L 11 (16) KR 46/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 16 (4) RA 88/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 (16) KR 46/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19.11.2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten über die Beitragspflicht von Prämien für die Werbung neuer Abonnenten an Zeitungsausträger.

Die Beigeladene zu 1) war von 1989 bis 2001 als Zeitungsausträgerin für die Klägerin in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig. Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahre 1999 bei der Klägerin stellte die Beklagte auf dem Entgeltkonto der Beigeladenen zu 1) die Zahlung eines Betrages von 600,00 DM für Werbeprämien fest, für den keine Beiträge entrichtet worden waren. Dies entsprach der Übung der Klägerin, nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 22.11.1996 - VI R 59/96 - BFHE 181, 488 entschieden hatte, dass Prämien für die Werbung neuer Abonnenten an Zeitungsausträger kein Arbeitslohn im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) seien.

Mit Bescheid vom 15.09.1999 und Widerspruchsbescheid vom 29.06.2000 machte die Beklagte eine Beitragsforderung in Höhe von 255,00 DM gegenüber der Klägerin geltend. Sie vertrat die Auffassung, die der Beigeladenen zu 1) gewährten Prämien für die Werbung neuer Abonnenten seien als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt anzusehen, so dass die Klägerin hierfür Beiträge zu den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung zu entrichten haben.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, die Werbung neuer Abonnenten sei eine Nebentätigkeit zur Tätigkeit einer Zeitungsausträgerin, die steuerlich als selbständige Tätigkeit anzusehen sei. Das entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 15.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2000 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die der Beigeladenen zu 1) gezahlten Prämien seien beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Die vom Bundesfinanzhof vorgenommene Trennung zwischen Hauptbeschäftigung und Nebenbeschäftigung könne bei der Beurteilung der Versicherungspflicht nicht vorgenommen werden.

Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu 1) zu den Umständen der Tätigkeit im Rahmen der Werbung neuer Abonnenten gehört und sodann mit Urteil vom 19.11.2001 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach § 28p Abs. 1 S. 1 des 4. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist die Beklagte befugt, bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Meldepflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Im Rahmen dieser Prüfung erlassen die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV). Aus der Bestimmung des 28p SGB IV ergibt sich die generelle Befugnis der Beklagten, Beitragsnachforderungen gegenüber der Klägerin als Arbeitgeberin, die nach § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen hat, geltend zu machen.

Die Klägerin ist verpflichtet, für die der Beigeladenen zu 1) gezahlten Werbeprämien Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Die Beigeladene zu 1) stand unstreitig in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin. Daher sind für das von der Beigeladenen zu 1) erzielte Arbeitsentgelt Beiträge zu entrichten. Dies ergibt sich für die Rentenversicherung aus § 162 Nr. 1 des 6. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI), für die Krankenversicherung aus § 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des 5. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V), für die Pflegeversicherung aus § 57 Abs. 1 des 11. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) und für die Arbeitslosenversicheurng aus § 342 des 3. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III). Sämtliche Vorschriften stellen für die Beitragsentrichtung auf die Erziehung von Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV ab. Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition sind Arbeitsentgelte alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in § 3 Nr. 26 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) genannten steuerfreien Einnahmen gelten nicht als Arbeitsentgelt (§ 14 Abs. 1 S. 2 SGB IV).

§ 14 SGB IV definiert in Abs. 1 einheitlich für alle Versicherungszweige der Sozialversicherung den Begriff des Arbeitsentgelts. Dabei ist die bis zum Inkrafttreten des SGB IV am 01.01.1977 bestehende prinzipielle Bindung des Sozialversicherungsrechts an das Steuerrecht aufgegeben worden, weil Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht unterschiedliche Funktionen haben (Seewald in Kasseler Kommentar, 34. Ergänzungslieferung, § 14 SGB IV Anm. 2). Demgemäß hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteile vom 03.02.1994, Aktenzeichen: 12 RK 18/93, SozR 3-2400 § 14 SGB IV Nr. 8 und vom 26.03.1998, Aktenzeichen: B 12 KR 17/97 R, SozR 3-2400 § 14 SGB IV Nr. 15) Einnahmen als im Zusammenhang mit einer Beschäftigung erzielt und damit als Arbeitsentgelt angesehen, die den Versicherten aus einer selbständigen Tätigkeit im Rahmen eines sogenannten einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses zufließen. Ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis wird dann angenommen, wenn eine selbständige Tätigkeit mit einer abhängigen Beschäftigung in dem Sinne verbunden ist, dass sie nur aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann und insgesamt wie ein Teil der abhängigen Beschäftigung erscheint (BSG, a.a.O.).

Nach Auffassung der Kammer hat die Beigeladene zu 1) die Prämien für die Werbung neuer Abonennenten im Zusammenhang mit ihrer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Zeitungsausträgerin erzielt. Auch wenn es sich steuerrechtlich bei der Werbung neuer Abonnenenten um eine selbständige Tätigkeit handelt, so ist diese selbständige Tätigkeit sozialversicherungsrechtlich jedoch im Rahmen eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden. Für die Annahme eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses ist es nicht erforderlich, dass die selbständige Tätigkeit weitgehend in dem Sinne mit der abhängigen Beschäftigung verbunden ist, dass sie in diese zeitlich, örtlich, organisatorisch oder inhaltlich eingebunden ist. Es reicht vielmehr aus, dass die selbständige Tätigkeit aufgrund der im Rahmen der abhängigen Beschäftigung gewonnen Kenntnisse ausgeübt wird und der Arbeitgeber hieraus Nutzen zieht (BSG, Urteil v. 26.03.1998, Aktenzeichen: B 12 KR 17/97 R, SozR 3-2400 § 14 SGB IV Nr. 15).

Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Beigeladene zu 1) konnte die Werbung neuer Abonnenten nur aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Klägerin vornehmen, da durch diese Tätigkeit der Kontakt zur Klägerin als Zeitungsverlag hergestellt wurde. Die Klägerin hat durch die Erhöhung der Abonnentenzahl auch Nutzen durch die selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beigeladene zu 1) aufgrund des Arbeitsvertrags mit der Klägerin nicht verpflichtet war, für die Klägerin neue Abonnenten zu werben bzw. die entsprechenden Wünsche an die Klägerin weiterzuleiten.

Die Annahme der Sozialversicherungspflicht der Prämien für die Werbung neuer Abonnenten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) die vom BFH (Urteil v. 22.11.1996), Aktenzeichen: 6 R 59/96, BFHE 181, 488) aufgestellten Voraussetzungen erfüllt. Die steuerliche Beurteilung als Arbeitslohn oder als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 Abs. 1 SGB IV) ist für die Beurteilung der Arbeitsentgelteigenschaft dieser Zahlungen im Sozialversicherungsrecht nicht maßgebend oder vorgreiflich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie tritt der Auffassung des Sozialgerichts entgegen. Sowohl im Sozialversicherungsrecht wie im Steuerrecht sei für die Beitragspflicht darauf abzustellen, ob ein Entgelt im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung gezahlt worden sei. Die von der Beigeladenen zu 1) bezogenen Werbeprämien seien kein Arbeitslohn, sondern Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Um eine solche habe es sich bei der Gewinnung neuer Abonnenten durch die Beigeladene zu 1) gehandelt. Kein einziges Merkmal einer abhängigen Beschäftigung habe vorgelegen. Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts, auf die sich das Sozialgericht beziehe, unterschieden sich im Tatbestand vom vorliegenden Fall gravierend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19.11.2001 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 15.09.1999 und 29.06.2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Weitere Einzelheiten, auf des Vorbringens der Beteiligten, ergeben sich aus den Prozessakten und den Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Bezug genommen wird. Weiterhin waren beigezogen die Prozessakten S 11 RJ 1030/01 Sozialgericht Gotha und S 9 RA 105/00 Sozialgericht Münster.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19.11.2001 ist statthaft und zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert, denn diese sind rechtmäßig. Die Klägerin ist verpflichtet, für die der Beigeladenen zu 1) im Juni 1998 gezahlten Werbeprämien Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Auch hierbei handelt es sich um Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB VI. Das hat das Sozialgericht im Einzelnen mit ausführlicher und zutreffender Begründung entschieden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung seiner Entscheidung nimmt der Senat auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug, weil er die Berufung aus diesen Gründen zurückweist, § 153 Abs. 2 SGG. Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt zu keinem anderen Ergebnis. In der mündlichen Verhandlung ist ausführtlich erörtert worden, dass der vorliegende Sachverhalt gerade mit dem der Entscheidung des BSG vom 15.02.1989 - 12 RK 34/87 - SozR 2200 § 165 Nr. 95 zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar ist. Auch die Beigeladene zu 1) hat nach den Feststellungen des Sozialgerichts, denen sich der Senat anschließt, keine für eine selbständige Tätigkeit kennzeichnende Werbeinitiative erkennen lassen, sondern lediglich Wünsche von Interessenten an ihre Arbeitgeberin weitergeleitet. Damit stellt diese werbende Tätigkeit - wenn es sich überhaupt um eine auf Erzielung von Entgelt gerichtete Tätigkeit handeln sollte - jedenfalls keinen von ihrer Beschäftigung als Zeitungszustellerin abtrennbaren und einer eigenen rechtlichen Beurteilung fähigen Teil der Gesamttätigkeit dar. Desweiteren kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin - wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen - möglicherweise ständig ihrer Zeitungsausträger zur Werbung neuer Abonnenten aufgerufen oder dazu bestimmte Aktionen durchgeführt hat. Jedenfalls hat sich nicht ergeben, dass die Beigeladene zu 1) im Rahmen solcher Aktionen oder infolge solcher Aufrufe überhaupt tätig geworden ist. Ebensowenig lässt sich erkennen, dass die Beigeladene zu 1) Verkaufstalent entwickelt oder Überzeugungsvermögen eingesetzt habe, um in den Erhalt der Prämie zu gelangen. Gerade diese beiden Gesichtspunkte sind nach Auffassung des Senates aber für den Bundesfinanzhof ausschlaggebend gewesen, eine von einer abhängigen Beschäftigung abgrenzbare selbständige Tätigkeit für den Arbeitgeber im Sinne des Einkommenssteuerrechts annehmen zu können. Letztlich ist nach Auffassung des Senates der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem des ruhenden Verfahrens S 9 RA 105/00 SG Münster vergleichbar. Dort ist die Prämie an die Zeitungsausträger durch einen Dritten, nämlich von der Arbeitgeberin unabhängige juristische Person gezahlt worden. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat entscheidet aufgrund der Würdigung der Umstände des Einzelfalls in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Aufgrund der völlig anderen Fallgestaltung liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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