S 9 AS 36/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AS 36/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Beigeladene wird – soweit der Antragsgegenstand nicht schon durch Beschluss des Sozialgerichts Aachen S 00 SO 00/00 ER vom 19.05.2005 geregelt ist - im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 01.06.2005 bis zum Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Widerspruch gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 24.05.2005, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII. Buch, insbesondere auch Hilfe zum Lebensunterhalt, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen.
2. Der gegen die Antragsgegnerin gerichtete Eilantrag wird abgelehnt.
3. Der Beigeladene trägt die Kosten der Antragstellerin, im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose, sinngemäß hilfsweise nach dem SGB XII, über den 31.05.2005 hinaus.

Die 46-jährige Antragstellerin bezog bis zum 31.12.2004 Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Der Antragstellerin waren seinerzeit mit Bescheid vom 21.10.2004 vom Beigeladenen auch die Kosten für eine Haushaltshilfe im Umfang von 4 Stunden und 30 Minuten wöchentlich gewährt worden. Diese Leistungen benötigte die Antragstellerin aus krankheitsbedingten Gründen. Sie hatte im Mai 2004 einen Herzinfarkt erlitten, der in der Folge zu zahlreichen Komplikationen geführt hatte.

Seit dem 01.01.2005 steht die Antragstellerin im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II. Der Bewilligungszeitraum endet am 31.05.2005 (Bescheid vom 26.11.2004).

Anfang März 2005 beantragte die Antragstellerin beim Beigeladenen die Übernahme der Kosten für eine Haushaltshilfe. Dieser lehnte die Annahme des Antrages unter Hinweis auf seine fehlende Zuständigkeit ab dem 01.01.2005 ab. In einem deswegen vor der 19. Kammer des erkennenden Gerichts anhängig gewesenen Eilverfahren hatte der Beigeladene zunächst vorgetragen, dass die Antragstellerin zwar grundsätzlich einer Hilfestellung bei Haushaltstätigkeiten bedürfe. Entsprechende Leistungen könnten ihr jedoch nicht gewährt werden, da sie erwerbsfähig sei und somit gemäß § 21 SGB XII, 5 SGB II ausschließlich die Antragsgegnerin für die Leistungserbringung zuständig sei.

Am 08.04.2005 ist die Antragstellerin amtsärztlich zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit untersucht worden. Dabei ist festgestellt worden, dass bei der Antragstellerin Erwerbsunfähigkeit vorliegt bis voraussichtlich wenigstens April 2006. Die Antragstellerin hat nach Aufforderung durch die Antragsgegnerin daraufhin einen Rentenantrag gestellt.

Der Beigeladene lehnte auch nach der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit eine Leistungserbringung ab. Die 19. Kammer dieses Gerichts hat den Beigeladenen hingegen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten der Haushaltshilfe vorläufig zu tragen (Beschluss vom 19.5.05, S 19 SO 30/05 ER). Aus dem Wortlaut und dem Regelungszweck von § 44 a SGB II ergebe sich, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall nicht zu einem Leistungsausschluss führen könne. § 44 a SGB II regele die Feststellung der vorläufigen Zuständigkeit des Leistungsträgers für den Fall, dass zwischen den verschiedenen Leistungsträgern keine Einigkeit über die Frage der Erwerbsfähigkeit besteht. Vorliegend werde jedoch auch von der Beigeladenen gerade nicht bestritten, dass die Antragstellerin derzeit erwerbsunfähig sei. Auch aus den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit Nr. 2 Abs. 1 zu § 44 a S. 3 SGB II gehe hervor, dass diese nur den Fall beträfen, dass zwischen den Leistungsträgern keine Einigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestehe.

Grundsicherung für Arbeitslose erhält die Antragstellerin nur noch bis zum heutigen Tage. Für die Zeit ab 1.6.05 hat die Antragsgegnerin ihre Leistungspflicht verneint, weil die Antragstellerin nicht erwerbsfähig sei (Bescheid vom 17.05.2005). Auch der Beigeladene verneinte der Antragstellerin gegenüber seine Leistungspflicht nach dem SGB XII allgemein, also auch hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt ab 01.06.2005 (Bescheid vom 24.05.2005). Er hält sich weiterhin für unzuständig und beruft sich weiterhin auf die Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 44a SGB II. Diese sähen vor, dass trotz Feststellung der Erwerbsunfähigkeit bei einem Empfänger von Leistungen nach dem SGB II die Leistungszahlung der Bundesagentur nicht einzustellen sei, wenn ein Hilfebedürftiger zur Rentenantragstellung aufgefordert worden sei.

Die Antragstellerin legte gegen beide Bescheide am 24.05.2005 Widerspruch ein und hat zugleich – bei sachgerechter Auslegung ihrer Anträge – beantragt,

1die Antragstellerin zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II über den 31.05.2005 hinaus zu zahlen, 2hilfsweise, die Beigeladene zu verpflichten,ihr ab 01.06.2005 Leistungen nach dem SGB XII zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Ablehnung des Hauptantrages die Leistungspflicht des Beigeladenen festzustellen.

Der Leistungsanspruch sei mit Ablauf des Bewilligungszeitraums erloschen, da die Voraussetzungen der §§ 7, 8 SGB II nicht mehr gegeben seien. § 44a SGB II sei nicht einschlägig, weil Zweifel an der Erwerbsunfähigkeit der Antragstellerin auch vom Beigeladenen nicht geäußert würden.

Der Beigeladene beantragt sinngemäß,

den Hauptantrag stattzugeben und den Hilfsantrag abzulehnen.

Der Beigeladene hält einen Anspruch der Antragstellerin dem Grunde nach offenbar für gegeben. Er hält sich jedoch unter Bezugnahme auf § 21 SGB XII, § 5 SGB II in Verbindung mit Ziff. 2.1. der Durchführungshinweise (DH) der Bundesagentur für Arbeit zu § 44 a SGB II für unzuständig. Diese DH seien auch für die Antragsgegnerin verbindlich. Er meint, dass die Antragsgegnerin bis zur endgültigen Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über den Rentenantrag der Antragstellerin für sämtliche Leistungen der Antragstellerin zuständig sei, selbst – so der Vortrag des Beigeladenen im Parallelverfahren S 19 SO 30/05 ER - wenn dies dazu führe, dass die Antragstellerin bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers beispielsweise keine Leistungen für eine Haushaltshilfe erhalten könne, weil das SGB II anders als das SGB XII entsprechende Leistungen nicht vorsehe. Die Voraussetzungen der Ziff. 2.1. DH – Erwerbsunfähigkeit und Aufforderung zur Rentenantragstellung – seien vorliegend unstreitig erfüllt, die Einigungsstelle nach § 45 SGB II – entgegen der Darstellung im Bescheid vom 24.05.2005 – nicht angerufen worden. Die Ziff. 2.1. DH sei offenbar von der Intention getragen, die Leistungsverpflichtung bis zur Klärung der Zuständigkeit beim ursprünglichen Träger zu belassen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet, soweit er sich gegen die Antragsgegnerin richtet. Jedoch ist die Beigeladene vorläufig zur Leistung verpflichtet.

Das Gericht kann den Beigeladenen analog § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verpflichten. Hiernach kann im Hauptsacheverfahren ein beigeladener Versicherungsträger oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein beigeladenes Land verurteilt werden. Die Vorschrift ist analog auch auf die Träger der Sozialhilfe anwendbar, da die Sozialgerichte seit dem 01.01.2005 auch für sozialhilferechtliche Streitigkeiten zuständig sind (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004, B 7 AL 16/04 R, Die Leistungen, Beilage 2005, S. 43, 49). Nach Ausweitung der Zuständigkeit der Sozialgerichte auch für Streitigkeiten in Sozialhilfesachen (§ 51 Abs. 1 Nr. 6 a SGG) ist in § 75 Abs. 5 SGG eine planwidrige Regelungslücke entstanden. Sie zeigt sich im vorliegenden Fall daran, dass das Sozialgericht den Beigeladenen in einem gegen ihn als Antragsgegner gerichteten Verfahren verpflichten könnte und kein Grund ersichtlich ist, wieso dies nicht auch wie bei anderen Leistungsträgern nach Beiladung möglich sein soll.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich eine besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Außerdem darf eine Entscheidung des Gerichtes in der Hauptsache nicht endgültig vorweggenommen werden (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 86 b Rdnr. 31 und 40 m.w.N.).

Die Antragstellerin hat gegenüber dem Beigeladenen einen Anspruch auf die beantragten Leistungen und wird im Hauptsacheverfahren diesem gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach obsiegen, weil der ablehnende Bescheid des Beigeladenen vom 24.05.2005 offensichtlich rechtswidrig ist. Hingegen ist der Bescheid der Antragsgegnerin offensichtlich rechtmäßig, so dass insoweit der Antrag keinen Erfolg haben kann.

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur Personen, die erwerbsfähig sind bzw. Personen, die mit erwerbsbedürftigen Hilfsbedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II. Die Antragstellerin ist jedoch noch für mehr als sechs Monate erwerbsunfähig, wie sich aus dem amtsärztlichen Kurzgutachten vom 11.04.2005 ergibt. Dies räumt auch der Beigeladene ein, wobei hinzukommt, dass nach Kenntnis der Kammer zwischen Beigeladenem und Antragsgegnerin Einvernehmen darüber besteht, dass jedenfalls bis zur Einrichtung der bisher noch nicht gebildeten Einigungsstelle nach § 45 SGB II die amtsärztliche Auffassung als für beide Seiten verbindlich akzeptiert wird. Die Antragstellerin lebt auch nicht mit einem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft.

Die Antragstellerin hat vielmehr einen Anspruch gegen den Beigeladenen auf Leistungen nach dem SGB XII, da zumindest die Voraussetzungen des § 19 Abs 1 S 1 SGB XII (unstreitig) gegeben sind, weil die Antragstellerin nicht in der Lage ist, ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu leisten und sie auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen ist.

Der Anspruch wird auch nicht durch § 21 SGB XII, 5 SGB II ausgeschlossen, da anders als diese Vorschrift voraussetzt ab dem 01.06.2005 kein Anspruch mehr auf Leistungen nach dem SGB II besteht.

§ 44a SGB II, auf den sich der Beigeladene aber wohl auch gar nicht berufen will, führt nicht zum Fortbestand der Leistungspflicht der Antragsgegnerin nach dem SGB II. Nach dieser Vorschrift entscheidet die Agentur für Arbeit, nach § 44b Abs 3 SGB II hier also die Antragsgegnerin, ob der Arbeitsuchende erwerbsfähig ist und ist die Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der Einigungsstelle vorgesehen, wenn der kommunale Träger insoweit anderer Auffassung ist. Hier besteht aber Einigkeit zwischen beiden Trägern, dass die Antragstellerin nicht erwerbsfähig ist, so dass ein Fall des § 44a SGB II nicht vorliegt.

Ein Anspruchsausschluss ergibt sich entgegen der Auffassung des Beigeladenen aber auch nicht aus § 21 SGB XII, 5 Abs. 2 SGB II in Verbindung mit § 44 a SGB II und den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit zu § 44 a S. 3 SGB II.

Die DH (deren Autor der Beigeladene aufschlussreich als "Hinweisgeber" bezeichnet) sind nicht geeignet, die gesetzliche Zuständigkeit des Beigeladenen aufzuheben. Entgegen seiner Auffassung haben sie keinen die Judikative bindenden Normcharakter, sondern sind interne Weisungen, die lediglich bei Ermessensleistungen zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen könnten. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Erwerbsunfähigkeit ist aber gerichtlich voll überprüfbar und nicht von der Verwaltung im Ermessens- oder Beurteilungswege auszufüllen. Unabhängig davon, ob Ziff. 2.1. DH den vorliegenden Fall überhaupt trifft (a.A. zutreffend die 19.K. im Beschluss vom 19.5.2005, S 19 SO 30/05 ER) können Durchführungshinweise der BA eine gesetzlich geregelte Zuständigkeitsnorm deshalb nicht abändern oder aufheben; dies um so weniger, als jedenfalls nach der im Parallelverfahren geäußerten Rechtsauffassung des Beigeladenen hiermit eine Leistungsverschlechterung verbunden sein soll, die im konkreten Fall zunächst zur Versagung des Anspruchs auf die offensichtlich benötigte Haushaltshilfe geführt hat. Eine Ermächtigungsgrundlage für einen derart belastenden Eingriff in Ansprüche der Hilfebedürftigen ist nicht ersichtlich. Die in Ziff. 2.1. DH gezogene Analogie zu § 44a SGB II kommt mangels erkennbarer Regelungslücke hierfür nicht in Betracht.

Der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes – der sich aber auch aus der unstreitigen Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin und dem Auslaufen ihrer Leistungen zum heutigen Tage ergibt – bedarf es im Hinblick auf die offensichtliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung des Beigeladenen nicht.

Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor, weil alle Beteiligten einig sind, dass die Antragstellerin entweder Ansprüche nach dem SGB II oder SGB XII, jeweils in Verbindung mit dem SGB VI hat und weil evtl. Überzahlungen durch Erstattungsansprüche unter den Trägern ausgeglichen werden können. Aus diesem Grunde konnte auch darauf verzichtet werden, den Anspruch der Höhe nach auf einen Anteil der gesetzlichen Leistung zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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