Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 46 Vs 585/96
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 96/96-W98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996 wird zurückgewiesen. Seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2001 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Durch Bescheid vom 16. November 1995 stellte der Beklagte bei dem Kläger eine durch HIV-Infektion erworbene Immunschwäche als Behinderung mit einem Grad der Behinderung -GdB- von 50 fest. Die Voraussetzung für das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale als Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (§ 4 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz -SchwbG-) lehnte er ab. An dieser Auffassung hielt der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1996 fest.
Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996, Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. August 1997). Beide Instanzgerichte sahen sich gehindert, den Gesundheitszustand des Klägers aufzuklären, weil er seine Hausärzte nicht formell von der Schweigepflicht entbunden hatte.
Das hiergegen vom Kläger angerufene Bundessozialgericht hat dessen Revision zugelassen und sie im Urteil vom 24. Juni 1998 als begründet angesehen. Die Vorinstanz habe aufklären müssen, in welcher Ausprägung bei dem Kläger an dem Tag der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren wegen der HIV-Infektion körperliche und seelische Regelwidrigkeiten bestanden hätten, welche Funktionsbeeinträchtigungen sie zur Folge gehabt hätten und wie und mit welchem GdB sie sich ausgewirkt hätten. Die Weigerung des Klägers, mit den ihm vom Sozialgericht und Landessozialgericht übersandten Formularerklärungen seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, stände der weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts nicht entgegen. Das Berufungsgericht habe aufgrund des schriftsätzlichen Hinweises des Klägers, wonach er die erforderliche Entbindungserklärung bereits im Verwaltungsverfahren abgegeben habe, davon ausgehen müssen, dass er die behandelnden Ärzte auch für das Berufungsverfahren von der Schweigepflicht entbinde.
Der im wiedereröffneten Berufungsverfahren erneut mit der Sache befasste Senat hat daraufhin Befundberichte des Arztes R St vom 15. April 1999 (letzte Behandlung des Klägers am 22. Oktober 1996) und der Ärztegemeinschaft C und B B - ohne Datum - (letzte Behandlung am 22. Oktober 1998), - jeweils mit diversen Anlagen - zur Gerichtsakte genommen.
Die mit einer Begutachtung des Klägers beauftrage Internistin Dr. K hat in ihrem Gutachten vom 19. Mai 2000 dargelegt, die erworbene Immunschwäche Stadium II B sei aufgrund der vorliegenden klinischen Untersuchungsergebnisse und Laborwerte mit einem Einzel-GdB von 50 zu bemessen. Dieser Zustand bestehe aus internistischer Sicht bereits seit dem Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 1995. Aus den vorliegenden Laborbefunden seien signifikante Befundverschlechterungen nicht herzuleiten. Die erworbene Immunschwäche bedinge je nach Ausbildung der lymphozytären Immunkompetenz HIV-assoziierte Begleiterkrankungen, vorwiegend im Bereich von Infektionserkrankungen. Diese seien bei dem Kläger bisher jedoch nur in geringfügigem Maß aufgetreten. Es liege allerdings weiterhin eine vermutlich HIV-assoziierte Polyneuropathie, ausgewiesen in einem vom Kläger überreichten Arztbericht der C vom 4. November 1999, sowie eine reaktiv depressive Verstimmung, ein Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, Verdacht auf Hirnleistungsminderung vor. Die bestehende Polyneuropathie sei in ihrem Ausmaß aufgrund einer klinischen Untersuchung ohne die weiterführende Diagnostik nur durch eine neurologische Begutachtung zu klären.
Im Anschluss hieran hat der Senat einen Befundbericht der im Zusammenhang mit der Begutachtung bekannt gewordenen, den Kläger nunmehr behandelnden Ärztin Dr. L-M vom 21. Juli 2000 mit Befunden des medizinischen Labors Dr. B vom 10. und 11. Mai 2000 eingeholt und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G zum medizinischen Sachverständigen ernannt. Dessen Bemühungen, mit dem Kläger einen Untersuchungstermin zu vereinbaren, sind gescheitert. Er hat den Gutachtensauftrag am 15. Januar 2001 zurückgereicht.
Der dann um versorgungsärztliche Auswertung der medizinischen Unterlagen ersuchte Beklagte hat auf Empfehlung des Internisten Dr. D in seiner Stellungnahme vom 5. April 2001 und der Nervenärztin Dr. De in ihrer Stellungnahme vom 30. April 2001 durch Bescheid vom 15. Mai 2001 als weitere Behinderung eine Polyneuropathie mit einem GdB von 20 und ab November 1999 einen (Gesamt-) GdB von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) anerkannt.
Eine Stellungnahme des Klägers hierzu liegt nicht vor.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996 aufzuheben und den Bescheid vom 16. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1996 sowie den Bescheid vom 15. Mai 2001 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen GdB von 100 und die Merkzeichen „B, aG“ und „H“ zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 15. Mai 2001 abzuweisen.
Für weitergehendere als die im Bescheid vom 15. Mai 2001 getroffenen Feststellungen ließen die vorliegenden medizinischen Beurteilungen keinen Raum.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die im wieder eröffneten Berufungsverfahren erneut verhandelte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996 ist unbegründet. Ohne Erfolg bleiben musste auch seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2001, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz -SGG- Gegenstand des Verfahrens geworden ist.
Der Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Auswirkungen der bei dem Kläger im Bescheid vom 16. November 1995 anerkannten Behinderung „erworbene Immunschwäche“ nur einen GdB von 50 zulassen. An dieser Einschätzung hat sich bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2001 nichts geändert, weil nicht ersichtlich ist, dass sich in seinem Krankheitsstadium relevante, eine Neubewertung erfordernde, Veränderungen ergeben haben. Der Senat folgt insoweit dem für überzeugend gehaltenen Gutachten der medizinischen Sachverständigen Dr. K vom 19. Mai 2000, die den Kläger untersucht hat und sich von seiner Hausärztin Dr. L -M deren aktuelle Befunderhebungen hat übermitteln lassen. Sie geht insoweit zwar von einer geringfügigen kontinuierlichen Verschlechterung im Gesundheitszustand seit der Antragstellung aus, hält aber in Anbetracht der ihr vorliegenden Untersuchungsergebnisse und Laborwerte den GdB der Behinderung „erworbene Immunschwäche“ mit 50 nach wie vor für zutreffend. Der Senat hat keinen Anlass, ihre Beurteilung in Zweifel zu ziehen, zumal auch der Versorgungsarzt Dr. D in seiner internistischen Stellungnahme vom 5. April 2001 den zu den Akten gelangten Erkenntnissen keine sicher verwertbaren Belege dafür zu entnehmen vermochte, dass die Grunderkrankung des Klägers einer neuen Bewertung bedürfe. Die Einstufung mit einem GdB von 50 entspricht den Vorgaben in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“, 1996 - AHP 96 -. Diese sehen in Ziffer 26.16, S. 128 für eine stärkere Leistungsbeeinträchtigung bei HIV-Infektionen einen GdB zwischen 50 und 80 vor und erst bei schwererer Leistungsbeeinträchtigung (AIDS-Vollbild) den vom Kläger gewünschten GdB von 100. Die im Stadium II B eingeordnete Immunschwäche des Klägers wird zwar (vgl. Befundbericht der Ärzte B vom 2. Oktober 1999) als fortgeschritten bezeichnet, von einer schweren Leistungsbeeinträchtigung ist jedoch in keiner der medizinischen Unterlagen, insbesondere auch nicht im Bericht der Klinik und Poliklinik für Neurologie der C vom 4. November 1999, die Rede. Von daher hält der Senat die Bewertung des GdB des Klägers für seine Grunderkrankung mit 50 für unangreifbar.
Neben der HIV-Infektion liegt eine durch den Bericht der C vom 4. November 1999 aktenkundig gewordene Polyneuropathie vor, die auch Dr. K bei ihrer Begutachtung feststellen konnte. Da eine von der C mit dem Kläger vereinbarte elektrophysiologische Untersuchung zur genaueren Einschätzung seines Krankheitsbildes nicht zustande gekommen ist und sich der Kläger auch der von Amts wegen veranlassten Untersuchung durch den zum medizinischen Sachverständigen bestellten Neurologen und Psychiater Prof. Dr. G nicht unterzogen hat, bestand keine Möglichkeit, die Ursache und die Auswirkungen des Krankheitsbildes Polyneuropathie weiter aufzuklären. Da es insoweit an aussagekräftigen aktuellen Erkenntnissen über das Ausmaß der durch diese Erkrankung bewirkten Funktionsbeeinträchtigungen und motorischen Anfälle (vgl. AHP, Ziffer 26.3, S. 52) fehlt, hat Dr. De auf die aus dem Bericht vom 4. November 1999 ersichtlichen Befunde bei der Bewertung zurückgegriffen und insoweit die Anerkennung eines GdB von 20 empfohlen. Diese Bewertung erscheint dem Senat im Hinblick auf die in dem Bericht vom 4. November 1999 geschilderten Befunde (u.a.: einbeiniges Stehen sowie Hacken- und Zehenstand beiderseits möglich) angemessen.
Der Beklagte hat mithin im Bescheid vom 15. Mai 2001 alle über den Kläger bekannten medizinischen Tatsachen nachvollziehbar berücksichtigt. Dass er wesentliche Tatsachen übersehen oder verkannt hat, konnte der Senat nicht feststellen. Dass neue behinderungsrechtlich relevante Leiden vorliegen, ist nicht belegt und wird vom Kläger auch nicht vorgetragen. Bei dieser Sachlage konnte sein über das Teilanerkenntnis des Beklagten im Bescheid vom 15. Mai 2001 hinausgehender Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100 keinen Erfolg haben. Ihm steht wegen der bei ihm anerkannten Behinderungen weder ein höherer GdB als 60 zu, noch hat er einen Anspruch auf die im Antrag wiedergegebenen Merkzeichen.
Die medizinischen Unterlagen bieten keinen Anhalt für die Annahme, der Kläger sei im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften außergewöhnlich gehbehindert. Als außergewöhnlich gehbehindert sind solche Schwerbehinderten anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, aber auch einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder die nur eine Beckenkorbprothese tragen können. Neben den beispielhaft aufgeführten Behinderten zählen dazu auch diejenigen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind; des Weiteren enthält diese Verwaltungsvorschrift besondere Regelungen für Blinde. Die zuvor wiedergegebenen medizinischen Voraussetzungen machen deutlich, dass der Kläger zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis nicht zählt. Er hat insbesondere keine besonders ins Gewicht fallenden orthopädischen Behinderungen, die seine Gleichstellung mit Querschnittsgelähmten u.a. erlaubt. Auch liegen keine Herz- oder Atemwegserkrankungen vor, die für sich allein einen GdB von wenigstens 80 bedingen (AHP 96, Ziffer 31, 168).
Auch soweit der Kläger die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs „B“ begehrt, konnte seine Berufung keinen Erfolg haben. Er gehört zwar zu dem begünstigten Personenkreis des § 59 Abs. 1 SchwbG, denn der Beklagte hat nunmehr im Bescheid vom 15. Mai 2001 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs „G“ bei ihm anerkannt. Er erfüllt jedoch nicht die persönlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 SchwbG. Nach dieser Vorschrift ist die ständige Begleitung bei Schwerbehinderten notwendig, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Nach Nr. 32 AHP 96 ist ständige Begleitung bei Schwerbehinderten notwendig, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Gutachten der Dr. Kerecz, ist der Kläger diesem Personenkreis nicht zuzurechnen. Es liegt allenfalls eine Gangunsicherheit aufgrund der Polyneuropathie vor. Nicht bekannt ist und konnte auch nicht aufgeklärt werden, ob der Kläger gerade bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Es ist durch medizinische Unterlagen auch nicht belegt, dass der Kläger infolge von Gesundheitsstörungen für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf, so dass ihm das Merkzeichen „H“ zusteht. Aufgrund der von Dr. K erhobenen Sozialanamnese lebt der Kläger allein in eigener Wohnung. Er versorgt sich also selbst, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
Die erst einen Tag vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingegangenen Ablehnungsgesuche des Klägers gegen den Senat und die medizinische Sachverständige Dr. K konnten aus den im Terminsprotokoll dargelegten Gründen keinen Erfolg haben.
Hinweise darauf, dass über den Kläger durch Dr. T am 18. Mai 1998 ein neurologisches Gutachten erstellt worden sein soll, ergeben sich weder aus dem Schriftwechsel im wieder eröffneten Berufungsverfahren noch aus dem sonstigen Akteninhalt.
Die Berufung des Klägers musste nach alledem ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Das vom Kläger nicht angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten vom 15. Mai 2001 führt zu keiner für ihn günstigeren Kostenregelung. Der Beklagte hat die erst im Verlaufe des Berufungsverfahrens bekannt gewordenen Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers ohne wesentliche Verzögerung anerkannt.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Durch Bescheid vom 16. November 1995 stellte der Beklagte bei dem Kläger eine durch HIV-Infektion erworbene Immunschwäche als Behinderung mit einem Grad der Behinderung -GdB- von 50 fest. Die Voraussetzung für das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale als Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (§ 4 Abs. 4 Schwerbehindertengesetz -SchwbG-) lehnte er ab. An dieser Auffassung hielt der Beklagte auch im Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1996 fest.
Klage und Berufung des Klägers blieben erfolglos (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996, Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. August 1997). Beide Instanzgerichte sahen sich gehindert, den Gesundheitszustand des Klägers aufzuklären, weil er seine Hausärzte nicht formell von der Schweigepflicht entbunden hatte.
Das hiergegen vom Kläger angerufene Bundessozialgericht hat dessen Revision zugelassen und sie im Urteil vom 24. Juni 1998 als begründet angesehen. Die Vorinstanz habe aufklären müssen, in welcher Ausprägung bei dem Kläger an dem Tag der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren wegen der HIV-Infektion körperliche und seelische Regelwidrigkeiten bestanden hätten, welche Funktionsbeeinträchtigungen sie zur Folge gehabt hätten und wie und mit welchem GdB sie sich ausgewirkt hätten. Die Weigerung des Klägers, mit den ihm vom Sozialgericht und Landessozialgericht übersandten Formularerklärungen seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, stände der weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts nicht entgegen. Das Berufungsgericht habe aufgrund des schriftsätzlichen Hinweises des Klägers, wonach er die erforderliche Entbindungserklärung bereits im Verwaltungsverfahren abgegeben habe, davon ausgehen müssen, dass er die behandelnden Ärzte auch für das Berufungsverfahren von der Schweigepflicht entbinde.
Der im wiedereröffneten Berufungsverfahren erneut mit der Sache befasste Senat hat daraufhin Befundberichte des Arztes R St vom 15. April 1999 (letzte Behandlung des Klägers am 22. Oktober 1996) und der Ärztegemeinschaft C und B B - ohne Datum - (letzte Behandlung am 22. Oktober 1998), - jeweils mit diversen Anlagen - zur Gerichtsakte genommen.
Die mit einer Begutachtung des Klägers beauftrage Internistin Dr. K hat in ihrem Gutachten vom 19. Mai 2000 dargelegt, die erworbene Immunschwäche Stadium II B sei aufgrund der vorliegenden klinischen Untersuchungsergebnisse und Laborwerte mit einem Einzel-GdB von 50 zu bemessen. Dieser Zustand bestehe aus internistischer Sicht bereits seit dem Zeitpunkt der Antragstellung im Mai 1995. Aus den vorliegenden Laborbefunden seien signifikante Befundverschlechterungen nicht herzuleiten. Die erworbene Immunschwäche bedinge je nach Ausbildung der lymphozytären Immunkompetenz HIV-assoziierte Begleiterkrankungen, vorwiegend im Bereich von Infektionserkrankungen. Diese seien bei dem Kläger bisher jedoch nur in geringfügigem Maß aufgetreten. Es liege allerdings weiterhin eine vermutlich HIV-assoziierte Polyneuropathie, ausgewiesen in einem vom Kläger überreichten Arztbericht der C vom 4. November 1999, sowie eine reaktiv depressive Verstimmung, ein Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, Verdacht auf Hirnleistungsminderung vor. Die bestehende Polyneuropathie sei in ihrem Ausmaß aufgrund einer klinischen Untersuchung ohne die weiterführende Diagnostik nur durch eine neurologische Begutachtung zu klären.
Im Anschluss hieran hat der Senat einen Befundbericht der im Zusammenhang mit der Begutachtung bekannt gewordenen, den Kläger nunmehr behandelnden Ärztin Dr. L-M vom 21. Juli 2000 mit Befunden des medizinischen Labors Dr. B vom 10. und 11. Mai 2000 eingeholt und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G zum medizinischen Sachverständigen ernannt. Dessen Bemühungen, mit dem Kläger einen Untersuchungstermin zu vereinbaren, sind gescheitert. Er hat den Gutachtensauftrag am 15. Januar 2001 zurückgereicht.
Der dann um versorgungsärztliche Auswertung der medizinischen Unterlagen ersuchte Beklagte hat auf Empfehlung des Internisten Dr. D in seiner Stellungnahme vom 5. April 2001 und der Nervenärztin Dr. De in ihrer Stellungnahme vom 30. April 2001 durch Bescheid vom 15. Mai 2001 als weitere Behinderung eine Polyneuropathie mit einem GdB von 20 und ab November 1999 einen (Gesamt-) GdB von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) anerkannt.
Eine Stellungnahme des Klägers hierzu liegt nicht vor.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996 aufzuheben und den Bescheid vom 16. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1996 sowie den Bescheid vom 15. Mai 2001 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen GdB von 100 und die Merkzeichen „B, aG“ und „H“ zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 15. Mai 2001 abzuweisen.
Für weitergehendere als die im Bescheid vom 15. Mai 2001 getroffenen Feststellungen ließen die vorliegenden medizinischen Beurteilungen keinen Raum.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die im wieder eröffneten Berufungsverfahren erneut verhandelte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. September 1996 ist unbegründet. Ohne Erfolg bleiben musste auch seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. Mai 2001, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz -SGG- Gegenstand des Verfahrens geworden ist.
Der Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Auswirkungen der bei dem Kläger im Bescheid vom 16. November 1995 anerkannten Behinderung „erworbene Immunschwäche“ nur einen GdB von 50 zulassen. An dieser Einschätzung hat sich bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2001 nichts geändert, weil nicht ersichtlich ist, dass sich in seinem Krankheitsstadium relevante, eine Neubewertung erfordernde, Veränderungen ergeben haben. Der Senat folgt insoweit dem für überzeugend gehaltenen Gutachten der medizinischen Sachverständigen Dr. K vom 19. Mai 2000, die den Kläger untersucht hat und sich von seiner Hausärztin Dr. L -M deren aktuelle Befunderhebungen hat übermitteln lassen. Sie geht insoweit zwar von einer geringfügigen kontinuierlichen Verschlechterung im Gesundheitszustand seit der Antragstellung aus, hält aber in Anbetracht der ihr vorliegenden Untersuchungsergebnisse und Laborwerte den GdB der Behinderung „erworbene Immunschwäche“ mit 50 nach wie vor für zutreffend. Der Senat hat keinen Anlass, ihre Beurteilung in Zweifel zu ziehen, zumal auch der Versorgungsarzt Dr. D in seiner internistischen Stellungnahme vom 5. April 2001 den zu den Akten gelangten Erkenntnissen keine sicher verwertbaren Belege dafür zu entnehmen vermochte, dass die Grunderkrankung des Klägers einer neuen Bewertung bedürfe. Die Einstufung mit einem GdB von 50 entspricht den Vorgaben in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“, 1996 - AHP 96 -. Diese sehen in Ziffer 26.16, S. 128 für eine stärkere Leistungsbeeinträchtigung bei HIV-Infektionen einen GdB zwischen 50 und 80 vor und erst bei schwererer Leistungsbeeinträchtigung (AIDS-Vollbild) den vom Kläger gewünschten GdB von 100. Die im Stadium II B eingeordnete Immunschwäche des Klägers wird zwar (vgl. Befundbericht der Ärzte B vom 2. Oktober 1999) als fortgeschritten bezeichnet, von einer schweren Leistungsbeeinträchtigung ist jedoch in keiner der medizinischen Unterlagen, insbesondere auch nicht im Bericht der Klinik und Poliklinik für Neurologie der C vom 4. November 1999, die Rede. Von daher hält der Senat die Bewertung des GdB des Klägers für seine Grunderkrankung mit 50 für unangreifbar.
Neben der HIV-Infektion liegt eine durch den Bericht der C vom 4. November 1999 aktenkundig gewordene Polyneuropathie vor, die auch Dr. K bei ihrer Begutachtung feststellen konnte. Da eine von der C mit dem Kläger vereinbarte elektrophysiologische Untersuchung zur genaueren Einschätzung seines Krankheitsbildes nicht zustande gekommen ist und sich der Kläger auch der von Amts wegen veranlassten Untersuchung durch den zum medizinischen Sachverständigen bestellten Neurologen und Psychiater Prof. Dr. G nicht unterzogen hat, bestand keine Möglichkeit, die Ursache und die Auswirkungen des Krankheitsbildes Polyneuropathie weiter aufzuklären. Da es insoweit an aussagekräftigen aktuellen Erkenntnissen über das Ausmaß der durch diese Erkrankung bewirkten Funktionsbeeinträchtigungen und motorischen Anfälle (vgl. AHP, Ziffer 26.3, S. 52) fehlt, hat Dr. De auf die aus dem Bericht vom 4. November 1999 ersichtlichen Befunde bei der Bewertung zurückgegriffen und insoweit die Anerkennung eines GdB von 20 empfohlen. Diese Bewertung erscheint dem Senat im Hinblick auf die in dem Bericht vom 4. November 1999 geschilderten Befunde (u.a.: einbeiniges Stehen sowie Hacken- und Zehenstand beiderseits möglich) angemessen.
Der Beklagte hat mithin im Bescheid vom 15. Mai 2001 alle über den Kläger bekannten medizinischen Tatsachen nachvollziehbar berücksichtigt. Dass er wesentliche Tatsachen übersehen oder verkannt hat, konnte der Senat nicht feststellen. Dass neue behinderungsrechtlich relevante Leiden vorliegen, ist nicht belegt und wird vom Kläger auch nicht vorgetragen. Bei dieser Sachlage konnte sein über das Teilanerkenntnis des Beklagten im Bescheid vom 15. Mai 2001 hinausgehender Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100 keinen Erfolg haben. Ihm steht wegen der bei ihm anerkannten Behinderungen weder ein höherer GdB als 60 zu, noch hat er einen Anspruch auf die im Antrag wiedergegebenen Merkzeichen.
Die medizinischen Unterlagen bieten keinen Anhalt für die Annahme, der Kläger sei im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften außergewöhnlich gehbehindert. Als außergewöhnlich gehbehindert sind solche Schwerbehinderten anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, aber auch einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder die nur eine Beckenkorbprothese tragen können. Neben den beispielhaft aufgeführten Behinderten zählen dazu auch diejenigen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind; des Weiteren enthält diese Verwaltungsvorschrift besondere Regelungen für Blinde. Die zuvor wiedergegebenen medizinischen Voraussetzungen machen deutlich, dass der Kläger zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis nicht zählt. Er hat insbesondere keine besonders ins Gewicht fallenden orthopädischen Behinderungen, die seine Gleichstellung mit Querschnittsgelähmten u.a. erlaubt. Auch liegen keine Herz- oder Atemwegserkrankungen vor, die für sich allein einen GdB von wenigstens 80 bedingen (AHP 96, Ziffer 31, 168).
Auch soweit der Kläger die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs „B“ begehrt, konnte seine Berufung keinen Erfolg haben. Er gehört zwar zu dem begünstigten Personenkreis des § 59 Abs. 1 SchwbG, denn der Beklagte hat nunmehr im Bescheid vom 15. Mai 2001 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs „G“ bei ihm anerkannt. Er erfüllt jedoch nicht die persönlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 SchwbG. Nach dieser Vorschrift ist die ständige Begleitung bei Schwerbehinderten notwendig, die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Nach Nr. 32 AHP 96 ist ständige Begleitung bei Schwerbehinderten notwendig, die infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere dem Gutachten der Dr. Kerecz, ist der Kläger diesem Personenkreis nicht zuzurechnen. Es liegt allenfalls eine Gangunsicherheit aufgrund der Polyneuropathie vor. Nicht bekannt ist und konnte auch nicht aufgeklärt werden, ob der Kläger gerade bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Es ist durch medizinische Unterlagen auch nicht belegt, dass der Kläger infolge von Gesundheitsstörungen für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf, so dass ihm das Merkzeichen „H“ zusteht. Aufgrund der von Dr. K erhobenen Sozialanamnese lebt der Kläger allein in eigener Wohnung. Er versorgt sich also selbst, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.
Die erst einen Tag vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingegangenen Ablehnungsgesuche des Klägers gegen den Senat und die medizinische Sachverständige Dr. K konnten aus den im Terminsprotokoll dargelegten Gründen keinen Erfolg haben.
Hinweise darauf, dass über den Kläger durch Dr. T am 18. Mai 1998 ein neurologisches Gutachten erstellt worden sein soll, ergeben sich weder aus dem Schriftwechsel im wieder eröffneten Berufungsverfahren noch aus dem sonstigen Akteninhalt.
Die Berufung des Klägers musste nach alledem ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Das vom Kläger nicht angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten vom 15. Mai 2001 führt zu keiner für ihn günstigeren Kostenregelung. Der Beklagte hat die erst im Verlaufe des Berufungsverfahrens bekannt gewordenen Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers ohne wesentliche Verzögerung anerkannt.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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