S 9 AS 19/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 19/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Antragsgegner werden verpflichtet, der Antragstellerin durch Vermittlung der Stadt T a) die Antragsgegnerin zu 1): 345,00 EUR b) die Antragsgegnerin zu 2): 287,31 EUR an Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose für den Monat April 2005 auszuzahlen, davon 238,86 EUR an die Antragsgegnerin selbst, im Übrigen an Vermieter und Versorgungsunternehmen gemäß Aufstellung in der Anlage zum Bescheid vom 21.12.2004.
2. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
3.Die Antragsgegner tragen die Kosten als Gesamtschuldner.

Gründe:

I. Die Antragstellerin - zuvor Sozialhilfebezieherin - steht im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen für Arbeitslose bei der Stadt T (Bewilligungsbescheid vom 21.12.2004 für die Zeit bis 31.03.2005). Sie erhielt als Zahlbetrag zuletzt 238,86 EUR, sowie für Miete, Heizung, Umlagen etc. 393,45 EUR, die direkt an die jeweiligen Empfänger gezahlt wurden. Am 02.02.2005 wurde die Antragstellerin, wie zuvor schon am 30.11.2004 anonym angezeigt. Sie habe bei einer Ausstellung in X eigene Bilder teuer verkauft, wohne seit 6 Monaten dauerhaft bei einem Freund und benutze ihre Wohnung nur als Bilderlager. Die Stadt T veranlasste eine Zahlungssperre ab 04.02.2005 und beauftragte den Ermittlungsdienst. Hinweise auf einen erfolgten Bilderverkauf ergaben sich nicht. Der Ermittlungsdienst berichtete am 11.03.2005:

"Aufgrund der Inaugenscheinnahme der Wohnung der HE ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die LE zumindest seit Mitte Januar 2005 überwiegend bei ihrem Partner in Eschweiler aufhält. Die Tatsache, dass die LE an 10 Terminen zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten nicht in ihrer Wohnung angetroffen werden konnte und sich auch keine Lebensmittel, mit Ausnahme von Nutella, einer Packung Reis und Kaffee, in ihrer Wohnung befanden, bestätigt diese Annahme. Auch räumte die LE ein, dass sie sich seit Mitte Januar 2005 überwiegend bei ihrem Partner in Eschweiler aufgehalten habe. Lediglich zum "Malen und Leben" sei sie unregelmäßig in ihrer T Wohnung gewesen. Es ist somit auch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Wohnung der LE tatsächlich mittlerweile nur noch als Atelier genutzt werde."

Auf Vorladung der Stadt Terschien die Antragstellerin dort am 06.04.2005 zu Besprechung des Ermittlungsberichts, wobei ihr nahegelegt wurde, sich beim Sozialamt der Stadt F anzumelden. Hierzu ist die Antragstellerin nach tel. Mitteilung nicht bereit. Die Antragstellerin trägt vor, sie habe schon für März keine Leistungen mehr erhalten, ohne dass ein Aufhebungsbescheid ergangen sei. Sie lebe nicht in F, ihr Lebensmittelpunkt sei vielmehr T. Sie beantragt, die Antragsgegnerin zu 1) dahingehend zu verpflichten, ihr für den Monat April 2005 Grundsicherungsleistungen und die Antragsgegnerin zu 2) zu verpflichten, die Wohnkosten für den Monat April 2005 zu zahlen und ihr über die Leistungseinstellung ab März 2005 einen Bescheid zu erteilen. Die Antragsgegnerin zu 1) hat keine Unterlagen, da das Fallmanagement bei der Stadt T liegt. Sie stellt keinen Antrag. Die Antragsgegnerin zu 2) gab telefonisch an, sie sehe sich nicht in der Lage, vorläufige Leistungen zu erbringen und beantragt demnach sinngemäß, den Antrag abzulehnen.

II. Der zulässige Antrag ist im Wesentlichen begründet. Der Antragstellerin sind Leistungen für April 2005 im bisher bewilligten Umfang weiterzuzahlen. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Zudem darf eine Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht endgültig vorweggenommen werden (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 86 b, Rdnr. 31 und 40 m. w. N.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gegeben. Der Anordnungs-grund ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin nach eigenen, unwiderlegten Angaben derzeit mittellos ist. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, weil die Antragstellerin die Tatbestandsvoraussetzungen für den Leistungsanspruch erfüllt, insbesondere hilfebedürftig ist (§§ 7 Abs. 1, 9, SGB II). Insoweit hat sich gegenüber der vorangegangenen Bewilligungsentscheidung nach Grund und Höhe des Anspruchs nichts geändert, so dass die Leistungen dementsprechend fortgeschrieben werden können. Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) sind dabei schon unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen in gleicher Höhe weiterzuzahlen, da selbst für den Fall, dass die Antragstellerin ihre Wohnung zum 15.01.2005 aufgegeben hätte, bis zum 30.04.2005 Miete fortzuzahlen wäre (§ 573 c BGB). Für diese Leistung ist auch ohne Bedeutung, ob die Antragstellerin in T oder in F wohnt, da beide Städte dem Kreis B angehören, der gemäß §§ 36 Satz 2 SGB II, 6 Abs. 1 Nr. 2 Träger der Leistung ist. Eine Delegation auf die kreisangehörigen Gemeinden durch Satzung (§ 7 Abs. 1 AG-SGB II NRW) ist nicht erfolgt, wohl aber eine Beauftragung der kreisangehörigen Gemeinden nach §§ 6 Abs. 1 Satz 2 SGB II, 88b SGB 10 durch Ziffer 3.5 der Kooperationsvereinbarung des Kreises Aachen, der kreisangehörigen Kommunen und der Agentur für Arbeit Aachen vom 05.10.2004. Demnach handeln die Kommunen nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Kreises (§ 89 Abs. 1 SGB X). Die Verpflichtung des Kreises besteht unabhängig vom Wohnsitz der Antragstellerin in F oder T. Solange keine Abgabe des Leistungsfalles an die Stadt F erfolgt ist, kann demnach die Stadt T nicht wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit die Leistungspflicht (des Krieses) verneinen. Im Übrigen sieht das erkennende Gericht bisher keinen Anhaltspunkt für eine Aufgabe der T Wohnung oder eine Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts der Antragstellerin. Dass die Antragstellerin häufig nicht angetroffen wurde, mag ein Indiz sein, allerdings kein besonders schlagkräftiges. Bis auf einen Besuch morgens um 7 Uhr erfolgten alle Besuche werktags zu Zeiten, in denen eine Abwesenheit nicht ungewöhnlich ist. So wäre z. B. auch der Vorsitzende dieser Kammer an keinem der genannten Termine in seiner Wohnung angetroffen worden. Der beklagenswerte Ordnungszustand der Wohnung und die eingeschränkte Auswahl an vorhandenen Lebensmitteln (Nutella, Reis und Kaffee) mag für eine geringe Nutzungsfrequenz sprechen, entspricht aber andererseits durchaus auch dem landläufigen Klischee von Künstlerwohnungen. Außerdem hat die Antragstellerin auch nach dem 04.02.2005 keinerlei Leistungen mehr erhalten, von denen sie Vorräte hätte anschaffen können. Insbesondere ist aber die Tatsache, dass die Antragstellerin nach eigenen unwiderlegten Angaben erst seit 6 Monaten einen festen Freund hat, bei dem sie sich viel aufhält, kein Grund, einen Wohnungswechsel zu unterstellen. Die relativ junge Partnerschaft mag erklären, dass sich die Antragstellerin häufig in der Wohnung ihres Freundes aufhält. Ein Wechsel des Lebensmittelpunkts kann darin nicht gesehen werden, schon gar nicht nach so kurzer Zeit. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts enthält nämlich auch subjektive Momente, insbesondere ist der Wille erforderlich, auf längere Dauer an diesem Ort zu verweilen (BSG, SozR 1200, § 30 Nr. 10). Erst nach einer längeren tatsächlichen Verweildauer wird regelmäßig schon diese Tatsache den gewöhnlichen Aufenthalt begründen (Kasseler Kommentar/Seewald, Rdnr. 10 zu § 30 SGB I). Auch eine Abwesenheit von längerer Dauer hebt aber den gewöhnlichen Aufenthalt nicht auf, wenn die Absicht oder Wahrscheinlichkeit besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren und gefestigte Beziehungen dorthin aufrecht erhalten bleiben (BSG, DAngVers. 1985, 375). Auch die Begründung eines Wohnsitzes erfordert, dass jemand eine Wohnung unter Umständen inne hat, die darauf schließen lassen, dass er diese Wohnung beibehalten und benutzen wird, enthält also ebenfalls ein subjektives Element (Kasseler Kommentar/Seewald, Rd-Ziffer 6 zu § 30 SGB I). Eine 6-monatige Partnerschaft mit daraus resultierender häufiger Wohnungsabwesenheit ist dabei sicher noch kein Grund für die Annahme, dass bereits ein Wohnungswechsel vorliegen könnte, solange nicht feststeht, dass die Partner tatsächlich zusammengezogen sind. Derartige Feststellungen sind bisher nicht getroffen worden. Obwohl der angebliche Lebenspartner seit Wochen mit Namen und Anschrift bekannt ist, fehlt es hierzu bisher an jeder Ermittlung. Für einen geänderten Bedarf hinsichtlich der Regelleistung (§ 20 SGB II) haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Insoweit war die Antragsgegnerin zu 1) zu verpflichten, die aber gemäß Ziffer 3.2, 3.5 der o. g. Kooperationsvereinbarung ihre Leistungspflicht ebenfalls über die Stadt Terfüllt. Eine Kürzung des Anspruchs zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache konnte unterbleiben, da die Antragsgegnerinnen ihre Leistungen schon zum 04.02.2005 eingestellt haben, ohne die Leistungsbewilligung aufzuheben. Eine entsprechende Leistungsklage müsste nach gegenwärtigem Sachstand Erfolg haben (§ 41 SGB I), so dass bei einem Unterliegen der Antragstellerin hinsichtlich der hier allein streitigen Leistungen für April eine Verrechnung erfolgen könnte. Da es sich um Leistungen für die Vergangenheit handelt, kann hinsichtlich der Zahlungen für die zurückliegende Zeit eine Eilentscheidung nicht erfolgen, insoweit hat die Antragstellerin auch keinen Antrag gestellt. Der Bescheidungsantrag kann im Eilverfahren schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Voraussetzungen des § 88 SGG (Untätigkeitsklage) nicht vorliegen. Die Antragstellerin kann Widerspruch gegen die Leistungseinstellung einlegen oder Leistungsklage erheben.
Rechtskraft
Aus
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