L 18 VS 1/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 V 141/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 VS 1/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In Versorgungsangelegenheiten kann eine mündliche Antragstellung gemäß § 6 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VfG-KOV) auch mittels Fernsprechers erfolgen. Als Niederschrift über die telefonische Antragstellung ist eine Gesprächsnotiz der Behörde ausreichend. Ein schriftlicher Antrag ist auch bei erheblicher Komplexität eines Sachverhaltes nicht erforderlich.
i. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 21.12.1998 aufgehoben.
ii. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 15.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.10.1996 verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung ab 01.03.1990 zu gewähren.
iii. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. iv. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Beginn der Hinterbliebenenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).

Der Berufssoldat (K) - Ehemann der Klägerin - erlitt am 05.02.1990 einen tödlichen Verkehrsunfall. Die Beigeladene verneinte mit Bescheid vom 30.10.1990 idF des Widerspruchsbescheides vom 05.11.1991 das Vorliegen eines Dienstunfalles gemäß § 27 SVG, weil sich K zur Zeit des Unfalls nicht auf einer Dienstfahrt befunden habe. Gegen ein klageabweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Bayreuth legte die Klägerin Berufung zum Bayer. Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) ein. Mit Bescheid vom 21.04.1992 lehnte die Beigeladene auch die Gewährung eines Ausgleichs gemäß § 85 SVG ab. Die Entscheidung über den hiergegen eingelegten Widerspruch stellte die Beigeladene im Einverständnis mit der Klägerin bis zu einer Entscheidung im og Berufungsverfahren zurück. Unter Berufung auf die Bindungswirkung des Bescheids vom 21.04.1992 gemäß § 88 Abs 3 SVG lehnte der Beklagte einen Antrag vom 27.02.1990 auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach § 80 Satz 2 SVG mit Bescheid vom 20.05.1992 ab. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin keinen Widerspruch ein. Der BayVGH verpflichtete die Beigeladene unter Aufhebung des Urteils des VG und der entgegenstehenden Bescheide mit Urteil vom 09.11.1994, den Unfall des K als Dienstunfall anzuerkennen und Hinterbliebenenversorgung gemäß § 27 SVG zu gewähren. Daraufhin nahm die Beigeladene den Bescheid vom 21.04.1992 mit Bescheid vom 15.05.1995 zurück und anerkannte die gesundheitlichen Schädigungen, die zum Tod des K geführt hatten, als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) iS des § 81 SVG.

Am 23.11.1994 teilte der Sozialberater (Sch) der Standortverwaltung Ebern/Außenstelle Bayreuth dem Versorgungsamt (VA) mit, dass der BayVGH einen Wegeunfall des K bejaht habe und Unfallversorgung im Klageverfahren gewährt worden sei. Eine Gesprächsnotiz des VA vom gleichen Tag enthielt folgenden Vermerk: "Unfallversorgung gewährt im Klageverfahren, Wegeunfall im Klageverfahren bejaht (Berufung), Urteil noch nicht in Händen; § 44 wird beantragt".

Mit Schreiben vom 22.02.1995 beantragte die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Versorgung. Der Beklagte nahm - unter Zugrundelegung der Antragstellung 22.02.1995 - mit Bescheid vom 15.01.1996 den Bescheid vom 20.05.1992 mit Wirkung ab 01.01.1991 im Wege des § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) Zehntes Buch (X) zurück, anerkannte unter Berufung auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 15.05.1995 den Tod des K als WDB und gewährte Hinterbliebenenversorgung dem Grunde nach.

Im Widerspruchsverfahren begehrte die Klägerin die Leistungen ab Februar 1990 zu gewähren. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 22.10.1996 zurück und wertete die telefonische Mitteilung des Sozialberaters Sch nicht als wirksamen Antrag auf Rücknahme eines Bescheides nach § 44 SGB X.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth hat die Klägerin die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung ab 01.03.1990 begehrt. Sie hat sich auf eine wirksame Antragstellung durch Sch berufen. Falls eine wirksame Antragstellung nicht vorliege, sei der frühere Leistungsbeginn im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches begründet. Der Beklagte hat eine Antragstellung wegen mangelnder Vollmacht des Sch nicht für wirksam erachtet. Das SG hat den Sozialberater Sch zu dem Telefonanruf vom 23.11.1994 vernommen. Dieser hat im wesentlichen ausgesagt, er habe durch den Telefonanruf erreichen wollen, dass das Beschädigtenverfahren wieder aufgenommen werde und die Klägerin die entsprechenden Leistungen erhalte. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.12.1998 abgewiesen und den Telefonanruf des Sozialberaters Sch vom 23.11.1994 nicht als Antrag iS des § 44 Abs 4 SGB X aufgefasst.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und weiterhin die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung ab 01.03.1990 begehrt. Sie hat im Telefonanruf des Sch einen Antrag gemäß § 44 SGB X gesehen und sich auf die Zeugenaussage des Sch vor dem SG berufen. Bei Zweifeln des Beklagten über eine wirksame Antragstellung wäre der Beklagte ihrer Auffassung nach verpflichtet gewesen, sie zu beraten.

Der Beklagte hat daran festgehalten, dass erst mit Schreiben vom 22.02.1995 ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt worden sei (Schreiben des Beklagten vom 10.06.1999 und 25.08.1999). Im Übrigen hat er einen Antragswillen des Sch bestritten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagen unter Aufhebung des Urteils des SG Bayreuth vom 21.12.1998 und Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 15.01.1996 idF des Widerspruchsbescheides vom 22.10.1996 zu verurteilen, ihr ab 01.03.1990 Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 21.12.1998 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die SVG-Akte des Beklagten, die WDB-Akte, die Widerspruchsakte und die Sachschadensakte der Beigeladenen, die Akten der Standortverwaltung Ebern/Außenstelle Bayreuth und die Archivakte S 5 V 136/96 sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung ab 01.03.1990, da sie einen Antrag auf Rücknahme des ablehnenden Bescheides vom 20.05.1992 bereits am 23.11.1994 gestellt hat.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X).

Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres angerechnet, indem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs 4 SGB X). Hinterbliebene eines Soldaten erhalten nach § 80 Abs 1 Sätze 1 und 2 SVG auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die Anträge in Versorgungsangelegenheiten sind schriftlich oder mündlich unter Aufnahme einer Niederschrift bei dem VA zu stellen (§ 6 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV), VfG-KOV). Hierbei handelt es sich um eine besondere Rechtsvorschrift iS des § 9 SGB Erstes Buch (I), die der dort getroffenen Regelung, wonach das Verwaltungsverfahren an bestimmte Formen nicht gebunden ist, vorgeht (Rohr/Strässer, BVG mit Verfahrensrecht, Kommentar VfG-KOV, § 6 - K2).

Der Telefonanruf des Sozialberaters Sch vom 23.11.1994 ist als Antrag iS des § 44 Abs 4 Satz 3 SGB X zu werten. Eine telefonische Antragstellung ist wirksam (aaO § 6 - K3). Für diesen Fall ist die Aufnahme einer Niederschrift erforderlich (aaO). Eine solche ist in der gefertigten Gesprächsnotiz des VA zu sehen. Eine schriftliche Antragstellung ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht erforderlich. Eine mündliche Antragstellung ist schon nach dem Wortlaut des § 6 VfG - KOV ausreichend. Die Annahme des Beklagten, ein schriftlicher Antrag sei hier wegen der Komplexität des Sachverhalts unumgänglich gewesen, findet im Gesetz keine Stütze. Es ist daher rechtlich ohne Belang, wenn Sch in seiner Zeugenaussage und die den Telefonvermerk aufnehmende Mitarbeiterin des VA nachträglich eine schriftliche Antragstellung für erforderlich gehalten haben.

Dem Anruf des Sozialberaters Sch ist auch der erforderliche Antragswille zu entnehmen. Dies ergibt sich aus der vom VA gefertigten Gesprächsnotiz "§ 44 wird beantragt". Auch der Beklagte ist zunächst davon ausgegangen, dass Sch mit Antragswillen gehandelt hat. So hat der Sachbearbeiter des Beklagten in einem Aktenvermerk vom 10.08.1995 vorgeschlagen, die Sozialleistungen rückwirkend ab 1990 zu gewähren, da der Antrag noch 1994 gestellt worden sei. Diesem Vorschlag ist das VA nicht gefolgt, weil der zuständige Sachgebietsleiter des VA in seinem Aktenvermerk vom 17.08.1995 rechtsirrig von dem Erfordernis eines schriftlichen Antrages ausgegangen ist. Schließlich hat Sch auch als Zeuge bekundet, er habe durch seinen Anruf erreichen wollen, dass das Beschädigtenverfahren wieder aufgenommen werde.

Sch hat bei seiner Antragstellung auch nicht vollmachtlos gehandelt. Das Fehlen der Vollmacht kann durch Genehmigung nachträglich geheilt werden (Schröder/Printzen/von Wulffen, SGB X, 3.Aufl, § 13 RdNr 4). Die Klägerin hat die Antragstellung durch Sch nachträglich mit dem Widerspruch vom 09.02.1996 genehmigt, in dem sie die telefonische Mitteilung des Sch als Antrag iS des § 44 Abs 4 Satz 3 SGB X gewertet wissen wollte. Handelt jemand ohne Vertretungsmacht, so hängt die Wirksamkeit der Willenserklärung, hier des Antrags, von der Genehmigung des Vertretenen ab (§ 177 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Zwar ist die Willenserklärung bis zu Genehmigung schwebend unwirksam, die Genehmigung hat aber rückwirkende Kraft, wirkt also auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück (§ 184 Abs 1 BGB), so dass durch die Genehmigung der bis dahin bestehende Mangel des Verfahrens geheilt wird (so Rohr/Strässer aaO § 10 - K2). Die Rechtslage ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil die Klägerin auch durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Mehrere Bevollmächtigte sind nämlich nach § 84 Zivilprozessordnung (ZPO) berechtigt, die Partei sowohl gemeinschaftlich als auch einzeln zu vertreten.

Nach alledem war von einer wirksamen Antragstellung der Klägerin am 23.11.1994 auszugehen und Hinterbliebenenversorgung ab 01.03.1990 zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved