L 4 KR 102/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 819/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 102/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. März 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außgerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kosten in Höhe von 7.022,22 Euro zu erstatten, die dem Kläger für eine interstitielle Brachytherapie bei Prostatakrebs entstanden sind.

Der 1948 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Er litt an einem lokal begrenzten Prostatakarzinom.

Der Kläger hat sich am 01.03.2002 telefonisch mit der Beklagten in Verbindung gesetzt und mitgeteilt, morgen solle bei ihm eine ambulante Operation durchgeführt werden, und zwar eine Seed- bzw. Brachytherapie bei Prostatakarzinom. Er habe jetzt schon eine Rechnung für Ultraschalluntersuchungen bekommen, die im Vorfeld erforderlich waren. Nach weiterer Information hat die Beklagte den Kläger dann telefonisch ebenfalls am 01.03.2002 kontaktiert und ihn informiert, dass die Brachytherapie keine Kassenleistung sei und auch keine Einzelfallentscheidung nach Vorlage an den Medizinischen Dienst möglich sei. Der Kläger gab an, er werde die Behandlung trotzdem vornehmen lassen und sich erst einmal überlegen, ob er wegen Kostenübernahme noch einen Antrag stellen werde.

Am 04.03.2002 ging der schriftliche Antrag auf Kostenübernahme bei der Beklagten ein. Der Kläger teilte in dem dazu gehörenden Schreiben vom 01.03.2002 mit, bei ihm sei im Juli 2001 ein Prostatakarzinom festgestellt worden, seither sei er bei dem Urologen Priv.Doz.Dr.B. in Behandlung. Die in der Rechnung dargestellten Maßnahmen seien als Vorbereitung einer Brachytherapie, die am 02.03.2002 durchgeführt werde, erforderlich.

Der Kläger legte dann eine Rechnung des Dr.B. vom 21.03.2002 vor, wonach am 11.02.2002 ein Bestrahlungsplan für die Brachy- therapie erstellt worden war. Für die Behandlung am 02.03.2003 wurden insgesamt 5.423,66 Euro in Rechnung gestellt. Um Übernahme dieser Kosten bat der Kläger mit Schreiben vom 27.03. 2001. Im Schreiben vom 05.04.2002 führte er dann aus, nach Angaben von Urologen sei bei einer Prostatektomie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit einer längeren Inkontinenz und einer 100%igen Impotenz zu rechnen. Diese Nebenfolgen seien bei der durchgeführten Therapie nicht zu erwarten. Er legte an eine Bescheinigung des leitenden Oberarztes der Abteilung für Strahlentherapie und radiologische Onkologie Dr.H. (Krankenhaus M.) vom 02.04.2002 vor, wonach amerikanische Untersuchungsberichte und Zahlen eindeutig belegten, dass die Behandlungsform Seed-Implantation bei T 2/3 Prostatakarzinomen die Therapie der Wahl sei.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 11.03.2002 eine Kostenerstattung mit der Begründung abgelehnt, es handele sich bei der Brachytherapie mit Permanent-Seeds um eine neue Unterschungsmethode, die noch keinen Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden habe. Der Kläger legte mündlich Widerspruch ein. Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (Dr.I.) ein. Der Gutachter führte aus, es handele sich bei der Brachytherapie der Prostata um "eine vertragsrechtliche Leistung, die gemäß EBM über die Ziffern 7040 bis 7046 abrechenbar" sei. Die Methode sei keine außervertragliche. Es bleibe aber festzustellen, dass die Therapie aufgrund der jetzigen Datensituation keine besseren Behandlungsergebnisse nachweisen könne als die bestehenden Vertragsleistungen radikale Prostatektomie und perkutane Strahlentherapie. Der Kläger legte im Widerspruchsverfahren weitere Rechnungen zur Kostenerstattung vor vom 30.04.2002, 21.03.2002, 02.05.2002 und vom 28.02.2002. Auf Anfrage der Beklagten teilte Privatdozent Dr.med.habil.B. , Arzt für Urologie, der Beklagten mit Schreiben vom 21.03.2002 mit, der Kläger sei unterrichtet worden, dass die Brachytherapie bisher immer noch keine GKV-Leistung darstelle.

Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2002 zurückgewiesen. Der Kläger habe als freiwilliges Mitglied nicht die Kostenerstattung gewählt. Aus sozial-medizinischer Sicht sei die beantragte Therapie nicht begründbar.

Der Kläger erhob am 26.09.2002 Klage zum Sozialgericht München mit der Begründung, die interstitielle Brachytherapie sei in den einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgenommen, sie stelle eine vom Bundessausschuss der Ärzte und Krankenkassen genehmigte Behandlungsmethode dar und stehe ihm als vertragsärztliche, von einem Kassenarzt durchgeführte Leistung als Sachleistung nach §§ 27, 2 Abs.1, 12 SGB V zu. Die Behandlungskosten in Höhe von 7.020,22 Euro seien zu erstatten. Es handele sich bei der interstitiellen Brachytherapie um eine vertragsärztliche Leistung, dies werde auch durch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns im Schreiben vom 07.05.2003 bestätigt. Die Beklagte legte ein Schreiben des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen an das Sozialgericht Hamburg vom 02.05. 2003 vor. Darin wird mitgeteilt, die interstitielle Brachytherapie bei lokal begrenzten Prostatakarzinom unter Anwendung von implantierten Permanent-Seeds werde aufgrund eines vorliegenden Antrags einer der nach § 135 Abs.1 SGB V antragsberechtigten Organisationen im zuständigen Arbeitsausschuss überprüft. Auf Anfrage der Klägerbevollmächtigten bestätigte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit Schreiben vom 28.07. 2003, aus vorliegenden Stellungnahmen der Geschäftsführung des Bewertungsausschusses sei zu entnehmen, dass die interstitielle Brachytherapie grundsätzlich im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nach der Leistungsposition 7046 des EBM abzurechnen sei. Die Beklagte wies dann darauf hin, der behandelnde Dr.B. habe Brachytherapie privatärztlich abgerechnet und sei nicht zu dem Ergebnis gekommen sei, die Behandlung hätte auf vertragsärztlicher Basis abgerechnet werden können.

Nach weiterem Schriftwechsel hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 17.03.2004 abgewiesen. Eine Kostenerstattung komme nicht in Betracht. Es liege kein Beratungsfehler der Beklagten vor. Auch ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine Systemstörung. Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung stünden für die Erkrankung des Klägers Behandlungsmethoden zur Verfügung. Die Brachytherapie sei keine neue Methode. Sie stelle eine vertragsärztliche Leistung dar, die gemäß EBM abrechenbar sei. Der behandelnde Arzt Dr.B. habe die Therapie nicht als vertragsärztliche angesehen, deshalb privatärztlich erbracht und in Rechnung gestellt. Bei der Therapie handele sich um keine Leistung, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung. Die Beklagte habe zu Unrecht die Sachleistung abgelehnt und habe deshalb die Kosten der selbstbeschafften Behandlung zu erstatten. Zwischen den Parteien sei insbesondere streitig, ob es sich bei der vom Kläger in Anspruch genommenen Therapie um eine Vertragsleistung handele. Die Strahlenbehandlung habe am 02.03.2002 begonnen, hierfür seien Rechnungen vom 28.02., 21.03., 30.03., 30.04. und 02.05.2002 erstellt worden, deren Höhe betrage insgesamt 7.020,22 Eu- ro. Auch nach dem MDK handele sich um keine außervertragliche Leistung. Die vom Bundesausschuss geplante Überprüfung betreffe eine Überprüfung nach § 135 Abs.1 Satz 2 SGB V. Ein negatives Überprüfungsergebnis liege bis heute nicht vor. Die Beklagte und das Sozialgericht München seien fälschlicherweise von einem Anwendungsfehler des § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V ausgegangen. Die interstitielle Brachytherapie sei eben keine neue Behandlungsmethode. Sie sei vielmehr derzeit Vertragsleistung. Die Beklagte habe vor Behandlungsaufnahme am 02.03.2002 dem Kläger gegenüber die Brachytherapie als Kassenleistung ausdrücklich abgelehnt. Der behandelnde Arzt Dr.B. habe eine Rechnung gestellt, die Beklagte habe die Kosten zu erstatten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.03.2004 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 11.03. 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09. 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten der interstitiellen Brachytherapie in Höhe von 6.828,45 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die zeitlich unbegrenzte Therapie mit Seeds werde nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erbracht und gelte als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die nicht zu Lasten der Beklagten abgerechnet werden könne. Die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten zur vertraglich geschuldeten Therapie gingen daher in Leere.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Rechtzüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Die Voraussetzungen des als einzige Anspruchsgrundlage in Frage kommenden § 13 Abs.3 SGB V sind nicht gegeben. Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. § 13 Abs.3 SGB V ist in Zusammenhang mit § 13 Abs.1 SGB V zu verstehen. Danach darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs.2) Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder SGB IX vorsehen. Das bedeutet, dass eine Kostenerstattung einen Sachleistunganspruch voraussetzt. Dies ist im Falle der beim Kläger durchgeführten Brachytherapie mit Permanent-Seed streitig. Nach Auffassung der Klägerbevollmächtigten handelt es sich dabei um eine Leistung, die als Sachleistung zu erbringen ist, weil sie gemäß EBM über die Ziffern 7040 bis 7046 ambulant vertragsärztlich abrechenbar ist.

Der Gemeinsame Bundesausschuss gemäß § 91 Abs.2 SGB V nehme derzeit eine Überprüfung vor. Er habe am 21.12.2004 beschlossen, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit der wissenschaftlichen Bewertung des aktuellen Wissensstandes zur interstitiellen Brachytherapie bei lokal begrentem Prostatakarzinom zu beauftragen. Die Beklagte ist der Meinung, es liege eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vor, die gemäß § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden darf, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (früher Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen) auf Antrag einer kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit. Im Ergebnis kann der Senat offenlassen, ob der Kläger einen Sachleistungsanspruch auf die durchgeführte Therapie gehabt hätte, es fehlt nämlich eine weitere Voraussetzung zur Anwendbarkeit des § 13 Abs.3 SGB V. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (siehe z.B. Urteil vom 20.05.2003, B 1 KR 9/03, SozR 4-2500 § 13 Nr.1 m.w.N.) scheidet ein auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch aus, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. In einem solchen Fall sind die Kosten unabhängig vom Verhalten der Krankenkasse entstanden, und es fehlt von vornherein an dem vom Gesetz geforderten Kausalzusammenhang zwischen rechtswidrige Ablehnung und Kostenlast (BSG a.a.O.). Im Fall des Klägers bedeutet dies, dass die vom Vertragsarzt Priv.Doz.Dr.B. privatärztlich in Rechnung gestellte Behandlung spätestens am 05.02.2002 begonnen hat. Dies ergibt sich aus der Rechnung vom 28.02.2002, deren Erstattung die Klägerbevollmächtigte zwar nicht mehr fordert, die jedoch eindeutig den Behandlungsbeginn betrifft. Laut Rechnung vom 21.03.2002 wurde die Behandlung am 11.02.2002 fortgeführt, nämlich mit Erstellung eines Behandlungsplanes einschließlich Berechnung der Dosis im Zielvolumen mit abschließender Röntgendokumentation. Wenn der Kläger dann telefonisch am Tag vor der geplanten Operation Verbindung mit der Beklagten aufnimmt und sie informiert, dass die Operation am folgenden Tag durchgeführt werden soll, ist auszuschließen, dass die Leistungsablehnung kausal für die Kostenentstehung ist. Die späteren Äußerungen des Klägers bestätigen diese Auffassung. So gibt der Kläger im Schreiben vom 05.04.2002 an die Beklagte an, im Vorfeld seiner Therapieentscheidung habe er sich von mehreren Ärzten beraten lassen, der behandelnde Arzt Priv.Doz.Dr.B. bestätigt, dass er den Kläger auf die Nichtleistung der Krankenkassen hingewiesen habe. Der Kläger hat sich also vor Beginn der Therapie nicht mit der Beklagte in Verbindung gesetzt, seine Aufnahme der Therapie war unabhängig von einer Entscheidung der Beklagten. Umso weniger ist anzunehmen, dass die Entscheidung der Beklagten Einfluss hatte auf seinen Entschluss, die Therapie fortzuführen. Daraus ergibt sich, dass eine Erstattung auch für nachfolgende Leistungen ausscheidet, weil sich die Ablehnung auf den weiteren Behandlungsverlauf nicht mehr auswirken konnte (BSG, Urteil vom 19.06.2001, B 1 KR 23/00 R; SozR 3-2500 § 28 Nr.6).

Die Kostenfolger ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen des Klägers.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben. Der Senat weicht nicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anwendung von § 13 Abs.3 SGB V ab.
Rechtskraft
Aus
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