L 16 KR 67/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (23) KR 11/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 67/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19. Februar 2002 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten einer augenärztlichen Behandlung einschließlich Fahrt- und Übernachtungskosten.

Die Klägerin leidet an einer Maculadegeneration. Sie wurde deswegen u.a. 1998 bei dem zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen Augenarzt Dr. T in S auf Privatrechnung behandelt. Die hierdurch entstandenen Kosten erstattete die beklagte Krankenkasse. Aufgrund einer im Januar 2000 vorgelegten Bescheinigung dieses Arztes über die Notwendigkeit einer Ohr-/Schädelakupunkturbehandlung von ca. 10 Sitzungen zur akuten Schmerzbehandlung infolge u.a. einer Ciliarisneuralgie und eines oculo-cervicalem Syndrom, sagte die Beklagte durch formlosem Bescheid vom 01.02.2002 die Übernahme der Kosten in Höhe von 50,- DM für bis zu 10 Sitzungen der beantragten Akupunkturbehandlung zu.

Mit Schreiben vom 20.03.2000 reichte die Beklagte eine Rechnung des Dr. T vom 10.03.2000 für eine Behandlung vom 06.- 10.03.2000 über insgesamt 1157,66 DM, wovon 262,20 DM auf fünf Akupunkturbehandlungen entfielen, bei der Beklagten ein. Durch Bescheid vom 29.03.2000 sagte die Beklagte eine Erstattung der Kosten der Akupunkturbehandlung in Höhe von 250,- DM zu, lehnte darüber hinaus aber die Übernahme von Kosten ab, weil es sich um eine privatärztliche Behandlung gehandelt habe.

Die Klägerin legte am 10.04.2000 Widerspruch ein und machte geltend, die privatärztliche Abrechnung habe bis zur Klärung der wissenschaftlichen Anerkennung der Behandlungsmethode erfolgen müssen. Sie sei bereit, die Differenz der Behandlungskosten für privat- und gesetzlich Krankenversicherte selbst zu tragen, im übrigen begehre sie aber Erstattung einschließlich der Fahrtkosten.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein - Dr. N - empfahl in seinem Gutachten vom 29.12.2000 die Kosten nicht zu übernehmen, weil es sich bei der Behandlung des Dr. T nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode handele. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2001 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 12.03.2001 vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die bei ihr angewendete Behandlungsmethode werde bereits seit mehr als 50 Jahren erfolgreich praktiziert und sei im Augenatlas der Augenärzte Thiel und Hollwich bereits vor mehr als 30 Jahren als erfolgreich anerkannt worden. Da die Makuladegeneration eine neue Volkskrankheit darstelle und die Anerkennung dieser Behandlungsmethode zu einer Kostenflut auf die Krankenkassen führe, sei allein letzteres der Grund für die Ablehnung der Anerkennung dieser Behandlungsmethode durch die Krankenkassen. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte müsse auch eine solche Behandlungsmethode den Versicherten zur Verfügung gestellt werden.

Die Klägerin hat zum Beleg des Erfolgs der Behandlung in ihrem Fall einen Arztbrief der Augenärzte Dres. T1 vom 20.04.2001 vorgelegt, auf welchen verwiesen wird.

Das SG hat einen Bericht des Dr. T vom 05.06.2001 eingeholt, wonach dieser bei seinen Patienten eine Systemtherapie anwendet, die von der Schulmedizin aus dogmatischen Gründen abgelehnt werde. Hierzu hat das SG eine Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen veranlaßt, die im Auftrag des Ausschusses durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung am 09.08.2001 erteilt worden ist. Danach ist die Systemtherapie der Makuladegeneration nicht bekannt und ihr wissenschaftliches Konzept ergebe sich nicht aus den dem SG vorliegenden Unterlagen. Es lägen auch weder ein Antrag noch andere Unterlagen dem Ausschuss vor, die erkennen ließen, ob es sich um eine medizinische Methode handele, die die Kriterien des therapeutischen Nutzens, der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit erfülle.

Mit Urteil vom 19.02.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 07.03.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.03.2002 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, auch solche Therapien müßten den Versicherten zur Verfügung gestellt werden, die sich zwar noch im Versuchsstadium befänden, aber erfolgversprechend seien. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bezüglich des Versorgungsanspruchs von Privatpatienten.

Vor Durchführung der streitigen Behandlung habe sie einen Antrag auf Genehmigung bzw. Kostenerstattung bei der Beklagten deshalb nicht gestellt, weil sie zwischen 1996 und 1999 pro Jahr zwei Anträge gestellt habe, welche sämtlich abgelehnt worden seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäss,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.02.2002 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29.03.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2001 zu verurteilen, ihr die (restlichen) Kosten der von Dr. T im Zeitraum vom 06.03. bis 10.03.2000 durchgeführten systemtherapeutischen Behandlung der Makuladegeneration zuzüglich Fahrt- und Unterbringungskosten zu erstatten.

Die Beklagte, die sich in der Sache nicht geäußert hat, beantragt sinngemäss,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die erkennenden Richter des Senats erachten die zulässige Berufung einstimmig für unbegründet und haben daher nach entsprechendem Hinweis an die Beteiligten von der Möglichkeit des § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gebrauch gemacht, die Berufung im Beschlussverfahren zurückzuweisen.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin der begehrte Kostenerstattungsanspruch nicht zusteht.

Dieser kann sich bezüglich der verbliebenen Behandlungskosten, soweit diese die von der Beklagten erstatteten 250,- DM für die Durchführung der Akupunktur übersteigen, allein aus der Bestimmung des § 13 Abs. 3 2. Alt. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ergeben. Danach sind, sofern die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die streitigen Kosten nicht durch die Ablehnung der Beklagten verursacht worden sind. Da sich die Klägerin vor der Durchführung der Behandlung lediglich wegen der Genehmigung einer Akupunkturbehandlung zur Schmerzlinderung durch Dr. T an die Beklagte gewandt hatte, konnte diese über die weitergehende Systembehandlung erstmals nach Einreichung der Rechnung vom 10.03.2000 Kenntnis von der Gesamtbehandlung durch diesen Arzt erlangen und eine Entscheidung treffen. Dieser Kausalitätsmangel schließt den Kostenerstattungsanspruch im Sinne des § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V grundsätzlich auch dann aus, wenn die Versicherte mit einer ablehnenden Entscheidung rechnen mußte (Bundessozialgericht - BSG - in Sozialrecht - SozR - 3-2500 § 13 Nr. 15). Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn es für die Versicherte unzumutbar gewesen ist, sich vor der Behandlung an die Krankenkasse zu wenden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22), was hier schon deshalb auszuschliessen ist, weil der Antrag wegen der Akupunkturbehandlung rechtzeitig erfolgt ist. Daraus folgt auch, dass der Klägerin trotz früherer ablehnender bzw. einer stattgebenden (1998) Entscheidung der Beklagten das Antragserfordernis bekannt war.

Unabhängig davon scheitert der Anspruch der Klägerin daran, dass die Beklagte die Systembehandlung durch Dr. T der Klägerin nicht geschuldet hat, weil es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt, die nicht zum Leistungsinhalt der gesetzlichen Krankenversicherung zählt. § 135 Abs. 1 SGB V bestimmt, das neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden dürfen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat.

Nach der Stellungnahme des Dr. T vom 05.06.2001 stellt seine Behandlungsmethode eine ganzheitliche Systemtherapie dar, die keinen Eingang in den einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) gefunden hat, so dass sie als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V anzusehen ist (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 5; § 92 Nr. 7, § 135 Nrn. 11, 14). Mangels einer Empfehlung der Behandlung der Makuladegeneration durch die von Dr. T angewendete Systemtherapie durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Behandlungs- und Untersuchungsmethoden (BUB-RL) in der Fassung vom 10.12.1999 (Bundesanzeiger Nr. 56 vom 21.03.2000) durfte die Beklagte weder eine solche Behandlung gewähren noch für deren Kosten aufkommen. Die BUB-RL sind untergesetzliche Rechtsnormen, die i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V für Ärzte, Krankenkassen und Versicherte verbindlich den Leistungsumfang im Bereich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden festlegen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nrn. 6,7; § 135 Nrn. 4, 14).

Der Kostenerstattungsanspruch steht der Klägerin nicht gleichwohl deshalb zu, weil die mangelnde Anerkennung dieser Therapie auf einem sog. Systemversagen beruht (vgl. dazu BSG SozR § 135 Nr. 4 S. 21, Nrn. 14, S. 66). Es fehlen nämlich ausreichende wissenschaftliche Nachweise bezüglich der Wirksamkeit dieser Therapie bei der Behandlung der Makuladegeneration. Dr. T hat selbst darauf verwiesen, dass lediglich ein statistischer Nachweis die Wirksamkeit dieser Behandlung bei 342 Patienten geführt worden ist, ohne das sich feststellen ließe, nach welchen Kriterien diese Wirksamkeitsergebnisse gewonnen worden sind. Dementsprechend hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen das Vorliegen ausreichender statistischer Untersuchungsergebnisse bezüglich dieser Behandlungsmethode verneint. Diesbezüglich liegt auch kein allgemeiner wissenschaftlicher Konsenz in der Augenmedizin vor, was sich schon daran zeigt, dass die entsprechende Behandlungsmethode nur von einzelnen Augenärzten angewendet wird.

Die Klägerin kann den Kostenerstattungsanspruch auch nicht nach dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) beanspruchen. Insoweit kann dahinstehen, ob Privatversicherte Anspruch auf Versorgung mit einer entsprechenden Therapie im Falle der Makuladegeneration hätten. Im Rahmen sozialpolitischer Entscheidung kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG - SozR 3-2200 § 385 Nr. 4 m.w.N.). Da die gesetzliche Krankenversicherung und die private Krankenversicherung nicht in gleicher Weise finanziert werden und unterschiedliche Leistungen zur Verfügung stellen, ist es dem Gesetzgeber unbenommen, Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung auf diejenigen Behandlungsmethoden zu beschränken, die als wissenschaftlich anerkannt gelten. Es besteht kein Anspruch der gesetzlich Versicherten auf Bereithaltung nicht ausreichend erprobter Gesundheitsleistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung (vgl. BSGE 86, 54, 65 f. m.w.N. zu den Entscheidungen des BVerfG).

Die Klägerin kann auch keine Erstattung der zwecks Aufsuchens von Dr. T entstandenen Fahrkosten begehren, weil die Krankenkasse nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V Fahrkosten nur zu übernehmen hat, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Da die Beklagte die Versorgung der Klägerin mittels der Systemtherapie durch Dr. T aber wie bereits dargelegt nicht geschuldet hat, sind die Fahrkosten nicht aufgrund einer Leistung der Beklagten notwendig geworden. Daran ändert auch die Zusage der Beklagten hinsichtlich der Kostenbeteiligung an den Akupunktursitzungen nichts, da letztere nur als Teil der Gesamtbehandlung von Dr. T erbracht worden sind, auf die sich die Kostenzusage der Beklagten aber gerade nicht bezogen hat.

Eine Rechtsgrundlage für die Erstattung von Übernachtungskosten bei ambulanten ärztlichen Behandlungen kennt das SGB V nicht.

Die Berufung mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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