L 14 R 4211/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RA 54/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 4211/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 7. August 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Befreiung von der Versicherungspflicht streitig.

Der im Jahre 1957 geborene Kläger, ein beim Ingenieurbüro L. und M. angestellter Ingenieur, ist seit 03.03.1998 freiwilliges Mitglied bei der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und damit kraft Gesetzes Mitglied der Bayerischen Ingenieurversorgungs-Bau. Seinen am 25.03.1998 gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs.1 Nr.1 des Sozialgesetzbuches Teil VI (SGB VI) lehnte die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 05.06.1998 ab. Zur Begründung wurde angegeben, dass nach § 6 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB VI in der Fassung vom 01.01.1996 Mitglieder eines berufsständischen Versorgungswerks nur dann von der Rentenversicherungspflicht befreit werden können, wenn sie nicht nur Pflichtmitglied des Versorgungswerkes, sondern zudem Pflichtmitglied der Berufskammer seien. Darüber hinaus werde verlangt, dass für die jeweilige Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine Kammerpflichtmitgliedschaft bestanden habe.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch brachte der Kläger unter Berufung auf ein Rechtsgutachten des Prof. Dr. H. P. bzw. den dementsprechenden Aufsatz in der Festschrift für H. Z. zum 70. Geburtstag, S.689 f., vor, die Regelung des § 6 Abs.1 SGB VI verstoße gegen Artikel 3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG). Zwischen den Ingenieuren und anderen vergleichbaren traditionellen freien Berufen wie z.B. Ärzte, Rechtsanwälte und Apotheker - letztere würden privilegiert - bestünden keine Unterschiede, die die Ungleichbehandlung rechtfertigten. Die Frage der freiwilligen Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer, an die die Neuregelung anknüpfe, unterliege dem Landesrecht. Grund für die Verkammerung seien berufsrechtliche Gründe, nicht jedoch sozialversicherungsrechtliche, für die der Bund die Gesetzgebungskompetenz habe. Darüber hinaus sei der zeitliche Aspekt der Neuregelung willkürlich gewählt und werde das Ziel der sozialversicherungsrechtlichen Regelung, den Erosionsprozess zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung auf Grund der Gründung von Versorgungseinrichtungen zu stoppen, nicht erreicht.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.1999 zurückgewiesen, weil das Recht zutreffend angewendet worden sei und die bisherige Rechtsprechung eine Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht erkennen lasse (Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 25.02.1998 - S 14 An 174/97 und Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.08.1998 - S 2 RA 3023/97).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg trug der Kläger im Wesentlichen wie bisher seine Argumente vor und wies auch darauf hin, dass im Verhältnis der freiwilligen Kammermitglieder und der Pflichtmitglieder eine Ungleichbehandlung bestehe. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 07.08.2002 ab. Es legte die Voraussetzungen des § 6 Abs.1 Nr.1 SGB VI und die des Artikel 10 Abs.2 Bayerisches Ingenieurekammer-Bau-Gesetz dar und argumentierte im Einzelnen umfassend - in Anlehnung an das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 04.10. 2000 - L 13 RA 3220/98 - zu seiner Auffassung, dass eine Regelung des Gesetzgebers vorliege, die sich durch sachliche Gründe rechtfertigen lasse und nicht willkürlich erscheine.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung wiederholt der Kläger seine in erster Instanz vorgebrachten Argumente und betont, der Ausschluss des Rechts auf Befreiung der relativ kleinen Gruppe der verkammerten Ingenieure sei weder erforderlich noch geeignet, um die Existenz- und Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern. Außerdem sei es nicht richtig, dass für den Ingenieurbereich insbesondere die Selbständigen und die eigenverantwortlich tätigen Ingenieure, die gegebenenfalls auch zur Honorarvereinbarung berechtigt seien, den Charakter der berufsständischen Kammer prägten. Das Sozialgericht verkenne die Bedeutung der angestellten Ingenieure in der Kammer (gemeint: der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau). Gegenwärtig seien 2292 angestellte und beamtete Ingenieure Mitglied gegenüber 2083 beratenden Ingenieuren. Schon daraus werde deutlich, dass der Charakter der berufsständischen Kammer nicht vor allem durch die Pflichtmitglieder geprägt werde, sondern in gleichem Maße auch durch die freiwilligen Mitglieder. Weiterhin zieht der Kläger einen Vergleich mit den angestellten Architekten. Wer Architektur studiert habe, könne in die Architektenkammer aufgenommen werden, er erfülle jedoch in der Regel zugleich die Voraussetzungen zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur". Der angestellte Architekt könne befreit werden, der angestellte Ingenieur dagegen nicht. Es gäbe keinen sachlichen Grund, den angestellten Ingenieur anders zu behandeln als den angestellten Architekten.

Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen auf die bisherige Rechtsprechung und vertritt die Auffassung, Verfassungsverstöße seien nicht erkennbar, so dass auch der Anregung des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 100 Abs.1 GG "zurückzuweisen" sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.08.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 05.06.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 03.03.1998 zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die zu Beweiszwecken beigezogene Beitragsakte der Beklagten vor. Zur Ergänzung des Tatbestands hinsichtlich des Vorbringens des Klägers wird hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143 f., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) ist zulässig, in der Hauptasche aber nicht begründet.

Auch der Senat ist - in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (a.a.O.) und des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17.09.2003 - L 13 RA 109/01 - zu der Überzeugung gekommen, dass die streitgegenständlichen Bescheide und das erstinstanzliche Urteil rechtmäßig sind und die Sachbehandlung bzw. -entscheidung nicht gegen das Grundgesetz verstößt; insbesondere konnte der Kläger nichts dem Argument entgegensetzen, dass die Zwangsmitglieder einer Kammer besondere Berufspflichten zu wahren haben, denen derjenige nicht unterliegt, der als freiwilliges Mitglied beitritt und es so in der Hand hat, hierdurch die Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung mit den damit verbundenen Vorteilen einer günstigeren Leistungsstruktur zu erreichen, ohne den besonderen Berufspflichten ausgesetzt zu sein. Zur Vermeidung von Wiederholungen hinsichtlich der zahlreichen Argumente, die gegen die Auffassung des Klägers stehen, wird voll inhaltlich auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG).

Lediglich ergänzend wird angeführt, dass die Übergangsregelung des § 231 Abs.2 SGB VI in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 15.12.1995 für den Kläger nicht gilt, da er weder bis zum 31.12.1995 einen Befreiungsantrag stellte noch zu diesem Zeitpunkt die Befreiungsvoraussetzungen erfüllte. Zur beruflichen Seite der Angelegenheit wird auf die vom Sozialgericht im wesentlich bereits erwähnten Voraussetzungen des Artikel 10 Abs.1 des Gesetzes über den Schutz der Berufsbezeichnung "Beratender Ingenieur" und "Beratende Ingenieurin" sowie über die Errichtung einer Bayerischen Ingenieurekammer-Bau (Bayerisches Ingenieurekammergesetz-Bau) hingewiesen. Pflichtmitgliedschaft in der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau wird, wer in die Liste der Beratenden Ingenieure eingetragen wird; in diese Liste kann nur eingetragen werden, wer seine Hauptwohnung, seine Niederlassung oder seine überwiegende berufliche Beschäftigung in Bayern hat, wer im Bauwesen tätig ist, wer berechtigt ist, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen, wer seit Erlangung der Berechtigung zur Führung der Bezeichnung "Ingenieur" eine mindest dreijährige Berufserfahrung nachweisen kann und seinen Beruf eigenverantwortlich und unabhängig ausübt. Die Unabhängigkeit eines Ingenieurs ist gewahrt, wenn er keine fremden oder eigenen Produktions-, Handels- oder Lieferinteressen vertritt, die unmittelbar oder mittelbar in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. Eigenverantwortlich ist der Ingenieur, der entweder seine berufliche Tätigkeit als einziger Inhaber seines Büros selbständig oder auf eigene Rechnung und Verantwortung ausübt, oder wer sich mit beratenden Ingenieuren oder Angehörigen anderer Berufe zusammengeschlossen hat und seine Berufsaufgaben innerhalb dieses Zusammenschlusses unbeeinflusst durch Rechte Dritter ausüben kann, oder wer als leitender Angestellter in einem unabhängigen Ingenieurunternehmen im Wesentlichen selbständig Aufgaben wahrnimmt, die immer regelmäßig wegen ihrer Bedeutung für den Bestand oder die Entwicklung des Betriebs übertragen werden.

Auf das Argument des Klägers über eine angeblich für den beabsichtigenden Zweck untaugliche Regelung in § 6 Abs.1 SGB VI ist das Sozialgericht bereits eingegangen. Zu Recht hat es ausgeführt, dass es nicht auf die derzeit geringe Anzahl der vom Ausschluss des Befreiungsrechts betroffenen Ingenieure ankommt, sondern bei dem derzeitigen Trend zur Verkammerung immer weiterer Berufe die Rentenversicherung (künftig) durch eine Erstreckung der berufsständischen Versorgung auf alle Ingenieure und auf weitere Berufsgruppen durch eine Erosion gefährdet wäre. Dieses Gesetzesmotiv, das auch beinhaltet, dass gerade Besserverdienende - künftig vermehrt - aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausscheren, stellt einen sachlichen Grund für die Regelung in § 6 Abs.1 SGB VI dar. Bereits mit § 6 SGB VI in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung sollten Selbständige in verstärktem Umfange erfasst werden; in dieselbe Richtung zielt die Nachbesserung in § 6 Abs.1 SGB VI in der ab 01.01.1996 geltenden Fassung, nachdem sich verstärkt der Trend zur Verkammerung und damit zur Lösung von der gesetzlichen Rentenversicherung und Hinwendung zu berufsständischen Versorgungswerken zeigt. Insgesamt gesehen handelt es sich um ein Bündel von Maßnahmen bezogen auf viele Berufsgruppen. Aus diesem Bündel kann nicht ein einzelner Zweig für sich herausgebrochen werden mit der Behauptung, dass insoweit eine einzelne Maßnahme hinsichtlich einer bestimmten Berufsgruppe den Erfolg nicht herbeiführen kann, den der Gesetzgeber mit dem gesamten Bündel seiner Maßnahmen im Auge hatte.

Der vom Kläger erstmals im Berufungsverfahren bemühte Vergleich Architekt-Ingenieur, beide im Angestelltenverhältnis, vermochte den Senat nicht zu überzeugen. Die angestellten Architekten gehören einem sogenannten klassischen freien Beruf an, für die - selbst bei anfänglicher abhängiger Beschäftigung - ohnedies ein Übergang in die Selbständigkeit und damit eine berufliche Entwicklung ohne Alterssicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung typisch ist. Dasselbe gilt für einen angestellten Ingenieur nicht bzw. derzeit noch nicht.

Wenn der Architekt - den regelmäßigen Erwerb der Qualifikation als Ingenieur einmal unterstellt - beruflich lediglich als Ingenieur auftritt und tätig wird, so muß er sich den für diese Berufsgruppe, die nicht zu einer traditionell gewachsenen Berufsgruppe der freien Berufe zählt, geltenden Regelung unterwerfen. Eine Vermischung der Tätigkeiten, einmal als Ingenieur, ein andermal als Architekt, und die Kumulation der jeweils hieraus zu ziehenden Vorteile finden nicht statt. Der Architekt wird sich dann für eine von beiden Alternativen entscheiden müssen, wie auch derjenige, der zwei verschiedene Berufe gelernt hat, sich entscheiden muss, welche Tätigkeit er ergreift.

Im Übrigen hinkt der Vergleich Architekt-Ingenieur schon deswegen, weil der Ingenieur auf Grund seiner Ausbildung nicht die Qualifikation eines Architekten erwirbt und diesen Titel führen darf. Hier werden vom Kläger zu Unrecht verschiedenartige Sachverhalte gleich behandelt.

Unter Berücksichtigung aller Umstände konnte der Senat nicht die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs.1 SGB VI gewinnen (vgl. hierzu auch das Urteil des BSG vom 09.03. 2005 - B 12 RA 8/03 R, mit dem die Revision gegen das Urteil des BayLSG vom 17.09.2003, a.a.O., zurückgewiesen worden ist.) Daher war, ohne eine Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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