L 11 AL 6/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 825/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 6/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.11.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit Bescheid vom 20.09.2000 sicherte die Beklagte der Klägerin Arbeitserlaubnisse zur Beschäftigung von vier polnischen Arbeitnehmern (ein Vorarbeiter, drei Blechklempner) im Rahmen eines Werkvertrags vom 31.07.2000 (Zeitraum 01.10.2000 bis 30.09.2001) über die Vorfertigung und Endmontage von Blechverkleidungen zu.

Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29.04.2002 fest, dass die Klägerin die eingesetzten Arbeitnehmer teilweise untertariflich entlohnt habe. Das maßgebliche Entgelt habe zum Zeitpunkt der Prüfung des Werkvertrages 14,66 DM/Std. netto (Facharbeiter) und 16,02 DM/Std. netto (Vorarbeiter) betragen. Tatsächlich seien aber in den Monaten Juni 2001 bis September 2001 lediglich maximal 14,14 DM / 14,72 DM bezahlt worden. Die Beklagte wies darauf hin, dass sie bei weiteren Feststellungen untertariflicher Entlohnung die Klägerin gemäß Art 4b i.V.m Art 8 der deutsch-polnischen Regierungsvereinbarung über die Beschäftigung polnischer Arbeitnehmer auf der Grundlage von Werkverträgen zumindest für die Dauer von sechs Monaten vom Werkvertragsverfahren ausschließen werde. Die polnische Vergabestelle beim Ministerium für Wirtschaft (Warschau) habe eine Durchschrift dieses Schreibens erhalten. Der Bescheid enthielt die Belehrung, dass dagegen Widerspruch zum Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen zulässig ist.

Den Widerspruch der Klägerin - sie trug vor, den Nettolohn in ausreichender Höhe gezahlt zu haben - wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 09.08.2002 zurück.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen. Dieses hat die o.a. Bescheide mit Urteil vom 26.11.2003 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Für die Klägerin sei das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, weil bei einer Wiederholung der Tarifverstöße automatisch - ohne weitere Prüfung und Ermessensausübung durch die Beklagte - ein Ausschluss der Klägerin von künftigen Werkvertragsverfahren ausgesprochen werden könne. Die Verwarnung als Vorstufe eines Ausschlusses vom Werkvertragsverfahren sei rechtswidrig erfolgt, denn es finde sich weder im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) noch in der Regierungsvereinbarung hierfür eine Rechtsgrundlage. Zwar könne § 56 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) Rechtsgrundlage für eine Verwarnung bilden. Zur Wirksamkeit fehle es aber vorliegend am Einverständnis der Klägerin.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Rechtsgrundlage der Verwarnung sei Art 8 der Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Entsendung von Arbeitnehmern polnischer Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen vom 1.März / 30.April 1993 (BGBl 1993 II S. 1125) - Regierungsvereinbarung -. Zwar sei darin lediglich der Ausschluss des Unternehmens geregelt. Nach dem argumentum a maiore ad minus (Erst-Recht-Schluss) gelte Art 8 dieser Regierungsvereinbarung auch für die Verwarnung (milderes Mittel) und entspreche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Rechtsgrundlage sei auch § 56 OWiG. Da die vorliegende Verwarnung ohne Verwarnungsgeld erteilt worden sei, sei ein Einverständnis des Betroffenen nicht erforderlich gewesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 26.11.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Erst-Recht-Schluss verfange nicht. Jeder Eingriff in die Rechtssphäre bedürfe einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Diese fehle bezüglich der Verwarnung in der Regierungsvereinbarung. Auch § 56 OWiG sei nicht einschlägig, da ein ordnungswidriges Verhalten nicht vorliege.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet, denn für den im angefochtenen Bescheid vom 29.04.2002 enthaltenen "Hinweis", die Klägerin sei bei "weiteren Feststellungen bezüglich untertariflicher Entlohnung ... zumindest für die Dauer von sechs Monaten vom Werkverktragsverfahren auszuschließen" fehlt eine Rechtsgrundlage.

Dieser Hinweis stellt den eigentlichen Verfügungssatz des Bescheides vom 29.04.2002 dar. Darin regelt die Beklagte für den vorliegenden Einzelfall, dass bei einem erneuten Verstoß ein Ausschluss von mindestens sechs Monaten erfolgen wird, ohne dass eine erneute Ermessensentscheidung getroffen werden wird; der Ausschluss wird quasi automatisch erfolgen. Es handelt sich hierbei um einen Verwaltungsakt i.S. des § 31 SGB X, mit dem die Beklagte erklärt, bei einem Wiederholungsfall von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch mehr zu machen. Die Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes selbst stellt keine Verfügung dar, vielmehr lediglich die Begründung für die erfolgte "Verwarnung".

Der Hinweis auf die im Wiederholungsfall eintretende Sanktion kann nicht unmittelbar auf Art 8 Abs 4 der Regierungsvereinbarung gestützt werden. Nach Art 8 Abs 4 Satz 1 1.HS Regierungsvereinbarung werden Werkverträge nicht mehr genehmigt, soweit das Unternehmen die in Art 8 Abs 1-3 Regierungsvereinbarung vorgesehenen Bestimmungen (hier insbesondere Art 8 Abs 3 i.V.m. § 4b: Zahlung deutschen Tariflohnes) verletzt. Das Unternehmen wird nach dem Wortlaut der Vorschrift in diesem Fall somit bereits beim ersten Verstoß vom Werkvertragsverfahren ausgeschlossen, wobei der Ausschluss befristet werden kann, § 8 Abs 4 Satz 1 2.HS.

Nach dieser Regelung besteht hinsichtlich des "Ob" des Ausschlusses für die Beklagte kein Ermessen, lediglich bezüglich des "Wie", d.h. bezüglich der Dauer, hat die Beklagte ein solches auszuüben. Die Beklagte hat sich bezüglich des "Wie" - dabei ist auch eine Reduzierung der Ausschlussdauer auf Null möglich - entschlossen, in bestimmten Fällen zunächst eine "Verwarnung" zu erteilen. Dadurch ist eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten, wodurch die Beklagte auch verpflichtet ist, den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Grundgesetz zu beachten.

Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten, dass Art 8 Abs 4 Regierungsvereinbarung als milderes Mittel grundsätzlich auch eine sog. Verwarnung zulässt (argumentum a maiore ad minus). Insoweit trägt die Wahl des milderen Mittels dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung.

Ob diese Interpretation dem mutmaßlichen Willen derjenigen entspricht, die an der deutsch-polnischen Regierungsvereinbarung mitgewirkt haben, ist dieser zwar nicht zu entnehmen, es kann jedoch davon ausgegangen werden. So haben sich nach dem Protokoll vom 23.10.1996 über die Sitzung der deutsch-polnischen Arbeitsgruppe zu Fragen der Beschäftigung polnischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland vom 21. bis 23. Oktober 1996 in Krakau beide Seiten unter Tagungsordnungspunkt 3 über eine Sanktionsregelung verständigt. Danach erhält die Werkvertragsfirma statt des möglichen Ausschlusses lediglich eine "Verwarnung" in den Fällen, in denen der tarifliche oder ortsübliche Lohn bis zu 5 % unterschritten wird - sog. Bagatellfall (Verwarnung), vgl. Erlass des Präsidenten der Beklagten vom 18.12.1996 - I a 5 - 5751(44). Ein solcher "Bagatellfall (Verwarnung)" war vorliegend auch nach Auffassung der Beklagten gegeben. Die Beklagte gebraucht dabei den Begriff der Verwarnung nicht im technischen Sinne, d.h. i.S. des Ordnungswidrigkeitenrechts. Vielmehr soll lediglich ein Hinweis auf die Folgen weiterer Verstöße, d.h. eine Warnung gegeben werden, dass bei einem weiteren Verstoß ein Ausschluss für zumindest sechs Monate erfolgen wird. Dieser Hinweis findet in der Regierungsvereinbarung i.V.m. Tagesordnungspunkt 3 und unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der sich aus der Selbstbindung der Verwaltung ergibt, keine Rechtsgrundlage.

In dieser ist nämlich der Wiederholungsfall sowie eine zeitlich eingeschränkte Berücksichtigung des Bagatellfalls (Verwarnung) nicht geregelt. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass in einem solchen Fall bereits der Ausschluss vom Werkvertragsverfahren nach Art 8 Regierungsvereinbarung die Folge ist. Diese Sanktion wäre unverhältnismäßig, denn werden in Bagatellfällen (Ordnungswidrigkeiten) nach Abs 1 der Erläuterungen zur Sanktionsregelung Bußgelder verhängt, verbleibt es bis 5.000,00 DM Bußgelder/Jahr nach der Sanktionstabelle auch in Wiederholungsfällen bei einer Verwarnung. Ein Ausschluss für sechs Monate - wie von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 29.04.2002 angedroht - ist erst (und nur) bei Bußgeldern über 5.000,00 DM bis 50.000,00 DM und zwar erst ab dem ersten Wiederholungsfall vorgesehen. Es sind keine Gründe ersichtlich, die es rechtferitgen könnten, der Klägerin bereits für den (ersten) Wiederholungsfall den Ausschluss "zumindest für die Dauer von sechs Monaten" anzudrohen. Die Beklagte hat somit im angefochtenen Bescheid eine nicht durch eine Rechtsgrundlage gedeckte, unverhältnismäßige Sanktionsdrohung ausgesprochen, denn der Wiederholungsfall eines Bagatellfalles (Verwarnung) kann nach den maßgeblichen Bestimmungen (Abs 2 der Erläuterungen) nie zu einem Ausschluss führen. Selbst der Wiederholungsfall (Ordnungswidrigkeit) mit einer Geldbuße in Höhe von 5.000,00 DM führt nicht zum Ausschluss, sondern es bleibt bei einer weiteren Verwarnung. Hinzu kommt, dass in Bußgeldfällen die 12-Monats-Frist jeweils mit dem ersten Bußgeldbescheid bzw. Strafbefehl oder Strafurteil neu beginnt. Diese für "Bußgeldfälle" geregelte Vergünstigung muss auf die nicht bußgeldbewehrten "Verwarnungsfälle" (Bagatellfall - Verwarnung) analog angewandt werden, um das unverhältnismäßige Ergebnis zu vermeiden, dass bereits bei der ersten Wiederholung eines Bagatellfalls ohne Bußgeld der Ausschluss, der eine differierende Behandlung erfordern würde, in Betracht kommt. Eine analoge Anwendung ergibt sich aber auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, denn ein Unterschied in den verschiedenen geregelten Bagatellfällen ist nicht zu erkennen. Vielmehr ist der Verstoß gegen die Regelungen zur Entlohnung nicht einmal bußgeldbewehrt.

Auf das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) kann die Beklagte die Ausschlussandrohung nicht stützen. Die Klägerin hat - von der Beklagten nicht bestritten - darauf hingewiesen, dass sie im Rahmen des genehmigten Werkvertrags keine Bauleistungen erbracht hat, wie dies § 1 Abs 1 Satz 1 AEntG voraussetzt. Bauleistungen sind alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 211 Abs 1 SGB III). Die Klägerin hat jedoch nach den Unterlagen des von der Beklagten vorgelegten Werkvertragsvorgangs (Blatt 1-10) lediglich Blechverkleidungen vorgefertigt und montiert. Da somit die Voraussetzungen des AEntG nicht vorliegen, fehlt es auch an einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 Abs 1 Nr 1 AEntG.

Im Übrigen enthält der angefochtene Bescheid keine Verwarnung ohne Verwarnungsgeld i.S. § 56 Abs 1 Satz 2 des OWiG. Dies ergibt sich bereits aus dem angefochtenen Bescheid selbst, denn die Rechtsmittelbelehrung - auch wenn diese letztens nicht über das zulässige Rechtsmittel und den Rechtsweg entscheidet - sieht als Rechtsbehelf lediglich den Widerspruch zum Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen (§ 83 SGG) und nicht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 Abs 1 Satz 1 OWiG, über den das zuständige Amtsgericht zu entscheiden hätte (§§ 62 Abs 2, 68 Abs 1 OWiG), vor. Auch unterscheidet DA 2.10.170 der Beklagten ausdrücklich zwischen Bagatellfällen, die Ordnungswidrigkeiten darstellen und solchen, die in der DA mit "Bagatellfall (Verwarnung)" bezeichnet werden. Um letztere handelt es sich in vorliegendem Fall. Im Übrigen wird diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug genommen.

Nach alledem hat die Beklagte zumindest im Rahmen der vorliegenden Art des Verstoßes (Lohnunterschreitung) beim Wiederholungsfall ein - erneutes - Ermessen dahingehend auszuüben, in welchem Umfang ein Ausschluss erfolgen soll bzw. ob ein erneuter zeitlich auf Null reduzierter Ausschluss, d.h. ein erneuter Hinweis genügen soll. Dies aber will die Beklagte nicht mehr tun. Damit ist die von ihr getroffene Verfügung rechtswidrig.

Im Hinblick darauf, dass somit der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid angedrohte Ausschluss für den Wiederholungsfall keine Rechtsgrundlage hat, war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 26.11.2003 zurückzuweisen. Zu Recht hat das SG im Urteil vom 17.03.2004 - S 8 AL 500/02 - darauf hingewiesen, dass die von der Regionaldirektion Hessen der Beklagten in vergleichbaren Fällen verwendete Formulierung "Ich belehre Sie hiermit ausdrücklich, dass Ihr Unternehmen im Wiederholungsfall ausgeschlossen werden kann" auf keine rechtlichen Bedenken stößt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. den Vorschriften des GKG und der entsprechenden Anwendung der §§ 154-162 VwGO.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1, 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Das Urteil weicht insbesondere nicht von einer Entscheidung des BSG ab. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung, weil keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen vorliegen und solche von der Beklagten auch nicht geltend gemacht wurden.
Rechtskraft
Aus
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