könnten eine Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens nicht begründen. Der hautärztliche Befund sei bei der Begutachtung unauffällig gewesen. Auch neurologisch werde regelmäßig ein unauffälliger Befund beschrieben. Befindlichkeitsstörungen und Beschwerdefixierung seien therapierbar. Die Leistungsbeurteilung des Dr. B. sei mangels Begründung nicht nachvollziehbar.

Die am 17.05.1999 (Eingang bei Gericht) zum Sozialgericht Mün- chen (SG) erhobene Klage hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, er leide schon ohne Belastung unter ständigen starken Hautschmerzen und müsse Medikamente einnehmen, die zu starker Ermüdung und Konzentrationsstörungen führten.

Das SG hat u.a. die Unterlagen des behandelnden Arztes Dr. G. (Internist) sowie eine Auskunft des letzten Arbeitgebers (vom 24.08.2000) beigezogen und den Kläger ambulant durch den Neurologen und Psychiater Dr. Dipl. Psych. M. (Gutachten vom 20.06.2002) sowie den Hautarzt und Allergologen Dr. B. (Gutachten vom 13.09.2002) begutachten lassen.

Dr. M. hat beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:

- Primärpersönlichkeit mit teils depressiven, teils angstneuro- tischen, zum Teil selbstunsicheren Zügen

- Zustand nach Alkoholabhängigkeit

- fortgesetzter Benzodiazepinmissbrauch

- Tinnitus rechts.

Bezüglich der Alkoholabhängigkeit sei zuletzt 1990 eine statio- näre Entwöhnungsbehandlung erfolgt und der Kläger nach eigenen Angaben seit dreieinhalb Jahren abstinent. Der Benzodiazepin- missbrauch verbiete Arbeiten in gefahrgeneigten Situationen auf Grund der möglicherweise eingeschränkten Konzentrationsfähig- keit. Eine Tätigkeit als Bürokaufmann sei damit jedoch mög- lich. Der Tinnitus habe auf das Hörvermögen des Klägers keinen Einfluss. Die Persönlichkeitszüge des Klägers bestünden seit vielen Jahren, eine Einschränkung des Leistungsvermögens ergebe sich jedoch angesichts der beruflichen Vorgeschichte des Klä- gers nicht. Es müsse auch weiterhin eine mögliche psychische Genese der Hauterkrankung, deren Ursache weiterhin ungeklärt sei, mitdiskutiert werden.

Dr. B. hat beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:

- cholinergische Urticaria

- atopische Haut-Diathese

- zahlreiche funktionell und kosmetisch nicht beeinträchtigende Narben

- beginnendes Rhinophym.

Die Erkrankungsdauer einer Urticaria liege zwischen 2 und 30 Jahren und erfordere bei geringgradiger Ausprägung keine Therapie. Beim Kläger träten die Quaddeln für eine Dauer von 30 bis 60 Minuten, in Einzelfällen auch bis zu 3 Stunden auf, bevorzugt im Bereich von Armen, Brust, Beinen, Rücken und Bauch. Das Gesicht sei nur selten betroffen. Parallel dazu trete an den betroffenen Stellen ein intensiver Juckreiz auf. Der Kläger selbst berichte auch über brennende Empfindungen in diesem Be- reich sowie über Kopfschmerzen, Schwindel und Juckreiz im Be- reich des behaarten Kopfes als gängige Begleitsymptome. Gene- rell könne die Urticaria auch durch Symptome wie Nasenlaufen, Bronchialspasmen, systemische Reaktionen wie Blutdruckabfall oder sogar einen anaphylaktischen Schock begleitet werden. Juckreiz und Quaddeln würden üblicherweise mit nicht sedierenden Antihistaminika behandelt. Der Kläger selbst nehme im Bedarfsfall bis zu 120 Tropfen Fenistil pro Tag ein, wodurch die Symptomatik weitgehend beherrscht werden könne. Obwohl es sich dabei nicht um ein nicht sedierendes Antihistaminikum handle, trete beim Kläger nach eigenen Angaben keine sedierende Wirkung ein. Es bestehe auch eine anlagebedingte Haut-Überempfindlichkeit ohne manifeste atopische Erkrankungen wie ein Ekzemleiden oder eine allergische Rhinokonjunktivitis. Das beginnende Rhinophym sei noch ohne funktionelle und wesentliche kosmetische Beeinträchtigung.

Die Sachverständigen kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, der Kläger könne seine Tätigkeit als Kfz-Kaufmann trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen noch vollschichtig ausüben. Ihm seien noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Zwangshaltung möglich. Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband und in Wechselschicht sollten auf Grund der psychiatrischen Grunderkrankung, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen auf Grund der regelmäßigen Antihistaminika-Einnahme vermieden werden. Wegen der atopischen Hautdiathese seien auch Arbeiten bei Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, Lärm, Staub, Gas, Dampf, Rauch und Reizstoffen zu vermeiden. Arbeiten mit Publikumsverkehr seien auf Grund der psychiatrischen Erkrankung nicht geeignet. Auch sollten wegen des bestehenden Tinnitus keine besonderen Anforderungen an das Hörvermögen gestellt werden. Ein besonderes Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie eine Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit für einen anderen Beruf hat der Sachverständige Dr. B. in seiner zusammenfassenden Beurteilung - im Gegensatz zum nervenärztlichen Sachverständigen Dr. M. - verneint.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.11.2002). Die Hauterkrankung bedinge allenfalls vorübergehende Arbeitsunfähigkeit. Tätigkeiten aus dem Berufskreis eines Kfz-Kaufmanns könne der Kläger aber noch vollschichtig verrichten.

Gegen das am 23.04.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.05.2003 (Eingang beim SG) Berufung eingelegt mit der Begründung, die vom SG eingeholten Gutachten seien in sich widersprüchlich und im Ergebnis falsch. Der Kläger sei als Autoverkäufer regelmäßig Einflüssen wie Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Zugluft etc. ausgesetzt und habe als Autoverkäufer ausschließlich mit Kunden zu tun. Dies sei mit der Einschränkung, er könne keine Arbeiten mit Publikumsverkehr verrichten, unvereinbar. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, warum der Kontakt am Arbeitsplatz mit Kunden medizinisch anders bewertet werden solle als der Kontakt mit anderen Menschen wie Kollegen und Vorgesetzten. Folglich dürfe der Kläger nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. B. am Arbeitsplatz keinerlei menschlichen Kontakt haben. Auch setze die Tätigkeit eines Autoverkäufers ein intaktes Hörvermögen voraus. Im Übri- gen träten die Krankheitsschübe des Klägers täglich auf und würden den Kläger oftmals an seine Wohnung fesseln.

Der Senat hat unter anderem Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. J. (HNO-Arzt) und Dr. S. (Hautarzt und Allergologe) beigezogen, Dr. S. in einem Termin vom 15.09.2004 ergänzend zu seinem Befundbericht als sachverständigen Zeugen gehört und den Kläger ambulant durch den Neurologen und Psychiater Dr. H. begutachten lassen (Gutachten vom 12.11.2004). Der Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt:

- Pruritus und Flush-Symptomatik

- chronifizierte somatoforme Störung

- Dysthymia

- generalisierte Angststörung

- Tinnitus rechts.

Der Kläger könne auf Grund der seelischen Störung bereits seit dem Zeitpunkt der Antragstellung keine Erwerbstätigkeit mehr verrichten und auf Grund einer erheblichen Angstsymptomatik öf- fentliche Verkehrsmittel nicht benutzen. Eine begründete Aus- sicht auf Besserung bestehe nicht. Er sei auch nicht in der La- ge, sich auf eine andere als die bisher ausgeübte Erwerbstätig- keit umzustellen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.11.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Grund des Antrags vom 17.02.1998 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten der Beklagten, der Agentur für Arbeit und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 02.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1999, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger auf seinen Antrag vom 17.02.1998 Rente wegen verminderter Er- werbsfähigkeit zu zahlen. Das SG hat die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 28.11.2002 zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.03.1998.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente richtet sich nach den Vorschriften des 6. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.), da der Rentenantrag vor dem 03.04.2001 gestellt wurde und Rente (auch) für Zeiten vor dem 01.01.2001 begehrt wird (§ 300 Abs.2 SGB VI i.V.m. § 26 Abs.3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -). Soweit die Entstehung eines Rentenanspruchs (erstmals) für die Zeit nach dem 31.12.2000 in Betracht kommt, richtet sich der Anspruch der Klägerin nach den Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.).

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie

1. erwerbsunfähig sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähig keit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Be schäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (ab 01.04.1999: 630,00 DM) übersteigt (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F.). Erwerbsunfähig ist (u.a.) nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F.).

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI n.F ist für Versicherungsfälle ab 01.01.2002 an Stelle einer Erwerbsunfähigkeit eine volle oder teilweise Erwerbsminderung Tatbestandsvoraussetzung.

Der Kläger war bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr in der Lage, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit auszuüben. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H. , das der Senat im Berufungsverfahren eingeholt hat. Der Sachverständige bestätigt in seinen ausführlichen Dar- legungen bereits von den Vorgutachtern Dr. R. , Dr. A. und Dr. M. angesprochene psychische Auffälligkeiten des Klägers vor dem Hintergrund seiner biographischen Anamnese. Dabei wird erstmals die Entwicklung einer psychischen Erkrankung anhand der eingehenden anamnestischen Schilderungen des Klägers und der bei der Exploration erfolgten eigenen Wahrnehmungen des Sachverständigen deutlich.

Anhaltspunkte für eine die Leistungsfähigkeit beeinträchtigende psychiatrische Erkrankung des Klägers finden sich aber bereits in den Vorgutachten selbst. So beschreibt das psychiatrische Gutachten des MDK vom 28.05.1996 deutliche psychische Auffäl- ligkeiten mit einer Einengung des Denkens auf die körperlichen Beschwerden bei unbekannter Ursache der Hauterkrankung, Panik- zustände, schwere Ängste und Affekte der Verzweiflung und Rat- losigkeit sowie vegetative Störungen. Ähnliche Feststellungen finden sich im Gutachten der Sachverständigen Dr. R. vom 26.01.1998 mit der Angabe einer totalen Fixierung auf die kör- perlichen Beschwerden und Einengung des Denkens bei massiver Dissimulation psychischer Probleme mit einer ausgeprägten Ab- wehrhaltung gegenüber neurosen-psychologisch relevanten Fak- toren. Eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit schloss die Sachverständige daraus allerdings nicht. Demgegenüber ging der auch als Psychotherapeut tätige Sachverständige Dr. A. in seinem Gutachten vom 28.05.1998 aus psycho-pathologischer Sicht zumindest von einer erheblichen Gefährdung des beruflichen Leistungsvermögens beim Kläger aus.

Zu Recht kritisierte Dr. B. in seinem Gutachten vom 10.12.1998 - wenngleich fachfremd - dass diese Erkenntnisse keinen Eingang in die Leistungsbeurteilung gefunden haben, während seine Ansicht, aus den Vorbefunden ergäben sich überhaupt keine Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Klägers, in offenem Widerspruch zu den zahlreichen medizinischen Vorbefunden steht und sich auch rückschauend als unzutreffend erweist.

Erst im Gutachten des Sachverständigen Dr. M. wird unter Berücksichtigung anamnestischer Angaben des Kläger eine psychiatrische Gesundheitsstörung diagnostiziert, wobei dem Sachverständigen jedoch wesentliche Erkenntnisse, insbesondere über die persönliche Anamnese des Klägers, noch nicht zur Verfügung standen, so dass Dr. M. - obgleich sich bereits auf der Grundlage der aus den Vorgutachten vorliegenden Informationen und der vom Kläger gemachten biographischen Angaben deutliche Anhaltspunkte für psychische Beeinträchtigungen fanden - noch von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ausging.

Dr. H. folgert aus den ihm nunmehr vorliegenden Erkennt- nissen aber in nachvollziehbarer Weise, dass beim Kläger eine deutliche seelische Störung mit erheblichem Leidensdruck, der durch die Inanspruchnahme zahlreicher medizinischer und paramedizinischer Behandlungsverfahren unterschiedlichster Art untermauert wird, vorliegt. Der Sachverständige beschreibt den Kläger als in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt mit offensichtlichem sozialen Rückzug, geprägt und gefördert durch vielfältige Ängste, insbesondere hinsichtlich der in ihrer Ursache weiterhin ungeklärten Urticaria. Die seelische Störung hatte nach seiner überzeugenden Ansicht bereits im Zeitpunkt der Antragstellung einen Schweregrad erreicht, der eine regelmäßige Erwerbstätigkeit des Klägers nicht mehr zuließ und zwischenzeitlich so chronifiziert und fixiert ist, dass eine erfolgreiche therapeutische Beeinflussung nicht mehr zu erwarten ist. Die Beklagte hat dagegen lediglich eingewandt, die Leistungseinschätzung des Sachverständigen Dr. H. sei mit dem Ergebnis der psychiatrischen Vorbegutachtungen nicht vereinbar, jedoch zum Inhalt des Gutachtens und der Begründung des Sachverständigen Dr. H. für seine abweichende Leistungseinschätzung keine Stellung genommen.

Der Urticaria selbst kommt nach dem fachärztlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. dagegen keine wesentliche lei- stungsmindernde Bedeutung zu. Der Hautbefund war bei allen Be- gutachtungen unauffällig. Die Symptome bestehen stets nur vor- übergehend und sind medikamentös behandelbar.

Eine bedeutsame neurologische Gesundheitsstörung liegt nach dem Ergebnis der wiederholten (auch) neurologischen Begutachtungen beim Kläger nicht vor. Die von ihm angegebenen Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schwindel sind, wie insbesondere Dr. B. überzeugend dargelegt hat, Begleiterscheinungen der Urticaria. Soweit Dr. B. demgegenüber von einer die Erwerbsfähigkeit ausschließenden neurologischen und dermatologischen Erkrankung des Klägers ausgeht, ist weder seine Diagnosestellung noch seine Leistungsbeurteilung nachvollziehbar. Er hat weder eine eigene neurologische Untersuchung vorgenommen noch die von ihm angegebenen neurologischen Diagnosen nachvollziehbar aus den vorhandenen Vorbefunden abgeleitet. Seine Leistungsbeurteilung erschöpft sich in dem Satz, Ausmaß und Umfang der Erkrankung im neurologischen Bereich begründeten ohne weiteres eine Erwerbsunfähigkeit. Er hat aber keinerlei Ausführungen dazu gemacht, welche Einschränkungen des Leistungsvermögens sich aus den von ihm behaupteten neurologischen Erkrankungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht überhaupt ergeben. Dagegen setzt er sich - fachfremd - ausführlich mit der Frage einer psychischen Genese der Urticaria und einer psychischen Erkrankung auseinander in dem erkennbaren Bemühen, beides zu verneinen. Das Gutachten ist insgesamt - wie bereits Dr. M. dargelegt hat - weder bezüglich der Diagnosestellung noch der sozialmedizinischen Beurteilung verwertbar.

Da der Kläger zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung sowohl die allgemeine Wartezeit als auch die besonderen versicherungs- rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen erminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt hat und im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB VI alter Fassung erwerbsunfähig war, hat er dem Grunde nach ab 01.03.1998 Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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