L 3 U 5/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 24 U 451/95
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 5/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Erkrankung Polycythaemia rubra vera, eine maligne Knochenmarkserkrankung, an der der Kläger leidet, als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente zu gewähren ist.

Der am XX.XXXXXXX 1939 geborene Kläger wurde vom 3. April 1956 bis zum 30. Dezember 1959 bei der Firma P. Gummiwerke in H. zum Maschinenschlosser ausgebildet. Im Anschluss hieran war er dort bis zum 4. März 1961 in dem erlernten Beruf in der Mechanischen Werkstatt tätig. In den Jahren 1962 und 1963 arbeitete er parallel zum Besuch der Ingenieurschule für jeweils zwei Monate während der Semesterferien in der Abteilung Formenbau dieses Unternehmens.

Nachdem im Jahre 1989 durch Dr. D. die Erkrankung an einer Polycythaemia rubra vera festgestellt worden war, zeigte dieser den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit an. Die Beklagte stellte darauf hin Ermittlungen in dem ehemaligen Beschäftigungsbetrieb an. Ihr technischer Aufsichtsbeamter erörterte die Umstände der Beschäftigung des Klägers mit den Fachkräften für Arbeitssicherheit und dem Betriebsrat des Beschäftigungsbetriebes und vertrat alsdann die Auffassung, dass zwischen 1956 und 1961 nur gelegentlich Umgang mit Ölen und Benzin stattgefunden habe. Nach nunmehr 30 Jahren ließe sich nicht mehr feststellen, wie hoch die Einwirkung durch Lösemitteldämpfe gewesen sei. Ebenso ließe sich der mögliche Gehalt an Benzol in dem verwendeten Benzin nicht mehr ermitteln. Allerdings habe das damals verwendete Waschbenzin zumindest Spuren von Benzol enthalten, da Benzol innerhalb des Siedebereichs von Waschbenzin liege und auch im Erdöl in Spuren vorkomme. Nach dem der Kläger seine Tätigkeit in dem Betrieb dahingehend erläutert hatte, dass er unter anderem Getriebekästen mit den Lösemitteln "Reinigungsbenzin" und "Tri" gereinigt habe, befragte die Beklagte ehemalige Arbeitskollegen des Klägers. Der ehemalige Meister der mechanischen Werkstatt ließ sich dahingehend ein, dass es nicht zu den Aufgaben der Lehrlinge gehört habe, Getriebegehäuse mit Lösemitteln zu reinigen. Lediglich seien hin und wieder Kleinteile mit Leichtbenzin gereinigt worden. Ein weiterer von der Beklagten befragter Arbeitskollege bestätigte diese Angaben und ergänzte, dass mit Lösungsmitteln so gut wie gar nicht in der Lehrwerkstatt gearbeitet worden sei.

Die Beklagte ließ den Kläger am 8. Juli 1993 durch den leitenden Arzt der Hämatologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses St. G. in H., den Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie Prof. Dr. K., die Ärzte Dr. W. und C. untersuchen und schriftlich begutachten. Diese gelangten zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass Benzol zwar generell geeignet sei, eine Polycythaemia rubra vera hervorzurufen, jedoch dürfte es sich um ein seltenes Ereignis handeln und es bedürfe hierfür einer ausreichend hohen oder langandauernden Exposition. Hieran fehle es. Ein Kausalzusammenhang zwischen einer Benzolexposition und der Entstehung der Krankheit bei dem Kläger sei daher möglich, jedoch nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Auf das bei der Sachakte der Beklagten befindliche Gutachten (Blatt 93 – 144) wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 26. Oktober 1994 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr. 1303 der Anlage zur BKV ab und entschied gleichzeitig, dass Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu erbringen seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch, den der Kläger damit begründet hatte, dass in seiner Familie eine ähnliche bösartige Erkrankung niemals aufgetreten sei und ferner damit, dass die Einwirkung von Benzol erheblich umfangreicher gewesen sei, als es vom Gutachter zugrunde gelegt wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1995 zurück.

Das Sozialgericht hat die hiergegen fristgerecht erhobene Klage durch Urteil vom 9. September 1999 nach Einholung eines arbeitsmedizinisch-toxikologischen Gutachtens des Dr. P. nach Aktenlage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kammer habe sich in Übereinstimmung mit den am Verfahren beteiligten medizinischen Sachverständigen nicht davon überzeugen können, das die bei dem Kläger vorliegende Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Folge einer Benzol-Exposition während dessen Tätigkeit bei der Firma P. AG in dem Zeitraum von 1956 bis 1961 gewesen sei. Eine Exposition gegenüber reinem Benzol habe nicht nachgewiesen werden können. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger über einen Zeitraum von etwa drei Jahren im Rahmen seiner Tätigkeit in nachträglich nicht mehr genau zu bestimmendem Ausmaß gegenüber so genannten Wasch- bzw. Testbenzinen exponiert war. Auch der in diesen Kohlenwasserstoffgemischen enthaltene Anteil an Benzol sei unbekannt. Dieser sei aber, wie der medizinische Sachverständige überzeugend ausgeführt habe, nach arbeitsmedizinischen Erfahrungen in diesen Stoffen nicht höher als im Vergaserkraftstoff anzusetzen. Er betrage im Allgemeinen unter 5 Volumen %. Es sei unter ungünstigen Bedingungen für den Tätigkeitszeitraum des Klägers eine Exposition gegenüber Benzol in einer Größenordnung zu unterstellen, wie sie auch im Bereich von Tankstellen und im KZ-Reparaturhandwerk vorkomme. Die aus diesen Bereichen vorliegenden Messergebnisse zeigten durchweg sehr geringe Benzol-Expositionen von weniger als 1 ppm als Schichtmittelwert. Demgegenüber sei von einer Verdoppelung des Risikos für akute Leukämie erst bei einer kumulativen Benzol-Dosis von 40 ppm-Jahren auszugehen. Es fehle nach allem ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der zu unterstellenden geringen Benzol-Exposition im Zeitraum zwischen 1956 und 1961 und der Entstehung der Krankheit bei dem Kläger. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. Januar 2000 zugestellt worden.

Mit seiner am 21. Januar 2000 eingelegten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er ist nach wie vor der Auffassung, dass es für seine jetzige Erkrankung keinerlei vernünftige andere Erklärung gebe als die seinerzeitige Exposition bei der Firma P ... Darüber hinaus sei jeweils zu seinen Lasten von eher zu niedrigen Belastungswerten während der Ausbildung ausgegangen worden. Insbesondere sei der Benzolgehalt in Vergaserkraftstoffen höher, als angenommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. September 1999, den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1995 aufzuheben, die bei dem Kläger bestehende Krankheit Polycythaemia vera als Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und verteidigt ihre Bescheide sowie das erstinstanzliche Urteil. Sie weist darauf hin, dass der Kläger keinen Umgang mit Vergaserkraftstoffen gehabt habe. Auch sei er allenfalls zwischen 1956 und 1961 exponiert gewesen. Schließlich sei der Schwellenwert für eine Gefährdung durch Benzol neuesten Studien zufolge mit 200 ppm-Jahren anzunehmen.

Auf den Antrag des Klägers hat das Berufungsgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten des Diplom-Chemikers und Facharztes für Pharmakologie und Toxikologie Dr. D1 nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholt. Dieser gelangt in seinem schriftlichen Gutachten vom 9. Juli 2004 zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen einer Benzolbelastung, wie sie der Kläger erlitten habe, und dem Auftreten der Polycythaemia vera beim Kläger nicht wahrscheinlich ist. Auf das Gutachten (Blatt 246 bis 261 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Gerichts gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers (§§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Erkrankung des Klägers an einer Polycythaemia vera rubra nicht als Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen ist und hiervon ausgehend die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt.

Auch das Berufungsgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass die Erkrankung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die stattgehabte Exposition gegenüber Benzol oder seinen Homologen zurückzuführen ist. Es folgt dem rechtlichen Ansatz des Sozialgerichts und nimmt hierauf gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug. In tatsächlicher Hinsicht folgt es den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. D1, der – in Übereinstimmung mit dem in der Vorinstanz eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten des Dr. P. – die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges zwischen der beruflichen Exposition und der Erkrankung wegen der Geringfügigkeit der Benzol-Exposition ausschließt. Dabei kann dahinstehen, ob – folgte man den von Dr. D1 angeführten neueren Studien – ohnehin nicht erst bei Vorliegen einer Exposition von mehr als 200 ppm-Jahren von einer signifikanten Erhöhung des Risikos bösartiger Neubildungen des blutbildenden System auszugehen ist. Denn auch die bisher als Schwellenwert angesehene Größe von 40 ppm-Jahren erreicht der Kläger bei weitem nicht. Selbst die günstigste Schätzung der Ärzte des AK St. G. kommt lediglich zu einem Wert von 15 – 20 ppm-Jahren. Nach der Auffassung des Dr. P. liegt der Wert sogar noch erheblich darunter. Dies gilt selbst dann, wenn man die im Kfz-Handwerk anzunehmenden und auf dem regelmäßigen Umgang mit Vergaserkraftstoffen beruhenden höheren Werte von 1 ppm/Arbeitsschicht zugrunde legt, mit denen der Kläger gewisslich keinen Umgang hatte. Für die nicht belegte Behauptung des Klägers, seine Belastung sei weit größer gewesen, haben sich keine (neuen) Anhaltspunkte im Berufungsverfahren ergeben. Dies gilt auch und gerade für die behauptete Tätigkeit in der Stoffstreicherei. Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen haben sich ebenso wenig finden lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Regelung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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