L 1 RJ 108/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 39 RJ 1047/98
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 108/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Gewährung von Altersruhegeld für die Zeit vom 1. Februar 1990 bis 31. Dezember 1992.

Der am XX.XXXXXXX 1925 in L. (Schlesien) geborene Kläger hat zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungszeiten zwischen 1943 und 1951 zurückgelegt. Seit 1951 lebt er in Kanada (British-Columbia); er ist kanadischer Staatsbürger. Am 25. August 1989 beantragte er beim kanadischen Sozialversicherungsträger die Gewährung von Altersrente Rente aus der kanadischen Sozialversicherung, die er ab 1. Februar 1990 erhält (Canada Pension Plan, Old Age Security). Bei der Antragstellung verneinte er, wie sich im Berufungsverfahren bestätigt hat, im Vordruck die Frage "Have you ever participated in a Social insurance plan of another country?" und ließ die Rubrik "Indicate name of Country (ies) and Insurance number(s)" unbeantwortet.

Am 31. Januar 1997 begehrte der Kläger von der Beklagten die Gewährung von Altersrente. Auf deren Anfrage vom 25. August 1997 bestätigte der kanadische Versicherungsträger die kanadische Rentenantragstellung vom 25. August 1989. Die Rubrik "Ist der Aufforderung, Leistungen nach deutschen Rechtsvorschriften zu beantragen, nicht nachgekommen" ist auf dem der Beklagten aus Kanada übersandten "Verbindungsstellenformular" vom 11. März 1998 nicht bejaht.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 31. März 1998 Regelaltersrente. Obwohl die Rente hiernach am 1. Februar 1990 "beginnt", zahlte sie die Rente nur für die Zeit ab 1. Januar 1993. Sie begründete dies damit, dass sie nach den sozialrechtlichen Prinzipien des Sozialgesetzbuches (SGB), indem sie den kanadischen Rentenantrag gem. Art. 19 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über Soziale Sicherheit vom 14. November 1985 (BGBl II 1988 S 28 – dkSVA - ) für den Tag Rentenantragstellung heranziehe, zwar für vier Kalenderjahre vor Beantragung der deutschen Leistung die Rente erbringen dürfe, also ab 1. Januar 1993, nicht aber bereits für die Zeit vom 1. Februar 1990 bis 31. Dezember 1992.

Der Widerspruch des Klägers, mit dem er daran festhielt, dass der kanadische Rentenantrag auch als Antrag in der deutschen Rentenversicherung gelte, hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11. September 1998). Ein früherer Rentenbeginn, so die Beklagte, sei nach Treu und Glauben und gemäß § 44 Abs. 4 Zehntes Buch SGB (SGB X) nicht möglich. Die am 8. Oktober 1998 erhobene Klage hat erstinstanzlich Erfolg gehabt (Urteil vom 21. Mai 2003). Das Sozialgericht hat ausgeführt, weder Verjährung noch Verwirkung (Treu und Glauben) oder § 44 Abs. 4 SGB X stünden dem Anspruch des Klägers auf frühere Zahlung der Rente entgegen. Sein kanadischer Rentenantrag gelte auch als deutscher Rentenantrag. Eine ausdrückliche Beantragung des Aufschubs der Anspruchsfeststellung nach Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA liege nicht vor.

Gegen das ihr am 21. Juli 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. Juli 2003 Berufung eingelegt. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 12. Februar 2004 (B 13 RJ 58/03 R, SozR 4-6580 Art. 19 Nr 1; Anm. Seewald, SGb 2004, 718) das Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 2003 (L 1 RJ 109/02) aufgehoben hatte, hat die Beklagte ihre Rechtsauffassung u. a. damit begründet, der Kläger müsse sich entgegenhalten lassen, dass der kanadische Sozialversicherungsträger kein Verfahren beim deutschen Sozialversicherungsträger eingeleitet habe, weil er, der Kläger, bei der kanadischen Rentenantragstellung fälschlicherweise angegeben habe, keine deutschen Versicherungszeiten zu haben. Auch könne sie sich auf Verjährung berufen. Zudem halte sie das Institut der Verwirkung nach wie vor für heranziehbar, weil das Urteil des BSG vom 12. Februar 2004 (aaO) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Mai 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil zutreffend.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat durfte trotz des Ausbleibens des Klägers (und seines Prozessbevollmächtigten) in der mündlichen Verhandlung, zu der sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, entscheiden, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit der ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle des Ausbleibens entschieden werden kann (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 31. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 1998 ist rechtswidrig. Dem Kläger steht die Altersrente auch für die Zeit vom 1. Februar 1990 bis 31. Dezember 1992 zu.

Anzuwenden auf den geltend gemachten Anspruch sind noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der Kläger - wie noch ausgeführt wird - den Rentenantrag bereits vor dem 1. April 1992 gestellt hat und Rente auch für einen vor dem 1. Januar 1992 liegenden Zeitraum im Streit ist (§ 300 Abs. 2 Sechstes Buch SGB (SGB VI)).

Nach § 1248 Abs. 5 RVO erhält Altersruhegeld auch der Versicherte, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach § 1248 Abs. 7 Satz 3 RVO erfüllt hat. Die Rente ist gem. § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Die Leistungen aus der Rentenversicherung sind gem. § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO auf Antrag festzustellen.

Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Kläger die Voraussetzungen für den Bezug der Altersrente grundsätzlich erfüllt. Die Voraussetzungen des § 1248 Abs. 5 RVO liegen auch vor, da der Kläger im Januar 1990 das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von sechzig Kalendermonaten - unter Einbeziehung kanadischer Versicherungszeiten (vgl. Art. 12, 13, 1 Buchst. g dkSVA) - zurückgelegt hat. Demnach wäre für den Fall, dass der Kläger seinen Antrag auf Leistung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung bereits mit dem kanadischen Rentenantrag vom 25. August 1989 gestellt hätte, in Anwendung von §§ 1290 Abs. 1 Satz 1, 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO das Altersruhegeld ab 1. Februar 1990 zu zahlen. Das trifft, wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, im Ergebnis auch zu.

Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA in der hier noch anwendbaren - vor Inkrafttreten des Zusatzabkommens vom 27. August 2002 zum 1. Dezember 2003 (BGBl II 2003 S 667; Bekanntmachung vom 1. September 2003, BGBl II S 1136) geltenden - Fassung (dkSVA aF) gilt ein Antrag auf eine Leistung nach den Rechtsvorschriften des einen Vertragsstaats auch als Antrag auf eine entsprechende Leistung nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaats. Dies gilt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA aF lediglich dann nicht, wenn der Antragsteller ausdrücklich beantragt, dass die Feststellung der nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaats erworbenen Ansprüche in den Fällen aufgeschoben wird, in denen er nach den Vorschriften dieses Vertragsstaats den Zeitpunkt bestimmen kann, der für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen maßgeblich sein soll. Um einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Der Kläger hat bei der kanadischen Rentenantragstellung nicht ausdrücklich beantragt, dass die Zahlung des Altersruhegeldes aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, die nach den bundesdeutschen gesetzlichen Vorschriften ab 1. Februar 1990 erfolgen konnte, erst ab einem späteren Zeitpunkt erfolgen solle. Deshalb ist unerheblich, dass auch das Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 5 RVO unter die nach deutschen Rechtsvorschriften erworbenen Ansprüche iSd Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA aF fällt, deren Feststellung durch die Bestimmung eines für die Erfüllung ihrer Leistungsvoraussetzungen maßgeblichen späteren Zeitpunkts - wie § 1248 Abs. 6 RVO ausdrücklich regelt - aufgeschoben werden kann.

Der Umstand, dass der Kläger bei der Antragstellung am 25. August 1989 verneint hat, als Versicherter/Mitglied an einem Sozialversicherungssystem eines anderen Landes - also auch Deutschlands - beteiligt (gewesen) zu sein, steht grundsätzlich weder der Rentenantragsfiktion des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF entgegen noch begründet er vorliegend eine Ausnahme von dieser Fiktion iSd Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA aF. Für die Fiktion des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF genügt es, dass ein kanadischer Rentenantrag gestellt worden ist. Sonstige hierbei abgegebenen - zutreffenden oder unzutreffenden - Erklärungen oder Angaben über eine (frühere) Zugehörigkeit zu einem ausländischen Sozialversicherungssystem sind grundsätzlich nicht geeignet, diese Fiktion entfallen zu lassen. Sie vermögen auch die engen Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA aF nicht zu erfüllen, die eine "ausdrückliche Beantragung" verlangen. Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 21. April 2004 denn auch eingeräumt, zu Gunsten des Klägers sei davon auszugehen, dass er eine ausdrückliche Erklärung, die Gewährung einer deutschen Rente nicht beantragen zu wollen, nicht abgegeben habe und somit der kanadische Rentenantrag auch als deutscher Rentenantrag gelte. Mit diesen Ausführungen geht der Senat im Ergebnis konform. Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 13. Juli 2004 allerdings unter Hinweis auf § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nunmehr ausführt, das Begehren des Klägers im kanadischen Rentenantrag sei wegen der Verneinung einer (früheren) Teilnahme an einem ausländischen (und damit deutschen) Versicherungssystem dahingehend auszulegen, dass er Leistungen nach deutschen Rechtsvorschriften nicht beansprucht habe, vermag ihr der Senat nicht zu folgen. Der Fiktion des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF ist immanent, dass sie unabhängig vom Willen oder einer Willenserklärung des Versicherten bezüglich einer entsprechenden Leistung des anderen Vertragsstaats (Deutschland) eintritt und schon bei Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Beantragung der kanadischen Altersrente greift. Zwar mag diskutabel sein, ob die Rechtswirkung des Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA aF - Nichtgeltung der Antragsfiktion - über den dort gesondert geregelten Fall hinaus nicht auch in Fällen eingreift, in denen ein Versicherter im kanadischen Rentenantrag ausdrücklich erklärt, er beanspruche keine Rente aus der deutschen Rentenversicherung. Eine solche Willenserklärung hat der Kläger am 25. August 1989 aber nicht abgegeben. Er hat lediglich unzutreffend - wohl irrtümlich - angegeben, nie an einem ausländischen Sozialversicherungssystem teilgenommen zu haben. Darin liegt zwar eine falsche Angabe über ein für die Rentengewährung erforderliches Tatbestandsmerkmal, nämlich den Status des "Versicherten" iSd § 1248 Abs. 5 RVO, jedoch keine Willenserklärung, dass Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung nicht beantragt werden.

Gerade in den Fällen, in denen die (frühere) Zugehörigkeit zu einem ausländischen (deutschen) Sozialversicherungsträger verneint worden ist, macht es keinen Sinn, darin zugleich eine Erklärung zu erblicken, dass deutsche Rentenleistungen nicht beantragt werden. Für eine solche Willenserklärung besteht für den Fall unterstellten irrtümlichen Nichtwissens von einer bestehenden deutschen Versicherung überhaupt kein Anlass. Die Verneinung der Frage 10, die im Vordruck vor der eigentlichen und ausdrücklichen Beantragung der kanadischen Rente (Nr. 14) erfolgt ist und in keinem Zusammenhang mit einer Antragstellung iSd §§ 16 Erstes Buch SGB I, 8 SGB X, 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO, 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI steht, stellt nur eine unrichtige Information im Rahmen des kanadischen - und damit fiktiven deutschen - Rentenantrags dar und bleibt ohne Auswirkung auf die von Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF fingierte Rechtsfolge.

Dass der kanadische Sozialversicherungsträger auf Grund der Verneinung von Frage Nr. 10 im kanadischen Antragsvordruck keinerlei Veranlassung hatte, den Kläger zu befragen, ob er einen deutschen Rentenantrag stellen wolle, trifft zwar zu, berechtigt jedoch nicht dazu, die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF zu verneinen oder diejenigen des Art. 19 Abs. 3 Satz 2 dkSVA aF zu bejahen. Dieser Umstand rechtfertigt auch nicht, den Kläger, der mit Ablauf des 10. Januar 1990 - also vor In-Kraft-Treten des SGB VI - ein Stammrecht auf Altersruhegeld erworben hatte, jedenfalls im Ergebnis so zu stellen, als hätte er die Rente, auf die er ab 1. Februar 1990 Anspruch hatte, erst 1997, als er sich bei der Beklagten meldete, beantragt. Soweit die Beklagte dem Kläger vorhält, dass der kanadische Versicherungsträger kein Verfahren bei ihr als zuständiger Rentenversicherungsverbindungsstelle eingeleitet habe, weil der Kläger ihm unmöglich gemacht habe, der Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung von Anträgen nachzukommen, da seine unzutreffende Angabe das Amtsermittlungsprinzip ausgehebelt habe, vermag die Beklagte ihre Entscheidung mit Erfolg weder auf § 211 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BGB aF noch auf § 44 Abs. 4 SGB X und auch nicht auf Verjährung - § 45 SGB I - oder auf Verwirkung (Treu und Glauben) zu stützen.

Zwar unterscheidet sich der vom BSG am 12. Februar 2004 entschiedene Fall (B 13 RJ 58/03 R, aaO) vom vorliegenden dadurch, dass hier die Frage nach der Zugehörigkeit zu einem ausländischen (deutschen) Versicherungssystem verneint worden ist, während sie dort offen gelassen worden war. Dieser Unterschied rechtfertigt im Ergebnis aber keine andere Entscheidung. Denn nach dem BSG bedarf es der ausdrücklichen Erklärung des Antragstellers, wenn der Antrag nicht zugleich als im anderen Vertragsstaat gestellter Antrag angesehen werden soll. Eine solche Erklärung ist aber - wie bereits ausgeführt - in der Angabe, keinerlei ausländischem Sozialversicherungssystem angehört zu haben, nicht enthalten. Soweit das BSG ausführt, das bloße Nichtankreuzen der Frage 10 "nach im Ausland zurückgelegten Versicherungszeiten" sei nicht mit einer ausdrücklichen Verneinung der Frage gleichzusetzen, sondern lasse den Antrag nur "unvollständig", trifft dies zwar zu. Daraus folgt aber nicht, dass die unzutreffende Verneinung dieser Frage auch die ausdrückliche Erklärung beinhaltet, dass der kanadische Antrag nicht zugleich als in Deutschland gestellter Rentenantrag anzusehen sei. Allenfalls ergibt sie Anlass zur Vermutung, dass der Kläger bei Stellung des kanadischen Rentenantrags nicht daran gedacht hat oder nicht davon ausgegangen ist, dass ihm Rentenansprüche nach deutschen Rechtsvorschriften zustehen können. Die Grenzlinie zur Feststellung, dass Altersruhegeld nach deutschen Rechtsvorschriften vom Kläger nicht begehrt worden ist, ist damit aber noch nicht überschritten. Vielmehr greift gerade an dieser Stelle die einen Rechtsnachteil des Klägers ausschließende Fiktion des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF. Dafür spricht auch der mit Wirkung ab 1. Dezember 2003 geltende Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA nF, nach welchem ein nach den Vorschriften des einen Vertragsstaats gestellter Rentenantrag nur noch dann als Antrag auch nach den Vorschriften des anderen Vertragsstaats gilt, wenn der Antragsteller dies ausdrücklich wünscht oder bei der Antragstellung Versicherungszeiten im anderen Vertragsstaat angibt. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn bereits nach dem hier anzuwendenden Recht - auch für den Fall der fälschlichen Verneinung der Zugehörigkeit zu einem ausländischen Versicherungssystem - die Fiktion des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF nicht griffe. Nach alledem bewirkte die Antragstellung in Kanada vom 25. August 1989 zugleich die Antragstellung bei der Beklagten.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Anspruch auf Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres für die Zeit vom 1. Februar 1990 bis 31. Dezember 1992 nicht verjährt. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB I in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (SGB I aF) verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind. Für die Hemmung, die Unterbrechung und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des BGB sinngemäß (§ 45 Abs. 2 SGB I aF). Nach § 45 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 SGB I aF wird die Verjährung auch durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung unterbrochen. Nach Satz 2 Alternative 1 dieser Vorschrift dauert die Unterbrechung bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Antrag. Eine Entscheidung über den am 25. August 1989 auf Grund der Gleichstellungsregelung in Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF auch mit Geltung gegen die Beklagte gestellten Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres hat die Beklagte erstmals durch Bescheid vom 31. März 1998 getroffen; jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt - nach Einlegung des Widerspruchs auch danach - war die Verjährung bezogen auf Leistungen aus dem Recht auf Altersruhegeld gemäß § 1248 Abs. 5 RVO unterbrochen. Dies steht bereits der Annahme des Eintritts der Verjährung entgegen. Deshalb kann dahinstehen, ob die Beklagte, falls Verjährung eingetreten wäre, die Einrede der Verjährung ermessensfehlerfrei ausgeübt hätte.

Für eine sinngemäße Anwendung des § 211 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BGB aF ist entgegen der Auffassung der Beklagten kein Raum. Nach dieser Vorschrift endet eine Verjährungsunterbrechung u. a. dann, wenn das Verfahren dadurch in Stillstand gerät, dass es nicht "betrieben" wird. Es endet dann mit der "letzten Verfahrenshandlung der Parteien oder des Gerichts" (vgl. BSG vom 12. Februar 2004 - B 13 RJ 58/03 R -, aaO). Die mit der Antragstellung eingeleitete Verjährungsunterbrechung endete hier nicht dadurch sogleich wieder, dass der Kläger nicht nur keine Angaben zu rentenrelevanten deutschen Zeiten machte, sondern sogar verneinte, jemals an einem ausländischen (deutschen) Sozialversicherungssystem teilgenommen zu haben. Auch wenn das Verfahren der Beklagten gegenüber nicht aktiv "betrieben" wurde, kam es nicht - wovon die Beklagte ausgeht - "sofort wieder zum Stillstand". Entgegen ihrer Auffassung lässt sich § 211 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BGB aF (entspricht § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB nF) auf Antragsverfahren in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz (Offizialmaxime) beherrschten sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht entsprechend anwenden. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift "passt" auf das sozialrechtliche Verfahren nicht (vgl. BSG vom 12. Februar 2004 – B 13 RJ 58/03 R -, aaO). Im Übrigen könnte ein "Nichtbetreiben" allenfalls dann angenommen werden, wenn der Kläger sich am 25. August 1989 der Fiktion einer deutschen Rentenantragstellung bewusst gewesen wäre, aber nichts weiter unternommen hätte. Dafür gibt es aber keinen Anhalt. Der kanadische Rentenantragsvordruck enthält nicht einmal einen Hinweis auf die in Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF geregelte Fiktion. Im Ergebnis scheidet daher eine analoge Anwendung von § 211 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BGB aF unter der vorliegend noch geltenden Rechtslage auch dann aus, wenn der Versicherte im kanadischen Rentenantrag - anders als in dem vom BSG entschiedenen Fall - verneint hat, jemals einem ausländischen Sozialversicherungssystem angehört zu haben. Es steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen, dass der kanadische Versicherungsträger, weil dem Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung Zeiten seines militärischen Dienstes (1. April 1943 bis 15. Juli 1945) und im Beitrittsgebiet sowie in den alten Bundesländern zurückgelegte Beitragszeiten (Mai 1946 bis Juni 1951) - insgesamt nur 57 Kalendermonate - nicht präsent waren, angesichts der in Rede stehenden Verneinung der Frage 10 keinen Anlass hatte, beim Kläger Nachfrage zu halten bzw. den Rentenantrag gemäß Art. 19 Abs. 2 dkSVA aF an die Beklagte weiterzuleiten. Zwar konnte diese ihrer Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, wobei sie an das Vorbringen des Klägers nicht gebunden gewesen wäre, mangels Kenntnis von der Rentenantragstellung faktisch nicht nachkommen (§ 20 Abs. 1 SGB X) und konnte aus gleichem Grund auch die Mitwirkungsvorschriften der §§ 60ff SGB I nicht zur Anwendung bringen. Es ist auch zu konstatieren, dass der Kläger objektiv nicht alles getan hat, damit das Rentenverfahren bei der Beklagten zügig durchgeführt werden konnte. Entscheidend ist aber, dass der in Kanada gestellte Antrag nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF sowohl formell als auch materiell als Antrag auf Leistung in Deutschland gilt und es auch insoweit dem durch das Abkommen geschützten Kläger nicht zum Nachteil gereichen kann, wenn er durch seine fehlerhaften Angaben die zeitnahe Bearbeitung seines Rentenantrages erschwert bzw. verhindert. Eine gesetzliche Vorschrift oder ein Rechtsinstitut, wodurch der Irrtum des Klägers sanktioniert würde, ist für den vorliegenden Fall nicht erkennbar. Dies mag die Beklagte zwar als misslich empfinden, ändert aber an den Rechtswirkungen des bilateralen Abkommens nichts.

§ 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, steht dem streitigen Anspruch ebenfalls nicht entgegen. Die Vorschrift ist auf das Erstfeststellungsverfahren nicht anwendbar. Um ein solches handelt es sich hier. Denn der - erneuten - Antragstellung des Klägers am 31. Januar 1997 bei der Beklagten - dem deutschen Rentenversicherungsträger - kommt nur die Rechtsqualität einer "Erinnerung" bezogen auf den nicht erledigten Antrag vom 25. August 1989 zu. Soweit die Beklagte ausführt, der Kläger habe - sofern man den deutschen und kanadischen Sozialversicherungsträger als Einheit behandelte - mit der kanadischen Rentenbewilligung auf Grund eigener falscher Angaben zu Unrecht zunächst nur eine Leistung erhalten, sodass sein Begehren vom 31. Januar 1997 als Überprüfungsantrag iSd § 44 Abs. 1 SGB X zu betrachten und die deutsche Rentenzahlung hier deshalb gemäß § 44 Abs. 4 SGB X auf die Zeit ab 1. Januar 1993 zu beschränken sei, findet ihre Argumentation im geltenden Recht keine Stütze. Mit der Antragsfiktion des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 dkSVA aF wird eine Parallelität zweier Rentenanträge statuiert. Diese ist durch die Entscheidung des kanadischen Sozialversicherungsträgers nicht mit Bindungswirkung für das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten wieder beseitigt worden. Eine Ablehnung des deutschen Rentenantrags war mit der damaligen kanadischen Rentenbewilligung nicht verbunden. Vielmehr war über den deutschen Rentenantrag - wie ausgeführt - bis zur Erteilung des Bescheids vom 31. März 1998 nicht entschieden worden.

Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch auch nicht verwirkt. Ein rechtsmissbräuchliches vorangegangenes Handeln des Klägers, dass ihm verwehren würde, das streitige Recht noch geltend zu machen, ist nicht erkennbar. Zum einen mangelt es, da am 25. Au

gust 1989 ein wirksamer deutscher Rentenantrag gestellt wurde, bereits an dem Erfordernis, dass seit der Möglichkeit, das Recht auf Altersruhegeld geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist. Zum anderen fehlt es auch an Umständen, die das Festhalten an der Forderung, welches in der "Erinnerung" vom 31. Januar 1997 liegt, als gegen Treu und Glauben verstoßend erscheinen lassen.

Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil er dessen Voraussetzungen nicht für gegeben hält.
Rechtskraft
Aus
Saved