L 1 B 31/05 KA-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KA 923/04 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 B 31/05 KA-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Berücksichtigungsfähigkeit von außerhalb des Planungsbereiches gelegenen Vertragsarztsitzen bei der Prüfung, ob eine bedarfsgerechte Versorgung nicht gewährleistet ist und deswegen ein Internist ohne Schwerpunktbezeichnung Anspruch auf Zulassung zur Erbringung von Gastroskopien hat.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 20.01.2005 wird zurückgewiesen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 27.245,64 EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Der Beschwerdeführer (Bf.) begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Genehmigung zur Erbringung von Gastroskopien (Nr. 741 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen – EBM-Ä) im Rahmen der hausärztlichen Ver-sorgung.

Der Bf. nimmt als Facharzt für Innere Medizin mit Praxissitz in L ... im Planungsbereich C ... Land an der hausärztlichen Versorgung teil. Mit Beschluss vom 14.05.2003 hatte der Beschwerdegegner (Bg.) ihm auf seinen Widerspruch gegen die ab-lehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses die Genehmigung zur Erbringung von Gastroskopien mit Wirkung ab 01.01.2003 erteilt. Auf die dagegen von der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (hier: Beigeladene zu 3.) mit der Folge der auf-schiebenden Wirkung erhobene Klage (S 18 KA 620/03) hat das Sozialgericht Dresden auf den Antrag des Bf. mit Beschluss vom 01.10.2003 die sofortige Vollziehung der erteil-ten Genehmigung zur Abrechnung von Gastroskopien angeordnet (S 18 KA 648/03 ER). Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 3. haben die Beteiligten in der Sitzung des Säch-sischen Landessozialgerichts vom 10.03.2004 einen Vergleich mit der Verpflichtung des Bg. abgeschlossen, über die beantragte Genehmigung zur Erbringung von Gastroskopien neu zu entscheiden und hierbei insbesondere die im Schriftsatz der Beigeladenen zu 3. vom 22.01.2004 genannten Praxen und Ärzte zu ihren Aufnahmekapazitäten und Wartezeiten zu befragen und deren Angaben anhand von objektiven Kriterien zu ergänzen (L 1 B 211/03 KA-ER).

Mit Beschluss vom 27.10.2004, dem Bf. am 03.12.2004 zugestellt, hat der Bg. den Wider-spruch des Bf. zurückgewiesen. Bei der Prüfung der Bedarfslage sei unter Einbeziehung der Leistungserbringer der zum Praxissitz des Bf. benachbarten Planungsbereiche eine ausreichende Versorgung der Versicherten gewährleistet.

Den vom Bf. mit der Klage vom 15.12.2004 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweili-gen Anordnung hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 20.01.2005 abgelehnt. Der Bg. habe den vom Bf. gemäß § 73 Abs. 1a Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geltend gemachten Anspruch auf eine Genehmigung von Gastroskopien im Rahmen der hausärztlichen Versorgung nach Befragung der Ärzte zu ihren Aufnahmekapazitäten und Wartezeiten und Überprüfung dieser Angaben anhand von Tages- und Quartalsprofilen rechtsfehlerfrei abgelehnt. Die Betrachtung der benachbarten Planungsbereiche sei nicht zu beanstanden. Offen bleiben könne, ob der Bf. mit seinem Vorbringen zur Beschränkung der Bedarfsprüfung auf den Planungsbereich des Praxissitzes nicht bereits mit dem Ver-gleich vom 10.03.2004 ausgeschlossen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-richts (BSG) seien besondere Bedarfssituationen, die sich aufgrund der regionalen Struktur eines Planungsbereiches ergäben, bei der Prüfung der Bedarfslage im Rahmen einer sach-gemäßen Ermessensausübung berücksichtigungsfähig (BSG, Urteil vom 25.11.1998, B 6 KA 81/97 R = SozR 3-2500 § 97 Nr. 2).

Mit der von ihm eingelegten Beschwerde hält der Bf. daran fest, bei der Prüfung der Be-darfssituation dürfe nur auf den Planungsbereich des Praxissitzes abgestellt werden. Gast-roskopien würden von den fachärztlichen Leistungserbringern im Planungsbereich C ... Land nicht erbracht werden. Regionale Besonderheiten, wie sie im Urteil des BSG vom 25.11.1998 (B 6 KA 81/97 R, a.a.O.) zum Ausdruck gekommen seien, lägen im Planungsbereich C ... Land nicht vor.

Der Bf. beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 20.01.2005 aufzuheben und ihm bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu gestatten, die Leistung nach der Nr. 741 EBM-Ä zu erbringen und abzurechnen.

Der Bg. und die Beigeladene zu 3. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen, die beigezogene Verwaltungsakte des Bg., die Akten des Sozialge-richts Dresden mit den Az. S 18 KA 648/03.ER und S 18 620/03 sowie die Akte des Säch-sischen Landessozialgerichts mit dem Az. L 1 B 211/03 KA-ER Bezug genommen.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 20.01.2005 den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Der Senat ist mit dem Sozialgericht – bei der hier gebotenen summarischen Prüfung – der Auffassung, dass der Bg. die vom Bf. als hausärztlichem Internist gemäß § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V begehrte Genehmigung zur Abrechnung von Gastroskopien mit Blick auf die Versorgungs- und Bedarfssituation in den angrenzenden Planungsbereichen rechtsfehler-frei beurteilt und zu Recht abgelehnt hat. Dabei kann zu Gunsten des Bf. mit dem Sozial-gericht dahingestellt bleiben, ob der Bf. mit dem Vorbringen einer auf den Planungsbereich C ... Land beschränkten Bedarfsprüfung wegen des in dem Beschwerdeverfahren L 1 B 211/03 KA-ER in der Verhandlung vom 10.03.2004 abgeschlossenen Vergleichs ausgeschlossen ist.

Entgegen der Auffassung des Bf. ist der geltend gemachte Anspruch nicht allein und schon deshalb begründet, weil im Planungsbereich C ... Land kein weiterer Internist nieder-gelassen ist, der Gastroskopien erbringt. Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegan-gen, dass der Bg. befugt war, die benachbarten Planungsbereiche zum Praxissitz des Bf. bei der Bewertung der Bedarfssituation mit einzubeziehen.

Die Regelung in § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V ist Ausdruck der vom Sozialgericht näher beschriebenen Aufteilung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Versorgungsbe-reich. Soweit die an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten daher in der La-ge sind, eine den Vorgaben von § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1, § 70 Abs. 1 SGB V entspre-chende Krankenbehandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zu erbringen, können Hausärzte eine Abrechnungsgenehmigung nicht beanspruchen. Deren Einbeziehung kommt erst bei einer Minderversorgung in Betracht und dient ausschließlich dazu, Versor-gungslücken zu schließen. Eine derartige Versorgungslücke kann sich daraus ergeben, dass besondere, für eine ausreichende Versorgung notwendige Untersuchungs- und Behand-lungsmethoden von den fachärztlichen Leistungserbringern nicht oder nicht im erforderli-chen Umfang erbracht werden (sog. qualitativ-spezieller Bedarf).

Hinsichtlich der Frage, ob ein "Bedarf" für eine Leistungserbringung durch hausärztliche Internisten besteht, ob also eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten im Sinne von § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V ohne eine Leistungserbringung des Bf. nicht sicher-gestellt wird, haben die Zulassungsgremien, wie ebenfalls bereits vom Sozialgericht darge-stellt, einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Ob im ambulanten Bereich ein Versorgungsdefizit besteht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab (z.B. Anzahl und Leistungsangebot der niedergelassenen Ärzte, Bevölkerungs- und Morbiditätsstruktur, Umfang und räumliche Verteilung der Nachfrage aufgrund von vor-handenen Verkehrsverbindungen), die für sich und in ihrer Abhängigkeit untereinander weitgehend unbestimmt sind. Die ortsnahen fachkundigen Zulassungsinstanzen können daher nur ungefähr entscheiden, ob und inwieweit die bereits niedergelassenen Ärzte eine qualitativ ausreichende Versorgung gewährleisten. Dies rechtfertigt es, diesen Gremien insoweit – ebenfalls wie bei den strukturell identischen Fragen bei der Erteilung von Er-mächtigungen bzw. bei Sonderbedarfszulassungen – einen Beurteilungsspielraum zuzu-gestehen und deren Entscheidungen hinzunehmen, solange sie sich im Rahmen des Beur-teilungsspielraums halten (BSG, Urteil vom 19.03.1997 – 6 RKa 43/96 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 1, Urteil vom 25.11.1998 – B 6 KA 81/97 R, a.a.O.). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich deshalb darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollstän-dig ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt, ob die durch Auslegung des Begriffs "be-darfsgerechte Versorgung" zu ermittelnden Grenzen gehalten und ob die Subsumtionser-wägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkenn-bar und nachvollziehbar ist.

Die Einschätzung des Bg., ein besonderer Versorgungsbedarf sei für die gastroenterologi-sche Leistung nach der Nr. 741 EBM-Ä nicht gegeben, ist vertretbar und überschreitet nicht den Rahmen der gesetzlichen Beurteilungsermächtigung. Entgegen der Auffassung des Bf. ist nicht zu beanstanden, dass der Bg. bei der Beurteilung der Bedarfssituation auch die zum Praxissitz des Bf. angrenzenden Planungsbereiche mit einbezogen hat. Die Auf-fassung des Bf., eine besondere regionale Struktur, die entsprechend dem Urteil des BSG vom 25.11.1998 (B 6 KA 81/97 R, a.a.O.) eine Betrachtung der angrenzenden Planungsbe-reiche rechtfertige, sei für den Planungsbereich C ... Land nicht zu erkennen, ver-mag nicht zu überzeugen. Mit dem vom Bf. herangezogenen Urteil des BSG ist die Einbe-ziehung benachbarter Planungsbereiche nicht auf das Vorliegen von Besonderheiten in der regionalen Struktur beschränkt.

Zutreffend ist zwar, dass im Grundsatz bei der Ermittlung der Bedarfssituation auf den regionalen Planungsbereich abzustellen ist. Dies schließt, wie in der Rechtsprechung des BSG ebenso anerkannt ist, nicht aus, dass die sachkundigen Zulassungsgremien diesen Planungsbereich (analog § 12 Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV) im Falle von Subspezialisierungen einzelner Fachgebiete überschreiten und auch die an den untersuchten räumlichen Bereich angrenzenden Gebiete in ihre Überlegungen mit einbeziehen (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 6 KA 35/99 R = SozR 3-2500 § 101 Nr. 5 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.03.1997 - 6 RKa 43/99 = SozR 3-2500 § 101 Nr. 1 S. 6). Bei der vom Bf. begehrten Abrechnungsgenehmigung für die Nr. 741 EBM-Ä handelt es sich um eine Leistung aus dem Schwerpunktbereich der Gastroenterologie, mithin einer Subspezialisierung auf dem Fachgebiet der Inneren Medizin. Darüber hinaus bleibt zu verdeutlichen, dass mit der vom Gesetzgeber verwirklichten Gliederung in einen haus- und einen fachärztlichen Versor-gungsbereich die Erbringung spezifischer fachärztlicher Leistungen den an der fachärztli-chen Versorgung teilnehmenden Ärzten vorbehalten ist. Auch kann der Bf. für sich nicht in Anspruch nehmen, den gesamten Planungsbereich C ... Land mit Gastroskopien ver-sorgen zu können. Die Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 1a Satz 3 SGB V dient dem Ziel sicherzustellen, dass in der konkreten örtlichen Situation eine ausreichende Versorgung mit den speziellen, den Fachärzten vorbehaltenen Leistungen gewährleistet ist. Dies rechtfer-tigt sowohl eine räumliche Abgrenzung auf den vorrangigen Einzugsbereich der Praxis des Bf. als auch den Blick auf die benachbarten Planungsbereiche.

Die dem Bg. danach erlaubte Betrachtung der angrenzenden Planungsbereiche drängt sich mit Blick auf die dem Schriftsatz der Beigeladenen zu 3. vom 22.01.2004 (L 1 B 211/03 KA-ER) beigefügte Übersichtskarte zu den Planungsbereichen und der daraus ersichtlichen örtlichen Lage der Praxis des Bf. auch auf. Die Praxis des Bf. liegt im südlichsten Zipfel des Planungsbereiches C ... Land mit Angrenzung an die Planungsbereiche Z ... Land und S ... Die kreisfreie Stadt Z ..., ein eigenständiger Planungsbereich, in der zwei gastroenterologisch tätige Ärzte niedergelassen sind, liegt nur 11 km vom Praxissitz des Bf. entfernt. In einer Entfernung von nur 7 km besteht sei Januar 2003 im Planungsbe-reich S ... eine neue gastroenterologische Praxis. Auch die Stadt C ... mit sieben gastroenterologisch tätigen Ärzten ist vom Praxissitz des Bf. mit einer Fahrzeit von 40 Mi-nuten gut erreichbar. Mit Blick auf diese örtlichen Gegebenheiten sowie auch der im Be-schluss des Bg. vom 27.10.2004 dargestellten vorhandenen guten Verkehrsverbindungen ist die Einbeziehung der benachbarten Planungsbereiche nicht zu beanstanden.

Der Bg. hat auch im Weiteren den entscheidungserheblichen Sachverhalt zum Vorliegen eines Versorgungsbedarfs für die Leistung nach der Nr. 741 EBM-Ä im dem gebotenen Maße (Befragung der Ärzte zu ihrer bisherigen Leistungserbringung, ihren freien Kapazi-täten und Wartezeiten nebst Auswertung von Fallzahlen und Häufigkeitsstatistiken sowie Tages- und Quartalsprofilen) ermittelt und auf dessen Grundlage einen Bedarf verneint. Insoweit wird von einer weiteren Begründung abgesehen, weil die Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts Dresden als unbegründet zu-rückgewiesen wird (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 1 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. § 197a Abs. 1 SGG, §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Rechtskraft
Aus
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