L 6 R 287/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 30/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 287/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24. März 2004 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 24. März 2004 sowie des Beschei- des vom 13. August 2001 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 19. Dezember 2001 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31. Dezember 2004 hinaus bis 31. Dezember 2007 zu leisten.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergericht- lichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 01.01.2001 - auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin, die 1961 geboren ist, weist mit Unterbrechungen Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 01.09.1976 bis 31.12.2001 auf.

Vom 01.09.1976 bis 31.08.1979 hat sie den Beruf einer Einzelhandelskauffrau erlernt und war anschließend zunächst als Verkäuferin tätig. Ab 08.04.1980 arbeitete sie als Montiererin, Vorarbeiterin und zuletzt als Automatenbetreuerin. Am 09.12. 1999 stürzte die Klägerin von einer Schaukel und zog sich dabei ein Schädelhirntrauma und eine Steißbeinfraktur zu. Seither ist sie arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos. Vom 04.01.2000 bis 15.02.2000 wurde eine Rehabilitationsmaßnahme im Reha-Zentrum R. in B. und eine weitere wurde vom 25.01.2001 bis 22.02.2001 in der B. Klinik in F. durchgeführt.

Mit Bescheid vom 13.08.2001 und Widerspruchsbescheid vom 19.12. 2001 lehnte die Beklagte den am 27.12.2000 gestellten Antrag der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab. Nach den im Verwaltungsverfahren zu ihrem Gesundheitszustand und beruflichen Leistungsvermögen sowie zu ihrem beruflichen Werdegang getroffenen Feststellungen sei sie nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs.2 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F). Aufgrund der zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübten Tätigkeit sei die Klägerin auf alle ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Tätigkeiten verweisbar. Sie habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs.1 Satz 1 SGB VI in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung (a.F.), denn sie sei erst recht nicht erwerbsunfähig gemäß § 44 Abs.2 SGB VI a.F. Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen entnahm die Beklagte dem Rentengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.S. vom 02.08.2001 aufgrund der Untersuchung am 01.08.2001, den beigezogenen arbeitsamtäztlichen Unterlagen sowie der Stellungnahme der Nervenärztin Dr.K. vom 24.04.2002.

Dagegen richtet sich die am 14.01.2002 zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhobene Klage. Die Klägerin begehre Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil es ihr unter Berücksichtigung der Schwere der Gesundheitsstörungen nicht mehr möglich sei, einer wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit nachzugehen.

Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten, die Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung (AVF) R. und ärztliche Unterlagen der Arbeitsverwaltung bei und holte Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten der Klägerin Dr.K. , Dr.S. , Dr.W. und Dr.D. sowie einen Befundbericht von Dipl.-Psych. M. ein sowie medizinische Sachverständigengutachten von dem Arzt für Psychiatrie Dr.R. (Gutachten vom 30.09.2002) und auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG von dem Arzt für Neurologie und Neuropsychologie Prof.Dr.Dr.habil. Dipl.-Psych. L. (Gutachten vom 12.05.2003). Das SG veranlasste weiterhin eine testpsychologische Untersuchung durch Dipl.-Psych. O. (Gutachten vom 02.09.2003). Dr.R. stellte bei der Klägerin eine Anpassungsstörung nach Schädel-Hirn-Trauma mit postkontusionellem Beschwerdekomplex, anamnestisch Panikattacken, eine Migräne und Wirbelsäulenbeschwerden ohne erkennbare Funktionsbeeinträchtigung fest. Prof.Dr.Dr.habil.Dipl.-Psych. L. diagnostizierte neben einer Migräne Einschränkungen des verbalen Gedächnisses und verschiedener konzentrativer Fähigkeiten sowie einen Lagerungsschwindel. Dipl.-Psych. O. wies auf eine Verlangsamung und Verminderung der Konzentrationsfähigkeit und eine Erschöpfbarkeit der Klägerin hin.

Die Klägerin wurde von Dr.R. für fähig erachtet, regelmäßig leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig ohne besonderen Zeitdruck sowie ohne Nacht- und Wechselschicht zu verrichten. Nicht zumutbar seien schwere wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten mit ständigem Heben und Tragen von Lasten und Arbeiten mit andauernden Zwangshaltungen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Beschränkungen des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Nach der Beurteilung von Prof.Dr.Dr.habil. Dipl.-Psych. L. aufgrund der Untersuchung vom 16.12.2002 ist der Klägerin zunächst, d.h. ab 27.12.2000, nur noch eine unterhalbschichtige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar. Bei Optimierung der Behandlung und Wiedereingewöhnung in das Berufsleben, sollte eine Anhebung auf zunächst halb- bis untervollschichtig erfolgen. Auch eine vollschichtige Arbeitsleistung liege im Bereich des Möglichen. Zu vermeiden seien Arbeiten unter massivem Zeitdruck wie bei Akkordarbeit, ohne die Möglichkeit kurzer Erholungspausen, Arbeiten mit ununterbrochener hoher Anforderung an die visuelle Aufmerksamkeit und mit sehr hohen Anforderungen an das semantische Wortgedächnis sowie Arbeiten mit sehr hohen Anforderungen an das Gleichgewichtssystem. Der Gutachter sah keine Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte. Dipl.-Psych. O. sah die Klägerin für fähig an, zunächst eine unterhalbschichtige Tätigkeit zu verrichten, die später entsprechend der Leistungsfähigkeit quantitativ zu steigern sei. Auffällig sei die Erschöpfbarkeit der Klägerin, die bei der Untersuchung ohne Pause nur knapp zwei Stunden durchgehalten habe. Unbeeinträchtigte Personen würden ohne sonderliche Ermüdung bis drei Stunden und 30 Minuten schaffen. Einbrüche der Aufmerksamkeit hätten sich alle 15 Minuten gezeigt. Die Sachverständigen kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Klägerin für den zuletzt ausgeübten Beruf als Automatenbetreuerin nicht mehr geeignet sei. Die Umstellungsfähigkeit auf eine neue Berufstätigkeit sei aber nicht beeinträchtigt.

Die Klägerin stützte sich auf die Stellungnahme von Dipl.-Psych. M. vom 16.11.2002, bei dem sie sich seit 26.11.2001 in Behandlung befindet. Danach sei die Klägerin nicht in der Lage, auch einer nur geringfügigen Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Mehr als ihre Hausarbeit könne sie nicht verrichten. Er empfahl, in zweijährigem Abstand den Leistungszustand bezüglich einer Besserung zu überprüfen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung des SG beantragte die Klägerin, ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof.Dr.Dr. Dipl.-Psych. L. Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Mit Urteil vom 24.03.2004 verurteilte das SG die Beklagte, bei der Klägerin den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung "ab dem Untersuchungszeitpunkt durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof.L. vom 16.12.2002 anzuerkennen" und der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente auf Zeit bis 31.12. 2004 zu gewähren. Die Klägerin sei derzeit nicht in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es sei aber nach den Ausführungen von Dipl.-Psych. M. mit einer Verbesserung des Leistungsvermögens zu rechnen. Deshalb sei die Rente wegen voller Erwerbsminderung zu befristen.

Am 26.05.2004 ging die Berufung der Beklagten gegen das ihr am 28.04.2004 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Zur Begründung stützt sich die Beklagte auf die Stellungnahmen von Dr.L. vom 17.07.2003 und 07.11.2003 und auf das Gutachten von Dr.R ... Die Klägerin habe mit wiederholten kleineren und einer größeren Pause dem abwechslungsreichen Untersuchungsgang von insgesamt sieben Stunden gut folgen können. Die Klägerin sei deshalb durchaus in der Lage, eine Arbeitsleistung von mindestens sechs Stunden zu erbringen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin die testpsychologische Untersuchung nur knapp zwei Stunden durchgehalten habe. Dies bedeute nicht, Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die konzentrative Belastbarkeit nicht sechs Stunden und mehr ausführen zu können.

Der Senat zog die Verwaltungsakten der Beklagten bei und holte das medizinische Sachverständigengutachten von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.O. vom 03.10.2004 ein.

Die Gutachterin führte zum Gesundheitszustand der Klägerin aus, im Vordergrund stünden die neuropsychiatrischen Auffälligkeiten, wobei der Untersuchungsbefund nahezu idealtypisch einem organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma entspreche. Viele der geklagten Symptome wie rasche Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und ein allgemein geistig eingeschränktes Leistungsvermögen, die nahezu ganz im Subjektiven verbleiben würden, seien von der Klägerin plausibel vorgetragen worden. Die Klägerin müsse Einschränkungen hinsichtlich der Leistungsbreite und der Leistungsqualität hinnehmen. Neben dem hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma liege ein peripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel vor. Der eigene psychopathologische Eindruck lasse sich mit den durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen in Übereinstimmung bringen, bei denen die Klägerin deutliche Einschränkungen der Konzentrations- bzw. der Aufmerksamkeitsleistungen und eine reduzierte verbale Merkfähigkeit gezeigt habe. Hinzu kämen leichte Auffälligkeiten bei planerisch-exekutiven Tätigkeiten. Eine Verschlechterung im Vergleich zu den testpsychologischen Befunden lasse sich zwar nach klinischer Beobachtung nicht sichern, weil die Ergebnisse einer testpsychologischen mit einer psychopathologischen Untersuchung nicht vergleichbar seien. Psychopathologisch würden aber die Veränderungen in der feinen Persönlichkeit im Sinne einer leichtgradigen posttraumatischen Wesensänderung deutlich zum Ausdruck kommen. Die Gesundheitsstörungen mit wesentlichem Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit, die seit dem Unfall vom 09.12.1999 vorliegen würden, könnten durch eigene Willensanstrengung trotz ärztlicher und therapeutischer Hilfe nicht mehr gänzlich überwunden werden. Die von Prof.Dr.Dr.L. erwartete Verbesserung der Leistungsfähigkeit sei bislang nicht eingetreten. Die Klägerin könne ohne Gefährdung ihrer Restgesundheit nur körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten in einem Umfang von vier bis unter sechs Stunden verrichten. Arbeiten in Nachtschicht und unter Akkordbedingungen oder mit hohen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen seien nicht zumutbar. Zu vermeiden seien gefahrengeneigte Arbeiten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und im Freien oder bei ungünstigen äußeren Bedingungen. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestünden nicht.

Dr.O. führt weiter aus, nach ihrer Auffassung sei die posttraumatische Rekonvaleszenzphase abgeschlossen und es widerspreche der neurotraumatischen Erfahrung, dass nahezu vier Jahre nach dem Unfallereignis noch eine wesentliche Besserung erzielt werden könnte. Andererseits weist die Gutachterin darauf hin, aus neuropsychiatrischer Sicht würden vermehrte Therapieanstrengungen erforderlich erscheinen, um der Klägerin mehr Bewältigungsstrategien an die Hand zu geben, um deren psychische Komponenten des Versagenssyndroms einzudämmen.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Gutachten von Dr.O. sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin sei in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.03.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin legt Anschlussberufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24.03.2003 ein und beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 24.03. 2004 sowie des Bescheides vom 13.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zu verurteilen, der Klägerin über den 31.12.2004 hinaus bis 31.12.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten und des SG, der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten und die unselbständige Anschlussberufung der Klägerin sind zulässig. Die Anschlussberufung ist kein eigenes Rechtsmittel, sondern beinhaltet lediglich einen Antrag innerhalb des gegnerischen Rechtsmittels. Sie setzt damit nicht voraus, dass sie innerhalb der Berufungsfrist eingelegt wird. Es reicht aus, wenn wie hier der Antrag in der mündlichen Verhandlung gestellt wird (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 143 Rdnr.5 ff.).

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet und die Anschlussberufung der Klägerin begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte entsprechend dem erstinstanzlichen Urteil einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zunächst bis 31.12.2004 und nach dem Antrag der Klägerin im Berufungsverfahren auch über diesen Zeitpunkt hinaus bis 31.07.2007.

Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente ist an den Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung zu messen. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde geltend gemacht, Rentenleistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren und dabei das Datum 16.12.2002, den Tag der Untersuchung durch Prof.Dr.Dr.habil.Dipl.-Psych. L. , als Zeitpunkt des Leistungsfalls zugrunde zu legen. Das Sozialgericht hat, dem Antrag der Klägerin folgend, Rentenleistungen befristet zugesprochen. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist damit nicht ein etwaiger Anspruch auf Rentenleistungen für einen Zeitraum vor der Untersuchung durch Prof.Dr.Dr.habil.Dipl.-Psych. L ... Die Frage, ob bei einer Antragstellung wie hier im Dezember 2000 die Vorschriften des SGB VI in der vor oder ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung anzuwenden sind, ist damit nicht entscheidungserheblich.

Das Sozialgericht hat den Anspruch der Klägerin auf volle Erwerbsminderung mit der Begründung zuerkannt, dass Rente wegen voller Erwerbsminderung gezahlt wird, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs.2, 3 SGB VI). Nach Auffassung des Senats steht der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung zu, weil ihr bei dem vorliegenden beruflichen Leistungsvermögen ein entsprechender Teilzeitarbeitsplatz nicht angeboten werden kann.

Bei der Klägerin sind als wesentliche Gesundheitsstörungen ein hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma sowie ein Lagerungsschwindel festzustellen, wobei die neuropsychiatrischen Auffälligkeiten im Vordergrund stehen. Die Klägerin leidet an rascher Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit. Sie ist sowohl hinsichtlich der Leistungsbreite als auch der Leistungsqualität eingeschränkt. Die Befunderhebung durch Dr.O. lässt sich mit den durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen in Einklang bringen, bei denen die Klägerin deutliche Einschränkungen der Konzentrations- bzw. der Aufmerksamkeitsleistungen, eine reduzierte verbale Merkfähigkeit sowie leichte Auffälligkeiten bei planerisch-exekutiven Tätigkeiten gezeigt hat. Neben dem hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma leidet die Klägerin an einem peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel.

Die Klägerin ist nur noch in der Lage, körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten in einem Umfang von vier bis unter sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Sachverständigen davon aus, dass die Klägerin somit nicht insgesamt außerstande ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Arbeiten in Nachtschicht und unter Akkordbedingungen oder mit hohen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen sind aber nicht zumutbar. Zu vermeiden sind insbesondere auch aufgrund der Schwindelattacken gefahrengeneigte Arbeiten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und im Freien oder bei ungünstigen äußeren Bedingungen.

Der Bewertung von Dr.L. , der sich die Beklagte anschließt, kann dagegen der Senat nicht folgen. So meint Dr.L. einen Widerspruch im Gutachten von Dr.O. zu erkennen, weil sie im Gutachten zunächst qualitative Einschränkungen, bei der Beantwortung der Beweisfragen aber eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens beschreibt. Bei richtiger Lektüre wird jedoch deutlich, dass die Gutachterin die qualitativen Einschränkungen im Rahmen des von ihr eingeschätzten verbliebene Leistungsvermögen von vier bis unter sechs Stunden angesprochen hat. Dr.L. sieht im Übrigen für den Senat nicht überzeugend eine Begründung für die Annahme eines beruflichen Leistungsvermögens von sechs Stunden täglich insofern, als im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens eine Untersuchung der Klägerin über die Dauer von sieben Stunden möglich war. Der zeitliche Rahmen einer psychiatrischen oder psychologischen Untersuchung kann hier aber nicht ohne weiteres Aufschluss zum Umfang der beruflichen Leistungsfähigkeit geben. Denn die Anforderungen an einen zu Begutachtenden im Rahmen einer solchen Untersuchung und an einen Arbeitnehmer bei der täglichen Arbeit sind völlig unterschiedlicher Natur. Im Zuge einer gutachterlichen Untersuchung werden Befunde bzw. Untersuchungsergebnisse erhoben und es wird nicht wie im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses die Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten abverlangt. Dies bedeutet nicht, dass aus dem tatsächlichen Verlauf einer ärztlichen Untersuchung keine Schlüsse für die berufliche Leistungsfähigkeit gezogen werden könnten, insbesondere wenn der Gutachter aufgrund objektiv zu erhebender Befunddaten die körperliche Leistungsfähigkeit bewertet hat. Allein der zeitliche Umfang einer Untersuchung auf psychiatrischen bzw. psychologischem Gebiet lässt jedoch nicht entscheidend auf das quantitative Leistungsvermögen im Beruf schließen.

Bei einem hier vorliegenden beruflichen Leistungsvermögen von weniger als sechs, aber von mindestens vier Stunden täglich würde die Klägerin einen Teilzeitarbeitsplatz benötigen, um noch eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können. Sind aber solche Arbeitsplätze nicht vorhanden, so ist dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen. Der Versicherte ist nicht mehr in der Lage, Erwerbseinkommen zu erzielen, weil auf dem Arbeitsmarkt das verbleibende Leistungsvermögen tatsächlich nicht mehr eingesetzt werden kann. Ist der Rentenversicherungsträger oder das Arbeitsamt nicht in der Lage, dem Versicherten innerhalb eines Jahres nach Stellung des Rentenantrags einen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz anzubieten, so ist die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes anzunehmen (BSGE 43, 75, 79 = SozR 2200 § 1246 Nr.13; KassKomm-Niesel § 102 SGB VI Rdnr.11). Für die Klägerin steht ein entsprechender Arbeitsplatz, der dem verbliebenen Leistungsvermögen der Klägerin entspricht, nicht zur Verfügung, so dass von voller Erwerbsminderung auszugehen ist.

Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, auf die ein Anspruch nicht unabhängig von der Arbeitsmarktlage besteht, werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann aber wiederholt werden (vgl. § 102 Abs.2 SGB VI). Gemäß dem seit 01.01.2001 geltenden neuen Recht besteht grundsätzlich bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zunächst ein Anspruch auf eine befristete Rente und nur ausnahmsweise wird eine Dauerrente zugesprochen. Dementsprechend bestimmt § 102 Abs.2 Satz 4 SGB VI, dass Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet werden, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.

Der Senat geht davon aus, dass es nicht unwahrscheinlich im Sinne des § 102 Abs.2 Satz 4 SGB VI ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin wieder behoben werden kann. Denn unwahrscheinlich ist die Behebung einer Erwerbsminderung erst dann, wenn unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Gesundheitsstörungen und des Krankheitsverlaufs aus ärztlicher Sicht eine Besserung auf nicht absehbare Zeit auch unter Ausschöpfung möglicher ambulanter und stationärer Therapiemaßnahmen auszuschließen ist. Für die Bewilligung einer nur befristeten Rente ist dagegen nach der Änderung des § 102 SGB VI mit Wirkung ab 01.01.2001 nicht mehr erforderlich, dass eine begründete Aussicht und damit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit wieder behoben werden kann. Nach neuem Recht ab 01.01.2001, das die befristete Rente als Regelleistung bestimmt, reicht es aus, wenn allein die Möglichkeit einer Besserung des Gesundheitszustandes mit Auswirkung auf das berufliche Leistungsvermögen ausreichend zu begründen ist. Bei der Klägerin besteht durchaus noch die Möglichkeit einer solchen Besserung. Zwar führt Dr.O. aus, das organische Psychosyndrom sei durch eigene Willensanstrengung der Klägerin auch bei ärztlicher und therapeutischer Hilfe nicht mehr gänzlich zu überwinden. Allerdings weist die Sachverständige auch darauf hin, dass bei vermehrten Therapieanstrengungen den psychischen Komponenten des Versagenssyndroms entgegengewirkt werden könne. Damit ist eine Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin und die Behebung des beruflichen Leistungsvermögens nicht unwahrscheinlich.

Das Sozialgericht hat Rentenleistungen wegen voller Erwerbsminderung bis 31.12.2004 zuerkannt. Weil die zeitliche Befristung wiederholt werden kann (§ 102 Abs.2 Satz 1 bis 3 SGB VI) und die Voraussetzungen für die Zahlung einer arbeitsmarktbedingten Rente weiterhin vorliegen, kann der Senat die weitere Bewilligung zusprechen. Aus der Formulierung "kann" in § 102 Abs.2 Satz 3 SGB VI ist nicht abzuleiten, dass dem Rentenversicherungsträger insoweit ein Ermessen eingeräumt ist (KassKomm- Niesel § 102 Rdnr.9). Der Zeitraum der Befristung reicht somit bis zum 31.12.2007.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 24. März 2004 war somit zurückzuweisen und die Beklagte auf die Berufung der Klägerin zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.12.2004 hinaus bis zum 31.12.2007 zu leisten.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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