L 18 SB 82/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 SB 36/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 82/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.05.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin das Merkzeichen RF zusteht.

Bei der 1928 geborenen Klägerin waren mit Bescheid vom 05.08.1999 als Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90 anerkannt: 1. Bluthochdruck mit Herzrhythmusstörungen sowie Durchblutungs- störungen, nervliche Übererregbarkeit, cerebrale Minderdurchblutung 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Gelenke, Ballenfüße, Genua valga, Platt-Spreizfüße und Hammerzehenbildung, Bandscheibenschaden 3. Blasenentleerungsstörungen nach Unterleibsoperation mit Beckenbodenplastik 4. Diabetes mellitus, durch Sulfonylharnstoffe ausreichend einstellbar.

Die Merkzeichen B und G wurden zuerkannt.

Die Klägerin stellte am 21.08.2001 einen Neufeststellungsantrag wegen Verschlimmerung des Lendenwirbelsäulen-Syndroms mit ausstrahlenden Beschwerden in Arme und Beine und wegen neu aufgetretener Schwindelerscheinungen und Sehbehinderung. Der Beklagte holte Befundberichte der Orthopädin H. vom 03.09.2001, des Augenarztes Dr.W. vom 21.09.2001 und der Fachklinik H. über eine stationäre Behandlung vom 24.04. bis 12.05.2001 ein und erkannte entsprechend einer Stellungnahme der Chirurgin Dr.B. vom 05.11.2001 mit Bescheid vom 06.11.2001 als Behinderungen mit einem GdB von 100 an: 1. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Gelenke, Ballenfüße, Genua valga, Platt-Spreizfüße und Hammerzehenbildung, Bandscheibenschaden, Claudicatio spinalis 2. Bluthochdruck mit Herzrhythmusstörungen sowie Durchblutungsstörungen, nervliche Übererregbarkeit, cerebrale Minderdurchblutung 3. Blasenentleerungsstörungen nach Unterleibsoperation mit Beckenbodenplastik 4. Diabetes mellitus, durch Sulfonylharnstoffe ausreichend einstellbar.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass ihr das Merkzeichen "RF" zustehe, da sie keine öffentlichen Veranstaltungen mehr in zumutbarem Rahmen besuchen könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2002 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, da nach ärztlicher Beurteilung die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen mit Hilfe einer Begleitperson möglich und zumutbar sei.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) hat die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens RF weiter verfolgt. Wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes könne sie nicht länger sitzen. Ihr Blutdruck steige, sobald sie sich unter einer größeren Menschenansammlung befinde. Sie könne das Haus praktisch nicht mehr verlassen und sei somit auf den Fernseher angewiesen. Nach Einholung von Befundberichten (Augenarzt Dr.W. , Allgemeinarzt Dr.K. , Nervenarzt Dr.H. , Orthopädin H.) hat das SG Dr.O. mit Gutachten vom 21.05.2003 gehört. Dieser hat die Klägerin für fähig gehalten, mit einer Begleitperson und entsprechenden technischen Hilfsmitteln, z.B. Rollstuhl, an öffentlichen Veranstaltungen in zumutbarer Weise teilzunehmen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.05.2003 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass bei der Klägerin zwar schwerwiegende Störungen im Bereich des Bewegungsapparates, des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels bestünden. Der Blutdruck sei aber ebenso wie der insulinpflichtige Diabetes mellitus ausreichend eingestellt. Die Klägerin könne mit einer Begleitperson und entsprechenden technischen Hilfsmitteln an öffentlichen Veranstaltungen in zumutbarer Weise teilnehmen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und wegen ihrer Unbeweglichkeit, starker Schmerzen beim Gehen schon nach fünf Metern und beim Sitzen nach fünf Minuten weiterhin die Zuerkennung des Merkzeichens RF begehrt. Der vom Senat mit Gutachten vom 26.04.2004 gehörte Neurologe und Psychiater Dr.B. hat die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF verneint. Zwar sei die Klägerin infolge der körperlichen Behinderungen bei der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen beeinträchtigt. Es sei ihr jedoch durchaus zuzumuten, an solchen Veranstaltungen mit Hilfe von Begleitpersonen teilzunehmen, ein Rollstuhl sei hierfür nicht erforderlich. Ausreichend sei ein Gehstock, mit dem sie auch zur Untersuchung erschienen sei. Die Klägerin wirke bei den festgestellten Behinderungen auf ihre Umgebung weder abstoßend noch störend. Die vorliegende Harninkontinenz sei nur gering ausgeprägt. Die mitgeteilten Schwindelzustände beträfen die subjektive Befindlichkeit und wirkten sich nicht störend auf die Umgebung aus.

Die Klägerin hat sich am 11.06.2004 gegen das Gutachten des Dr.B. gewandt und vorgetragen, sie sei nicht in der Lage, länger als zehn Minuten zu sitzen. Auch beim Fernsehen müsse sie sich nach zehn Minuten auf die Seite legen, weil sie nicht sitzen könne. Daran würde auch eine Begleitpeson nichts ändern.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Nürnberg vom 21.05.2003 aufzuheben und den Bescheid vom 06.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2002 abzuändern und ihr das Merkzeichen RF ab frühestmöglichem Zeitpunkt zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 21.05.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf den Inhalt der Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis mit den Beteiligten im schriftlichen Verfahren (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin erfüllt nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF.

Das Merkzeichen RF ist in den Ausweis einzutragen, wenn der Schwerbehinderte die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Nach § 1 Abs 1 Nr 3 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 21.07.1992 (Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt Nr.14/1992, S.254) werden von der Rundfunkgebührenpflicht u.a. befreit Behinderte, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist eine enge Auslegung von Gebührenbefreiungsvorschriften geboten (vgl. BSG SozR 3870 § 3 Nrn 24 und 25). Danach wird dem Zweck der Befreiung von der Gebührenpflicht für den Rundfunk- und Fernsehempfang dann genügt, wenn der Schwerbehinderte wegen seiner Leiden, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn er praktisch an das Haus gebunden ist und allenfalls an einer nicht nennenswerten Zahl von Veranstaltungen teilnehmen kann (vgl. BSG aaO und SozR 3-3870 § 48 Nr 2).

Nach den für den Senat überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr.O. und Dr.B. sind die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht erfüllt. Die Klägerin ist vom öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen, da sie mit technischen Hilfsmitteln oder der Hilfe einer Begleitperson eine Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen aufsuchen kann. Die Klägerin ist auch bei Würdigung der bei ihr vorliegenden schwerwiegenden Störungen im Bereich des Bewegungsapparates, des Herz-Kreislaufsystems und des Stoffwechsels nicht gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen verschiedenster Art teilzunehmen. Die gerichtlichen Sachverständigen sehen diese Leiden in ihren Auswirkungen bei öffentlichen Veranstaltungen auf die Umgebung nicht für so gravierend an, dass deswegen das Merkzeichen RF zuzubilligen wäre. Die Klägerin hat bei der Untersuchung durch Dr.B. angegeben, dass ihr Sohn sie jeden Tag besuche, um sie zum Einkaufen oder auch zu Ärzten zu fahren. Die Einkaufsläden suche sie dann zusammen mit ihm auf. Mitunter unternehme sie mit ihren Kindern auch kleinere Ausflüge mit dem PKW. Selbst wenn die Klägerin wegen ihrer Schmerzen beim Einkaufen alle fünf Schritte stehen bleiben muss, hindert sie dies nicht, mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Gehstöcke oder Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Ihre Auffassung, sie könne sich nicht aufhalten, wo viele Leute seien, lässt sich nicht objektivieren. Nach den Feststellungen des Dr.B. hat die Klägerin in letzter Zeit keine psychiatrische Therapie durchgeführt, was dafür spricht, dass der diesbezügliche Leidensdruck nicht sehr hoch ist. Die von Dr.B. diagnostizierten multiplen vegetativen Störungen bei Verdacht auf somatisierte Depression werden von der Klägerin nur durch eine gelegentliche Einnahme pflanzlicher Beruhigungsmittel behandelt.

Auch die im Vordergrund stehenden Verschleißerscheinungen seitens des Skelettsystems, die zu einem unsicheren Gangbild geführt haben, rechtfertigen die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht. Der Vortrag der Klägerin am 11.06.2004, nicht länger als zehn Minuten sitzen zu können, ist von ihr nicht durch ein ärztliches Attest glaubhaft gemacht. Die Begutachtung durch Dr.B. am 26.04.2004 hat keinen entsprechenden Befund ergeben. Wegen der Erkrankungen am Skelettsystem wurden der Klägerin die Merkzeichen G und B zuerkannt. Die internistischen Leiden der Klägerin spielen für die Möglichkeit des Besuchs öffentlicher Veranstaltungen keine erhebliche Rolle. Der Blutdruck wird medikamentös behandelt. Auch die Einstellung des Blutzuckers ist ausreichend. Eine internistische Vorstellung erfolgt lediglich einmal jährlich beim Kardiologen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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