L 9 B 18/05 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AS 42/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 B 18/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den einstweiligen Rechtsschutz ablehnenden Beschluss vom 12. April 2005 wird zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss vom 12. April 2005 betreffend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Der im Jahre 1967 geborene Antragsteller (Ast) bezog bis zum 26.01.2002 Arbeitslosengeld (Alg) und bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Er beantragte am 03.01.2005 bei der Antragsgegnerin (Ag) Arbeitslosengeld II und gab Frau B T (geboren 1972) als "nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten" an.

Mit Bescheid vom 15.01.2005 bewilligte die Ag dem Ast unter Berücksichtigung des vorgelegten Mietvertrags zwischen G T1 auf der einen und dem Ast sowie B T auf der anderen Seite vom 12.08.2003, der Strom- und Gaskostenabrechnung sowie einer Verdienstabrechnung von Frau T Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 326,09 Euro monatlich. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2005, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, zurück.

Am 25.02.2005 hat der Ast einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Sozialgericht (SG) Dortmund gestellt und geltend gemacht, wegen der erst kurzen Dauer des Zusammenlebens habe sich zwischen ihm und Frau T keine Gemeinschaft gebildet, in der beide gegenseitig in den Not- und Wechselfällen des Lebens für einander einstehen müssten. Im Übrigen bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, gegen die Heranziehung von Partnern nicht ehelicher Lebensgemeinschaften im Rahmen des SGB II, da von allen erdenklichen Bedarfsgemeinschaften - unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes - nur die nicht eheliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau herangezogen werde.

Das SG hat mit Beschluss vom 12.04.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt, jedenfalls ein Anordnungsgrund lasse sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Vorliegend spreche nach Lage der Akten alles dafür, dass die Ag Frau T zu Recht in die Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Einkommen hineingerechnet habe. Insoweit gehöre nämlich zur Bedarfsgemeinschaft auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebe (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II). Da der Ast mit Frau T schon seit Oktober 2003 zusammenlebe, sie selbst als Partnerin in eheähnlicher Gemeinschaft bezeichne und sich deren Einkommen bereits bei der Arbeitslosenhilfe habe anrechnen lassen, sei von einer derartigen Gemeinschaft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszugehen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anrechnungsvorschrift seien nicht berechtigt. Dies gelte bereits deswegen, weil es einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht gebe. Seien also homosexuelle Partnerschaften von einer Anrechnung zu Unrecht nicht betroffen, so könnten deswegen z.B. nicht Eheleute oder eheähnliche Lebensgemeinschaften einer Anrechnung entgehen. Im Übrigen sei unzutreffend, dass Personen gleichen Geschlechts, die in einer Wirtschafts- oder Einstandsgemeinschaft lebten, stets weitergehende Leistungen erhielten. Vielmehr werde bei allen Bedarfsgemeinschaften nach dem allgemeinen Nachranggrundsatz des SGB II darauf abgestellt, ob derjenige, der Hilfe geltend mache, diese nicht schon auf andere Weise erhalten habe oder erhalte. Dass diese Tatsachen nur schwer feststellbar seien, habe nicht die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsvorschriften zur Folge.

Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen Tag hat das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Der Ast hat gegen die ihm am 14.04.2005 zugestellten Beschlüsse am 22.04.2005 Beschwerden eingelegt. Er äußert erneut verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anrechnung des Einkommens der Frau T.

Dem Vortrag des Ast ist zu entnehmen, dass er beantragt,

1) die Beschlüsse des Sozialgerichts Dortmund vom 12. April 2004 abzuändern,

2) die Ag zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung ohne Anrechnung des Einkommens von Frau T zu leisten sowie

3) ihm Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu bewilligen.

Die Ag hat sich trotz Fristsetzung im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und der Gerichtsakte Bezug genommen.

II. Die zulässigen Beschwerden, denen das SG nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 04.05.2005), sind nicht begründet, da die Ag das Einkommen der Frau T zu Recht bei der Ermittlung der Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts des Ast berücksichtigt hat und - mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung - im einstweiligen Anordnungsverfahren ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe nicht bestand.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96).

Bei summarischer Prüfung ist schon die Annahme eines Anordnungsgrundes zweifelhaft, da die von dem Ast bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über der Regelleistung des § 20 Abs. 2 SGB II i.H.v. 331,00 Euro liegen und - wegen der Sicherung der laufenden Mietzahlungen durch B T - ein Verlust der Wohnung nicht zu befürchten ist.

Auch ein Anordnungsanspruch ist nicht überwiegend wahrscheinlich.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (Nr. 1), aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen (Nr. 2) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.

Die eheähnliche Gemeinschaft ist nach einhelliger gefestigter Rechtsprechung definiert als die Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerfGE 87, 234, 264; zuletzt wohl Beschluss vom 02.09.2004, 1 BvR 1962/04, m.w.N.). Als wichtige Indizien für die Feststellung einer solchen eheähnlichen Gemeinschaft hat das BVerfG die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, genannt (BVerfG, Urt. v. 17.11.1992, SozR 3-4100 § 137 Nr. 3). Hinsichtlich der Dauer des Zusammenlebens sind wichtige Hinweistatsachen die Dauer und Intensität der Bekanntschaft vor Begründung der Wohngemeinschaft, der Anlass für das Zusammenziehen, die konkrete Lebenssituation während der streitgegenständlichen Zeit und die nach außen erkennbare Intensität der gelebten Gemeinschaft (BVerwG v. 17.05.1996 - 5 C 16/96 - BVerwGE 98, 195-202), wobei das BSG eine "Drei-Jahres-Grenze" (vgl. BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 15) des Zusammenlebens nicht als zeitliche Mindestvoraussetzung für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft verstanden hat (BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 10; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 7 Rdnr. 27).

Unter Hinweis auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses vom 12.04.2005, auf welche der Senat nach eigener Sach- und Rechtsprüfung vollumfänglich Bezug nimmt, sieht der Senat ein wesentliches Indiz für ein gegenseitiges Einstehen des Ast und der B T darin, dass sich beide bereits im Rahmen des Bezugs von Alhi durch den Ast ab Oktober 2004 als Partner in eheähnlicher Lebensgemeinschaft angesehen und der Berücksichtigung eines Anrechnungsbetrages aus dem Einkommen von Frau T nicht widersprochen haben. Zwar ist das Vorliegen von persönlichen Verbindungen zwischen beiden erst seit August 2003, also vor knapp zwei Jahren, im Rahmen des Abschlusses des Mietvertrages offen zu Tage getreten. Die Umstände des Zusammenziehens und Zusammenlebens ergeben jedoch gewichtige Hinweise für das Vorliegen von inneren Bindungen, die über eine bloße Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. So dürfte bereits bei Abschluss des gemeinschaftlichen Mietvertrages vom 12.08.2003 deutlich gewesen sein, dass der seit längerer Zeit arbeitslose Ast für die Kosten der 4-Zimmer-Wohnung (106 qm) in Höhe von 590 Euro zuzüglich der Nebenkosten nicht allein - und bei einer Alhi in Höhe von 101,36 Euro wöchentlich (ab 10/2004) - auch nicht teilweise aufkommen konnte. Gleichzeitig dürfte die Größe der Wohnung wesentlich dadurch beeinflusst sein, dass - im Rahmen der vereinbarten Besuchsregelung - die Kinder des Ast sich zumindest jedes zweite Wochenende und in der Hälfte der Ferien bei dem Ast und Frau T aufhalten sollen. Durch die faktisch alleinige Übernahme der Kosten einer großen Wohnung hat Frau T deutlich gemacht, dass sie die Schaffung eines familiären Umfeldes für die Kinder des Ast finanziell und ideell unterstützt. Ergänzend berücksichtigt der Senat, dass eine irgendwie geartete Trennung der Finanzen des Ast und der Frau T nicht feststellbar ist. Zudem hat der Ast im Zusammenhang mit der Frage nach seiner Bankverbindung in seinem Antrag auf Alhi vom 13.10.2004 bereits auf ihr Konto bei der Sparkasse N verwiesen mit der Anmerkung, dass seine Lebensgefährtin ein Girokonto habe.

Der Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 7 Abs. 3 Nr. 3 b) SGB II. Das Sozialgericht Düsseldorf übersieht bereits, dass das BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 17.11.1992 (SozR 3 - 4100 § 137 Nr. 3) die eheähnliche Gemeinschaft und die Berücksichtigung deren Einkommens in die Bedürftigkeitsprüfung des Hilfeempfängers zum Schutz und zur Verhinderung einer Ungleichbehandlung der Ehe als vertretbare, verfassungsgemäße gesetzgeberische Entscheidung angesehen hat. Ausgangs- und Bezugspunkt einer Verfassungsbetrachtung ist allein die Ehe und nicht die Beziehung von Lebensgemeinschaften untereinander allgemein. Insoweit hat es das BVerfG dem Gesetzgeber überlassen, welche Formen von Lebensgemeinschaften zum Schutz der Ehe in eine Bedarfs- und Einstandsgemeinschaft einzubeziehen sind. Die Berücksichtigung von anderen Lebens-, Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaften - wie etwa Gemeinschaften zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern, die nicht Lebenspartner nach dem LPartG sind, oder Verwandten - hat es nicht für erforderlich gehalten. Auch ist nicht eine solche Zunahme derer Existenz erkennbar, dass angesichts deren Gewichts über die Regelungen des Partnerschaftsgesetzes hinaus die Pflicht des Gesetzgebers zum Handeln die einzig denkbare Konsequenz und der gegenwärtige Rechtszustand überdies wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 GG verfassungswidrig wäre. Die Nichtberücksichtigung der eheähnlichen Gemeinschaft von Mann und Frau wäre im Hinblick auf die dann alleinige Berücksichtigung der Ehe verfassungswidrig. Es gibt aber keinen Grund, Einkommen und Vermögen von Eheleuten nicht zu berücksichtigen, so dass unabhängig von einer Notwendigkeit der Erfassung anderer menschlicher Lebensformen jedenfalls die Gleichbehandlung der eheähnlichen Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau - und ausschließlich darum geht es hier - vom Ansatz her auch nicht im Licht des Art. 3 GG verfassungswidrig sein kann. Es bleibt vielmehr dabei, dass die Einbeziehung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft in die Bedarfs- und Einstandsgemeinschaft zum Schutz der Ehe, der gesetzlich in den bisherigen §§ 122 BSHG, jetzt: 20 SGB XII, 137 Abs. 2 a AFG, ab 01.01.1998: § 193 SGB III, 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II zum Ausdruck gekommen ist, entsprechend den Ausführungen des BVerfG verfassungsgemäß ist (Beschlüsse des Senats vom 21.04.2005 - L 9 B 4/05 SOER - und L 9 B 6/05 SOER).

III. Die Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss war mangels hinreichender Erfolgsaussicht aus den obengenannten Gründen zurückzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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