L 4 B 458/04 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 80/04 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 458/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 9. August 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der bei der Antragsgegnerin versicherte Antragsteller bezieht jeweils eine betriebliche Altersrente seiner ehemaligen Arbeitgeber T. GmbH und B. GmbH in Höhe von 403,92 EUR und 198,64 EUR. Von der Antragsgegnerin wurde bis 31.12.2003 nach dem damals gültigen Recht die Beitragsbemessung auf diesen Renten mit der Hälfte des jeweils am 01.07. geltenden allgemeinen Beitragssatzes durchgeführt. Nach dem am 01.01.2004 in Kraft getretenen neuen Recht wandte die Antragsgegnerin für die Beitragsbemessung der Betriebsrenten den allgemeinen Beitragssatz von 13,7 % an. Der Krankenversicherungsbeitrag erhöhte sich dadurch von 13,61 auf 27,21 bzw. von 27,67 auf 55,34 EUR. Der Antragsteller legte hiergegen am 01.03.2004 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid 23.08.2004 abgewiesen wurde. Dagegen ist am 30. Juli 2004 Klage erhoben worden.

Bereits am 20.04.2004 hatte der Antragsteller beim Sozialgericht Landshut beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge für Betriebsrenten anzuordnen. Die Antragsgegnerin habe entgegen dem neuen Recht unterlassen, die Einsparungen durch Verdoppelung von Krankenversicherungsbeiträgen für Betriebsrenten in vollem Umfang für Beitragssenkungen zu verwenden. Es liege eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber der Beitragsbelastung für die gesetzliche Rente vor; hier gelte zwar auch der volle Beitragssatz, aber die Versicherungspflichtigen und die Träger der Rentenversicherung trügen die nach der Rente zu bemessenden Beiträge für die Krankenversicherung jeweils zur Hälfte. Ferner verstoße die Neuregelung gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes; durch sie werde zum Nachteil für bereits Betriebsrentenbegünstigte eingegriffen (unechte Rückwirkung). Das Vertrauen der älteren, gesundheitlich beeinträchtigten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Fortbestand einer günstigeren beitragsrechtlichen Rechtslage sei hoch einzuschätzen.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 9. August 2004 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abgelehnt. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden nicht, ebenso wenig eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte in der Mehrbelastung von ca. 500,00 EUR jährlich. Eine praktische Aussetzung gesetzlicher Regelungen im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzes dann, wenn ein Bürger Verfassungswidrigkeit der einzelnen Bestimmungen über eine gesetzlich geregelte Beitragshöhe rüge, widerspräche dem öffentlichen Interesse an funktionsfähigen sozialen Sicherungssystemen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 13.09.2004, mit der er sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Antragteller beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 9. August 2004 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 30.07.2004 gegen die Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge für die Betriebsrenten anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten des Sozialgerichts und der Antragsgegnerin, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG), sie erweist sich aber als unbegründet. Das gilt zunächst bei wörtlicher Auslegung des Beschwerdeantrages, der nominell weiterhin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zum Inhalt hat. Das Widerspruchsverfahren nach § 78 Abs.1 SGG ist jedoch inzwischen abgeschlossen. Der Senat deutet daher das Anliegen des Beschwerdeführers dahin, dass es ihm nunmehr um die aufschiebende Wirkung seiner Klage geht. Aber auch diese lässt sich nicht anordnen.

Gemäß § 86b Abs.1 Nr.2 i.V.m. § 86a Abs.2 Nr.1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. § 86a Abs.2 Nr.1 SGG regelt, dass die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über die Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten entfällt.

Die Aussetzung der Vollziehung nach § 86a Abs.3 Satz 2 SGG soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es ist hier die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bzw. die Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren sowie das Dringlichkeitsinteresse zu prüfen. Bei der Interessenabwägung ist das öffentliche Interesse an der Beitreibung der Beitragsschulden mit dem privaten Interesse der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung abzuwägen.

Der Senat hat aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen und pauschalen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide in der gesetzlichen Krankenversicherung der Antragstellerin, soweit es um die hier streitige Anwendung des Beitragssatzes geht. Gemäß § 248 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 14.01.2003 (in Kraft ab 01.01. 2004), gilt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen der jeweils am 01.07. geltende allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr. Mit dieser Neufassung der gesetzlichen Regelung des Beitragssatzes aus Versorgungsbezügen hat der Gesetzgeber das bis zum 31.12.2003 geltende Recht des § 248 SGB V zum Nachteil der Versicherten geändert.

Es besteht kein Anlass, den Vollzug dieser gesetzlichen Regelung aufzuschieben, da gemäß Art.20 Abs.3 GG die vollziehende Gewalt (also auch die gesetzlichen Krankenkassen) und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Damit scheidet die Möglichkeit aus, für die Antragstellerin weiterhin das frühere Recht anzuwenden, d.h. ihre Betriebsrenten nur mit dem halben Beitragssatz zu belasten. Die verfahrensrechtlich allein in Betracht kommende Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art.100 Abs.1 GG wendet der Senat nicht an, da er von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Neuregelung nicht überzeugt ist.

Normzweck der Neufassung des § 248 SGB V ist, Rentner, die Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung ihrer Leistungsaufwendungen zu beteiligen. Die Beitragszahlungen der Rentner deckten 1973 noch etwa 70 % der Leistungsaufwendungen ab, inzwischen decken die eigenen Beiträge der Rentner nur noch ca. 45 % der Leistungen ab, die für sie nötig sind. Es ist daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen. Da die Empfänger von Versorgungsbezügen durch deren Zahlstellen lückenlos erfasst sind, erfolgt auch eine für alle gerechte Belastung, der sich niemand entziehen kann. Damit entsteht eine beitragsrechtliche Gleichbehandlung mit der Beitragsbemessung aus Renten der gesetzlichen Rentenversicherung. Dass gemäß § 249a SGB V die Rentenversicherungsträger die Hälfte dieser Beiträge zahlen, ist eine Frage, die nicht die Beitragssätze, sondern die Tragung der Beiträge betrifft. Das Problem, ob das Fehlen einer § 249a SGB V entsprechenden Regelung für Betriebsrenten verfassungswidrig ist, muss im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden.

Der Senat sieht in der Änderung des § 248 Satz 1 SGB V ab 01.01. 2004 auch keine Verletzung des Vertrauensschutzes auf Gesetze unter dem Gesichtspunkt der unechten Rückwirkung (Art.20 Abs.1, 3 GG). Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Hierunter fällt auch die Korrektur einer Dauerregelung für die Zukunft. Eine derartige unechte Rückwirkung ist in der Regel zulässig. Das heißt, der Gesetzgeber hat aufgrund der weiten Gestaltungsfreiheit im Sozialrecht die Möglichkeit, eine Rechtsposition zum Nachteil der Versicherten für die Zukunft zu ändern. Eine unechte Rückwirkung ist nur ausnahmsweise unzulässig, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen braucht, wobei das Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht geschützt wird, und außerdem das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdiger ist als die mit dem Gesetz verfolgten Anliegen. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung mussten aufgrund der seit langer Zeit eingeleiteten Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Abbau von Leistungen bzw. Beitragsvergünstigungen einzelner Gruppen und einer stärkeren Heranziehung zur Finanzierung der Leistungen für ihre Gruppe rechnen. Damit ist das Anliegen des Gesetzgebers, Beitragsvergünstigungen für eine Gruppe von Versicherten abzubauen, die einerseits hohe Leistungsausgaben verursacht, andererseits mit ihren Beiträgen weniger als die Hälfte finanziert, mit dem Grundsatz der solidarischen Finanzierung und dem Versicherungsprinzip zu vereinbaren. Der Gesetzgeber war also nicht gehindert, auch die Interessen der übrigen Versichertengemeinschaft an einer Beitragsstabilität zu berücksichtigen und insoweit einen Ausgleich herbeizuführen. Schließlich verpflichtet der von der Antragstellerin behauptete Verstoß der Antragsgegnerin gegen § 220 Abs.4 Satz 3 SGG nicht, von Anwendung und Vollzug des § 248 SGB V abzusehen.

Die Vollziehung der Beitragsforderung stellt für den Antragsteller keine unbillige Härte dar. Es ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin im Falle der rückwirkenden Aufhebung der Neuregelung des § 248 Satz 1 SGB V im bereits anhängigen Musterstreitverfahren dem Antragsteller die zuviel gezahlten Beiträge zurückerstatten wird.

Die Kostenentscheidung erfolgt in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).-
Rechtskraft
Aus
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