L 14 R 262/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 26 RJ 1751/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 262/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.

Die 1947 geborene Klägerin hat keine abgeschlossene Berufsausbildung durchlaufen. Nach kurzer Tätigkeit als Küchenhilfe war sei ab 1964 als Bedienung bzw. angelernte Kellnerin (Anlernkurs von April bis Juni 1979) tätig. Seit 03.02.1998 bestand mit Unterbrechungen Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit (offenbar stundenweise Tätigkeit als Küchenhilfe bzw. Buffetkraft im Jahre 1999).

Am 20.03.2000 stellte die Klägerin bei der Beklagten Rentenantrag wegen Wirbelsäulenproblemen, Hallux valgus und Handgelenksbeschwerden. Die Beklagte zog die ärztlichen Unterlagen des Arbeitsamtes bei (Begutachtung vom 14.07.1999: leichte Arbeiten ohne ständiges Gehen und Stehen, schweres Heben und Tragen, Zwangshaltungen, häufiges Bücken vollschichtig), ferner eine Vielzahl ärztlicher Unterlagen der behandelnden Ärzte. Der mit der Begutachtung beauftragte Internist und Sozialmediziner Dr.G. erhob die Diagnosen:

1. Fußrückenhöcker und Großzehengrundgelenksarthrose beidseits mit Zustand nach Hallux valgus Operation beidseits 1998

2. statisch-degeneratives HWS/LWS-Syndrom

3. Karpaltunnelsyndrom beidseits

4. rezidivierende Gastritis

5. larvierte Depression (depressive Verstimmung).

Er vertrat die Auffassung, die Klägerin könne als Kellnerin nur mehr unter halbschichtig tätig sein, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber leichte Arbeiten ohne dauerndes Gehen und Stehen, ohne häufiges Bücken, Überkopfarbeiten und Zwangshaltungen vollschichtig verrichten (Gutachten vom 22.05.2000).

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 13.06. 2000 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.09.2000).

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) berief sich die Klägerin zunächst auf einen Berufsschutz als Kellnerin, ferner auf die Auffassung ihres behandelnden Orthopäden Dr.S. , der auch leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung nur mehr für drei bis sechs Stunden täglich möglich hielt (Arztbericht vom 01.08.2000).

Der Rechtsstreit ruhte wegen der vorangigen Durchführung eines Heilverfahrens durch die Beklagte in der Zeit vom 14.02. bis 07.03.2001. Laut Entlassungsbericht vom 17.04.2001 wurde die Klägerin arbeitsunfähig entlassen mit den Diagnosen:

1. "Cervicobrachialsyndrom beidseits bei Fehlhaltung, muskuläre Dysbalancen und degenerative Veränderungen der HWS

2. LWS-Syndrom bei Fehlhaltung, muskuläre Dysbalancen und degenerative Veränderungen der LWS

3. CTS beidseits

4. degenerative Veränderungen am rechten Handgelenk und Daumensattelgelenk

5. Fußrückenhöcker und Großzehengrundgelenksarthrose beidseits bei Zustand nach Hallux valgus OP beidseits 1998, Hammerzehe DII beidseits."

Es wurde ein unter halbschichtiges Leistungsvermögen auch für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen angenommen und - im Hinblick auf die als schwierig beschriebene psychische Situation der Klägerin - zur Ergänzung des Leistungsbildes ein psychologisches Gutachten empfohlen.

Das SG holte Befundberichte der behandelnden Ärzte auf nervenärztlichem, orthopädischem und allgemeinärztlichem Gebiet ein und erhob Beweis über den Gesundheitszustand und die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Begutachtungen auf orthopädischem und nervenärztlichem Fachgebiet. Der Orthopäde Dr.S. stellte in seinem Gutachten vom 26.02.2002 die Diagnosen:

1. Degeneratives Cervikalsyndrom bei Bandscheibenschäden von C4-C7

2. Degeneratives Lumbalsyndrom bei Bandscheibenschäden L2/L3, L3/L4, sowie L5/S1

3. Zustand nach beidseitiger Hallux valgus Operation, beidseitiger Knick-Senkfuß

4. Osteochondritis linkes oberes Sprunggelenk

Der Sachverständige vertrat die Auffassung, die Klägerin könne nur mehr leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Arbeitsposition ohne Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule und ohne Zeitdruck acht Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien Arbeiten, "die eine schnelle und ausreichende Beweglichkeit der Halswirbelsäule abverlangen, beispielsweise bestimmte Fließbandarbeiten oder auch Arbeiten an Maschinen mit geforderter Blickrichtung zur Decke bzw. Überstreckung der HWS nach hinten", ferner Tätigkeiten, die eine Armvorhaltung über längere Zeit abverlangten sowie Tätigkeiten in vornübergebeugter oder gebückter Körperhaltung. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestanden nach seiner Auffassung nicht.

Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin und ihrer Einwendungen gegen das Gutachten des Dr.S. erstellte Dr.K. auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet das Gutachten vom 11.10.2002. Er erhob auf Grund seiner Untersuchung bei der Klägerin ein leichtes reaktiv-depressives Syndrom nach Verlust des Arbeitsplatzes, ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom mit pseudoradikulären Beschwerden in beiden Armen sowie ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen. Er stellte fest, dass es offensichtlich, bedingt durch eine konsequent durchgeführte antidepressive Therapie, zu einer Stabilisierung des psychiatrischen Befundes gekommen sei; auf neurologischem Sektor lägen keine Erkrankungen vor, inbesondere habe ein Karpaltunnelsyndrom augeschlossen werden können, ebenso eine radikuläre Symptomatik seitens der Hals- oder Lendenwirbelsäule. Aufgrund des reaktiv-depressiven Syndroms sei die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nur gering eingeschränkt. Sie könne körperlich leichte, teilweise auch mittelschwere Tätigkeiten ohne zeitliche Einschränkungen verrichten. Nicht mehr zumutbar seien allerdings Arbeiten unter Schicht- und Akkordbedingungen sowie Arbeiten, die mit besonderen nervlichen Belastungen (z.B. mit erheblichem Zeitdruck) verbunden seien.

Im Hinblick auf umfangreiche Einwendungen des Klägerbevollmächtigten zu diesem Gutachten (fehlende neuropsychologische Testung, nicht ausreichende Berücksichtigung über Angsterkrankung sowie von Kopfschmerzen und Tinnitus, Nichtberücksichtigung eines Kernspinbefundes der HWS vom 19.08.2001) führte Dr.K. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.01.2003 aus, es handle sich bei der Klägerin primär um eine psychiatrische Fragestellung (vorliegende depressive Erkrankungen), bei der eine neuropsychologische Testung - anders als bei der Überprüfung hirnorganischer Störungen - wenig Sinn mache. Hinweise auf eine Angsterkrankung hätten sich bei seiner Untersuchung nicht ergeben, sie seien auch in den Befundberichten der behandelnden Ärzte, die eine solche Diagnose enthielten, nicht durch spezifische Befunde belegt; es sei allerdings davon auszugehen, dass im Rahmen eines depressiven Syndroms häufig eine vermehrte Ängstlichkeit gegeben sei. Kopfschmerzsymptome seien von der Klägerin lediglich im Zusammenhang mit dem Tinnitus angegeben worden, sie stünden nicht im Vordergrund, eine diesbezügliche Behandlung erfolge nicht. Den im kernspintomographischen Untersuchungsbefund vom 19.08.2001 beschriebenen schweren degenerativen Veränderungen der unteren HWS alleine komme keine klinische Wertigkeit zu, sie seien nach Maßgabe eines bekannten Radiologen in etwa so zu bewerten wie "graue Haare"; erst bei dadurch bedingten klinischen Ausfallserscheinungen komme ihnen Bedeutung zu. Diese seien jedoch in dem betreffenen Befund nicht mitgeteilt worden und von ihm selbst bei seiner Untersuchung sowohl klinisch als auch elektromyographisch nicht feststellbar gewesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2003 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Orthopäden Dr.P. sowie den Dipl.Psychologen K. gutacherlich zu hören. Das SG hielt diesen Antrag für verspätet und wies die Klage mit Urteil vom 13.03.2003 ab. Gestützt auf die Gutachten der Dres.S. und K. führte es aus, die Klägerin sei weder berufsunfähig nach § 43 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch erwerbsunfähig nach § 44 Abs.2 SGB VI, jeweils in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung. Ihre Erwerbsfähigkeit sei zwar eingeschränkt, aber noch nicht in rentenberechtigendem Maße. Alle bisher befragten Gutachter seien vielmehr bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der einstimmigen Auffassung, dass die Klägerin noch leichte, fallweise auch mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnder Ausgangslage ohne zeitliche Einschränkungen verrichten könne. Zu vermeiden seien dabei das Heben und Tragen von Lasten und häufiges Bücken, Überkopfarbeiten sowie Arbeiten in Zwangshaltung der Wirbelsäule, ferner Akkord- oder Schichtarbeiten und Arbeiten mit besonderen nervlichen Belastungen. Mit diesem Leistungsvermögen sei die Klägerin ihrem bisherigen Beruf als Bedienung in einem Gasthof nicht mehr gewachsen, dennoch sei sie nicht berufsunfähig, weil sie nach dem vom Bundessozialgericht aufgestellten Berufsgruppenschema als angelernte Arbeiterin des unteren Bereichs zu beurteilen sei und sich als solche auf alle gesundheitlich und sozialverträglichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen müsse. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, der sie mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch nachgehen könne, sei nicht erforderlich. Es liege keine Summierung ungewöhnlicher Gesundheitsstörungen und auch keine schwere spezifische Behinderung vor, die eine solche Benennung ausnahmsweise erforderlich machen würden. Ob der Klägerin allerdings ein entsprechender Arbeitsplatz tatsächlich vermittelt werden könne, sei für das Vorliegen des Verfahrens unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen sei.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie beantragt die Anhörung der Sachverständigen Prof.Dr.W. und Prof.Dr.F. auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet gemäß § 109 SGG. An der Anhörung des Prof.Dr.W. hielt sie auch fest, als dieser mit Schreiben vom 16.10.2003 nach Durchsicht der Akten mitteilte, dass sich sein Gutachten nicht wesentlich von dem bereits vorliegenden orthopädischen Fachgutachten unterscheiden werde. Sie verwies dazu auf neue Kernspinaufnahmen der Halswirbelsäule und des rechten Handgelenks. In seinem Gutachten vom 19.03.2004 stellte Prof.Dr.W. die Diagnosen: "Degeneratives Cervikalsyndrom mit fortgeschrittener Bandscheibenschädigung der Segmente C4 bis C7; degeneratives Lumbalsyndrom bei weit fortgeschrittener Bandscheibenschädigung L2 bis S1; Knick-Senkfuß beidseits; mäßiggradige Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes; fortgeschrittener Hallux valgus beidseits; Spreizfußdeformität beidseits". Der Gutachter führte aus, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin im Vergleich zum Vorgutachten des Dr.S. nicht verschlechtert habe. Er hielt die Klägerin aufgrund der erhobenen Befunde für fähig, als Arbeiterin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen vollschichtig unter Vermeiden von Heben und Tragen schwerer Lasten, Bücken, Überkopfarbeiten, Arbeiten mit Armvorhaltung sowie Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule zu verrichten. Daneben seien Arbeiten unter Akkordbedingungen sowie Arbeiten mit schneller Blickwendung aufgrund der erheblichen Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule zu vermeiden. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit sah der Gutachter nicht, nach seiner Auffassung waren Wegstrecken von 2 km ohne weiteres möglich.

Während des laufenden Berufungsverfahrens prüfte die Beklagte einen zunächst zurückgestellten Antrag der Klägerin auf Durchführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufsfördernde Maßnahmen) vom 07.09.2001 neu und lehnte ihn mit Bescheid vom 24.05.2004 ab mit der Begründung, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, da sie noch in der Lage sei, eine zumutbare Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin auszuüben.

Auf Anfrage des Senats, ob an dem Antrag einer weiteren Begutachtung nach § 109 SGG auf neurologischem bzw. psychiatrischem Gebiet festgehalten werde, teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsätzen vom 30.04.2004 und 01.06.2004 mit, die Klägerin habe am 12.04.2004 einen Herzinfarkt erlitten, es seien fünf Stents gesetzt worden und es sei eine Operation vorgesehen. Es werde insoweit eine weitere Begutachtung von Amts wegen angeregt und im Übrigen an dem weiteren Antrag nach § 109 SGG festgehalten.

Der Senat wandte sich wegen aktueller Befundberichte an die behandelnden Ärzte Dr.S. und Dr.S. (keine aktuellen Behandlungen), an die praktische Ärztin Dr.R. und den Kardiologen Dr.E. , die eine Vielzahl ärztlicher Unterlagen zu der zwischenzeitlich erfolgten kardiologischen Invasionsdiagnostik übersandten.

Im Auftrag des Senats erstellte die Internistin, Kardiologin und Sozialmedizinerin Dr.L. am 06.02.2005 ein fachärztliches Gutachten, im welchem sie auf internistischem Gebiet folgende Gesundheitsstörungen diagnostizierte:

1. Gastritisneigung

2. geringe Rezidivvarikosis nach Varizenoperationen 1968 und 1994

3. Tinnitus beiseits sowie Hörminderung (normal laute Umgangssprache problemlos möglich) erhöhtes Arterioskleroserisikoprofil mit mäßiger Adipositas, Bluthochdruckneigung, Hypercholesterinämieneigung und nun

4. aufgegebenen Nikotinkonsum

5. koronare Zweigefäßerkrankung (akuter Hinterwandinfarkt am Ostersamstag 2004)

6. Rekanalisierung und Aufdehnung sowie Stentversorgung der rechten Koronararterie am 28. und 29.04.2004, Aufdehnung und Stentversorgung der LAD am 03.06.2004.

Ferner fand die Gutachterin eine leichte Erhöhung der Gamma-GT, der Triglyceride und der Harnsäure mit der Notwendigkeit entsprechender Diät, daneben einen Zustand nach Schilddrüsenresektion wegen gutartiger Veränderung ohne Strumarezdiv bei Hormondauersubstitution. Die Gutachterin führte aus, dass auf orthopädischem Gebiet keine relevante Befundverschlechterung eingetreten sei und die seelische Störung eher eine Besserung zeige, dass es aber dafür auf internistischem Gebiet durch die nun aufgetretene koronare Herzkrankheit zu einer Verschlechterung gekommen sei, während bisher auch mittelschwere Tätigkeiten möglich gewesen seien. Darüberhinaus bestanden nach ihren Darlegungen weiterhin die schon bisher bekannten qualitativen Leistungseinschränkungen (gelegentlicher Positionswechsel der Körperhaltungen, kein schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken, keine Überkopfarbeiten und Arbeiten mit Armvorhaltung sowie in Zwangshaltung der Wirbelsäule, besondere psychische Belastungen wie erhöhter Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht). Als weitere Einschränkungen führte die Gutachterin die Notwendigkeit des Vermeidens von Arbeiten mit schneller Blickwendung, in Kälte, Nässe und Zugluft, aber auch in Hitze an. Zeitliche Einschränkungen sah sie dagegen weiterhin nicht und bejahte auch die Umstellungsfähigkeit der Klägerin auf die umrissenen noch möglichen Arbeiten. Die Frage nach der Notwendigkeit weiterer Fachgutachten verneinte Dr.L ...

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.03.2003 und des Bescheides vom 13.06.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2000 zu verurteilen, die gesetzlichen Leistungen wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht die auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit gerichtete Klage abgewiesen. Auch der Senat hält nach weiterer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren einen Rentenanspruch der Klägerin nicht für gegeben. Sie erfüllt nicht die Voraussetzungen der §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung und ebenso nicht die der für Leistungsfälle ab 01.01.2001 geltenden §§ 43, 240 SGB VI n.F., die das SG im einzelnen aufgeführt hat. Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen in erster und zweiter Instanz liegt weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit noch volle oder teilweise Erwerbsminderung vor.

Die Gutachterin Dr.L. hat in ihrem Gutachten vom 06.02.2005 die bei der Klägerin auf internistisch-kardiologischem und allgemeinärztlichem, ferner auf orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen unter Zugrundelegung der Feststellungen der Gutachter Prof.Dr.W. , Dr.K. und Dr.S. zusammenfassend benannt. Danach liegen bei der Klägerin im Wesentlichen vor

a) auf internistischen/allgemeinärztlichem Gebiet: koronare Zweigefäßerkrankung nach Hinterwandinfarkt Ostern 2004 und nach Rekanalisierung und Aufdehnung sowie Stentversorgung der rechten Koronararterie im April 2004 und Aufdehnung und Stentversorgung der LAD am 03.06.2004; ein erhöhtes Arterioskleroserisikoprofil (Adipositas, Bluthochdruckneigung, Hypercholesterinämieneigung, nunmehr aufgegebener Nikotinkonsum);Gastritisneigung; geringe Rezidivvarikosis nach Varizenoperation 1968 und 1994; Tinnitus bds. mit Hörminderung (normal laute Umgangssprache problemlos möglich);

b) auf nervenärztlichem Gebiet: leichtgradiges reaktiv-depressives Syndrom

c) auf orthopädischem Gebiet: degeneratives Cervikalsyndrom mit fortgeschrittener Bandscheibenschädigung der Segmente C 4 bis C 7; degeneratives Lumbalsyndrom bei weit fortgeschrittener Bandscheibenschädigung L2 bis S 1; Knick-Senkfuss beidseits, mäßiggradige Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes, fortgeschrittener Hallus valgus bds., Spreizfussdeformität beidseits.

Mit diesen vielfachen Gesundheitsstörungen ist die Klägerin ohne Zweifel in ihrem Leistungsvermögen erheblich beeinträchtigt. Sie kann seit dem Manifestwerden der koronaren Herzkrankheit nur mehr leichten körperlichen Arbeiten (zuvor auch leichten bis mittelschweren Tätigkeiten) mit gewissen Einschränkungen (gelegentlicher Wechsel der Körperhaltung, kein schweres Heben und Tragen und häufiges Bücken, keine Überkopfarbeiten und Arbeiten mit Armvorhaltung, kein Zwangshaltungen der Wirbelsäule, keine Arbeiten mit schneller Blickwendung, keine Kälte-, Nässe- und Zugluftexposition, keine besonderen psychischen Belastungen wie erhöhter Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht) nachgehen. Noch möglich sind ihr damit allerdings leichte Arbeiten, bei denen die genannten qualitativen Einschränkungen berücksichtigt werden können, ohne zeitliche Einschränkung.

Diese zusammenfassenden Feststellungen der Dr.L. sind ebenso wie die Gutachten der zuvor gehörten Sachverständigen Dr. S. , Dr.K. und Prof.Dr.W. sowohl in der Befunderhebung wie in der Beurteilung für den Senat schlüssig und überzeugend. Eine weitere Beweisaufnahme ist nicht erforderlich. Dies hat Dr.L. noch einmal bestätigt. Sie hat u.a. dargelegt, dass sich die Psyche der Klägerin offensichtlich stabilisiert habe, sie habe lediglich bei der Erwähnung der als Kränkung empfundenen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses etwas herabgestimmt, nicht aber tiefergehend depressiv gewirkt.

Im Hinblick auf diese Aussage hat die Klägerin offensichtlich den noch im Raum stehenden Antrag auf eine Begutachtung nach § 109 SGG auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet durch Prof. Dr.F. zuletzt nicht mehr weiter verfolgt. Es hätten auch keine besonderen Umstände mehr vorgelegen, die die Anhörung eines weiteren von der Klägerin benannten Arztes im Rahmen von § 109 SGG rechtfertigen würden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 109 Anm.11).

Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen kann die Klägerin zwar ihre über 35 Jahre hinweg ausgeübte Tätigkeit als angelernte Kellnerin/Bedienung in einem Landgasthof nicht mehr verrichten, dennoch ist sie nicht berufsunfähig. Ein Berufsschutz als gelernte Kellnerin/Restaurantfachkraft kommt ihr nicht zu. Wie das Erstgericht zutreffend dargelegt hat, ist die Klägerin im Rahmen des vom BSG zur Frage der Berufsunfähigkeit entwickelten Berufsgruppenschemas der Gruppe der angelernten Arbeitnehmer, und zwar des unteren Bereichs (mit einer Anlern- oder ausbildungszeit von drei Monaten bis zu einem Jahr) zuzuordnen. Anhaltspunkte dafür, dass sie der gehobenen Anlernebene zuzurechnen wäre, die Tätigkeiten mit einer Regelanlern- oder -ausbildungszeit von ein bis zwei Jahren umfasst und nach der Rechtsprechung die konkrete Benennung mindestens einer Verweisungstätigkeit erforderlich macht, ergeben sich nicht. Sie ist damit auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld verweisbar (BSG vom 04.11.1998 in SozR 3-2200 § 1246 Nr.62). Angesichts der noch vollschichtigen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten ist davon auszugehen, dass es für sie entsprechende Tätigkeiten auch gibt (z.B. leichte Bürohilfstätigkeiten, wohl auch einfache Montage-, Klebe-, Sortier- oder Verpackungstätigkeiten, soweit sie nicht am Fließband erfolgen). Eine konkret noch in Betracht kommende Tätigkeit muss ihr nicht benannt werden, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder die Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen im Sinne der Rechtsprechung, welche zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen und daher die Prüfung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden, liegen nicht vor. Die aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen werden von den nur mehr in Betracht kommenden leichten körperlichen Arbeiten im Wesentlichen mit erfasst und schränken diese nicht zusätzlich in erheblichem Umfang ein.

Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved