L 1 KR 24/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 13 KR 261/01
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 24/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. März 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für die Durchführung einer Bauchdeckenplastik.

Die am ... 1975 geborene Klägerin, die bei der Beklagten versichert ist, ist Mutter von Drillingen (Kaiserschnittentbindung am 02. Februar 2000).

Bereits am 11. Juli 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten telefonisch die Übernahme der Kosten für die Durchführung einer Bauchdeckenplastik.

Zur Begründung hat sie eine Bescheinigung von Dipl.-Med. H1 ... (Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in T ...) und ein Attest von Dr. W1 ... (Psychiatrisch-Psychotherapeutische Praxis in S ...) vorgelegt. In ihrer Bescheinigung vom 11. Juli 2001 hat Dipl.-Med. H1 ... ausgeführt, die Klägerin leide sehr an der durch ihre Drillinge stark überdehnten Bauchdecke. Die Klägerin sei zum ersten Mal mit 25 Jahren schwanger gewesen und mit Kaiserschnitt entbunden worden. Trotz intensiver Bemühungen bessere sich der Befund bei der schlanken Klägerin nicht, so dass eine operative Maßnahme medi-zinisch indiziert sei. Sie bitte im Interesse der Klägerin um eine positive Entscheidung hin-sichtlich der Kostenübernahme der notwendigen Operation. Dr. W1 ... hat in ihrem Attest vom 06. Juli 2001 ausgeführt, es habe sich eruieren lassen, dass die schwangerschaftsbe-dingt veränderte Bauchdecke zu einer Beeinträchtigung des psychischen Befindens und daraus folgenden Einschränkungen in vielen Lebensbereichen führe. Die Klägerin habe von einem verminderten Selbstwertgefühl bei unangenehmem Körpergefühl und daraus resultierenden Stimmungsschwankungen berichtet. Eine derartige Operation könne aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht befürwortet werden, da die psychischen Beein-trächtigungen im Zusammenhang mit der oben genannten körperlichen Beeinträchtigung stünden. Es sei zu erwarten, dass nach stattgehabter Operation eine Besserung des psychischen Befindens und der daraus folgenden Beeinträchtigungen eintreten werde.

Die Beklagte hat daraufhin ein Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenversiche-rung (MDK) erstellen lassen. In ihrem Gutachten vom 31. Juli 2001 (nach Untersuchung der Klägerin am 27. Juli 2001) hat die Sachverständige, Fachärztin F1 ..., festgestellt, eine medizinische Indikation lasse sich nach der heutigen körperlichen Untersuchung unter Berücksichtigung der Anamnese und der von der Klägerin angegebenen subjektiven Be-schwerden nicht feststellen. Es liege kein wesentlicher organischer Befund vor, der einen operativen Eingriff zur Korrektur "einer Fettschürze" hinreichend begründe. Die Klägerin habe mittlerweile ihr Normalgewicht wieder erreicht. Die Bauchdecke sei kräftig, habe sich gut nach der Entbindung gestrafft. Bis auf die senkrecht verlaufenden Striae in der Haut fänden sich keinerlei Veränderungen. Die etwa 1 cm dicke Unterhautfettschicht im Bereich des Mittel- und Oberbauches könne nicht als krankheitswertig eingeschätzt wer-den, sondern entspreche durchaus normalen Veränderungen. Diesen Befund möchte die Klägerin allerdings korrigiert haben, da sie sich erheblichem psychischen Druck ausgesetzt fühle, Minderwertigkeitskomplexe entwickelt habe und im zwischenmenschlichen Bereich Probleme angebe. Da kein organischer pathologischer Befund im Bauchdeckenbereich vorliege, bestehe keine Indikation für den geplanten medizinischen Eingriff. Psychische Erkrankungen müssten von Fachärzten für Psychiatrie und Psychologie behandelt werden.

Mit Bescheid vom 01. August 2001 hat die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Bauchdeckenreduktionsplastik abgelehnt. Eine medizinische Indikation für die bean-tragte Operation sei nicht gegeben. Es liege kein wesentlicher organischer Befund vor, der einen operativen Eingriff zur Korrektur "einer Fettschürze" hinreichend begründe. Psychi-sche Beeinträchtigungen/Erkrankungen seien von entsprechenden Fachbehandlern zu the-rapieren.

Dagegen hat die Klägerin am 10. August 2001 Widerspruch eingelegt. Das Gutachten des MDK zweifele sie hinsichtlich der Aussagen zur Höhe der Fettschürze an. Eine psychologische Behandlung garantiere keinesfalls Erfolg. Außerdem entstünden dadurch erhebliche Zusatzkosten wegen der Betreuung ihrer Kinder, die während der Behandlung erfolgen müsse. Die Operation sei aus medizinischer Sicht notwendig. Unabhängig davon werde diese Operation am 14. August 2001 durchgeführt werden.

Die Durchführung der Operation hatte die Klägerin schon vor dem ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 01. August 2001 geplant. Nach ihrem eigenen Bekunden habe sie der Klinik die konkrete Zusage allerdings erst nach dem 01. August 2001 gegeben, kurzfristig vor dem tatsächlichen Operationstermin.

Am 14. August 2001 (Vereinbarung der Operation am 31. Juli 2001) hat die Klägerin in der Ästhetik-Klinik Dr. W2 ... (Privatklinik für ästhetische Chirurgie) in S ... eine große Abdomino-Plastik (Bauchdeckenstraffung) mit Reimplantation des Nabels durchfüh-ren lassen (Aufenthalt 14. August bis 18. August 2001). Die dafür angefallenen Kosten in Höhe von 4.062,21 EUR (7.945,00 DM) hat die Klägerin übernommen. Die Klinik ist kein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus.

Die Beklagte hat daraufhin erneut ein Gutachten vom MDK erstellen lassen. Die Sachver-ständige Dr. T1 ... gelangte nach Untersuchung der Klägerin zu der Einschätzung, bei ihr lägen Striae cutis atrophicae sowie eine nicht näher bezeichnete Persönlichkeits- und Ver-haltensstörung vor. Entsprechend dem Befund des Gutachtens bestehe keine Fettschürze. Bei einer extremen Fettschürze mit therapieresistenten Hautirritationen und mechanischen Behinderungen könne unter Umständen eine Indikation für eine Operation gegeben sein. Diese Voraussetzungen bestünden hier nicht. Korrekturen von physiologischen Veränderungen infolge Schwangerschaft (um eine solche handele es sich hier) stellten keinen medizinisch indizierten Eingriff dar. Hinsichtlich der Psyche sei der Einschätzung im Gutach-ten vom 27. Juli 2001 nichts hinzuzufügen (Gutachten vom 19. September 2001).

Der Widerspruch ist daraufhin ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 21. No-vember 2001).

Hiergegen hat sich die am 19. Dezember 2001 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobene Klage gerichtet.

Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren vier Lichtabbildungen von ihrem Bauch vorgelegt.

Auf mündliche Verhandlung hat das SG die Klage mit Urteil vom 12. März 2004 abgewie-sen. Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die im Jahr 2001 im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführten Bauchdeckenreduktionsplastik. Versicherte hätten grundsätzlich keinen Anspruch auf Kos-tenerstattung für selbst beschaffte Leistungen. Die Krankenkasse dürfe anstelle von Sach- oder Dienstleistungen Kosten nur erstatten, soweit das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dies ausdrücklich vorsehe. Ausnahmen vom Sachleistungsprinzip seien abschlie-ßend in § 13 Abs. 2 und 3 SGB V geregelt. Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nach § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V scheitere vorliegend bereits daran, dass es sich bei der streitgegenständlichen Behandlung nicht um eine unaufschiebbare, von der Beklagten nicht rechtzeitig erbringbare Leistung im Sinne der Vorschrift gehandelt habe. Ob eine Leistung unaufschiebbar sei bzw. ein Notfall vorliege und damit eine dringende, umgehen-de Behandlungsbedürftigkeit bestehe, beurteile sich ausschließlich nach medizinischen Kriterien. § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V erfordere daher, dass ein Nichtvertragsarzt ausdrücklich auf der privatärztlichen Behandlung bestehe und ein an der Versorgung teil-nahmeberechtigter Vertragspartner nicht rechtzeitig zur Verfügung stehe. Unter einem sol-chen Notfall sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine bedrohliche Situation zu verstehen, bei der nur eine sofortige ärztliche Behandlung Hilfe bringen könne. Ein Notfall in diesem Sinne und damit eine unaufschiebbare Leistung im Sinne von § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V liege im vorliegenden Fall eindeutig nicht vor. Ein Kostenerstattungs-anspruch könne auch nicht aus § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V hergeleitet werden. Haf-tungsbegründender Tatbestand sei der ursächliche Zusammenhang zwischen Ablehnung und dem eingeschlagenen Beschaffungsweg. Ein solcher Kausalzusammenhang sei bereits deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin den Behandlungstermin bereits vor der ablehnen-den Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 01. August 2001 vereinbart habe. In dem Widerspruchsschreiben vom 10. August 2001 habe die Klägerin ferner gegenüber der Beklagten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die beabsichtigte Operati-on entsprechend dem von ihr vorgefassten Zeitplan auf jeden Fall durchführen werde, und zwar unabhängig von der abschlägigen Entscheidung der Beklagten. Bereits aus diesem Grund scheitere ein Anspruch auf Kostenerstattung, ohne dass es streitentscheidend darauf ankäme, ob die Operation medizinisch indiziert gewesen sei oder nicht. Zur Ergänzung sei darauf hingewiesen, dass die Ablehnung durch die Beklagte nicht "zu Unrecht" erfolgt sei. Der Kostenerstattungsanspruch könne als abgeleiteter Anspruch nicht weiter reichen als der ihm zugrunde liegende Sachleistungsanspruch. Die bei der Klägerin präoperativ vor-handenen Striae cutis atrophicae sowie das um den Nabel herum befindliche Unterbauch-fettpolster stellten das Ergebnis eines der Norm entsprechenden physiologischen Vorgangs nach einer (Drillings-)Schwangerschaft und damit keinen Befund von Krankheitswert dar. Dies ergebe sich aus den Ausführungen der Sachverständigen F1 ... und aus den von der Klägerin vorgelegten Lichtbildern über den präoperativen Zustand der Bauchdecke. Soweit die Klägerin auf eine mit der Erschlaffung der Bauchdecke und den erheblichen Schwan-gerschaftsstreifen einhergehende massive psychische Beeinträchtigung mit sozialen Rück-zugstendenzen hinweise, seien die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet, zur Be-hebung psychischer Beeinträchtigungen die Kosten für einen operativen Eingriff in einen im Normbereich liegenden Körperzustand zu tragen. Die geschuldete Krankenbehandlung umfasse grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krank-heit ansetzten.

Gegen das am 24. März 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. April 2004 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung.

Die Klägerin hat vorgetragen, die starke Überdehnung der Bauchdecke habe sich in der Folgezeit nach der Entbindung nicht gebessert. Vielmehr sei die Bauchdecke schlaff geblieben. Auch eine hinreichende Straffung der Bauchdecke sei nach der Geburt nicht eingetreten. Bei schlanker Statur habe sie an einer nicht nachlassenden deutlichen Ausdeh-nung der Bauchdecke gelitten. Hierbei sei es bereits zu deutlichen Hautveränderungen mit einer Vielzahl von über den Bauch verlaufenden Streifen gekommen. Auch eineinhalb Jah-re nach der Geburt sei es trotz der entsprechenden Behandlung nicht zu einer Besserung des Zustandes gekommen. Sie habe mehr und mehr unter Schamgefühlen gelitten. Nach-dem sich der Zustand nicht gebessert habe, sei es für sie zum sozialen Rückzug gekom-men. Ohne einen operativen Eingriff wäre es auf Dauer bei der entstellenden Wirkung im Bereich des Bauches und den deutlichen körperlichen Missempfindungen sowie erhebli-chen Einschränkungen im privaten Bereich geblieben. Aufgrund der genannten Umstände sei sie erstmals im Juli 2001 gezwungen gewesen, eine psychiatri-sche/psychotherapeutische Praxis aufzusuchen. Die Beklagte habe die ihr zustehende Sach-leistung insoweit zu Unrecht verweigert. Sie sei dadurch gezwungen gewesen, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Der Operationstermin sei zwar bereits vor dem ablehnenden Bescheid am 01. August 2001 geplant gewesen, eine konkrete Zusage hierzu sei jedoch erst nach dem 01. August 2001 und zwar kurzfristig vor dem tatsächlichen Ope-rationstermin erteilt worden. Darüber hinaus habe bei ihr auch ein regelwidriger Krank-heitszustand vorgelegen. Es ergebe sich aus dem Befundbericht von Dipl.-Med. H1 ... vom 10. November 2004, dass sie trotz intensiver Gymnastik infolge der überdehnten Bauchde-cke starke Senkungsbeschwerden und Schmerzen im Bereich der Bauchdecke gehabt habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. März 2004 aufzuheben und die Be-klagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 01. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2001 zu verurteilen, ihr die Kosten für die im August 2001 durchgeführte Bauchdeckenreduktionsplastik in Höhe von 4.062,21 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, es habe keine zwingende medizinische Notwendigkeit für den operativen Eingriff bestanden. Es sei vielmehr von einem kosmetischen Bedürfnis bei der Klägerin auszugehen. Die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 SGB V seien nicht erfüllt.

Der Senat hat Befundberichte von Dr. W1 ..., Dr. F2 ... (Facharzt für Allgemeinmedizin in S ...), Dr. W2 ... (Ästhetik-Klinik Dr. W2 ...) und von Dipl.-Med. H1 ... eingeholt. Dr. W1 ... berichtete unter dem 09. Juli 2001 von einer einmaligen Vorstellung der Kläge-rin am 29. Juni 2001. Sie habe von Schamgefühlen, sozialem Rückzug sowie körperlichen Missempfindungen, weiterhin Libidoverlust und Symptomen depressiver Verstimmtheit berichtet. Die Operation sei befürwortet worden, da die zum damaligen Zeitpunkt beklag-ten psychischen Einschränkungen im Zusammenhang mit der schwangerschaftsbedingt veränderten Bauchdecke zu betrachten gewesen seien.

Dr. F2 ... hat am 18. Juli 2004 ausgeführt, zum Rechtsstreit könne er keine Aussagen treffen, da die Indikation sicher von der behandelnden Gynäkologin gestellt worden sei. Die Schlaffheit der Bauchdecke sei nach der Operation deutlich gebessert, die Bauchmus-kulatur erscheine wieder suffizient. Die Bauchdeckenplastik sei aufgrund einer Bauchde-cken-Insuffizienz notwendig geworden. Die medizinische Indikation dafür habe er aller-dings nicht gestellt. Die Klägerin habe ihm gegenüber über Schmerzen im Unterbauch ge-klagt, besonders bei körperlicher Belastung (Auskunft vom 13. Dezember 2004).

Dr. W2 ... hat unter dem 22. Oktober 2004 berichtet, die Klägerin habe als Beschwerden den Wunsch nach Bauchdeckenstraffung geäußert. Als Befund habe er eine Erschlaffung der Bauchhaut erhoben. Die letzte Befunderhebung sei am 04. Oktober 2001 gewesen, die Klägerin habe sich seit 31. Juli 2001 in Behandlung befunden. Aus der "gültigen Interpre-tation" habe keine medizinische Indikation bestanden, "rein kosmetisch". Auf Anfrage des Gerichts, welche Beschwerden die Klägerin vor der Operation geäußert habe, hat Dr. W2 ... mitgeteilt: "Körperliche Beschwerden keine. Psychische Belastung infolge der Bauch-Haut-Erschlaffung" (Auskunft vom 29. November 2004).

Dipl.-Med. H1 ... hat (mit Datum vom 28. Oktober 2004) angegeben, infolge der Drillings-schwangerschaft sei es zu einer sehr starken Überdehnung der Bauchdecke gekommen. Auch im Anschluss an die normale Rückbildungszeit sei die Bauchdecke trotz intensiver Gymnastik stark überdehnt geblieben. Die Klägerin habe über starke Senkungsbeschwer-den und Schmerzen im Bereich der Bauchdecke geklagt.

In einer Erklärung über medizinische Behandlung und Sozialleistungsbezug hat sie am 06. Juli 2004 unter Benennung der sie behandelnden Ärzte Dipl.-Med. H1 ..., Dr. W1 ... und Dr. F2 ... hinsichtlich der Leiden, wegen der sie dort in Behandlung war, angegeben: Psychische Probleme nach massiver Veränderung der Bauchdecke infolge von Drillings-schwangerschaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung ge-wesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Mit Recht hat das SG die Klage abgewie-sen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte Bauchdeckenreduktionsplastik. Der Bescheid der Beklagten vom 01. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2001 ist rechtmäßig.

Der von der Klägerin geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch besteht schon deshalb nicht, weil diese sich ohne Not zur Durchführung einer Bauchdeckenplastik in privatärztli-che Behandlung begeben hat. Sowohl Dr. W2 ... (Ästhetik-Klinik Dr. W2 ...) als auch der Ästhetik-Klinik selbst ermangelte es eines Zulassungsstatus, hilfsweise einer Ermäch-tigung oder auch einer versorgungsvertraglichen Bindung im Sinne der §§ 108, 109 SGB V. Sie zählen nicht zum Kreis der teilnahmeberechtigten Leistungserbringer. Hierfür hat die gesetzliche Krankenversicherung und damit auch die Beklagte nicht einzustehen.

In der gesetzlichen Krankenversicherung herrscht das Sachleistungsprinzip. Dieses besagt, dass sächliche Mittel und persönliche Dienste von der Krankenkasse beschafft und ihren Versicherten unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots in Natur zur Verfügung ge-stellt werden, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zu-gerechnet werden können. Hierüber schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des 4. Kapitels des SGB V Verträge mit den Leistungserbringern (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB V). Der Versicherte muss sich daher die Leistung nicht selbst verschaffen und vorfinanzieren, so dass er vor mangelnder medizinischer Versorgung wegen zu hoher fi-nanzieller Belastung geschützt ist (vgl. BSG SozR 2200 § 182 Nr. 74). Nach § 13 Abs. 1 SGB V in der vom 01. Juli 2001 bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung darf die Kran-kenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsehen.

Dieser gesetzliche Anspruch auf Dienst- oder Sachleistungen nach § 13 Abs. 1 SGB V setzt daher in der Regel voraus, dass ein an einer vertragsärztlichen/-zahnärztlichen Ver-sorgung teilnehmender, das vorgesehene Zulassungsverfahren durchlaufender Leistungs-erbringer pflichtgemäß den Eintritt des Versicherungsfalles der Krankheit feststellt und eine nach Zweck oder Art bestimmte Leistung verordnet, wobei es für inländische Behand-lungen auf die Zulassung der Leistungserbringer ankommt (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 4; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung – Stand März 1999, § 13 SGB V Rdnr. 5 m.w.N.). Wie dargelegt, liegt eine Zulassung weder für den Behandler Dr. W2 ... noch für die Ästhetik-Klinik Dr. W2 ... vor (vgl. Auskunft der Ästhetik-Klinik vom 29. November 2004). Andere Ärzte als "Kassenärzte" oder Ärzte in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus dürfen nur in Notfällen vertragsärzt-lich in Anspruch genommen werden (§ 76 Abs. 1 SGB V). Begibt sich der Versicherte ohne Not in privatärztliche Behandlung, verlässt er dadurch grundsätzlich den Schutzbe-reich der "Solidargemeinschaft der Krankenversicherung" (§ 1 Satz 1 SGB V); er kann deshalb von dieser insoweit nichts beanspruchen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 4). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V vorliegen. Denn diese Vorschrift ist auf Fälle zugeschnitten, in denen der Anspruchsteller sich bewusst au-ßerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln lässt, indem er einen nicht zugelassenen Leistungserbringer aufsucht oder mit einem zugelassenen Leistungs-erbringer vom öffentlich-rechtlichen Leistungsrahmen abweichende privatrechtliche Ver-einbarungen trifft (BSGE 82, 158, 159). Die Vorschrift hat folgenden Inhalt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V liegt hier indes nicht vor. Ob eine Leistung unaufschiebbar im Sinne des § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V ist und damit eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht, beurteilt sich aus-schließlich nach medizinischen Kriterien. Der übliche Beschaffungsweg muss daher mit einer für den Berechtigten unvermeidbaren Verzögerung, d. h. mit medizinischen Risiken, nicht aber unbedingt Lebensgefahr verbunden sein, der die Erhaltung oder Wiederherstel-lung der Gesundheit oder die Besserung des Gesundheitszustandes gefährden könnte oder der für den Versicherten nicht zumutbar ist (vgl. BSGE 77, 227). Hierbei kommt es aus-schließlich auf die objektive Bedarfssituation, jedoch nicht auf private Dispositionen des Versicherten oder termingebundene Zusagen des Leistungserbringers an (Krauskopf, a.a.O., § 13 SGB V Rdnr. 25). Neben notwendigen, insbesondere dringend der Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt oder in einem nicht zugelassenen Krankenhaus bedürfenden Erkrankungen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11), kommen andere etwa durch System-störungen, Versorgungslücken oder höhere Gewalt hervorgerufene dringende Bedarfslagen in Frage (Wagner in Krauskopf, a.a.O., § 13 SGB V Rdnr. 25).

Eine solche Konstellation hat hier jedoch eindeutig nicht vorgelegen. Eine unaufschiebba-re Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 1. Alternative SGB V hat nicht vorgelegen. Erstmals am 11. Juli 2001 hat die Klägerin sich an die Beklagte hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die Durchführung einer Bauchdeckenplastik (stationär) unter Vorlage einer ent-sprechenden ärztlichen Verordnung von Dipl.-Med. H1 ... gleichen Datums gewandt. Sie hat dabei zur Begründung ausgeführt, über ihren Antrag möge schnellstens entschieden werden, da der Termin der Operation noch für August 2001 festgelegt werden solle, weil der Termin mit ihrem Jahresurlaub abgestimmt werden müsse, um die Betreuung ihrer Drillinge zu gewährleisten. Ein "medizinischer Notfall" ist daraus jedoch nicht abzuleiten. Die von der Klägerin vorgetragene "Eilbedürftigkeit" beruht allein auf ihrer privaten Dis-position zur Betreuung ihrer Kinder. Dass eine sofortige Operation im Sinne einer Notfall-indikation erforderlich gewesen wäre, lässt sich aus den vorhandenen Unterlagen nicht entnehmen.

Die Beklagte hat die Leistung – ungeachtet der fehlenden Zulassung der Ästhetik-Klinik Dr. W2 ... – auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der vom 01. August 2001 bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) haben Versicherte An-spruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie, die Versorgung mit Arzneien, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie - wie in diesem Fall - Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V (§ 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behand-lung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (st. Rspr. des BSG, vgl. u.a. BSGE 33, 202, 203; 35, 10, 12; 59, 119, 121; 72, 96, 98). Als "regelwid-rig" ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm, vom Leitbild des gesunden Men-schen, der zur Ausübung normaler körperlicher oder psychischer Funktionen in der Lage ist, abweicht (BSGE 26, 240, 242; 35, 10; 59, 119, 120).

Behandlungsbedürftigkeit liegt vor, wenn der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn eine ärztliche Behandlung erforder-lich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern (vgl. BSGE 35, 10, 12). Da-bei setzt Behandlungsbedürftigkeit Behandlungsfähigkeit voraus, d. h. die Möglichkeit, dass durch die Behandlung die Beschwerden und Schmerzen gelindert werden (vgl. KassKomm-Höfler, Stand August 2004, § 27 SGB V Rdnr. 21 m.w.N.).

Die bei der Klägerin festgestellten senkrecht verlaufenden Striae in der Haut sowie die etwa 1 cm dicke Unterhautfettschicht im Bereich des Mittel- und Oberbauches stellen kei-nen Befund von Krankheitswert dar. Der Senat stützt sich dabei auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen F1 ... (Gutachten vom 31. Juli 2001 nach Untersuchung der Klägerin vom 27. Juli 2001) sowie insbesondere auf die Angaben der Ärzte der Ästhetik-Klinik Dr. W2 ... (vom 22. Oktober 2004 und 29. November 2004). Die Sachverständige F1 ... hat festgestellt, die Klägerin habe Normalgewicht er-reicht, die Bauchdecke sei kräftig, sie habe sich nach der Entbindung gut gestrafft. Bis auf die senkrecht verlaufende Striae (Streifen) in der Haut fänden sich keinerlei Veränderun-gen. Die etwa 1 cm dicke Unterhautfettschicht im Bereich des Mittel- und Oberbauches könne nicht als krankheitswertig eingeschätzt werden, sondern entspreche durchaus norma-len Veränderungen. Es liege kein organischer pathologischer Befund im Bauchdeckenbe-reich vor. Als Lokalbefund hat die Fachärztin F1 ... erhoben: straffe Bauchdecke, keiner-lei Hinweis für Hernien, keine Narbenhernie, kaum sichtbare Narbe nach Kaiserschnittent-bindung im Unterbauch. Um den Nabel herum finde sich ein geringes Unterhautfettpolster von etwa 1 cm Dicke, ansonsten lasse sich kaum Unterhautfettgewebe feststellen. Über-hängende Hautfalten oder Intertrigo fänden sich nicht. Ein krankheitswertiger Befund ist hieraus nicht zu entnehmen.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den Auskünften der Ästhetik-Klinik Dr. W2 ... Darin ist ausgeführt, als Beschwerden habe die Klägerin eine "Erschlaffung der Bauchhaut" geäußert, körperliche Beschwerden seien nicht angegeben worden. Es habe keine medizinische Indikation vorgelegen, die Operation sei rein kosmetischer Natur ge-wesen (vgl. insbesondere Auskunft der Ästhetik-Klinik vom 22. Oktober 2004). In der Ästhetik-Klinik werden allein ästhetisch-plastische Operationen durchgeführt, die unter dem Begriff der sog. Schönheitschirurgie zusammengefasst werden, u. a. auch Operationen auf dem Gebiet der ästhetisch/kosmetischen Bauchdeckenchirurgie (vgl. www.aesthetik-klinik.de). Die von der behandelnden Ärztin Dipl.-Med. H1 ... in dem Befundbericht vom 10. November 2004 erstmalig mitgeteilten "starken Senkungsbeschwerden" und "Schmer-zen im Bereich der Bauchdecke" (Auskunft Dr. F2 ... vom 13. Dezember 2004: "Die Pat. klagte über Schmerzen im Bereich des Unterbauches, besonders bei körperlicher Belas-tung.") hat die Klägerin weder gegenüber der MDK-Gutachterin F1 ... noch gegenüber Dr. W1 ... noch gegenüber dem Operateur angegeben. Auf ausdrückliche Nachfrage des Senats hat Dr. W2 ... unter dem 29. November 2004 angegeben, körperliche Beschwerden habe die Klägerin nicht geäußert, vielmehr eine psychische Belastung infolge der Bauch-Haut-Erschlaffung. Auch in der Verordnung von Dipl.-Med. H1 ... vom 11. Juli 2001 wird lediglich von einer "stark überdehnten Bauchdecke" berichtet. Die nunmehr erstmalig Ende Oktober 2004 berichteten "starken Senkungsbeschwerden" und "Schmerzen im Be-reich der Bauchdecke" sind insgesamt als nachgeschobene Begründung der behandelnden Ärztin anzusehen, da auch mit der Beseitigung der Erschlaffung der Bauchhaut nach all-gemeiner Lebenserfahrung starke Senkungsbeschwerden nicht beseitigt werden können. Senkungsbeschwerden (Descensus uteri et vaginae) werden üblicherweise mit Beckenbo-dengymnastik, ggf. operativer Scheidenplastik therapiert (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., S. 354). Ebenso wenig ist ersichtlich, wie eine Erschlaffung der Bauchhaut zu Schmerzen im Bereich der Bauchdecke führen sollte. Diese von der behan-delnden Ärztin mitgeteilten Beschwerden hat die Klägerin nach Kenntnisnahme daraufhin erstmalig in ihre Argumentation (Schriftsatz vom 15. November 2004) übernommen. Sie entsprechen nicht den zeitnah vor Durchführung der Operation gutachterlich festgestellten Befunden (vgl. Gutachten F1 ... vom 31. Juli 2001 nach körperlicher Untersuchung der Klägerin). Insgesamt ist das Begehren der Klägerin rein kosmetischer Natur. Wegen der Inanspruchnahme einer privaten Klinikeinrichtung kam es hierauf jedoch – wie bereits oben ausgeführt – letztlich nicht an.

Sofern die Klägerin die Notwendigkeit einer Bauchdeckenplastik mit vorhandenen psychi-schen Problemen begründet hat (vgl. hierzu auch Befundbericht Dr. W1 ... vom 06. Juli 2001 und MDK-Gutachten vom 31. Juli 2001), ergibt sich keine andere Beurtei-lung. Selbst wenn die von der Klägerin berichteten Schamgefühle, sozialer Rückzug sowie körperliche Missempfindungen und Einschränkungen im Privaten auf Grund der schwan-gerschaftsbedingt veränderten Bauchdecke Krankheitswert im Sinne von § 27 SGB V ha-ben sollten, ergibt sich hieraus kein Anspruch der Klägerin auf Durchführung einer Bauch-deckenplastik. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht verpflichtet, zur Behebung einer psychischen Störung die Kosten für einen operativen Eingriff in einem im Normbereich liegenden Körperzustand zu tragen. Die von den Kassen geschuldete Krankenbehandlung umfasst grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krank-heit ansetzen. Bei psychischen Störungen beschränkt sich der Heilbehandlungsanspruch deshalb im Allgemeinen auf eine Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie und Psycho-therapie und schließt jedenfalls operative Eingriffe selbst dann nicht ein, wenn wegen der – krankheitsbedingten – Ablehnung einer Psychotherapie durch den Versicherten keine an-dere Möglichkeit der ärztlichen Hilfe besteht (vgl. BSGE 72, 96, 99; 82, 158, 163 f.; er-kennender Senat, Urteil vom 09. Oktober 2002, Az.: L 1 KR 16/02; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03. Mai 2001, Az.: L 5 KR 221/00).

Bei alledem hatte die Berufung gegen die ausführliche und zutreffende erstinstanzliche Entscheidung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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