L 20 RJ 299/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 12/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 299/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 23.04.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1950 geborene Kläger hat nach seinen Angaben den Beruf eines Landmaschinenmechanikers erlernt (Prüfung 1968) und war anschließend bis 1970 als Maschinen-Einsteller, bis 1978 als Verkaufsfahrer und von 1979 bis Dezember 1996 als Busfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 02.12.1996 besteht Arbeitsunfähigkeit mit anschließender Arbeitslosigkeit.

Ein erster Rentenantrag des Klägers vom 19.02.1993 ist mit Bescheid der Beklagten vom 17.05.1993 abgelehnt worden. Am 26.01.1998 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn untersuchen durch den Chirurgen Dr.S. (Gutachten vom 09.06.1998) und den Nervenarzt L. (Gutachten vom 29.06.1998). Der Kläger wurde für fähig erachtet, leichte und gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Vollschicht zu leisten; es sollten keine erhöhten Anforderungen an die Feinmotorik und die Sensibilität der rechten Hand gestellt werden. Die Beklagte wies den Rentenantrag mit Bescheid vom 30.07.1998 ab, da der Kläger nicht berufs- oder erwerbsunfähig sei. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos; die Beklagte erteilte den Widerspruchsbescheid vom 05.01.1999. Der Kläger sei als Busfahrer als angelernter Arbeiter des oberen Bereichs einzustufen und sei verweisbar auf Tätigkeiten eines Entgraters von Kunststoffpressteilen, als Stanzer, Kassierer in einer SB-Tankstelle oder Verpacker leichter Gegenstände.

Dagegen hat der Kläger am 13.01.1999 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, er sei weder in der Lage, zumutbare Verweisungstätigkeiten noch andere leichte Arbeiten in nennenswertem Umfang zu verrichten. Das SG hat Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.B. , des Chirurgen Dr.B. und des Anästhesisten Dr.S. zum Verfahren beigenommen, desgleichen die Unterlagen des Klinikums B. sowie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Auf Veranlassung des SG hat der Chirurg Dr.K. das Gutachten vom 12.11.1999 erstattet. Als wesentliche, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigende Diagnosen hat er genannt: - In günstiger Funktionsstellung versteiftes rechtes Handgelenk ohne Funktionseinschränkung der Fingerbeweglichkeit, jedoch mit endgradiger Einschränkung der Unterarmauswärtsdrehung, - Belastungsminderung rechter Arm mit nachweisbarer verminderter Handflächenbeschwielung, - Narbenbildung in beiden Handgelenken nach mehrfachen Operationen mit Berührungsempfindlichkeiten rechts, - endgradige Bewegungseinschränkung der Schultergelenke, rechts leichter ausgeprägt als links bei röntgenologisch nachweisbaren degenerativen Veränderungen. Der Kläger sei noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten durchzuführen, wenn keine gesteigerten Anforderungen an die Beweglichkeit des rechten Handgelenkes gestellt würden. Es sollte auch auf Heben und Tragen von Lasten durch die rechte Hand verzichtet werden; es könnten hier nur leichte Gegenstände gehalten werden, seitens der Fingerbeweglichkeit bestünden jedoch keine Einschränkungen. Bei einer nochmaligen Untersuchung des Klägers durch Dr.K. am 29.05.2000 verblieb der Sachverständige bei seiner Leistungsbeurteilung. Auf Antrag des Klägers erstattete Prof.Dr.L. , Chefarzt der Klinik für Handchirurgie in Bad N. , das Gutachten vom 06.12.2000. Er stellte einen weitgehenden Funktionsverlust der rechten Hand wegen Bewegungs- und Ruheschmerzen fest (mit hochgradiger Kraftlosigkeit dieser Hand, hochgradiger Geschicklichkeitsminderung bei Feintätigkeiten, ausgeprägten Sensibilitätsstörungen an den Fingerkuppen, deutlicher Narbenempfindlichkeit), desweiteren am linken Handgelenk Bewegungs- und Belastungsbeschwerden bei mittelgradigen arthrotischen Veränderungen und schmerzbedingten Beeinträchtigungen bei alltäglichen Aktivitäten. Dem Kläger könnten nur noch leichte Arbeiten kurzzeitig (bis höchstens vier Stunden täglich) zugemutet werden. Wegen der Geschicklichkeitsminderung an beiden Händen sowie des Unvermögens, flüssig zu schreiben, sollten nur einfache, leichte und kurzzeitig ausführbare Handhabungen verlangt werden. Die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten seien nicht zumutbar.

Auf Veranlassung des Gerichts erstattete Dr.S. , Chefarzt der Abteilung für Plastische-Hand- und rekonstruktive Mikrochirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. , das weitere Gutachten vom 31.10.2001. Auch er beschrieb im Einzelnen die Beeinträchtigungen der rechten und linken Hand und hielt den Kläger noch für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten in Vollschicht zu verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten, die über längere Zeit ein höheres Maß an grober Kraft erforderten sowie Tätigkeiten, welche die vollständige Beweglichkeit des rechten Handgelenkes forderten, sowie feinmotorisch anspruchsvolle Tätigkeiten. Berufstätigkeiten als Pförtner, Entgrater, Stanzer oder Kassierer in einer SB-Tankstelle seien vollschichtig zumutbar.

Mit Urteil vom 23.04.2002 hat das SG die Klage - gerichtet auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit - abgewiesen. Es hat die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Rente auch nur wegen Berufsunfähigkeit als nicht gegeben angesehen. Es hat die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers durch Dr.K. und Dr.S. für überzeugend und nachvollziehbar gehalten. Die rechte Hand des Klägers stelle funktionell deutlich mehr dar als nur eine Beihand und halte diesen nicht davon ab, eine Vielzahl von Verrichtungen des alltäglichen und Berufslebens auszuführen. Als bisheriger Beruf des Klägers sei der eines Busfahrers anzusehen, der nach dem Mehrstufenschema dem Bereich der Anlernebene zuzuordnen sei. Der Kläger sei damit verweisbar auf Berufstätigkeiten eines Pförtners. Diese seien zwar überwiegend im Sitzen zu verrichten, erforderten aber dennoch keine lang dauernden körperlichen Zwangshaltungen und ließen auch gelegentlichen Haltungswechsel zu. Auch die Handgeschicklichkeit des Klägers reiche für diesen Beruf aus, da zwar gelegentlich auch kurze schriftliche Notizen zu fertigen seien, länger dauernde feinmotorische Tätigkeiten aber nicht anfielen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 19.06.2002 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangt weiterhin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund des Antrags vom 26.01.1998. Gesundheitlich und sozial zumutbare Verweisungstätigkeiten seien für ihn nicht ersichtlich, Arbeitsplätze seien nicht erreichbar. Der Senat hat einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.B. zum Verfahren beigenommen und den Chirurgen Dr.D. , Chefarzt der Chirurgischen Abteilung der J.klinik S. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat das Gutachten vom 12.01.2004 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Er hat als Diagnosen genannt: Versteifung des rechten Handgelenkes in günstiger Stellung, Kahnbeinoperation auf der linken Seite; degenerative Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und beider Hüftgelenke ohne wesentliche Funktionseinschränkungen; degenerative Veränderungen im Bereich beider Schultern mit Bewegungseinschränkung. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Vollschicht durchzuführen, wobei auf die Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung (Gehen, Stehen, Sitzen) geachtet werden sollte; größere Kraftanwendungen der rechten Hand könnten nicht gefordert werden. Vermieden werden sollten auch Arbeiten unter Zeitdruck und mit erhöhten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen. Als Busfahrer sollte der Kläger nicht mehr eingesetzt werden. Als Pförtner könne er jedoch arbeiten ebenso wie als Kassierer an einer Tankstelle oder als Entgrater oder Stanzer. Der Kläger hat zu dem Gutachten Einwendungen erhoben und im Wesentlichen moniert, dass wiederum von bereits vorhandenen Gutachten abgeschrieben worden sei. Der ärztliche Sachverständige ist in der Stellungnahme vom 27.07.2004 bei seiner Leistungseinschätzung verblieben.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 23.04.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.01.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund des Antrags vom 26.01.1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des SG Bayreuth sowie die Leistungsakte des Arbeitsamtes Bayreuth vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger nicht berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne der §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung ist und auch nicht erwerbsgemindert im Sinne der seit Januar 2001 geltenden Neufassung des § 43 SGB VI. Ganz im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stehen die Gebrauchseinschränkung der rechten Hand nach Handgelenksversteifung und der linken Hand nach Kahnbeinoperation. Dazu kommen die Beschwerden in beiden Schultergelenken, die Überkopfarbeiten nicht mehr zulassen. Wesentliche Erkrankungen des internistischen Fachgebiets liegen nicht vor; in psychischer Hinsicht zeigte sich der Kläger bei der Untersuchung durch Dr.D. in gewissem Maße alteriert, was zum Ausschluss von Arbeiten unter psychischer Belastung und unter erhöhter Konzentrationsfähigkeit führt. Das SG hat sich mit den eingeholten Gutachten insbesondere der Chefärzte Prof. Dr.L. aus Bad N. und Dr.S. aus M. auseinandergesetzt und hat auch überzeugend ausgeführt, dass sich eine zeitliche Leistungseinschränkung für körperlich leichte und einfache Berufstätigkeiten beim Kläger nicht begründen lässt. Dieses vom SG gefundene Ergebnis ist durch die Beweiserhebung im Berufungsverfahren bestätigt worden. Auch wenn der Chirurg Dr.D. die Handbefunde beim Kläger nicht in der Ausführlichkeit gewürdigt hat wie die beiden vorgenannten Sachverständigen, so hat er doch neue Röntgenaufnahmen beider Handgelenke (vom 11.01.2004) gefertigt, die Funktion und Kraftentfaltung beider Hände und Handgelenke überprüft und eine Verschlechterung der Funktionen in diesem Bereich gegenüber den Vorgutachten ausgeschlossen. Auch Dr.D. konnte eine zeitliche Leistungsbeschränkung beim Kläger, abweichend von betriebsüblichen Bedingungen, nicht erkennen. Bei der Untersuchung des Klägers war die Funktion der rechten Hand zwar deutlicher eingeschränkt, die Fingerbeweglichkeit war aber gut, der Faustschluss war vollständig. Der Kläger konnte auch kleine Gegenstände (z.B. Büroklammern) mit der rechten Hand von der Unterlage aufheben; das Tastgefühl war bis auf einen kleinen Bereich am rechten Mittelfinger überall gut erhalten und nicht gestört. Für den Senat ist die Leistungseinschätzung durch den erfahrenen Sachverständigen Dr.D. überzeugend; es besteht insbesondere kein Anlass, am Ergebnis der durchgeführten Funktionsprüfungen, die in Beziehung zu den betriebsüblichen Anforderungen einer Erwerbstätigkeit zu setzen sind, zu zweifeln. Auch in Kenntnis des Gutachtens von Dr.D. ist dem SG darin zuzustimmen, dass die rechte Hand in ihrer Funktionstüchtigkeit deutlich mehr darstellt als nur eine Beihand. Der Kläger soll lediglich Arbeiten vermeiden, die ausgesprochenes Handgeschick der rechten Hand oder größere Kraftanwendungen dieser Hand erfordern; ansonsten ist er aber in der Lage, leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten allgemeiner Art noch in Vollschicht zu leisten. Mit dem SG ist davon auszugehen, dass der Kläger nach seiner bisherigen Berufstätigkeit als angelernter Arbeiter, allenfalls des oberen Bereichs, nach dem Mehrstufen-Schema des BSG zu beurteilen ist. Er ist daher sozial zumutbar zu verweisen auf andere Anlerntätigkeiten, sofern diese nicht von ganz untergeordneter Bedeutung sind. Auch nach der Überzeugung des Senats kann der Kläger mit den bestehenden Gesundheitsstörungen zumindest noch die Berufstätigkeiten eines einfachen Tagespförtners in Vollschicht ausüben. Vom Pförtner sind, wie allgemein bekannt, weder lang dauernde Schreibarbeiten noch anhaltende körperliche Zwangshaltungen gefordert. Die allenfalls anfallenden Schreibarbeiten beschränken sich auf die Aufnahme von Notizen und evtl. kurzer Berichte. Dem Pförtner ist es möglich und gestattet, die Körperhaltung zu wechseln, auch ohne dass er dazu seinen Arbeitsplatz verlassen muss. Diese Anforderungen an den Pförtnerberuf sind mit den beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers vereinbar. Es darf auch davon ausgegangen werden, dass es für den Pförtnerberuf, der in vielen Tarifverträgen erfasst ist, Arbeitsplätze in hinreichender Zahl gibt, unabhängig davon, ob diese frei oder besetzt sind. Mit dem beschriebenen Leistungsvermögen und bei zumutbarer Verweisbarkeit zumindest für den Beruf des Pförtners ist der Kläger nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 SGB VI und auch nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 SGB VI, jeweils in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung. Seine Berufung gegen das Urteil des SG Bayreuth war zurückzuweisen. Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten, § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar.
Rechtskraft
Aus
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