L 4 U 43/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 193/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 43/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.07.2003 wird zurückgewiesen. Kosten der Klägerin werden auch im Berufungsverfahren nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente nach § 56 Sozialgesetzbuch siebtes Buch (SGB VII).

Die 1944 geborene Klägerin war seit 1962 als medizinisch-technische Assistentin tätig. Seit 1976 war sie in der Abteilung für Nuklearmedizin des N-hospitals in I eingesetzt. In der Zeit vom 06.04. bis 14.04.1989 und ab dem 04.05.1998 war die Klägerin wegen der Diagnose "generalisiertes Arzneimittelexanthem, Verdacht auf eine allergische Kontaktallergie" arbeitsunfähig. Sie bezog in der Zeit vom 04.06.1998 bis Anfang März 1999 Krankengeld und anschließend Leistungen vom Arbeitsamt. Den im August 1998 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mit Bescheid vom 27.10.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2000 ab. Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen wies im Verfahren S 14 RA 37/00 nach Einholung eines Gutachtens vom Chefarzt der B-Fachklinik in Bad P, Prof. Dr. T, die Klage durch Urteil vom 11.12.2001 rechtskräftig ab. Den erneuten Rentenantrag der Klägerin aus September 2001 lehnte die BfA nach Einholung von Gutachten auf orthopädischem, neurologischem, dermatologischem und allergologischem Fachgebiet mit Bescheid vom 05.02.2003 bestandskräftig ab.

Im Juni 1998 zeigte der behandelnden Internist Dr. M bei der Beklagten den Verdacht einer Berufskrankheit wegen "Sensibilisierung auf Duftstoffmix Glutaraldehyd, Diphenylguanidin" an. Auf Anfrage der Beklagten gab die Klägerin an, sie leide u.a. an Hauterscheinungen, Luftnot, Schwellungen der Augenlider, Kopfschmerzen und Störungen des Geruchssinnes sowie an einer Überempfindlichkeit gegenüber Geruchsstoffen. Die Beklagte zog Berichte der behandelnden Ärzte sowie sozialmedizinische Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) vom 05.05.1998, 17.11.1998 und 18.01.1999 bei. Der MDK diagnostizierte bei der Klägerin eine dermatologischerseits nachgewiesene Typ 4 - Sensibilisierung auf Duftstoffmix, Glutaraldehyd, 1,3 Diphenylguanidin, subjektive Geruchssensationen, Verdacht auf MCS-Syndrom, Verdacht auf depressive Entwicklung mit multiplen Somatisierungstendenzen, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, arthrotische Veränderungen des Radiocarpalgelenkes, initiale Daumensattelgelenkarthrose, Arthrose des Großzehengrundgelenkes, radiologisch nachweisbare Hüftpfannendysplasie und ein fragliches Carpaltunnelsyndrom. Nach Auswertung der beigezogenen ärztlichen Unterlagen gelangte Dr. Dipl. Chem. Q in dem Gutachten nach Aktenlage vom 11.06.1999 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nrn. 5101, 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) bei der Klägerin nicht vorlägen. Bei dem von den behandelnden Ärzten der Klägerin diagnostizierten MCS-Syndrom, d.h. einer Chemikalienunverträglichkeit, handele es sich nach arbeitsmedizinischer Auffassung um ein anlagebedingtes Leiden, welches nicht als Berufskrankheit nach einer Ziffer der Anlage zur BKV oder nach § 9 Abs. 2 SGB VII zu werten sei. Mit Bescheid vom 21.12.1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen wegen einer Berufskrankheit ab. Die Haut- bzw. Atemwegsbeschwerden der Klägerin stellten keine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 i.V.m. Nr. 5101, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV dar. Die Überempfindlichkeit der Reaktionen könnten auch nicht wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anerkannt werden (§ 9 Abs. 2 SGB VII). Es seien keine Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorhanden, wonach die Tätigkeit als medizinisch-technische Assistentin bzw. die Einwirkung von Arbeitsstoffen/Arbeitsbedingungen geeignet seien, eine Chemikalienunverträglichkeit (MCS-Syndrom) zu verursachen. Nach bisheriger arbeitsmedizinischer Auffassung handele es sich beim MCS-Syndrom um ein schicksalmäßiges Leiden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte am 21.06.2000 als unbegründet zurück.

Mit der am 18.07.2000 vor dem SG Gelsenkirchen erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach Nrn. 5101, 4301, 4302, 1317 der Anlage zur BKV oder nach § 9 Abs. 2 SGB VII begehrt.

Auf Antrag der Klägerin hat das SG ein dermatologisches Gutachten von dem leitenden Arzt der Fachklinik I in N, Prof. Dr. I, nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. Im Gutachten vom 20.03.2001 hat Prof. Dr. I bei der Klägerin eine atopische Diathese sowie eine Typ IV-Spättyp-Allergie auf Duftstoffmix, Glutaraldehyd und 1,3 Diphenylguanidin diagnostiziert. Eine klinisch relevante Hautkrankheit sei bei der Klägerin nicht dokumentiert.

Anschließend hat das SG nach § 109 SGG den leitenden Arzt des Fachkrankenhauses O in C, Dr. T1, mit der Erstellung eines umweltmedizinischen Gutachtens beauftragt. Dieser ist in dem Gutachten vom 03.07.2002 zu dem Ergebnis gelangt, dass die berufliche Chemikalienexposition wahrscheinlich die wesentliche Ursache für die Entwicklung der Multiple Chemical Sensitivity (MCS) bei der Klägerin sei. Ebenfalls sei die Polyneurapathie bei der Klägerin wahrscheinlich durch berufliche Chemikalienexposition erworben worden, so dass die Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV gegeben seien. Wegen des Fehlens von kontaktallergischen Reaktionen erfülle die Typ IV-Sensibilisierung nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV.

Auf Anfrage des SG hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in der Auskunft vom 26.03.2003 mitgeteilt, dass dem Verordnungsgeber derzeit keine neuen Erkenntnisse bezüglich eines Zusammenhanges zwischen dem Krankheitsbild der MCS und Berufsstoffen vorlägen.

Durch Urteil vom 07.07.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV seien nicht gegeben. Soweit bei der Klägerin das Auftreten von Hautveränderungen nachweisbar sei, handele es sich nach den Feststellungen der von der Beklagten und dem Gericht gehörten Ärzte um die Folgen einer angeborenen Empfindlichkeit der Haut im Sinne einer atopischen Diathese. Eine Berufskrankheit nach Nrn. 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV läge nicht vor, da bei der Klägerin eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht festgestellt worden sei. Ebenfalls sei eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV nicht zu entschädigen. Auch stehe der Klägerin kein Anspruch auf Entschädigung einer beruflichen bedingten MCS wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII zu. Dahinstehen könne, ob es sich bei der MCS um ein Krankheitsbild handele, das durch berufliche Einwirkungen verursacht werden könne. Jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII nicht erfüllt. Danach hätten die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Berufskrankheitenverordnung bezeichnet sei oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit zu entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII vorlägen. Zu diesen Voraussetzungen gehörten der ursächliche Zusammenhang und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höheren Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, die nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) müsse mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen eine generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit verursachen. Solche Erkenntnisse lägen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Erkenntnisse verfügten, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt seien. Es müsse sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich sei, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sei. Andererseits reichten vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger nicht aus (BSG, Urteil vom 21.01.1997, 2 RU 2/96; Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R). Das Tatbestandmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T1 sei eine gruppentypische Risikoerhöhung für bestimmte Berufsgruppen, wie z.B. für medizinisch-technische Assistentinnen, nicht zu entnehmen. Des weiteren sei das Gutachten des Sachverständigen Dr. T1 durch Zeitablauf überholt, da die BKV zum 01.10.2002 neu gefasst worden sei, ohne dass der Verordnungsgeber die MSC in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen habe. Damit seien alle zeitlich davor liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr neu im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R).

Gegen das am 10.07.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.07.2003 Berufung beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen eingelegt.

Sie verfolgt ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.07.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.12.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2000 zu verurteilen, ihr eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsunfähigkeit um 40 v.H. wegen einer Berufskrankheit nach Nrn. 5101, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV oder nach § 9 Abs. 2 SGB VII nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Akte S 14 RA 37/00 des SG Gelsenkirchen, die Akten der Beklagten sowie Akten der BfA beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen der Folgen einer Berufskrankheit nach Nrn. 5101, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV sind nicht gegeben. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil, die er sich nach Prüfung zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Auch aus den im Berufungsverfahren beigezogenen Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass bei der Klägerin eine Gesundheitsstörung besteht, deren Nachweis nach den Vorgaben der BKV für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nrn. 5101, 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV erforderlich ist. In den von der BfA und dem SG Gelsenkirchen im Verfahren S 14 RA 37/00 eingeholten Gutachten auf allergologischen und dermatologischen Fachgebiet, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, wird weder das Auftreten einer schweren oder wiederholt rückfälligen Hautkrankheit noch eine obstruktive Atemwegserkrankung beschrieben. Solche Krankheitsbilder ergeben sich auch nicht aus den von der BfA und dem SG Gelsenkirchen beigezogenen Unterlagen der behandelnden Ärzte der Klägerin. Des weiteren hat das SG zutreffend die Anerkennung einer MSC als Berufskrankheit oder wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII verneint. Bei der MCS handelt es sich weder um ein Krankheitsbild, dass in die Liste der BKV aufgenommen worden ist, noch sind die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII gegeben. Das Tatbestandsmerkmal der gruppenspezifischen Risikoerhöhung ist nicht erfüllt, da weder gesicherte Erkenntnisse zur Pathogenese und Pathophysiologie der MCS vorliegen noch die generelle Geeignetheit bestimmter Einwirkungen, MSC zu verursachen, belegt ist, wie das SG zutreffend dargelegt hat. Dies ergibt sich schon aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T1 und wird weiter belegt durch die Darlegungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 249, zur MCS, die im Berufungsverfahren den Beteiligten zur Kenntnis gebracht worden sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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