L 11 KA 42/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 184/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 42/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.03.2004 abgeändert. Unter Abweisung des Feststellungsantrages wird der Bescheid der Beklagten vom 18.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2002 aufgehoben und der Kläger vom Notfalldienst ausgeschlossen. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge je zur Hälfte. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Ausschluss, hilfsweise die Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst.

Der Kläger ist 61 Jahre als und seit 1980 als Facharzt für Pathologie in C zur vertragsärztlichen Versorgung in Gemeinschaftspraxis zugelassen.

Er beantragte im November 2001 seinen Ausschluss vom ärztlichen Notfalldienst, hilfsweise die Befreiung. Zur Begründung führte er aus, dass er als Facharzt für Pathologie völlig ungeeignet sei, den Notfalldienst qualifiziert durchzuführen. Er habe seit seiner Approbation im Jahre 1970 ununterbrochen in der Pathologie gearbeitet; im Jahre 1980 habe er sich niedergelassen, ein Institut für Pathologie in C aufgebaut und keine ärztliche Tätigkeit außerhalb der Pathologie ausgeübt. Das Arzt-Patientenverhältnis werde belastet, wenn ein Pathologe als Notfallarzt zu einem Schwerkranken komme. Im Übrigen führe die Gemeinschaftspraxis, der er angehöre, einen Notfalldienst für Schnellschnitte durch.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.2001 ab, da die Befreiungstatbestände im Sinne von § 2 der Gemeinsamen Notfalldienstordnung (NFDO) nicht vorlägen und Anhaltspunkte für eine Ungeeignetheit zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst nicht ersichtlich seien.

Mit seinem Widerspruch verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 24.07.2002 zurück. In Ergänzung ihrer Ausführungen im angefochtenen Bescheid vertrat sie die Auffassung, dass ein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Arzt sich auch am Notdienst beteiligen müsste; wenn er dies nicht möchte, so bleibe es ihm unbenommen, den Notfalldienst durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen. Dass der Kläger ausschließlich pathologisch in der Vergangenheit tätig gewesen sei, rechtfertige seinen Ausschluss bzw. seine Befreiung vom Notdienst nicht, da er verpflichtet sei, sich für die weitere Teilnahme am Notfalldienst fortzubilden.

Mit seiner Klage hat der Kläger zusätzlich zu seinem Vortrag im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass er keinesfalls die Verpflichtung eines niedergelassenen Vertragsarztes zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst verkenne, jedoch zu berücksichtigen sei, dass der im N Krankenhaus in C eingerichtete Notfalldienst eine nahezu normale ärztliche Tätigkeit außerhalb der üblichen Praxiszeiten ohne irgendeinen Notfallcharakter darstelle; es handele sich im Wesentlichen um einen Ersatz für eine hausärztliche Betreuung außerhalb der üblichen Praxiszeiten; als Pathologe sei er keinesfalls in der Lage, diesen "hausärztlichen Notdienst" zu leisten. Soweit die Beklagte auf die Verpflichtung zur Weiterbildung hinweise, betreffe diese Weiterbildungsverpflichtung nur den Notfalldienst im eigentlichen Sinne, keinesfalls jedoch den tatsächlich zu erbringenden "hausärztlichen Notdienst". Seine Heranziehung zum Notdienst sei auch deshalb nicht rechtmäßig, weil sie nicht von der Ermächtigungsnorm des § 30 Nr. 2 Heilberufsgesetz NW gedeckt sei, da die ganz überwiegende Mehrzahl der zu behandelnden Fälle keine echte Notfälle seien, sondern es sich dabei um "verpasste Arzttermine" handele, die in den Abendstunden bzw. am Wochenende nachgeholt würden. Vor diesem Hintergrund sei die Notfalldienstordnung rechtsunwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 18.12.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn gemäß § 4 Abs. 1 NFDO vom ärztlichen Notfalldienst auszuschließen, hilfsweise ihn gemäß § 2 Abs. 1 NFDO vom ärztlichen Notfalldienst zu befreien.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf die Ausführungen in den anfochtenen Bescheiden verwiesen.

Mit Urteil vom 17.03.2004 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der allgemeinen Teilnahmeverpflichtung eines Arztes werde durch einen etwaigen "Missbrauch" des Notdienstes durch bestimmte Patienten nicht die rechtliche Grundlage entzogen; Befreiungs- und/oder Ausschließungsgründe lägen nicht vor. Wenn der Kläger meine, den Anforderungen des Notfalldienstes nicht gewachsen zu sein, könne er sich von einem anderen Arzt vertreten lassen; im Übrigen sei er verpflichtet, sich für den Notfalldienst fortzubilden; Befreiungstatbestände lägen bereits deshalb nicht vor, weil der Kläger nach wie vor im vollen Umfange an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehme.

Mit der Berufung tritt der Kläger dieser Entscheidung entgegen. Er wiederholt im Wesentlichen seinen bisherigen Vortrag und führt ergänzend aus, das Verwaltungsverfahren verstoße auch gegen § 4 Abs. 2 NFDO, da über den Ausschluss nicht wie vorgeschrieben der Vorstand der Beklagten, sondern der Kreisstellenvorstand der Kreisstelle C entschieden habe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger weiter vorgetragen, dass er nicht verpflichtet sei, am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst der Beklagten teilzunehmen, da sich aus der gesetzlichen Systematik, insbesondere der Trennung hinsichtlich hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung ergebe, dass ein an der fachärztlichen Versorgung teilnehmender Vertragsarzt nicht verpflichtet werden könne, am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst teilzunehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.03.2004 abzuändern, die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2001 und 24.07.2002 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst der Beklagten teilzunehmen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger gemäß § 4 Abs. 1 der Notfalldienstordnung vom ärztlichen Notfalldienst auszuschließen, hilfsweise, ihn gemäß § 2 Abs. 1 der Notfalldienstordnung vom ärztlichen Notfalldienst zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung hinsichtlich des jetzt gestellten Feststellungsantrages als unzulässig zu verwerfen, im Übrigen die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält in der Sache das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und die Erweiterung des Klagebegehrens durch den im Verhandlungstermin gestellten Feststellungsantrag für unzulässig.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist hinsichtlich seines Begehrens auf Ausschluss vom ärztlichen Notfalldienst begründet, jedoch ist sein Feststellungsbegehren unbegründet.

Der Kläger ist gemäß § 4 NFDO vom Notfalldienst auszuschließen, da er zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst ungeeignet ist.

Ungeeignet nach § 4 Abs. 2 NFDO ist insbesondere, wer fachlich und/oder persönlich nicht die Gewähr für eine ordnungsgemäße und qualifizierte Durchführung des ärztlichen Notfalldienstes bietet oder wenn sonstige Gründe vorliegen, die den Arzt als Vertragsarzt ungeeignet erscheinen lassen. Der Kläger ist deshalb als ungeeignet einzustufen, weil er gemäß § 4 Abs. 2 NFDO fachlich nicht die Gewähr für eine ordnungsgemäße und qualifizierte Durchführung des ärztliches Notfalldienstes bietet. Denn der Kläger ist - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - seit dem 01.10.1970, also ca. 34 ½ Jahren, allein pathologisch tätig. Aufgrund dieser langjährigen Tätigkeit allein im Fachgebiet "Pathologie" und ohne jeglichen Patientenkontakt fehlt dem Kläger die fachliche Eignung, die im Rahmen eines "normalen" Notdienstes erforderlichen typischen Notfallmaßnahmen und/oder Sofortmaßnahmen im Sinne einer vorläufigen Versorgung (BSGE 33, 165) bis zum Einsetzen einer normalen Versorgung erbringen zu können. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger über 34 Jahre ohne Patientenkontakt ausschließlich pathologisch gearbeitet hat und seiner Weiterbildungsverpflichtung gemäß § 30 Nr. 2 Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 3 NFDO nicht nachgekommen ist. Der Senat gelangt zu dieser Auffassung auch aufgrund der besonderen Sachkunde der ehrenamtlichen Richter, die als Vertragsärzte zugelassen sind und Notfalldienst verrichten.

Dabei geht der Senat davon aus, dass jeder zum Notdienst verpflichtete Arzt die Pflicht hat, sich aufgrund der o.g. Vorschriften für den Notfalldienst fortzubilden. Soweit ein Vertragsarzt dieser Verpflichtung nicht nachkommt, hat die Beklagte zur Aufrechterhaltung des Notfalldienstes durch geeignete Maßnahmen auf den Vertragsarzt einzuwirken, um ihn zur Einhaltung dieser grundlegenden Pflicht zu bewegen. Als geeignete Maßnahme in diesem Sinne kommen insbesondere Maßnahmen nach der Disziplinarordnung in Betracht. Im Einzelfall kann bei hartnäckiger Verweigerung der Fortbildung trotz entsprechender Disziplinarmaßnahmen in der Weigerung eines Vertragsarztes auch eine gröbliche Pflichtverletzung gesehen werden, die den Entzug der Zulassung rechtfertigen kann.

Der Senat stellt jedoch fest, dass der Kläger allein aufgrund seiner langjährigen ausschließlichen pathologischen Tätigkeit und seines Lebensalters jetzt nicht mehr in der Lage ist, binnen angemessener Zeit die Kenntnisse und Fertigkeiten wieder zu erlangen, die erforderlich sind, um den Notfallpatienten die notwendige Notfallversorgung zukommen zu lassen. Denn der nunmehr 61-jährige Kläger müsste nach Auffassung des Senates unter besonderer Berücksichtigung der Sachkunde der ehrenamtlichen Richter über mehrere Jahre die von der Ärztekammer Nordrhein bzw. Fortbildungsakademie der Nordrheinischen Ärzte angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen besuchen, um fachlich in die Lage versetzt zu werden, alle im "normalen" ärztliche Notdienst anfallenden Erkrankungen diagnostizieren und im Sinne einer "Sofortversorgung" behandeln zu können. Eine derartige Qualifikation würde er erst dann erreichen, wenn er einen Anspruch auf Befreiung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 NFDO wegen des Alters von 65 Jahren hätte oder sein Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund des Erreichens der Altersgrenze nahe wäre. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass der Kläger, der mit Kenntnis der Beklagten gerade wegen seiner ausschließlich pathologischen Tätigkeit über viele Jahre den Notfalldienst nicht persönlich, sondern durch einen Vertreter ausgeführt hat, von der Beklagten zu keiner Zeit angehalten worden ist, sich für den ärztlichen Notfalldienst fortzubilden. Im Gegenteil hat sie ihm über mehr als 20 Jahre die Abwicklung des Dienstes durch einen Vertreter abgenommen.

Die im Berufungsverfahren erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Der Senat hält die im Berufungsverfahren vorgenommene Änderung bzw. Erweiterung des Klagebegehrens für sachdienlich im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG, da über die Frage des Ausschlusses vom Notfalldienst (§ 4 NFDO) und/oder Befreiung vom Notfalldienst (§ 2 NFDO) nur entschieden werden kann, wenn im Sinne einer Vorfrage geklärt wird, ob der betroffene Arzt überhaupt zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst verpflichtet ist.

Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet, da der Kläger nicht nur zur Teilnahme an einem fachärztlichen Notdienst, sondern auch zur Teilnahme am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst verpflichtet ist. Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 30 Nr. 2 Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen, § 20 Abs. 1 der Berufsordnung der nordrheinischen Ärzte, § 4 der Satzung der Beklagten und § 1 NFDO ist der Kläger zur Teilnahme am allgemeinen Notfalldienst verpflichtet. Dem steht auch nicht entgegen, dass gemäß § 73 Abs. 1 SGB V die vertragsärztliche Versorgung sich in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung gliedert. Denn aus § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB ergibt sich, dass die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung unabhängig von der im § 73 Abs. 1 Satz 1 vorgenommenen Trennung von haus- und fachärztlicher Versorgung den Notfalldienst insgesamt und damit auch den allgemeinen Notfalldienst umfasst. Denn die Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung bewirkt unter Berücksichtigung der Verpflichtung zur Weiterbildung keinesfalls, dass der entsprechende Vertragsarzt nach einiger Zeit nicht mehr in der Lage ist, am allgemeinen ärztlichen Notfalldienst teilzunehmen. Denn bei der Sicherstellung eines ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienstes handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) um eine gemeinsame Aufgabe der Vertragsärzte, die nur erfüllt werden kann, wenn alle zugelassenen Ärzte unabhängig von der Fachgruppenzugehörigkeit oder sonstigen individuellen Besonderheiten und ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen gleichmäßig herangezogen werden (BSGE 33, 165, 166; 14, 252, 257 ff.; Urteil vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94).

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 197a SGG i.V.m. § 154, 155 VwGO.

Anlass die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden, weil die Voraussetzung des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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