L 7 SO 1840/05 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SO 1499/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1840/05 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Regelungsanordnung; Vorrang der Leistungen nach SGB II vor denen nach SGB XII;
einstweilige Leistungen bei zweifelhafter Erwerbsfähigkeit
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) Stuttgart nicht abgeholfen hat, ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 13. Auflage, § 123 Rdnrn. 7 ff.). Es kann im hier zu entscheidenden Fall offen bleiben, ob in den Verfahren betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ein grundsätzliches Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache besteht, was die Bewilligung von Leistungen verbietet; denn auch in einem solchen Fall kann der Hauptsache ausnahmsweise vorgegriffen werden, wenn anders effektiver Rechtsschutz nicht zu erreichen ist und ein Zuwarten in der Hauptsache unzumutbar wäre (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) BVerwGE 63, 110, 111; Landessozialgericht Berlin Breithaupt 1989, 614, 616; Meyer-Ladewig, a.a.O. Rdnr. 31; Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnrn. 13 ff.; zu den Zweifeln an der Existenz eines generellen Verbots - gerade in Angelegenheiten der Sozialhilfe - vgl. Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 2. Auflage, § 123 Rdnr. 58). Erforderlich ist jedenfalls die Dringlichkeit der erstrebten vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund). Des Weiteren setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich voraus, dass bei der im Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Anordnungsanspruch; vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., Rdnr. 14; Schoch in Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 123 Rdnr. 66). Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht weiter darauf einzugehen, dass die Antragsgegnerin über das am 24. Januar 2005 beim Bezirksrathaus M. eingegangene, als Antrag auf Leistungen der Sozialhilfe nach §§ 8, 19 SGB XII aufzufassende Schreiben des Antragstellers vom 18. Januar 2005 überhaupt noch keine förmliche Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Denn bereits der Anordnungsanspruch ist - wie das SG Stuttgart im Ergebnis zutreffend erkannt hat - nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Nach § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II leistungsberechtigt sind, - vom Ausnahmefall des § 34 SGB XII abgesehen - keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII; eine entsprechende Ausschlussregelung ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehen. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Personen, die u.a. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sind und hilfebedürftig sind. Nach der gesetzlichen Definition in § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Dass der Antagsteller, der das 65. Lebensjahr erst mit Ablauf des 2005 vollendet, weniger als drei Stunden leistungsfähig ist, vermag der Senat bei der im Verfahren gebotenen summarischen Prüfung auch unter Würdigung von dessen Vorbringen mangels aussagekräftiger ärztlicher Unterlagen, zu deren Einreichung er bereits durch das SG Stuttgart aufgefordert worden war, nicht zu bejahen. Aber selbst wenn die Darstellung des Antragstellers zuträfe, dass er voll erwerbsgemindert sei, könnte er bis zur zweifelsfreien Klärung seiner Erwerbsfähigkeit Leistungen nach dem SGB XII nicht verlangen, denn auch dann wären nach § 44a Satz 3 SGB II einstweilen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu erbringen. Zu diesen Leistungen gehört das Arbeitslosengeld II, mithin die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung (vgl. § 19 SGB II); im Rahmen des Leistungsbezugs besteht im Übrigen grundsätzlich Versicherungspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch).

Den für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erforderlichen Antrag (§ 37 Abs. 1 SGB II) hat der Antragsteller indessen trotz wiederholter Aufforderungen seitens des JobCenters Stuttgart - Zweigstelle Möhringen sowie gerichtlicher Hinweise des SG und des Senats nicht gestellt. Dass er das nicht getan hat, begründet indes keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin (vgl. nochmals § 21 Satz 1 SGB XII). Es liegt darüber hinaus nicht in der Hand des Hilfebedürftigen, durch Verweigerung der Mitwirkung (vgl. hierzu § 60 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) das Eintreten des Trägers der Sozialhilfe zu erzwingen (so auch SG Hamburg, Beschluss vom 16. März 2005 - S 53 SO 84/05 ER (veröffentlicht in JURIS) unter Hinweis auf den Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. Januar 2005 - L 3 B 16/05 ER SO -).

Darüber hinaus mangelt es hier auch am Anordnungsgrund. Der Antragsteller bezieht jedenfalls seit 1. Januar 2005 - nach seiner Behauptung schon seit 28. Oktober 2004 - keine Hilfe zum Lebensunterhalt mehr, ist jedoch nach seinem eigenen Eingeständnis weiterhin aushilfsweise als Auslieferungsfahrer für Apotheken bei einer monatlichen Vergütung von zumindest EUR 100,00 tätig. Dennoch kommt er seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, obwohl er seit Monaten ohne Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dasteht und er mittlerweile auch mit einer Räumungsklage überzogen wurde. Eine die Dringlichkeit einstweiligen Rechtsschutzes gebietende Notlage lässt sich unter diesen Umständen nicht begründen; es kann nicht Aufgabe der Gerichte sein, das auszugleichen, wozu der Antragsteller aus eigenem Zutun trotz Zumutbarkeit nicht bereit ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG (vgl. BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6).

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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