L 1 R 29/05

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 26 RJ 356/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 29/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Januar 2005 wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu tragen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. 3. Der Streitwert wird auf 1.224,75 EUR festgesetzt. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rentenversicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1 als sog. "Werkstudent" bei der Klägerin im Jahr 1998.

Der Beigeladene zu 1 studierte an der Universität L. Angewandte Kulturwissenschaften und war seit dem 28. April 1996 daneben bei der damaligen Einzelfirma E. F. B. M. A. in einem Umfang von durchschnittlich 18 Wochenstunden als Aushilfe beschäftigt.

Aus haftungsrechtlichen Gründen wurde die Einzelfirma E. F. B. M. A. mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 im Rahmen einer Neugründung in die klageführende GmbH & Co. KG eingebracht. Die Klägerin führte die Geschäfte der früheren Einzelfirma E. F. B. M. A. unter Beibehaltung der organisatorischen Einheiten der Einzelfirma fort und fungierte seitdem als Arbeitgeberin des Beigeladenen zu 1, ohne dass ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Der Beigeladene zu 1 setzte seine Tätigkeit bei der Klägerin genau so fort, wie er sie schon zuvor bei der Einzelfirma ausgeübt hatte. Nach einer Betriebsprüfung am 6. September 2002 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 10. September 2002 von der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge für den Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1998 nach. Die Nachforderung belief sich auf insgesamt EUR 1.224,75.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 25. September 2002 Widerspruch ein. Anzuwenden sei die Übergangsvorschrift § 230 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Die Klägerin führe die Geschäfte der früheren Einzelfirma E. F. B. M. A. ohne nennenswerte tatsächliche Änderungen fort. Überdies liege eine absolute Identität des Betriebsvermögens vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2003 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Ab dem 1. Januar 1998 sei ein neues Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber entstanden, so dass die Besitzstandregelung nicht eingreife.

Dagegen hat die Klägerin am 28. April 2003 beim Sozialgericht Klage erhoben. Das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1 sei gemäß § 613 a BGB im Rahmen des Betriebsübergangs von der Einzelfirma auf die Klägerin übergegangen. Darin sei jedoch eine Fortsetzung des alten Beschäftigungsverhältnisses zu sehen und nicht dessen Neubegründung.

Das Sozialgericht hat den Arbeitnehmer T. S. und die Krankenkasse als Einzugsstelle mit Beschluss vom 1. August 2003 beigeladen. Mit Urteil vom 17. Januar 2005 hat es der Klage stattgegeben und die streitigen Bescheide aufgehoben. Durch die Überleitung des Beschäftigungsverhältnisses des Beigeladenen zu 1 auf die Klägerin sei kein Ereignis eingetreten, das die Annahme eines "anderen" Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI rechtfertigen und damit ein Ende des vom Gesetzgeber beabsichtigen Bestandschutzes bewirken könnte.

Gegen das Urteil hat die Beklagte am 21. Februar 2005 fristgerecht Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass das Beschäftigungsverhältnis bei dem Einzelunternehmen am 31. Dezember 1997 geendet habe. Dabei bezieht sie sich auf ein Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und der Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 15./16. April 1997 zu § 23 a Abs. 3 SGB IV, wonach ein Arbeitgeberwechsel dann vorliege, wenn ein neuer Arbeitsvertrag mit einer rechtlich anderen Person vereinbart werde oder als vereinbart gelte. Auch in Fällen von Betriebsverschmelzungen bzw. –übergängen nach § 613 a BGB sei daher sozialversicherungsrechtlich ein Arbeitgeberwechsel gegeben. Sie leitet dies aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 16. 12. 92 - C-132/91, EuGHE I 92, 6577 ab.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Januar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält dem entgegen, dass dem Vertrauensschutz nach der Übergangsregelung nicht hinreichend Rechnung getragen würde, wenn Versicherungspflicht einträte, obwohl sich an der bisherigen konkreten und als versicherungsfrei bewerteten Tätigkeit nichts geändert habe. Auch sei nicht ersichtlich, was der Hinweis auf das genannte Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der BA für die Rechtsauffassung der Beklagten beizutragen vermöge.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Das Landessozialgericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen und zusammen mit den Prozessakten zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben.

Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Nachforderung der Rentenversicherungsbeiträge für das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1 bei der Klägerin im Jahr 1998. Denn der Beigeladene zu 1 stand in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1998 bei der Klägerin nicht in einem rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, sondern war weiterhin als Werkstudent versicherungsfrei nach § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI in der Fassung ab 1. Oktober 1996 (n. F.).

Gemäß § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI n. F. bleiben Personen, die am 1. Oktober 1996 (gemeint: 30. September 1996; Redaktionsversehen, vgl. BSG 22. 5. 03 - B 12 KR 24/02 R, SozR 4-2600 § 5 Nr. 1) in einer Beschäftigung als ordentliche Studierende an einer Hochschule versicherungsfrei waren, in dieser Beschäftigung versicherungsfrei.

Der Beigeladene zu 1 war – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - in der Zeit vom 28. April 1996 bis 30. September 1996 als Werkstudent nach § 5 Abs. 3 SGB VI in der bis zum 30. September 1996 geltenden Fassung und in der Zeit vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1997 nach der Übergangsvorschrift § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI n. F. versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Voraussetzungen der Übergangsregelung § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI n. F. sind auch in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1998 weiter gegeben. Denn das Beschäftigungsverhältnis des Beigeladenen zu 1 bestand nach der Einbringung der Einzelfirma in die klageführende GmbH & Co. KG weiter. Damit bestand weiterhin dasselbe Beschäftigungsverhältnis in Sinne des § 230 Abs. 4 Satz 1 SGB VI n. F.

Dies ergibt sich unter Beachtung von Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift, die nach der Begründung des Gesetzentwurfs dem Vertrauensschutz der Betroffenen angemessen Rechnung tragen soll (vgl. BT-Drs. 13/4610 vom 10. Mai 1996). Da die Umfirmierung der Klägerin zu keiner sonstigen Änderung der vertraglichen und tatsächlichen Beziehung des Beigeladenen zu 1 zur Klägerin führte, ist das Vertrauen in den Bestand des Werkstudentenprivilegs weiter schutzwürdig. Die gesellschaftsrechtliche Umwandlung der Arbeitgeberin von der Einzelfirma zur klageführenden GmbH & Co. KG erfolgte ausschließlich aus haftungsrechtlichen Gründen. Sie wirkte sich in Bezug auf das Arbeitsverhältnis des Beigeladenen zu 1 und auf den tatsächlichen Arbeitsablauf in der Firma nicht aus. Der Beigeladene zu 1 übte nach dem 1. Januar 1998 dieselbe Tätigkeit unter denselben Arbeitsbedingungen aus wie zuvor. Die Weisungsbefugnisse oblagen weiterhin derselben Person. Die üblicherweise mit einem Wechsel des Beschäftigungsverhältnisses einhergehenden Änderungen in Bezug auf Arbeits- und Organisationsstruktur traten nicht ein.

Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund das Beschäftigungsverhältnis vorliegend anders zu behandeln sein sollte als das weitgehend deckungsgleiche Arbeitsverhältnis. Der Betriebsübergang bewirkte gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB den Übergang der bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse auf die Klägerin mit der Folge, dass diese so fortbestanden wie zuvor (Preis, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 4. Aufl., § 613 a BGB, Rdnr. 2; Weidenkaff, Palandt, Kommentar zum BGB, 64. Aufl., § 613 a, Rdnr. 18 ff.). Damit liegt auch ein Fortbestand des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses nahe (Klattenhoff, Hauck/Haines, Kommentar SGB VI, § 1 Rdnr. 61). Zumindest ergibt sich eine Indizwirkung für das Weiterbestehen des Beschäftigungsverhältnisses nach dem Betriebsübergang (so das BSG 17. 10. 90 - 11 BAr 39/90, Die Beiträge 91, 115 für das Rechtsinstitut der Arbeitnehmereigenschaft).

Eine solche Indizwirkung hat das BSG auch im Bereich des Arbeitsförderungsrechts angenommen, indem es entschieden hat, dass bei einer Erstattungsforderung gegen einen ehemaligen Arbeitgeber nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz auch die Beschäftigungszeiten vor dem Betriebsübergang bei dem untergegangenen Rechtsträger zu berücksichtigen seien (vgl. BSG 3. 5. 01 - B 11 AL 85/00 R, SGb 01, 433). Dies spricht ebenfalls für ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vor und nach dem Betriebsübergang.

Die von der Beklagten angeführten Entscheidungen und das Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der BA vom 15./16. April 1997 zu § 23 a Abs. 3 SGB IV stehen dem nicht entgegen. Denn in allen von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen und in dem o. g. Rundschreiben zur Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Beitragsbemessung geht es ausschließlich um den Begriff "Arbeitgeber" und nicht um die hier streitige Auslegung des Begriffes "Beschäftigungs-verhältnis". Der mit dem Betriebsübergang immer einhergehende Arbeitgeberwechsel führt jedoch in diesem Fall nicht zum Beginn eines neuen Beschäftigungsverhältnisses.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG. Die Beklagte trägt nur die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind von ihr nicht zu tragen, da dies nicht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung entspricht. Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus der Höhe der Forderung der Beklagten. Die Festsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 72 Nr. 1 Gerichtskosten-gesetz in der Fassung ab 1. Juli 2004.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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