L 2 U 302/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 190/03 FdV
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 302/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.08.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob der Kläger als Schüler am 02.07.1997 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Der 1983 geborene Kläger besuchte ein Sonderpädagogisches Förderzentrum in S. und hatte am Unfalltag um 11.05 Uhr vorzeitig Unterrichtsende. Er wohnte in dem 13 km entfernten L ... In ca. 300 m Entfernung von der Schule war eine Bushaltestelle für den stadtauswärts in Richtung L. fahrenden Bus, für den der Kläger eine Berechtigungskarte für das Schuljahr hatte. Die nächste Abfahrt wäre um 11.28 Uhr gewesen. Bei regulärem Unterrichtsende eine Stunde später hätte der Kläger den Bus dort um 12.28 Uhr nehmen können.

Der Kläger fuhr nach dem Unterrichtsende zusammen mit einem Schüler, der in S. wohnte, auf dessen Fahrrad die Hauptstraße, an der auch die genannte Bushaltestelle lag, stadteinwärts. Um 11.15 Uhr wurden beide beim Überqueren einer Kreuzung von einem rechts abbiegendem Lkw überfahren. Der Mitschüler war tot, der Kläger schwer verletzt.

Bei einer ersten Unfalleinvernahme durch die Polizei am 02.08. 1997 gab der Kläger im Beisein der Eltern an, sie seien unterwegs zur AOK S. am J.platz gewesen, weil sie etwas früher freigehabt hätten und er auch von dort mit dem Bus fahren könne. Die betreffende Haltestelle liegt von der bei der Schule 2 km entfernt. Der Unfallort liegt auf etwas mehr als halbem Wege dort hin. Dem Schulleiter gegenüber gab der Kläger am 12.11.1997 an, er sei auf dem Weg in die Stadt gewesen, um dort etwas zu kaufen. Anschließend habe er von dort mit dem Bus nach Hause fahren wollen. Der Schulleiter berichtete weiter von Mitschülern, denen zufolge die beiden in ein Spielcenter, das seitwärts von dem eingeschlagenen Weg und der Unfallstelle liegen würde, gehen, dort spielen und etwas kaufen wollten. Die Mitschüler konnte der Schulleiter später als Zeugen vor dem Sozialgericht nicht mehr benennen. Der inzwischen verstorbene Vater des Klägers gab bei der AOK am 10.02.1998 an, der Kläger habe zur Vermeidung einer einstündigen Wartezeit bei der AOK einsteigen wollen, sonst tue er dies immer an der Schule. Schließlich ist der Kläger am 23.07.2003 vom Sozialgericht gehört worden und hat dort angegeben, sie hätten zuerst den Computerladen aufsuchen wollen und es sich dann, als sie an der Unfallkreuzung angehalten hatten, anders überlegt und zur Bushaltestelle in der Stadt fahren wollen. Der Computerladen lag in der Straße, in die der Unfall-Lkw abgebogen war, auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Nachdem die Beklagte bereits mit Bescheid vom 24.07.1998 die Anerkennung eines Arbeitsunfalles abgelehnt hatte, tat sie dies auf Antrag des Klägers erneut mit Bescheid vom 10.04.2002 und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2002 als unbegründet zurück.

Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 04.08.2003 zurückgewiesen. Dem Sozialgericht sind im Ergebnis erhebliche Zweifel verblieben, ob die Abweichung vom üblichen Schulweg noch im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Die Wartezeit bis zur Busabfahrt bei der Schule sei die gleiche wie bei einem sonstigen Schulende eine Stunde später gewesen. Das vorzeitige Schulende habe deshalb keine andere Situation als an anderen Schultagen geschaffen. Die Schüler seien ursprünglich nicht auf dem Weg zur Bushaltestelle in der Stadt gewesen und es sei nicht überzeugend nachgewiesen, dass sie es sich an der Unfallstelle anders überlegt hätten.

Mit seiner Berufung beantragt der Kläger, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.08.2003 aufzuheben und den Unfall vom 02.07.1997 als Wegeunfall anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Als Schüler war der Kläger nach § 2 Abs.1 Nr.8 SGB VII während des Besuchs seiner Schule gegen Arbeitsunfall versichert. Nach § 8 Abs.1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Nach Abs.2 der Vorschrift gehört zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Für einen daraus resultierenden Anspruch ist, wie auch sonst im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. BSGE 45, 285) notwendig, dass die anspruchsbegründenden Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sind. Zu diesen beweisbedürftigen Tatsachen gehört auch der innere Zusammenhang der versicherten Tätigkeit mit dem Unfall.

Für die Zurechnung von Schülerunfällen zum Schulbesuch und -weg sind grundsätzlich die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Unfallversicherung maßgeblich; dabei sind aber Besonderheiten des Schulbetriebs und des Schülerverhaltens zu berücksichtigen (BSG SozR 2200 § 550 Nrn.52, 54 und 67).

Nach diesen Grundsätzen sind zunächst privat bedingte Wege und Wegeteile, die die versicherte Zielrichtung verlassen, grundsätzlich nicht versichert (vgl. Ricke, KassKomm § 8 SGB VII Rdnr.202 m.w.N.). Etwas anderes würde möglicherweise gelten, wenn die für den Kläger als Fahrschüler geltenden Umstände, ggf. zusammen mit den konkreten Umständen des Schulbetriebes in Gestalt des vorzeitigen Unterrichtsendes noch einen inneren Zusammenhang mit dem Weg von der Schule nach Hause begründet hätten (vgl. BSG SozR 2200 § 550 Nr.67).

Der Senat hält, ebenso wie das Sozialgericht, für nicht mehr hinreichend klärbar, zu welchem Zweck der Kläger den Weg stadteinwärts genommen hat. Dass der Kläger sich aufgemacht hätte, um an der in der Stadt gelegenen Bushaltestelle einen sicheren Sitzplatz zu ergattern, hält der Senat nicht für bewiesen. Eine solche Äußerung hat lediglich der zwischenzeitlich verstorbene Vater des Klägers getan, dies aber mit dem Hinweis, dass der Kläger eine einstündige Wartezeit zu überbrücken gehabt habe und sonst nicht den Bus von der Stadt aus nehme. Diese Aussage ist nicht stimmig, wenn man bedenkt, dass die Wartezeit bis zur Abfahrt des Busses in der Nähe der Schule keine andere war als bei sonstigem Unterrichtsende und der Kläger gerade nicht eine Stunde zu überbrücken hatte. Schließlich hat auch der Kläger selbst nichts dergleichen geäußert.

Der Senat teilt auch die Zweifel des Sozialgerichts an der Version des Klägers, wonach er und sein Mitschüler ursprünglich vorgehabt hätten, den Computerladen aufzusuchen und es sich vor dem Überqueren der Unfallkreuzung anders überlegt hätten. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dieser Version vor dem Überqueren der Kreuzung wieder Versicherungsschutz bestanden hätte (vgl. Ricke a.a.O., Rdnr.204 m.w.N.). Für ebenso wahrscheinlich hält der Senat, dass die beiden Schüler den Computerladen aufsuchen und sich der Kläger erst danach, also unter Ausnutzung der ausgefallenen Unterrichtsstunde, zum Bus begeben wollte. In diesem Fall steht das Überqueren der Kreuzung nicht mehr unter Versicherungsschutz, weil die typischen Umstände des Fahrschülers und der vorzeitige Unterrichtsschluss hierfür nicht ursächlich waren. Die Situation des Klägers am Unfalltag unterschied sich in keiner Weise von den Umständen bei regulärem Schulende. Am Unfalltag wie auch an sonstigen Schultagen hatte der Kläger einen Fußweg von ca. 300 m zur nächstgelegenen Bushaltestelle und einen zeitlichen Spielraum von 23 Minuten. Dies ist eine normale Relation von Zeit und Weg, bei der seitens der Schule keine Veranlassung mehr bestand, Maßnahmen zur Überbrückung einer Wartezeit zu erwägen, um so möglichen Gefahren zu begegnen, die mit einem schülertypischen Verhalten während eines solchen Zeitraumes zu besorgen sind.

Da ein bestimmter Sachverhalt nicht erwiesen ist, der einen inneren Zusammenhang des Unglücksweges mit dem Schulbesuch und damit einen Versicherungsschutz begründen würde und bei den ernsthaft in Betracht kommenden Gestaltungsmöglichkeiten auch eine solche verbleibt, bei der Versicherungsschutz nicht begründet ist, kann das Vorliegen eines Arbeitsunfalles nicht festgestellt werden. Die bestehende Beweislosigkeit geht zulasten desjenigen, der aus den zu beweisenden Tatsachen eine ihm günstige Rechtsfolge ableitet (vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 103 RdNr.19 ff. m.w.N.), das ist im vorliegenden Fall der Kläger.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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