L 1 B 6/05 AL

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AL 307/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 6/05 AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2005 geändert. Die Beklagte trägt die dem Kläger im Klageverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I. Der Kläger hat sich dagegen gewandt, dass die Beklagte Rechte aus einem angeblichen Bescheid vom 23.06.2004 herleitet, insbesondere die Zwangsvollstreckung gegen ihn betreibt.

Durch Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamtes E - Dienststelle F - vom 31.08.2004 erfuhr der Kläger am 01.09.2004, dass die Beklagte gegen ihn die Zwangsvollstreckung aus einem Bescheid vom 23.06.2004 über die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung gezahlter Arbeitslosenhilfe in Höhe von 3.230,61 EUR eingeleitet hatte. Tatsächlich war ihm ein solcher Bescheid nicht bekannt gegeben worden. Mit Schreiben vom 06.09.2004 erhob der Kläger gegen den Bescheid vom 23.06.2004 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2004 als unzulässig zurückwies, weil der angegriffene Bescheid "bislang nicht zugestellt" worden sei. Mit Fax vom 13.09.2004 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte daraufhin "um kurze Bestätigung, dass die Zwangsvollstreckung eingestellt worden" sei. Mit Schreiben vom 16.09.2004 übersandte die Beklagte dem Kläger unmittelbar eine Ablichtung des Bescheides vom 23.06.2004 mit dem Zusatz "beiliegend erhalten Sie eine Kopie meines Bescheides vom 23.06.04". Unter dem 29.09.2004 erhob der Kläger daraufhin erneut Widerspruch mit dem Hinweis, er werte das Schreiben vom 16.09.2004 als Weiterverfolgung der Vollstreckungssache. Obwohl die formlose Zusendung der Kopie eines Bescheidentwurfs nicht dessen formgerechte Bekanntgabe bedeute, sei vorsichtshalber Widerspruch geboten.

Am 13.10.2004 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid vom 23.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2004 aufzuheben. Zur Begründung hat er ausgeführt, auf das anwaltliche Schreiben vom 16.09.2004 sei keine Reaktion erfolgt, sodass nunmehr aus Gründen anwaltlicher Vorsicht Klage erhoben werde. Mit Bescheid vom 12.10.2004 - dem Kläger nach Klageerhebung zugegangen - hat die Beklagte den Bescheid vom 23.06.2004 aufgehoben. Daraufhin hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten seine gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat der Beklagten die Hälfte der dem Kläger entstandene notwendigen außergerichtlichen Kosten auferlegt (Beschluss vom 21.01.2005). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage habe zum Zeitpunkt ihrer Erledigung keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Zwar erscheine es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit nicht ausgeschlossen und gegebenenfalls sogar erforderlich, sich gegen einen nicht bekannt gegeben und damit nicht wirksamen Verwaltungsakt zu wenden. Jedenfalls durch den Widerspruchsbescheid vom 10.09.2004 sei der Kläger aber davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die Beklagte von der Nichtexistenz des Bescheides vom 23.06.2004 mangels Bekanntgabe ausgegangen sei. Gleichwohl könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger auf die Klageerhebung verzichtet hätte, wenn die Beklagte die Anfrage seines Prozessbevollmächtigten vom 13.09.2004 beantwortet hätte, statt kommentarlos mit Schreiben vom 16.09.2004 eine Ablichtung des Bescheides vom 23.06.2004 an den Kläger zu übersenden. Mithin hätten beide Beteiligten gleichen Anteil an der eigentlichen überflüssigen Klage gehabt, sodass eine Kostenteilung angemessen erscheine.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der vorträgt, die Beklagte habe seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.06.2004 nicht als unzulässig zurückweisen, sondern ihm stattgeben müssen. Im Übrigen sei die Klage zur Vermeidung der von der Beklagten ja bereits eingeleiteten Zwangsvollstreckung aus Gründen der Vorsicht geboten gewesen.

Die Beklagte hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klageverfahren in vollem Umfang zu tragen.

Entgegen der Auffassung des SG ist der Senat der Überzeugung, dass die Klage zum Zeitpunkt der als Klagerücknahme im Sinne von § 102 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegenden Erledigungserklärung in vollem Umfang Erfolg gehabt hätte.

Das Begehren des Klägers war von vornherein hinreichend erkennbar in erster Linie darauf gerichtet zu verhindern, dass die Beklagte aus dem Bescheid vom 23.06.2004 Rechte gegen ihn herleitete. Hierzu hat er sich maßgeblich auf das Argument gestützt, dieser Bescheid sei ihm nicht bekannt gegeben worden. Die richtige Klageart zur Verfolgung dieses Begehrens ist die Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. SGG (BVerwG, Urteil v. 21.11.1986 - 8 C 127/84 - NVwZ 1987, 629 f.). Es bestehen keine Bedenken anzunehmen, dass der Kläger im Falle einer streitigen Entscheidung - gegebenenfalls auf entsprechendes Hinwirken des Vorsitzenden (§ 112 Abs. 2 Satz 2 SGG) - einen entsprechenden sachgerechten Klageantrag gestellt hätte.

Mit einem solchen Antrag wäre die Klage zulässig gewesen. Das erforderliche berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung (§ 55 Abs. 1 a.E. SGG) ergab sich bereits daraus, dass die Beklagte gegen den Kläger die Zwangsvollstreckung eingeleitet und von ihr trotz entsprechender Nachfrage des Klägerbevollmächtigten keinen Abstand genommen hatte. Im Gegenteil durfte der Kläger die Übersendung der Kopie des Bescheides vom 23.06.2004 mit Schreiben vom 16.09.2004 im Anschluss auf seine Nachfrage vom 13.09.2004 auch bei verständiger Würdigung dahingehend verstehen, die Beklagte wolle an der Zwangsvollstreckung festhalten und unter Umständen sogar das hierfür bestehende Hindernis der unterbliebenen Bekanntgabe des zu vollstreckenden Bescheides nunmehr beseitigen. Das gilt umso mehr deshalb, weil die Beklagte im Widerspruchsbescheid einschränkend ausgeführt hatte, der Bescheid sei "bislang" nicht zugestellt worden. Im Hinblick darauf greift die Beurteilung des SG nicht durch, der Widerspruchsbescheid habe hinreichend deutlich gemacht, dass die Beklagte selbst von der Nichtexistenz des Bescheides vom 23.06.2004 ausgehe.

Der Zulässigkeit der Feststellungsklage stand die Möglichkeit, einen etwaigen Bescheid vom 16.09.2004 mit dem Widerspruch und später der Klage anzufechten, nicht entgegen. Denn hiermit konnte der Kläger nicht verhindern, dass die Beklagte aus dem Bescheid vom 23.06.2004 - spätestens nach dessen Mitteilung im Wege der Ablichtung - Rechte, insbesondere auf Durchführung der Zwangsvollstreckung, herleitete.

Die Klage wäre auch begründet gewesen. Die Beklagte durfte aus dem Bescheid vom 23.06.2004 keine Rechte gegenüber dem Kläger herleiten, weil es sich bei diesem "Be-scheid" mangels ausreichender Bekanntgabe um einen sog. Nichtakt handelte. Nach § 37 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist. Eine solche Bekanntgabe ist gegenüber dem Kläger zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Beklagte vor Einleitung der Zwangsvollstreckung eine Bekanntgabe nicht bewirkt hat. Sie ist auch nicht durch das Hauptzollamt erfolgt, das sich in seiner Vollstreckungsankündigung lediglich auf den angeblichen Bescheid vom 23.06.2004 bezogen hat, ohne ihn jedoch dem Kläger zur Kenntnis zu bringen. Schließlich stellt die Übersendung der Kopie des Bescheides vom 23.06.2004 mit Schreiben vom 16.09.2004 keine Bekanntgabe dar. Es steht schon nicht eindeutig fest, dass die Beklagte mit diesem Schreiben eine Bekanntgabe des Bescheides bezweckt hat. Jedenfalls ist dies nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit geschehen. Vielmehr lässt sich das Schreiben vom 16.09.2004 sowohl als Versuch einer Bekanntgabe als auch im Sinne einer bloßen Information ohne (erneuten) Bekanntgabewillen verstehen.

Die Beklagte hat schließlich durch die geschilderten Umstände zur Klageerhebung auch Anlass gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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