L 3 KA 520/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 KA 5268/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 KA 520/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.05.2002 wird zu- rückgewiesen.
II. Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu er- statten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Schadensersatzanspruch der Beigeladenen wegen mangelhafter prothetischer Versorgung der Patientin M. H. streitig.

Der Kläger ist Zahnarzt in M. und nimmt an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Er gliederte bei der Patientin M. H. aufgrund des Heil- und Kostenplanes vom 18.11.1995 am 13.12.1995 eine kombinierte Zahnersatzversorgung im Oberkiefer ein. Der Heil- und Kostenplan wurde mit 3.575,86 DM von der Beigeladenen zu 1) abgerechnet.

Die Versicherte war in der Folgezeit neunmal beim Kläger in Behandlung, am 17.05.1996 das letzte Mal. Am 02.08.1996 führte auf Veranlassung des Klägers Dr.W. eine Resektion am Zahn 23 durch. Zum Legen einer Deckfüllung erschien die Klägerin nicht mehr in der Praxis des Klägers. Sie suchte vielmehr am 08.07.1996 Dr.J. auf. Dieser versuchte wiederholt die Prothese der Klägerin, die Bruchstellen aufwies, zu kleben. Am 11.11. 1997 reichte er bei der Beigeladenen einen Heil- und Kostenplan ein, da der alte Zahnersatz nicht repariert werden könnte. Nach Genehmigung setzte er am 28.04.1998 eine Neuversorgung des Zahnersatzes im Oberkiefer ein. Am 10.12.1997 beantragte die Beigeladene eine Begutachtung, die Dr.K. am 15.01.1998 vornahm. Er führte aus, die Auswertung der präprothetischen Unterlagen zeige, dass die Pfeilerzähne 13, 11 und 23 zur Aufnahme von Zahnersatz geeignet gewesen seien. Als prognostisch riskant sei das Belassen der Zähne 25 bis 27 zu bewerten. Bei der klinischen Untersuchung habe sich gezeigt, dass die Krone auf distal/bukkal nicht die Präparationsgrenze erreicht habe. Die Krone auf 23 sei palatinal perforiert und untersondierbar. Die Gestaltung der Kronenränder auf den Zähnen 13 und 23 sei fehlerhaft. Dieser Zustand sei nicht nachbesserbar, eine Neuversorgung sei daher notwendig. Daraufhin forderte die Beigeladene von der Beklagten den Kassenanteil für die prothetische Versorgung des Oberkiefers in Höhe von 3.575,86 DM zurück. Die Beklagte gab den festgestellten Sachverhalt dem Kläger bekannt. Dieser trug vor, die Patientin habe zu keinem Zeitpunkt - bis zur letztmaligen Behandlung am 17.05.1996 - Mängel an der Prothetik geäußert. Er habe auch keine Gelegenheit zur Nachbesserung gehabt. Das Gutachten sei eineinhalb Jahre nach dem letzten Besuch der Patientin in der Praxis und nach Behandlerwechsel erstellt worden. Die festgestellten Mängel seien auf den Gesundheitszustand der Patientin - sie litt an einem Anfallsleiden - zurückzuführen. Veränderungen an der Prothese seien auf Nachbehandler zurückzuführen. Die Patientin sei am 07.05. 1996 zu Dr.W. zur Resektion an Zahn 23 verwiesen worden. Zum Legen einer notwendigen Deckfüllung sei sie nicht in der Praxis erschienen, so dass die Untersondierung an diesem Zahn eine unmittelbare Folge dieses Versäumnisses sei.

Mit Bescheid vom 09.06.1998 gab die Beklagte dem Rückforderungsantrag der Beigeladenen statt und belastete das Konto des Klägers mit einem Betrag in Höhe von 3.575,86 DM. Sie nahm Bezug auf die Ausführungen des Dr.K. und hielt eine Neuversorgung des Oberkieferzahnersatzes aufgrund der fehlerhaften Gestaltung der Kronenränder an den Zähnen 13 und 23 für erforderlich, weil dieser Zustand nicht nachbesserbar sei. Auch sei die Patientin zur Kündigung des Behandlungsvertrages berechtigt gewesen, da die Arbeit funktionsuntauglich gewesen sei und nacherneuert habe werden müssen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Er forderte Beweismittel für die fehlerhafte Gestaltung der Kronenränder an den Zähnen 13 und 23.

Mit Bescheid vom 24.11.1998 gab die Beklagte den in der Sitzung des Widerspruchsausschusses am 11.11.1998 gefassten Beschluss bekannt. Auf der vorliegenden Röntgenaufnahme, die als Planungsgrundlage für die Zahnersatzversorgung diene, seien die Zähne 17, 15, 16, 13, 12, 23, 24, 25 und 27 röntgenologisch unzureichend dargestellt und im Rahmen einer Gesamtplanung nicht ausreichend interpretierbar. Sie schließe sich den Ausführungen des Gutachters an.

Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht München eingelegt und beantragt, die Belastung seines Honorarkontos rückgängig zu machen.

Das SG hat mit Urteil vom 29.05.2002 die Klage abgewiesen. Es hat sich dem Gutachten Dr.K. angeschlossen. Der Kläger hätte die Mangelhaftigkeit der Kronenränder erkennen und durch Neuversorgung beseitigen können. Dies sei nicht geschehen. Im Abbruch der Behandlung durch die Patientin liege eine Vertragslösung durch schlüssiges Verhalten. Durch die Zweitversorgung mangels Reparaturfähigkeit der Altversorgung sei der Beigeladenen ein Schaden entstanden. Zur Regressierung der Kosten im Drittinteresse sei die Beklagte in entsprechender Anwendung der §§ 249 ff. BGB berechtigt, weil eine Zweitversorgung mangels Reparaturfähigkeit der Altversorgung durchgeführt werden musste.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung hat der Kläger auf Urteile des Amts- bzw. Landgerichts M. in Sachen M. H. gegen Dr.F. verwiesen. M. H. war mit ihrer Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld im Zivilverfahren unterlegen.

Der Senat hat die Röntgenaufnahmen, die Karteikarte des Dr.B. J. und ein Schreiben des Dr.J. vom 28.02.2005 sowie die Akten des Amtsgerichts und Landgerichts M. , Rechtsstreit H. gegen F. beigezogen. Auf Anfrage des Senats hat die Beklagte mitgeteilt, der Gesamtbetrag für eine hypothetische Behandlung belaufe sich auf 2.367,00 EUR.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.05.2002 sowie die Bescheide vom 09.06.1998 und 24.11.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 29.05.2002 zurückzuweisen.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Akten des Amts- und Landgerichts M. hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber unbegründet.

Zutreffend bejahte das SG das Vorliegen eines Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Kläger. Um einen solchen und nicht um einen Erstattungsanspruch handelt es sich, wenn die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung den klagenden Zahnarzt wegen mangelhafter zahnprothetischer Leistungen in Anspruch nimmt (BSG, Urteile vom 10.04.1990 - SozR 3-5555 § 12 Nr.1; vom 16.01.1991 - SozR 3-5555 § 12 Nr.2 und vom 20.05.1922 - SozR 3-5555 § 12 Nr.3).

Die - öffentlich-rechtliche - Schadensersatzforderung leitet sich aus dem Vertrag zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundes- vereinigung (KZVB) und dem Verband der Angestellten und Kranken- kassen (VdAK) sowie dem Verband der Arbeiterersatzkassen e.V. (AEV) vom 29.11.1963 (EKV-Z) ab. Nach § 4 Ziffer 1 dieses Vertrages ist der Vertragszahnarzt verpflichtet, die Versorgung der Anspruchsberechtigten nach den Bestimmungen des Vertrages durchzuführen. Verletzt ein Vertragszahnarzt die danach bestehenden Pflichten, so kann die zuständige Kassenzahnärztliche Vereinigung von dem Vertragszahnarzt Schadensersatz verlangen. Sie kann dabei den Schaden in der Weise berechnen, dass der Zahnarzt die Krankenkasse finanziell so zu stellen hat, wie sie stehen würde, wenn er seine vertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt hätte (BSG, a.a.O.). Für die Feststellung eines solchen Schadensersatzanspruchs und die damit begründete Belastung des Honorarkontos des in Bayern ansässigen Klägers ist die Beklagte zuständig. Dies folgt aus § 12 Nr.6 EKV-Z. Darin wird die Kassenzahnärztliche Vereinigung verpflichtet, durch Vertragsinstanzen anerkannte Forderungen einer Vertragskasse gegenüber dem Vertragszahnarzt bei der nächsten Abrechnung vom laufenden Honoraranspruch abzusetzen. Die Beklagte hatte als allgemeine Vertragsinstanz über Schadensersatzansprüche im Ersatzkassenbereich zu entscheiden und zwar durch Verwaltungsakt. Insoweit handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, der einen den Versicherten selbst aus dem Behandlungsvertrag eventuell erwachsenden zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch unberührt lässt und sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung des SGB V und des EKV-Z, die sich mit den Folgen von Pflichtverletzungen befassen, ergibt.

Der zahnärztliche Vertrag ist auch bei der Versorgung des Patienten mit Zahnersatz ein Dienstvertrag gemäß § 611 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der - da es sich um Dienstleistungen höherer Art handelt - gemäß § 627 BGB jederzeit gekündigt werden kann. Dies schließt generell ein Recht des Zahnarztes auf Nachbesserung zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen aus. Ein Schadensersatzanspruch setzt jedoch - unabhängig davon, ob man ihn im Einzelfall aus einer analogen Anwendung des § 628 Abs.2 BGB oder aus dem Rechtsinstitut der positiven Vertragsverletzung ableitet - voraus, dass der Versicherte aufgrund eines schuldhaften vertragswidrigen Verhaltens des Zahnarztes zur Kündigung veranlasst worden ist. Die Tatsache, dass eine im Rahmen der Dienstleistung erbrachte Leistung mit Mängeln behaftet ist, reicht allein nicht aus. Durch schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Dienstverpflichteten ist die Kündigung des anderen Teiles nur veranlasst, wenn das Verhalten das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 BGB hat (BSG, Urteil vom 16.01.1991, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des BSG liegt ein solches zur Kündigung berechtigendes schuldhaftes vertragswidriges Verhalten des Zahnarztes unter anderem dann vor, wenn sein Arbeitsergebnis völlig unbrauchbar und eine Nachbesserung nicht möglich oder dem Versicherten nicht zumutbar ist. Zur Überzeugung des fachkundig besetzten Senats war der Versicherten M. H. eine Nachbesserung durch den Kläger nicht zumutbar. Der Kläger hatte bei ihr einen kombinierten festsitzenden herausnehmbaren Zahnersatz im Oberkiefer mit einer Brücke von 13 über 11 auf Zahn 23 gefertigt. Der Zahnersatz wurde in der Folgezeit mehrfach abgenommen und provisorisch wieder befestigt - wie sich aus der Karteikarte des Klägers ergibt. Allein aus diesen Prozedere ist es für den Senat nachvollziehbar, dass die Versicherte nicht länger Willens war, den Kläger für weitere Arbeiten an der Oberkieferprothese als auch für die notwendige Deckfüllung nach Wurzelspitzenresektion durch Dr.W. aufzusuchen. Ein Vertrauensverlust ist einsehbar. Hinzu kommt nach den Feststellungen des Dr.K. im vom Senat im Urkundenbeweis zu verwertenden Gutachten vom 15.01.1998, dass die Gestaltung der Kronenränder auf den Zähnen 13 und 23 fehlerhaft war und dieser Zustand nicht nachbesserbar war.

Der Einwand des Klägers, die vom Gutachter festgestellten Mängel seien nicht durch ihn, sondern durch Nachbehandler entstanden, greift nicht durch. Der Senat stützt sich auf die Auskunft des Dr.J. vom 28.02.2005, wonach er am Zahnersatz der M. H. keine Veränderungen vorgenommen hat. Der Senat hält diese Auskunft für glaubhaft, denn es entspricht der Lebenserfahrung, dass der Nachbehandler eine Begutachtung durch die Kasse vor weiteren Maßnahmen abwarten will. Die Einschätzung des Dr.B. im Gutachten vom 09.11.1999 (erstellt für das Amtsgericht M. im Rechtsstreit M. H. gegen Dr.F.) überzeugt hingegen nicht. Er hält es für denkbar, dass die Oberkieferkronen in der Praxis Dr.J. beim erstmaligen Besuch am 08.07.1996 permanent eingesetzt wurden und dieser Zementierungsvorgang nicht korrekt erfolgt ist. Da eine Krankenblattkopie vom 08.07.1996 nicht vorhanden ist, ist diese Aussage nicht nachprüfbar. Der Senat hält es aber auch für abwegig, dass Dr.J. beim erstmaligen Besuch der Versicherten am 08.07.1996 über die von ihm dargestellten Klebemaßnahmen hinaus einen permanenten Einsatz vorgenommen hat. Da Dr.B. es aber genauso für denkbar hält, dass die mangelhafte Herstellung durch den Kläger erfolgt ist, hat sein Gutachten ohnehin keinen weiteren Beweiswert.

Die mangelhafte Arbeit zeigt sich im Übrigen auch darin, dass die Krone an 23 am 15.01.1998 bereits palatinal perforiert und distal untersondierbar war. Der Senat hat daher keine Bedenken, dass der vom Kläger eingegliederte Zahnersatz im Oberkiefer mangelhaft war.

Zu Recht hat daher die Beklagte den Betrag in Höhe von 3.575,86 DM, als Schadensbetrag festgesetzt und regressiert. Der Kläger hat seine Behandlungspflicht schuldhaft verletzt, indem er die vertragszahnärztlichen Leistungen nicht in einer Weise erbracht hat, die dem allgemein anerkannten Stand zahnärztlicher Kunst entspricht. Die Schulhaftigkeit des Verstoßes bedarf keiner weiteren Begründung. Eine Nachbesserung durch den Kläger war der Patientin nicht länger zumutbar. Ihr Entschluss, den Behandler zu wechseln, ist verständlich und als konkludente Kündigung zu werten. Der Krankenkasse entstand ein Schaden dadurch, dass ihr Aufwendungen durch Maßnahmen eines Zweitbehandler entstanden sind, die erforderlich waren, um den Oberkieferzahnersatz der Klägerin zu erneuern. Die Regressierung dieser Kostenposition ist als Mindestschaden anzusehen, den im Drittinteresse zu regressieren die Beklagte in entsprechender Anwendung der §§ 249 ff. berechtigt war.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 29.05.2002 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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