L 4 KR 176/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 229/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 176/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 46/05 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 2. Juni 2003 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin mit implantatgestütztem Zahnersatz versorgen zu lassen.

Die 1984 geborene Klägerin ist bei der Beklagten familienversichert. Bei ihr besteht ein Zustand nach Lippen-Kiefer-Gaumenspalte links mit Nichtanlage der Zähne 15 und 22 sowie Alveolarkammdefizit Regio 15 und 22. Am 29.10.2001 ging bei der Beklagten ein Schreiben des Klinikum S. , Klinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie, Ärztlicher Direktor Prof.Dr. W. an die Mutter der Klägerin ein, in dem mitgeteilt wird, die geplante Versorgung der Schaltlücken 15 und 22 mit Implantaten und Kronen sei aus langer Sicht die beste Therapieform zur ästhetischen und funktionellen Rehabilitation des Kausystems. Als prothetische Versorgung käme auch die Versorgung der Schaltlücken durch Brücken von 14 auf 16 sowie 21 auf 23 in Betracht. Es wurde ebenfalls vorgelegt ein Kostenvoranschlag des Prof.Dr.W. vom 26.07.2000, wonach für die Behandlung Kosten in Höhe von insgesamt 5.036,80 DM und 15.158,46 DM entstehen sollten.

Zur Überprüfung, ob eine Ausnahmeindikation vorliege, veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung für den Regierungsbezirk Stuttgart. Der Gutachter Dr.C. kam zu dem Ergebnis, eine Ausnahmeindikation liege nicht vor. Zahn 21 sei wurzelbehandelt und damit mittel- bis langfristig überkronungsbedürftig. Die die Zahnlücke 15 begrenzenden Nachbarzähne 14 und 16 seien laut Röntgenbefund karies- und füllungsfrei und damit nicht überkronungsbedürftig. Deshalb sei gem. § 30 Abs.1 Satz 5 SGB V eine Kostenbeteiligung an der Metallkeramikkrone 15 zu befürworten. Prof.Dr.W. , dem die Klägerin das Gutachten vorlegte, äußerte sich dahingehend, dass es sich um eine seltene Ausnahmeindikation handele.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 03.04.2002 ihre Leistungspflicht mit der Begründung abgelehnt, eine Ausnahmeindikation nach § 28 SGB V liege nicht vor. Hiergegen wurde Widerspruch eingelegt. Die von der Beklagten eingeschaltete Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung lehnte die Notwendigkeit eines Obergutachtens ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.2002 zurückgewiesen. Es liege keine Ausnahmeindikation für implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion vor. Lediglich die Kosten für eine Krone für die Einzelzahnlücke 15 könnten bezuschusst werden.

Hiergegen richtete sich die zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage. In der Klagegründung teilte die Mutter der Klägerin mit, in den zwei Jahren seit der ersten Antragstellung sei eine sehr schmerzhafte Zahnbehandlung erforderlich gewesen, ein Zahn, der durch ein Implantat ersetzt werden sollte, sei im Frühjahr abgebrochen. Die Klägerin sei außerdem durch ihre Fehlbildung psychisch schwer belastet. Das Sozialgericht hat durch den Zahnarzt Dr.C. W. ein Gutachten zu den Fragen erstellen lassen, welcher zahnärztliche und kieferchirurgische Befund bei der Klägerin vorliege, ob eine Ausnahmeindikation hinsichtlich der von Prof.Dr.W. befürworteten Versorgung mit Implantaten und hierauf gestützter Suprakonstruktion bestehe und ob Behandlungsalternativen auch unter Beachtung des in § 12 SGB V normierten Wirtschaftlichkeitsgebots gegeben seien. Der Gutachter kam unter Berücksichtigung der ärztlichen Unterlagen des Klinikums S. sowie von Röntgen- und Mikrofilmen nach Aktenlage zusammengefasst zu dem Ergebnis, bei Zahn 15 handele es sich um eine Nichtanlage, Zahn 22 sei strittig. Eine generalisierte Nichtanlage von Zähnen liege nicht vor. Röntgenologisch und klinisch sei kein größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt erkennbar. Bei Zahn 15 sei die Bezuschussung der Suprakonstruktion möglich. Zahn 21 sei erkrankt und erhaltungswürdig. Es sei zahnärztlich vertretbar, den Zahn 21 zu überkronen. Auch wenn bei Zahn 23 keine unmittelbare Notwendigkeit einer Überkronung bestehe, sei es wirtschaftlich, diesen Zahn mit einer Teilkrone als Brückenpfeiler in eine Brücke von 21 nach 23 zum Ersatz von 22 einzubeziehen. Es gehe nur bei Zahn 23 etwas gesunde Zahnsubstanz verloren.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. Juni 2003 abgewiesen. Eine Ausnahmeindikation für die Versorgung mit Implantaten bestehe nicht. Die Beklagte habe bereits die Kostenübernahme für den Zahn 15 in Höhe einer konventionellen prothetischen Versorgung zugesichert. Die Krone stelle die vertragsärztlich zu erbringende zahnprothetische Versorgung dar. Bezüglich Zahn 22 sei den Ausführungen des gerichtlichen Gutachters zu folgen, dass das Abschleifen von Zahn 23 vertretbar ist.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung. Der Bevollmächtigte der Klägerin begründet sie damit, auch die Betrachtung unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit gebiete, dass die Lösung mittels Implantat bereits jetzt am nicht angelegten Zahn 22 die wirtschaftlichste ist, da diese Behandlungsmethode die einzige sei, die einer Atrophie des Kieferknochens entgegenwirkt sowie keine Auswirkungen auf benachbarte Zähne habe. Es sei auch nicht von den Richtlinien gedeckt, wenn Zahn 23 zur Lückenfüllung für Zahn 22 beschliffen werde. Eine zahnschonende Behandlung sei für den jeweiligen Patienten vor die für die Krankenkasse wirtschaftliche Folge zu stellen. Die Beklagte sei auch verpflichtet, Kosten für eine Knochenspantransplantation zu erstatten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 02.06.2003 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 03.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin in den Region 15 und 22 mit Implantaten (vollständige Kostenübernahme) sowie mit den dazu gehörenden Suprakonstruktionen zu versorgen. Hilfsweise beantragt der Bevollmächtigte der Klägerin, die mündliche Verhandlung zu vertagen und Dr.W. gutachterlich zu der Frage zu hören, ob die bestehende Atrophie es gestattet, den Zahnstatus mit jeweils einer Brücke zu behandeln.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Mit der Berufungsbegründung würden im wesentlichen keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen. Nach den Richtlinien seien Ausnahmeindikationen nicht erfüllt. Nach Hinweis des Vorsitzenden auf die Rechslage ab 01.01.2005 erklärt der Vertreter der Beklagten, bei vertragsmäßigem Heil- und Kostenplan sehe er keine Hinderungsgründe, bei einer Suprakonstruktion Festzuschüsse zu bezahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gem. § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Das Sozialgericht und die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin nach dem bis 31.12.2004 geltenden Recht keinen Anspruch auf Kostenübernahme für implantologische Leistungen hatte. Gem. § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB V umfasst die Krankenbehandlung zwar grundsätzlich zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz. Hierzu ergibt sich aus § 28 Abs.2 SGB V, dass die zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes umfasst, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Satz 9 dieser Vorschrift in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.1999 (BGBl. I S.2626) regelt jedoch, dass zur zahnärztlichen Behandlung implantologische Leistungen nicht gehören, es sei denn, es lägen seltene vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs.1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Diese Ausnahmeindikationen sind in den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen (Behandlungsrichtlinien) vom 07.12.1962 in der Fassung vom 24.07.1998 (Bundesanzeiger Nr.177) im Abschnitt B.VII. Nr.28, 29 enthalten. Nr.28 stellt zunächst klar, dass mit den Ausnahmeindikationen der Absicht des Gesetzgebers gefolgt wird, Versicherte sollten nur in zwingend notwendigen Fällen implantologische Leistungen erhalten können. Nr.29 regelt die Ausnahmeindikationen und bestimmt allgemein, dass ein Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann besteht, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. Bei der Klägerin ist selbst nach Angabe des (geplanten) Behandlers Prof.Dr.W. diese Voraussetzung nicht erfüllt. Er gibt eindeutig an, als prothetische Versorgung käme auch die Versorgung der Schaltlücken durch Brücken in Betracht.

Bei der Klägerin liegt auch nicht ein besonders schwerer Fall nach Nr.29 der Richtlinien vor. Danach sind besonders schwere Fälle größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte, eine dauerhaft bestehende extreme Xerostomie, eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen und nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. bei Spastiken). Dass größere Kiefer- oder Gesichtdefekte nicht vorliegen, hat der vom Sozialgericht beauftragte Gutachter nach Auswertung der Röntgenunterlagen festgestellt. Ebenso verneint er eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen im Sinne der Richtlinien. Unbestritten besteht bei der Klägerin eine Nichtanlage lediglich bei einem Zahn (15). Bei Zahn 22 handelt es sich nach Dr.W. um eine Nichtanlage, nach dem behandelnden Zahnarzt der Klägerin um einen bleibenden Zahn, der entfernt wurde. Es kann damit nicht von einer generalisierten Nichtanlage von Zähnen ausgegangen werden.

Da die Behandlung noch nicht durchgeführt wurde, ist der Anspruch der Klägerin nach dem ab 01.01.2005 geltenden Recht zusätzlich zu überprüfen. § 28 SGB V wurde nicht durch das Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz (RVN-G) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S.1791) geändert. Nach wie vor gilt § 28 Abs.2 Satz 9 SGB V, wonach implantologische Leistungen ausgeschlossen sind, es sei denn, es lägen seltene vom gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien festzulegende Ausnahmeindikationen vor. Das bedeutet also, dass die Klägerin auch nach neuem Recht keinen Anspruch auf Kostenübernahme für implantologische Leistungen hat.

Völlig neu geregelt sind die Leistungen der Krankenversicherung für Zahnersatz (§ 55 SGB V in der Fassung des RVN-Gesetzes vom 21. Juli 2004). Nach § 55 Abs.1 SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gem. § 135 Abs.1 SGB V anerkannt ist.

Eine Beschränkung des Leistungsanspruchs der Versicherten auf in Richtlinien festzulegende Ausnahmefälle besteht nicht mehr. Entsprechend hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, bei Vorlage eines vertragsmäßigen Heil- und Kostenplanes diese Festzuschüsse zu bezahlen. Die auf volle Kostenübernahme gerichtete Berufung ist damit zurückzuweisen.

Der Hilfsanstrag, Dr.W. zu der Frage zu hören, ob die bestehende Atrophie es gestattet, den Zahnstatus mit jeweils einer Brücke zu behandeln, wird abgelehnt. Selbst unterstellt, der Gutachter würde die Frage bejahen, hätte dies nicht zur Folge, dass die Beklagte verpflichtet wäre, die Klägerin mit Implantaten zu versorgen. Das Bundessozialgericht hat hierzu mit Urteil vom 19.06.2001, B 1 KR 23/00 R (SozR 3-2500 § 28 Nr.6), entschieden, dass Kieferatrophien nicht zu den Ausnahmeindikationen nach Abschnitt B VII. Nr.29 Zahnbehandlungsrichtlinien gehören. Die Nichtberücksichtigung der Atrophiefälle in den Zahnbehandlungsrichtlinien steht mit der Ermächtigung in § 28 Abs.2 Satz 9 SGB V in Einklang. Danach soll eine implantologische Versorgung von den Krankenkassen nur bei seltenen Ausnahmeindikationen in besonders schweren Fällen bezahlt werden, wenn sie im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgt. Da der Anspruch auf seltene Ausnahmeindikationen beschränkt bleiben soll, kann er im Übrigen nicht schon in all denjenigen Fällen bestehen, in denen Implantate medizinisch geboten sind; vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, die eine außergewöhnliche Situation begründen. Dies ist bei Kieferatrophien schon deshalb nicht der Fall, weil sei bei jedem größeren Zahnverlust auftreten, also in der Praxis außerordentlich häufig sind (BSG a.a.O.). Das Bundessozialgericht sieht darüber hinaus keine Regelungslücke, die durch eine Analogie zu schließen wäre. Außerdem geht es davon aus, dass die Nichteinbeziehung der Kieferatrophien in die Ausnahmeregelung des § 28 Abs.2 Satz 9 SGB V kein Verfassungsrecht verletzt.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Gründe, die Revision gem. § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben. Die Rechtslage zur Implantatversorgung ist eindeutig höchstrichterlich geklärt.
Rechtskraft
Aus
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