S 50 AS 82/05 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
50
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 AS 82/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 27.04.2005 die ungekürzte Regelleistung für einen Alleinstehenden zu gewähren.

II. Eine Erstattung der außergerichtichen Kosten erfolgt nicht.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist ohne festen Wohnsitz und bezog bis zum 31.12.2004 Hilfe zum Lebensunterhalt. Seit dem 01.01.2005 erhält er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 25.01.2005 wurden die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2005 auf 311,74 Euro festgesetzt. Nach der dem Bescheid beigefügten Information zur Berechnung der Regelleistung und dem Berechnungsbogen wurden dem Antragsteller 33,26 Euro für Strom, Beschaffung von Möbeln und Haushaltsgeräten sowie Renovierungs- und Instandhaltungskosten abgezogen.

Mit Schreiben vom 18.03.2005, eingegangen beim Sozialgericht München am 21.03.2005, beantragte der Antragsteller gemäß § 86 b Abs. 2 SGG:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis auf weiteres die ungeschmälerte Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 345,- Euro zu gewähren.

Gegen den Bescheid vom 25.01.2005 habe er mit Schreiben vom 26.01.2005 Widerspruch eingelegt, das als Anlage beigefügt sei. Er könne als Nichtsesshafter mit dem gekürzten Betrag, der zur Existenzsicherung nicht ausreiche, nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache leben. Die Kürzung mit der Begründung, dass er ohne festen Wohnsitz sei und deshalb keine Kosten für Möblierung oder Instandhaltung entstehen würden, sei rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 22.04.2005

Antragsablehnung.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.01.2005 habe die Antragsgegnerin erst zusammen mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz erhalten. Der Bescheid sei damit bestandskräftig. Von der Regelleistung werde ein Betrag von 33,26 Euro abgezogen, da diese nach § 20 Abs. 1 SGB II u.a. die Kosten für Strom, Anschaffung von Hausrat und Bedarfe des täglichen Lebens enthalte. Diese Kosten fielen für Hilfeberechtigte, die keine Wohnung hätten, nicht an. Der Abzug erfolge, damit keine Besserstellung gegenüber Berechtigten in Wohnungen erfolge. Nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe beinhalte die Regelleistung für Haushaltsenergie 8,05 % und für Instandhaltung der Wohnung sowie Einrichtungsgegenstände 1,59 %.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG ist zulässig und begründet, soweit der Antragsteller Leistungen für die Zukunft begehrt. Im übrigen war der Antrag abzulehnen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 SGG ist statthaft, da der Antragsteller höhere als die im Bescheid festgesetzten Leistungen begehrt. Soweit der rechtsunkundige Antragsteller daneben auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG beantragt hat war dieser Antrag deshalb umzudeuten.

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Leistungsbescheids führt nicht zu dem vom Antragsteller gewünschten Ziel höherer Leistungen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Nach Aktenlage hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 25.01.2005 erst am 21.03.2005 gemeinsam mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Widerspruch eingelegt. Die Bestandskraft des Bescheides, bei dem es sich wegen des festgesetzten Leistungszeitraums bis 30.06.2005 um einen Dauerverwaltungsakt handelt, steht der Zulässigkeit jedoch nicht entgegen. Auch wenn die Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 SGG nicht gewahrt wurde steht es im Ermessen der Widerspruchsbehörde, ob sie durch Widerspruchsbescheid sachlich entscheidet, den verfristeten Widerspruch in einen Antrag nach § 44 SGB X umdeutet oder den Widerspruch als unzulässig behandelt und ggf. auf § 44 SGB X hinweist (Meyer-Ladewig, § 44 Rdnr. 7). Eine Entscheidung darüber hat die Beklagte bisher nicht getroffen.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG setzt eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis voraus, dass dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich erscheint und sowohl ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, als auch ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materieller Rechtsanspruch glaubhaft gemacht wurden. Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

Soweit der Antragsteller Leistungen für die Zeit ab dem 01.01.2005 bis jetzt begehrt, hat er keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er hat nicht dargelegt, dass eine gerichtliche Regelung dringlich ist und er deshalb nicht auf eine Entscheidung über seinen Widerspruch und eine ggf. nachfolgende Klage warten kann. Die hier vom Antragsteller begehrte Vorwegnahme einer Hauptsacheentscheidung über Sozialleistungen ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur dann ausnahmsweise möglich, wenn das Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu unzumutbaren, schweren und nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde. Im Bereich der Sozialhilfe gilt dabei nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz, dass ein finanzieller Ausgleich für die Vergangenheit nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes ist, es sei denn, dass die Nichtleistung für die Vergangenheit bis in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage zur Folge hat (BayVGH vom 22.06.2004, 12 ZB 04.750). Gemessen an diesen Maßstäben, die auch für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als steuerfinanzierte Sozialleistungen gelten, hat der Antragsteller nicht dargelegt und aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass wegen der Nichtgewährung der vollen Regelleistung in der Vergangenheit eine gegenwärtige Notlage vorliegt.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, soweit er Leistungen für die Zukunft beantragt. Der Bescheid der Antragsgegnerin ist rechtswidrig, da dem Antragsteller zu Unrecht 33,26 Euro monatlich von der Regelleistung für Strom, Möbel, Hausrat, Instandhaltung und Renovierung abgezogen werden, da es jedem Hilfeempfänger unabhängig davon, ob er eine Wohnung hat oder nicht, freigestellt ist, ob er seinen Regelsatz dafür verwendet. § 20 Abs. 2 SGB II bestimmt, dass der monatliche Regelsatz für alleinstehende Volljährige in den alten Bundesländern 345,- Euro beträgt. Es handelt sich dabei um die gesetzliche Festlegung eines absoluten Betrages, von dem nach § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens und Beziehungen zur Umwelt sowie die Teilnahme am kulturellen Leben abgedeckt sind. Abweichend von der Regelung in § 22 Abs. 1 des früher geltenden BSHG sieht das SGB II nicht vor, dass nach den Besonderheiten des Einzelfalles von dieser Regelleistung abgewichen werden kann. Durch die Festlegung einer Pauschale, mit der abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen der gesamte Lebensunterhalt gesichert werden soll, hat der Gesetzgeber zugleich festgelegt, dass dieser Betrag jedem Anspruchsberechtigten ohne Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse zusteht. Die gesetzliche Regelung einer Leistung als Pauschale schließt es aus, die Regelleistung unter Zugrundelegung eines Prozentsatzes in einen Bedarf für Möbel, Hausrat, Instandhaltung und Renovierung etc. aufzusplitten und die Bedarfsanteile individuell nach der Lebenssituation des Einzelnen zu gewähren oder wie im hier vorliegenden Fall nicht zu gewähren. Eine Kürzung des Regelsatzes wegen fehlendem Bedarf sieht das Gesetz nicht vor. Die Absenkung und der Wegfall der Regelleistung ist in § 31 SGB II nur für die dort genannten Fälle vorgesehen.

Nach der bisherigen Rechtsprechung zum BSHG war es dem Sozialhilfeträger ebenfalls verwehrt, dem Hilfeempfänger vorzuschreiben, wie er die nach Regelsätzen gewährte Hilfe innerhalb der Bedarfsgruppe verbraucht, da der Regelsatz insgesamt zur Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse zur Verfügung stand und der Hilfeempfänger selbst bestimmen konnte, ob er Ausgaben an einer Stelle stark einschränkt zugunsten von höheren Ausgaben für andere Bedürfnisse (z.B. OVG Münster vom 09.11.2000, Az.: 22 A 351/99; BVerwG vom 29.12.2000 NJW 2001, 1958). Auch bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II gilt der Grundsatz fort, dass der Hilfeempfänger frei darüber entscheiden kann, ob und wie er die ihm zustehenden Mittel auf seine Bedürfnisse aufteilt.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II das soziokulturelle Existenzminimum umfasst und bei einer Kürzung die physische Existenzsicherung gefährdet ist. Als Nichtsesshafter hat der Antragsteller Mehraufwendungen, die durch Einsparungen als Folge der Wohnungslosigkeit nicht kompensiert werden (OVG Lüneburg vom 10.10.1997 FEVS 48, 397). Nicht zu entscheiden war im vorliegenden Fall darüber, ob ein Abzug von den jeweils in vollem Umfang von der Antragsgegnerin bezahlten Unterkunftskosten wegen der dafür in der Regelleistung enthaltenen Bedarfsanteile insbesondere für Haushaltsenergie zulässig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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