S 10 RJ 166/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RJ 166/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 90/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen streitig, insbesondere, ob die Beigeladene zu 1) dem Werkstudentenprivileg unterfällt und deswegen Sozialversicherungsfreiheit genießt.

Die Klägerin betreibt ein Bauzubehörunternehmen und stellt Dichtstoffe, Klebstoffe und Dichtbänder her. Sie beschäftigt u. a. seit Anfang der 90iger Jahre die Beigeladene zu 1) in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, wobei die Beigeladene zu 1) im Durchschnitt 50 bis 55 Stunden monatlich für die Klägerin tätig wird. Zwischenzeitlich übte die Beigeladene zu 1) auch eine Vollzeittätigkeit bei der Klägerin aus.

Daneben ist die Beigeladene zu 1) ist seit dem Wintersemester 1979/80 für den Studiengang "Wirtschaftswissenschaft" an der Bergischen Universität-Gesamthochschule X eingeschrieben. Sie absolvierte alle Diplomfachprüfungen (Bescheinigung der Bergischen Universität X vom 15.12.2003, Bl. 60 der Gerichtsakte), dies bis ca. Ende der 90iger Jahre. Zum Abschluss des Studiums fehlt der Beigeladenen zu 1) - auch heute noch - die Diplomarbeit.

Am 18.02.2003 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.1999 bis 31.12.2002 durch. Die Beigeladene zu 1) befand sich im Prüfzeitraum in den Semestern 39 bis 47. Mit Bescheid vom 24.02.2003 forderte die Beklagte von der Klägerin für die Beigeladene zu 1) Sozialversicherungsbeiträge i. H. v. 24 273,63 Euro nach. Für die Beigeladene zu 1) seien Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten, weil sie im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses für die Klägerin tätig geworden sei und nicht dem sogenannten Werkstudentenprivileg (Versicherungsfreiheit) unterfalle. Dagegen spreche die überlange Studienzeit; die Beigeladene zu 1) befinde sich jetzt im 48. Fachsemester. Gleichzeitig führte die Beklagte aus, sie habe die zuständige Einzugsstelle nach der gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 22.11.2001 nach den letzten beiden Ziffern der Betriebsnummer der Klägerin bestimmt, weil das Krankenkassenwahlrecht weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer ausgeübt worden und eine letzte Krankenkasse nicht feststellbar sei. Als zuständige Einzugsstelle habe sich aufgrund der Betriebsnummer die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Rheinland ergeben.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Beigeladene zu 1) unterfalle dem Werkstudentenprivileg, da sie mit ihrem Studium fast fertig sei; es fehle nur noch der Abschluss der Diplomarbeit. Das Studium der Beigeladenen zu 1) habe sich im Übrigen durch zwei Todesfälle im engsten Familienkreis (Bruder im Jahre 1993, Mutter im Jahr 2000) verzögert. Im Übrigen habe die Beigeladene zu 1) für den Prüfzeitraum Krankenversicherungs-Beiträge an eine andere Krankenkasse, nämlich die Beigeladene zu 3) i. H. v. ca. 8 000 Euro gezahlt.

Diesen Widerspruch nahm die Beklagte zum Anlass, den Beitragsbescheid vom 14.02.2003 mit Bescheid vom 27.05.2003 insoweit zurück zu nehmen, als nunmehr Kranken- und Pflegeversicherungs-Beiträge für die Beigeladenen zu 2) und 3) abgeführt wurden (und nicht mehr zugunsten der AOK Rheinland). Hierdurch fiel die Beitragsnachforderung wegen des höheren Krankenkassenbeitrages der Beigeladenen zu 3) etwas höher aus, sodass die Beklagte nunmehr 24 660,53 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen von der Klägerin nachforderte. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2003 zurück. Die Beigeladene zu 1) sei nicht von der Versicherungspflicht freigestellt, da sie keine ordentliche Studentin (gewesen) sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 00.00.0000 (Eingang bei der Beklagten) Klage erhoben.

Die Klägerin ist über die Widerspruchsbegründung hinaus der Auffassung, ihr sei es nicht zumutbar, Ermittlungen zur Ernsthaftigkeit des Studiums eines bei ihr Beschäftigten anzustellen. Im Übrigen sei sie stets von der Ernsthaftigkeit des Studiums der Beigeladenen zu 1) ausgegangen. Die Beigeladene zu 1) habe noch im April 2001 einen Vollzeiteinsatz unter Hinweis auf ihr (abzuschließendes) Studium abgelehnt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 24.02.2003 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) bis 4) haben keinen Klageantrag gestellt.

Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichts- und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 24.02.2003 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2003 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin ist zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Sozialversicherung verpflichtet, da das an die Beigeladene zu 1) gezahlte Arbeitsentgelt sozialversicherungspflichtig ist.

Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Viertes Sozialgesetzbuch (SGG IV) sind in allen Zweigen der Sozialversicherung nach Maßgabe der besonderen Vorschriften Personen versichert, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. Hierunter unterfiel im maßgeblichen Prüfzeitraum (01.01.1999 bis 31.12.2002) auch die Beigeladene zu 1). Diese war im fraglichen Zeitraum gegen Arbeitsentgelt bei der Klägerin beschäftigt.

Dieses Beschäftigungsverhältnis war auch nicht aufgrund besonderer Vorschriften von der Sozialversicherungspflicht frei. Insbesondere unterfiel die Beigeladene zu 1) nicht dem sogenannten Werkstudentenprivileg. Danach sind diejenigen von der Sozialversicherungspflicht befreit, die während der Dauer ihres Studiums als ordentliche Studierende eine Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienende Schule gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Dies folgt für den Bereich der Krankenversicherung aus § 6 Abs. 1 Nr. 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V), für die Pflegeversicherung aus § 20 Abs. 1 Elftes Sozialgesetzbuch (SGB XI), für die Arbeitslosenversicherung aus § 27 Abs. 4 Drittes Sozialgesetzbuch (SGG III) und für die Rentenversicherung aus § 230 Abs. 4 Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI), wenn der Betroffene - wie hier - die in redende stehende Beschäftigung bereits vor dem 01.10.1996 ausgeübt hat. Diesen Priviligierungstatbeständen unterfallen nicht alle Studierende, auch dann nicht, wenn sie weniger als 20 Wochenstunden arbeiten. Vielmehr besteht Versicherungsfreiheit nur dann, wenn der Betreffende auch seinem Erscheinungsbild Student und nicht Arbeitnehmer ist. Versicherungs- und Beitragsfreiheit bezieht sich in erster Linie auf "Werkstudenten". Dies sind Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch ihre Arbeit die zu Durchführung des Studiums und zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen (vgl. nur BSG Urteil vom 10.12.1998 - B 12 KR 22/97 R - m. w. N.).

Vor diesem Hintergrund unterfiel die Beigeladene zu 1) nicht dem sogenannten Werkstudentenprivileg. Das Studium prägte nicht das Erscheinungsbild. Hiergegen spricht zunächst die überlange Studiendauer der Beigeladenen zu 1). Kann zwar aufgrund einer langen Studiendauer allein grundsätzlich nicht darauf geschlossen werden, der Betreffende entspreche nicht mehr dem Bild des Werkstudenten (so insb.: Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.12.1997 - L 1 KR 603/95 -), so gilt zur Überzeugung der Kammer anderes, wenn der Betreffende die Regelstudienzeit von 8 bzw. 9 Semestern um ein Vielfaches überschreitet, wie hier um nahezu das Fünffache. Diese massive Überschreitung kann auch nicht allein mit den beiden Todesfällen im Familienkreis der Beigeladenen zu 1) erklärt werden. Hinzu kommt, dass die Beigeladene zu 1) im fraglichen Zeitraum keine bzw. allenfalls in untergeordneten Umfang (nach ihrer eigenen Einlassung konnte die Beigeladene zu 1) sich nicht mehr genau daran erinnern, ob sie möglicherweise einige der Diplomabschlussprüfungen auch noch in 1999 absolviert hat) Prüfungen abgelegt hat. Zum Erscheinungsbild des ordentlichen Studenten gehört es aber, an Vorlesungen teilzunehmen und vor allem Prüfungen abzulegen. Nichts anderes folgt aus der Einlassung der Beigeladenen zu 1), sie habe im fraglichen Zeitraum an ihrer Diplomarbeit geschrieben. Auch hierdurch war sie ihrem Erscheinungsbild nach keine Werkstudentin, allein schon deswegen nicht, weil sie sich über 4 Jahre und damit über einen Zeitraum ihrer Diplomarbeit gewidmet haben will, der als Regelstudienzeit - inkl. Diplomarbeit - gilt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Ansicht der Klägerin, sie habe keine Möglichkeit gehabt, die Ernsthaftigkeit des Studiums der Beigeladenen zu 1) zu überprüfen, zumal sie selbst immer hiervon (der Ernsthaftigkeit) ausgegangen sei. Die Priviligierungstatbestände der Versicherungsfreiheit von Werkstudenten knüpfen allein an das Vorliegen objektiver Umstände an, ohne nach der Möglichkeit für den Arbeitgeber zu fragen, dies zu prüfen; die Versicherungsfreiheit bzw. - pflicht - setzt auch kein Verschulden voraus.

Unterfiel demnach die Beigeladene zu 1) der Versicherungspflicht, so ist es ferner nicht zu beanstanden, dass die Beklagte ihren ursprünglichen Bescheid vom 24.02.2003 durch den Änderungsbescheid vom 27.05.2003 "verbösert" hat. Rechtsgrundlage hierfür ist § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurück genommen werden, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Diese Voraus- setzungen sind hier unter Berücksichtigung des Vorgenannten gegeben, wobei die Kammer grob fahrlässige Unkenntnis von der falschen Krankenversicherung (und der deswegen zu geringen Krankenversicherungsbeiträge) annimmt, weil die Beklagte in ihrem ursprünglichen Bescheid vom 24.02.2003 ausgeführt hat, nach welchem Verfahren sie die - falsche - Einzugsstelle/Krankenkasse (AOK Rheinland) bestimmt hat. Gleichzeitig wusste die Klägerin aus der Zeit der Vollzeitbeschäftigung der Beigeladenen zu 1), dass diese bei der Beigeladenen zu 3) krankenversichert ist bzw. war. Ferner sind Ermessensfehler der Beklagten weder gerügt noch ersichtlich. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagte eine unbillige Härte allein aufgrund der geringen Erhöhung des Nachforderungsbetrages abgelehnt hat.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 196 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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