L 13 VU 13/00

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 49 VU 60/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VU 13/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Versorgungsleistungen nach Maßgabe des Gesetzes über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die sich daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz -VwRehaG-).

Der 1953 in R geborene Kläger, der seinerzeit eine Lehre zum Baufacharbeiter mit Abitur durchlief, hatte im Jahre 1971 seinen Wohnsitz in P-B im Bereich des früheren Grenzgebietes zu Berlin-West. Zusammen mit einer anderen Person gelang es ihm, in der Nacht vom 3. zum 4. April 1971 die Grenzbefestigungen der früheren DDR nach Berlin-West zu überwinden und am Folgetage auf dem gleichen Weg nach B zurückzukehren.

Am 15. April 1971 wurde von dem Kreisgericht P ein Haftbefehl gegen den Kläger wegen ungesetzlichen Verlassens der DDR gemäß § 213 Abs. 1 Strafgesetzbuch der DDR erlassen. Er befand sich anschließend für die Dauer von zwei Wochen in Untersuchungshaft. Zur Einleitung eines Strafverfahrens kam es nicht. Die Ausbildung des Klägers zum Baufacharbeiter mit Abitur wurde nach dessen Angaben in eine einfache Baulehre umgewandelt, die Ende August 1971 ohne Abschluss endete. Während dieser Zeit war der Kläger in B a./H. in einem Lehrlingsheim (laut S-Bericht vom 11. August 1986, Seite 48: in einem Baulager) untergebracht. Nach den Angaben im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung begann der Kläger dann am 1. September 1971 eine Lehre in der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek in P. Er musste sich nach seinen Angaben zweimal wöchentlich bei der zuständigen Staatsanwaltschaft melden und sei außerdem intensiv bespitzelt worden.

Am 10. März 1973 flüchtete der Kläger erneut nach Berlin-West. In der Folgezeit überwand der Kläger noch mehrmals die Grenze, was ihm als „Mauerspringer“ einen gewissen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit einbrachte. Sein Schicksal verarbeitete u.a. der Schriftsteller P S in seinem Roman-Essay „Mauerspringer“ (1982) literarisch.

Laut Arztbrief der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses S vom 2. April 1983 soll der Kläger erstmalig im Jahre 1973 im damaligen Berlin-West wegen einer paranoiden Psychose behandelt worden sein. Aktenkundig sind stationäre Behandlungen:

1. wegen Verdachts auf paranoide Psychose in der Waldhausklinik vom 14. bis 21. Januar 1974 (Arztbrief vom 28. Januar 1974),
2. wegen paranoid-halluzinatorischer Psychose in der zum damaligen Klinikum St gehörenden „N-Klinik“ vom 27. bis 28. Februar 1979 und vom 13. März bis 7. Mai 1979 (Arztbrief vom 15. Mai 1979),
3. wegen chronisch paranoider Psychose vom 16. bis 22. August 1980 und erneut vom 10. bis 19. September 1980 in der Nervenklinik S (Epikrise der Klinik ohne Datum),
4. sowie ebendort vom 23. Juni bis 26. Juli 1983 wegen Exazerbation einer paranoiden Psychose (Arztbrief vom 2. August 1983).

Nach Überwindung der Grenzanlagen in west-östlicher Richtung wurde der Kläger auch vom 29. Juni bis 8. Juli 1985 in der Bezirksnervenklinik B wegen akuter Psychose stationär behandelt und anschließend wieder nach Berlin-West abgeschoben.

Der den Kläger von September 1980 bis April 1988 behandelnde, jetzt nicht mehr praktizierende, Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L bescheinigte ihm in einem Attest vom 12. April 1984, er sei nach der Anamnese und Verlaufsbeobachtung „durch Stasi-Verfolgungsmaßnahmen/Drangsalierungen und klinische Behandlungen stark beeinträchtigt worden“.

Dr. L ist auch der Verfasser eines zur Verwaltungsakte des Beklagten angeforderten, im Auftrage der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstellten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 2. Dezember 1991. Der Nervenarzt bescheinigte dem Kläger in diesem „einen Defektzustand bei bekannter Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“ und schloss eine geregelte Erwerbstätigkeit mangels Belastbarkeit des Klägers aus. Das Gutachten führte zu dessen Berentung.

Durch Beschluss des Landgerichts P vom 27. Februar 1995 ist u.a. der Haftbefehl des Kreisgerichts P-Stadt vom 15. April 1971 für rechtsstaatswidrig erklärt worden. Die anschließende zweiwöchige Haft sei zu Unrecht erfolgt.

Auf den Antrag des Klägers vom 23. Mai 1995 erteilte ihm die Rehabilitierungsbehörde beim Ministerium des Innern des Landes B eine Rehabilitierungsbescheinigung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vom 26. Juni 1996. Mit dieser wurde bescheinigt, dass die Überwachung und Bespitzelung seiner Person durch das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR in den Jahren 1971 bis 1973 mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sei. Diese Maßnahme werde für rechtswidrig erklärt. In den Gründen dieser Bescheinigung heißt es u.a., der Kläger habe glaubhaft gemacht, hierdurch eine gesundheitliche Schädigung erlitten zu haben.

Durch eine weitere Verwaltungsentscheidung vom 9. Dezember 1996 wurde dem Kläger zudem bescheinigt, aufgrund seiner vom 14. April bis 28. April 1971 dauernden Verfolgungszeit Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 des beruflichen Rehabilitierungsgesetzes zu sein. Es handele sich um eine zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung. Keine Rehabilitierung könne wegen der abgebrochenen Berufsausbildung zum Baufacharbeiter gewährt werden. Der Abbruch der Berufsausbildung sei Ende April 1971 aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. Politische Motive seien aus den vorliegenden Unterlagen nicht erkennbar.

Mit seinem am 1. Juli 1996 bei dem Beklagten eingegangenen Antrag auf Versorgung machte der Kläger psychische Schäden und Herzprobleme als gesundheitliche Folgen der gegen ihn gerichteten rechtsstaatswidrigen Willkürmaßnahmen der früheren DDR geltend. Der Beklagte zog die über den Kläger erreichbaren (oben angegebenen) medizinischen Unterlagen bei und nahm Kopien der bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR über ihn und seinen Vater vorhandenen Unterlagen sowie die Kopien der vom Kläger überreichten Rehabilitierungsbescheinigungen zur Verwaltungsakte. Anschließend beauftragte er die Nervenärztin Dr. D mit dessen Untersuchung. Sie gelangte in ihrem Gutachten vom 26. Februar 1997 nach Auswertung aller Unterlagen und aufgrund des aus ihrer Untersuchung gewonnenen Eindrucks zu der Auffassung, dass ein Zusammenhang der psychischen Erkrankung mit den geltend gemachten Stasiverfolgungen 1971 nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Es sei vielmehr anzunehmen, dass sich wahrscheinlich schon ab der Pubertät beginnend eine Psychose entwickelt habe, die zu dem geschilderten Verhalten geführt habe. Bereits vor den Ereignissen des Grenzübertrittes hätten Depressionen und Suizidalität bestanden, die auch nicht anhaltend durch die Verhöre und nachfolgende Ausweisung nach Brandenburg verschlimmert worden seien. Der Kläger sei erst mehrere Monate nach dem zweiten Grenzübertritt nach Berlin-West in stationäre nervenklinische Behandlung im Zusammenhang mit LSD-Einnahme und einem vermutlichen Liebeswahn gelangt. Sie könne aus nervenärztlicher Sicht Schädigungsfolgen nicht zur Anerkennung empfehlen. Die paranoide Psychose sei schädigungsunabhängig, schicksalhaft entstanden und habe sich auch durch die geltend gemachten Verfolgungen nicht verschlimmert. Sie unterliege einem eigengesetzlichen und eigendynamischen Verlauf.

Durch Bescheid vom 22. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1998 lehnte es der Beklagte ab, dem Kläger wegen des durch rechtsstaatswidrige Maßnahmen in den Jahren 1971 bis 1973 erlittenen Unrechts Versorgung nach dem VwRehaG zu leisten. Seine Begutachtung unter Auswertung sämtlicher beigezogener medizinischer Unterlagen habe ergeben, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den von ihm geltend gemachten Gesundheitsstörungen und den Verfolgungsmaßnahmen durch die Stasi nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Diese seien schädigungsunabhängig, schicksalhaft entstanden und hätten sich auch nicht durch die Verfolgungen verschlimmert.

Vor dem Sozialgericht machte der Kläger geltend, er könne dem Gutachten der Dr. D, das eine Auseinandersetzung mit seiner Entwicklung und den persönlichen Verhältnissen, über die der in Kopie zur Gerichtsakte gereichte „S-Artikel vom 11. August 1996 (muss heißen: 1986) Einblick gewähre, nicht folgen. Außerdem vermisse er, dass das Gutachten auf die Feststellungen seines Hausarztes Dr. L im Attest vom 12. April 1994, wonach er durch Stasiverfolgung, Drangsalierungen und nervenklinische Behandlungen stark beeinträchtigt worden sei, nicht eingegangen sei.

Das Sozialgericht hat daraufhin Prof. Dr. S beauftragt, ein psychiatrisches Gutachten über den Kläger zu erstatten. Im Gutachten vom 23. März 1999 und einer ergänzenden Stellungnahme vom 19. Juli 1999 hat der medizinische Sachverständige das Vorliegen einer chronischen paranoiden Schizophrenie bei dem Kläger bestätigt. Eine stationäre psychiatrische Behandlung sei seit Anfang 1974 aktenkundig. Einen engen und zwingend wirkenden zeitlichen Zusammenhang zwischen den Verfolgungsmaßnahmen in der DDR und dem Psychosebeginn sehe er nicht. Bis zum Verlassen der DDR hätten bei dem Kläger keine eindeutigen Hinweise auf eine psychotische Erkrankung bestanden. Er habe unter Stimmungsschwankungen und einer Angstsymptomatik gelitten, die sich möglicherweise in „psychosomatischen“ Beschwerden geäußert hätten. Im Nachhinein lasse sich nicht klären, ob diese Symptomatik vornehmlich reaktiv zu verstehen oder als unspezifische Vorläufersymptomatik der späteren psychotischen Erkrankung anzusehen sei. Es müsse in Anbetracht der später manifest werdenden Schizophrenie als wahrscheinlich gelten, dass es sich bei den psychischen Auffälligkeiten um sogenannte Prodromalsymptome handele, welche nicht selten der manifesten Psychose monate- oder jahrelang vorausgingen. Es sei in diesem Zusammenhang wichtig, dass die 14tägige Haft und die Observationen, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei, vom Schweregrad her nicht das Kriterium einer tiefgreifenden körperlichen oder seelischen Schädigung im Sinne einer Extrembelastung erfüllten, wenn man sie beispielsweise mit den Verfolgungsmaßnahmen durch das Naziregime vergleiche. Die festgestellten Tatsachen und Zusammenhänge sprächen auch nicht für eine kritische Stellenwertserniedrigung durch die Verfolgungsmaßnahmen, die zu einem Manifestwerden der schizophrenen Reaktionsform des Klägers geführt haben könnten, denn die erste psychotische Episode sei zu einem Zeitpunkt aufgetreten, als er in einer Wohngemeinschaft in West-Berlin gelebt habe und Verfolgung durch das MfS für ihn kein zentrales Thema gewesen zu sein schien, da es im ärztlichen Entlassungsbericht keine Erwähnung finde. Hingegen sei der Einnahme von LSD eine auslösende Funktion für die Psychose zugeschrieben worden. Es sei auch nicht von einer Verschlimmerung der psychotischen Erkrankung des Klägers durch Verfolgungsmaßnahmen in der DDR auszugehen. Auch wenn die Verfolgungsmaßnahmen durch den Staatssicherheitsdienst der DDR nicht als ursächlich für die psychotische Erkrankung des Klägers angesehen werden könnten, bleibe doch festzuhalten, dass seine Lebensgeschichte in bedeutsamer Weise durch die spezifischen deutsch-deutschen Beziehungen der Nachkriegszeit gestaltet worden sei. Sicher werde es immer wieder Angst vor Stasiaktivitäten und Verfolgungsmaßnahmen gegeben haben. Jedoch sei nach seiner zweiten, endgültigen Flucht in den Westen die Berliner Mauer für den Kläger weiterhin ein Faszinosum geblieben, wovon seine spektakulären Mauersprünge zeugten. Das handschriftliche Attest des Dr. L vom 12. April 1984 sei in seinen Formulierungen uneindeutig und lasse viel Interpretationsspielraum zu. Es erscheine jedenfalls nicht tauglich, einen Zusammenhang zwischen Verfolgungsmaßnahmen und psychischer Beeinträchtigung zu untermauern.

Durch Urteil vom 23. Februar 2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die für nachvollziehbar gehaltenen Ausführungen im Gutachten des Prof. Dr. S bezogen. Seine Auffassung, dass die bei dem Kläger anerkannte Verfolgung in der früheren DDR nicht ursächlich für sein psychisches Leiden sei, sei schlüssig dargetan und ohne erkennbare Fehler.

Gegen das am 17. April 2000 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 15. Mai 2000. Dem Urteil des Sozialgerichts könne nicht entnommen werden, dass es das Gutachten des Prof. Dr. S kritisch überprüft habe. Dessen Beweiswert sei gering, weil es die Auswirkungen der Verfolgungsmaßnahmen durch Stasimitarbeiter offensichtlich herunterspiele, denn der Sachverständige habe sich schwerpunktmäßig mit der NS-Gewaltherrschaft und deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche beschäftigt. Ungeklärt geblieben sei auch, ob sich die Verfolgung seiner Eltern durch die Stasi möglicherweise auf seine schizophrene Veranlagung auslösend ausgewirkt haben könnte. Er vermisse auch eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des an sich schon paranoiden Gesellschaftssystems der DDR auf ihn. Zur Erläuterung der Umstände seiner Unterbringung im Baulager in Brandenburg im Jahre 1971 und des Aufenthalts in der Nervenklinik in B im Jahre 1985 nimmt der Kläger Bezug auf sein zu den Gerichtsakten eingereichtes Schreiben vom 19. Juli 2000. Er ist darüber hinaus der Auffassung, Dr. L, der ihn lange Jahre ambulant behandelt habe, hätte zu den hier maßgeblichen Streitfragen als sachverständiger Zeuge angehört werden müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Februar 2000 sowie den Bescheid vom 22. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer chronisch-paranoiden Schizophrenie als Schädigungsfolge gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes -BVG- Beschädigtenversorgung nach einer MdE von wenigstens 30 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig.

Der Senat hat im Zuge weiterer medizinische Ermittlungen eine Auskunft des Arztes im Ruhestand, Dr. L , vom 18. Juni 2001 eingeholt, die den Beteiligten bekannt ist.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und auf die Versorgungsakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Senat folgt den Vorentscheidungen darin, dass sich aufgrund des medizinischen Sachverhalts und aller weiteren zu den Akten gelangten Unterlagen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der als rechtsstaatswidrig anerkannten Überwachung und Bespitzelung seiner Person durch das Ministerium für Staatssicherheit der früheren DDR in den Jahren 1971 bis 1973 und der bei ihm bekannten paranoiden Psychose nicht wahrscheinlich machen lässt.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG hat ein Betroffener, der infolge einer rechtsstaatswidrigen Verwaltungsentscheidung im Sinne des § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen - und auch wirtschaftlichen - Folgen dieser Schädigung Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung (hier: der rechtsstaatswidrigen Verwaltungsentscheidung) genügt die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 1 VwRehaG). Wahrscheinlichkeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinischen-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht.

Keine Rolle bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs spielt hier, dass es in der Rehabilitierungsbescheinigung des Ministerium des Innern des Landes B vom 26. Juli 1996 heißt, der Kläger habe glaubhaft gemacht, durch rechtsstaatswidrige Maßnahmen eine gesundheitliche Schädigung erlitten zu haben. An diese Feststellung der Rehabilitierungsbehörde ist der Beklagte nicht gebunden. Der Rehabilitierungsbehörde obliegt allein die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit von Verwaltungsentscheidungen, während die nach dem Bundesversorgungsgesetz erforderlichen Feststellungen die Behörden zu treffen haben, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes obliegt (vgl. § 12 Abs. 4 Satz 2 VwRehaG). Das ist der Beklagte, dessen Zuständigkeit sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG ergibt, denn er führt die Vorschriften des BVG aus.

Es muss sich mithin eine zeitliche und ursächliche Verbindung zwischen der in den Jahre 1971 bis 1973 durchgeführten Überwachung und Bespitzelung des Klägers und einer seit Ende 1973 bekannt gewordenen paranoiden Psychose herstellen lassen. Die im Verwaltungsverfahren und in beiden Gerichtsinstanzen durchgeführten medizinischen Ermittlungen machen diesen vom Kläger behaupteten Zusammenhang nicht wahrscheinlich. Der Kläger ist laut Arztbrief vom 28. Januar 1974 - 8 Monate nach seiner Flucht - in der Waldhausklinik N vom 14. bis 21. Januar 1974 stationär wegen Verdachts auf eine akute paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis behandelt worden. In der dortigen Anamneseerhebung wurde zwar seine vorausgegangene zweimalige Flucht aus der DDR angesprochen, jedoch keine Verbindung des seinerzeit akuten Krankheitsbildes mit den mutmaßlichen Auswirkungen der in den Jahren 1971 bis 1973 bestehenden staatlichen Sanktionen hergestellt. Es wurde vielmehr dargelegt, dass es bei dem in einer Wohngemeinschaft früherer DDR-Bürger lebenden Kläger offenbar nach der Einnahme eines LSD-Trips zu einer psychotischen Dekompensation gekommen sei. Für mögliche Verbindungen zwischen dem Krankheitsbild und DDR-Verfolgungsmaß-nahmen geben auch alle weiteren Arzt- bzw. Krankenhausbehandlungsberichte der seit 1974 umfänglich dokumentierten Krankengeschichte des Klägers nichts her. Eine insoweit aufschlussreichere Anamnese über die medizinische Vorgeschichte des Klägers, insbesondere über seinen Gesundheitszustand zu der Zeit, als er noch in der DDR lebte, ließ sich auch von dem medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. S nicht erheben. Der Kläger reagierte auf dessen aus Anlass des Gutachtensauftrags gestellten Fragen über seine Biographie (u.a. Familie, Alter, eigene Entwicklung, somatische Vorerkrankungen) nicht realitätsbezogen mit abweichenden Angaben über sein Geburtsdatum (1927), über seine angebliche Teilnahme am Vietnamkrieg, seine Kriegsgefangenschaft u.a ... Prof. Dr. S erklärt dieses Bild als das eines systematisierenden Wahns im Sinne eines Identitätswahnes. Ein ähnlicher Eindruck hat sich nach ihren Berichten auch den den Kläger untersuchenden Ärzten während der seit 1974 erfolgten Klinikaufenthalte aufgedrängt. Die Diagnose einer paranoid (-halluzinatorischen) Psychose zieht sich seither wie ein roter Faden durch die Krankheitsgeschichte des Klägers. In Anbetracht der sehr schwierigen Sachverhaltsermittlung hat der medizinische Sachverständige Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 23. März 1999 eine auch dem Senat verständliche, ihn überzeugende Analyse über die Erkrankung des Klägers, deren Entwicklung, das erreichte Ausmaß und den Einfluss möglicher körperlicher und seelischer Schädigungen durch DDR-Verfolgungsmaßnahmen auf die Krankheit erstellt. Er hat seine Erkenntnisse dann in Beziehung gesetzt zu den von dem Kläger in den Jahren 1971 bis 1973 gemachten persönlichen Erfahrungen in der DDR als Opfer staatlich sanktionierter Überwachung und Bespitzelung. Seine Schlussfolgerung, ein enger zwingend wirkender zeitlicher Zusammenhang zwischen den rechtsstaatswidrigen Verwaltungsmaßnahmen und dem seit Ende 1973 aktenkundigen Psychosebeginn lasse sich nicht herstellen, hält auch das Gericht für nachvollziehbar. Es kann dem Akteninhalt keine durch medizinische Unterlagen gesicherten Erkenntnisse entnehmen, die Anlass zu der Auffassung bieten, der Sachverständige habe eine Fehleinschätzung vorgenommen. Das Gericht folgt auch insoweit der Beurteilung des medizinischen Sachverständigen, als sich keine eindeutigen Hinweise darauf finden lassen, dass es bei dem Kläger vor dem Verlassen der DDR im März 1973 eine schon seinerzeit bestehende psychotische Erkrankung gegeben hatte, die sich durch die Verfolgungsmaßnahmen der Jahre 1971 bis Anfang 1973 verschlimmert haben könnte. Prof. Dr. S hat das in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 19. Juli 1999 noch einmal klar herausgestellt. So habe es insbesondere in der Latenzzeit, als der Kläger dabei war, die Ausbildung in der Musikabteilung einer Bibliothek zu beenden, keine erkennbaren Funktionsbeeinträchtigungen in der Alltagsbewältigung gegeben. Der Kläger sei körperlich und seelisch gesund gewesen und habe einer regelmäßigen Tätigkeit nachgehen können. Es fänden sich in der Biographie keine Hinweise auf monate- oder jahrelang vorausgehende manifeste Psychosen. Der Kläger selbst berichte insoweit nur von einer Stimmungsinstabilität als unspezifizierte Vorläufersymptomatik im Rahmen der späteren psychotischen Erkrankung. Es könne im Übrigen auch nicht wahrscheinlich gemacht werden, dass die erlittene Verfolgungszeit einen ursächlichen Umweltfaktor für das Auftreten und den Verlauf der schizophrenen Erkrankung darstelle.

Die in der Berufung vom Kläger geltend gemachten Einwände gegen Inhalt und Überzeugungskraft des Gutachtens kann der Senat nicht nachvollziehen. Er versteht, dass das Gutachten die Zielvorstellungen des psychisch kranken Klägers nicht zufrieden stellen kann, weil es ihm die erhofften Entschädigungsansprüche im Ergebnis versagt. Der Kläger verkennt aber, dass das Gutachten - wie schon zuvor das Gutachten der Dr. D im Verwaltungsverfahren und das im Rentenrechtstreit von dem seinerzeitigen Hausarzt des Klägers Dr. L abgegebene Gutachten - auf gründlich durchgeführten Ermittlungen von fachlich für die Beurteilung seines Krankheitsbildes qualifizierten Ärzten beruht. Es bedarf keiner weiteren Erläuterungen, dass das Gericht ihrer Einschätzung gegenüber der Kritik medizinischer Laien den Vorzug gibt. So überzeugt das Gericht insbesondere nicht der Hinweis des Klägers auf die Stasiverstrickungen seines Vaters, die für seine Krankheitsentwicklung Bedeutung haben könnten. Für derartige Mutmaßungen gibt seine Krankheitsgeschichte, soweit sie aufklärbar war, nichts her.

Wenig hilfreich ist die Rüge des Klägers, es fehle im Gutachten des medizinischen Sachverständigen an einer Auseinandersetzung mit dem System der DDR an sich, der hiermit zusammenhängenden allgemeinen paranoiden Situation und ihres Einflusses auf seine Gesundheit. Hiermit verkennt er die vom Gesetzgeber mit dem VwRehaG verfolgten sozialpolitischen Ziele. Das Gesetz sollte nicht eine allgemeine Restitutionsgrundlage gegen die üblichen und jedermann treffenden Schikanen des Überwachungs- und Unrechtssystems der DDR schaffen. Ziel und Zweck des Gesetzes ist es vielmehr, jene Personen zu rehabilitieren, die durch individuell und konkret gegen sie gerichtete staatlich sanktionierte Maßnahmen wie Spitzeleien u.a. Unrecht hinnehmen mussten und sie u.a. wegen hierdurch bewirkter Gesundheitsstörungen zu entschädigen. Das ist hier geprüft und zu Recht verneint worden.

Dass sich eine Anhörung des seit 1995 nicht mehr praktizierenden Arztes Dr. L nach seiner schriftlichen Äußerung vom 18. Juni 2001 nicht mehr aufdrängen musste, scheint auch dem Kläger klar zu sein, da er hierauf nicht mehr besteht. Diesem stehen nach Ablauf der 10jährigen Aufbewahrungsfrist - ausgehend vom letzten Konsultationsdatum - keine Unterlagen über den Kläger mehr zur Verfügung. Nach der Meinung des Dr. L ist es nicht so gewesen, dass der Kläger durch die DDR-Maßnahmen erst krank geworden sei oder noch eine neue (bleibende) Krankheit dazuerhalten habe. Seine fachärztliche Aussage bestätigt das Ergebnis der in diesem Verfahren geführten medizinischen Ermittlungen als zutreffend.

Bei dieser Sachlage musste die Berufung des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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