S 15 RJ 1397/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 RJ 1397/01
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2001 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung einer ihr auf unbestimmte Zeit gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente.

Die im Jahre 1947 geborene Klägerin war langjährig als Raumpflegerin beschäftigt. Den letzten Pflichtbeitrag für diese Beschäftigung entrichtete sie für Dezember 1995.

Am 20. November 1995 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbminderung. Nach einer Untersuchung durch ihren Internisten Dr. V. am 3. Januar 1996 und ihre Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau B. am 5. März 1996 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 1996 und Widerspruchsbescheid vom 5. November 1996 eine Rentengewährung ab. In dem anschließenden Klagverfahren ließ das Sozialgericht Hamburg (Az: 16 J 1678/96) die Klägerin durch den Internisten Prof. Dr. H. (22. September 1997), den Neurologen und Psychiater Dr. L. (25. Februar 1998) und die Psychiaterin Frau Dr. R. (2. September 1998) untersuchen. Bei diesen Untersuchungen erschien die Klägerin im Gegensatz zu den Voruntersuchungen durch die beiden Ärzte der Beklagten völlig apathisch und teilnahmslos. Sie war kaum ansprechbar, führte unter Jammern leise Selbstgespräche und stieß Beschimpfungen aus. Auf dieser Basis gingen die beiden psychiatrischen Sachverständigen Dr. L. und Frau Dr. R. von einer schweren neurotischen Entwicklung aus. In der mündlichen Verhandlung am 3. November 1998 erkannte die Beklagte auf Empfehlung des Gerichts das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit für einen Leistungsfall vom 25. Februar 1997 an und gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 24. Februar 1999 eine unbefristete Erwerbsunfähigkeitsrente.

Nach einer Überprüfung der Akten kam der Internist der Beklagten Dr. F. in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 31. Januar 2001 zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Fall eine Reihe von Ungereimtheiten aufweise und die Gesamtkonstellation den Verdacht wecke, dass das schwere Krankheitsbild der Klägerin vorgetäuscht worden sei.

Am 28. Februar 2001 ließ die Beklagte die Klägerin durch ihren Internisten Dr. V. nach- untersuchen. Dabei war die Klägerin zunächst wiederum nicht ansprechbar. Während der körperlichen Untersuchung kam es dann aber doch zu einem für Dr. V. überraschend guten verbalen und Blickkontakt mit der Klägerin. Im Hinblick auf das psychische Krank-heitsbild hielt Dr. V. deshalb eine "eindeutige Besserung" für gegeben. Eine Änderung in den körperlichen Verhältnissen sah er nicht. Dr. V. diagnostizierte daher eine Versagens-haltung mit Somatisierung und kam hinsichtlich des Leistungsvermögens zu dem Ergebnis, dass die Klägerin in der Lage sei, leichte und gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 9. April 2001 der Klägerin ihre Absicht mit, den Rentenbescheid vom 24. Februar 1999 aufzuheben, da er auf Grund einer Änderung in den Verhältnissen fehlerhaft geworden sei. Die Klägerin sei wieder in der Lage, leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben. In ihrer über ihre Prozessbevollmächtigte abgegebenen Stellungnahme vom 26. April 2001 erklärte die Klägerin, dass möglicherweise nicht mehr durchgehend eine so schwere Störung festzustellen sei, die mit einem völligen autistischem Rückzug zu verbinden sei. Gleichwohl gebe es weiterhin regelmäßig mehrfach im Monat sehr schwer depressive Anfälle, außerdem eine Art Taubheitsgefühl in der rechten Kopfhälfte. An eine Aufnahme einer auch nur leichten körperlichen Tätigkeit sei nicht zu denken.

Mit Bescheid vom 3. Mai 2001 entzog die Beklagte der Klägerin die Rente zum Ende Mai 2001. Zur Begründung legte sie insbesondere dar, bei der Nachuntersuchung sei es im Gegensatz zur Vorbegutachtung gut möglich gewesen, einen verbalen und Blickkontakt herzustellen. Insoweit habe sich die psychische Situation bei der Klägerin wesentlich gebes-sert. Sie sei wieder in der Lage, leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten.

Im Widerspruchsverfahren ließ die Beklagte die Klägerin am 30. August 2001 durch ihren Psychiater Herrn W. untersuchen. Herr W. nannte auf seinem Fachgebiet die Diagnose eines subdepressiv gefärbten Verstimmungs- und Versagenszustand mit Somatisierungstendenz bei familiärer Konfliktsituation und sekundärer Neurotisierung. Sein Ergebnis fasste er dahingehend zusammen, dass insbesondere unter Zusammenschau des psychischen Querschnittsbildes und der berichteten Alltagsaktivitäten doch davon ausgegan-gen werden könne, dass eine Besserung der psychischen Befindlichkeit eingetreten sei. Der Sachverständige legte dar, dass sein bei der Untersuchung gewonnener Eindruck im wesentlichen demjenigen ähnele, den die Sachverständige Frau B. bei ihrer Untersuchung im Rentenverfahren im März 1996 gewonnen habe. Dieser Eindruck weiche ganz erheblich von den Einschätzungen ab, zu denen die Sachverständigen Dr. L. und Frau Dr. R. im vorausgegangenen Klagverfahren gekommen seien. Damals sei von tief greifenden psychischen Störungen gesprochen worden. Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Darstellungen des psychischen Querschnittsbildes in den nervenärztlichen Begutachtungen halte er eine letztendliche diagnostische Einschätzung nicht für möglich. Eine Beurteilung, inwieweit wirklich eine psychisch/psychiatrisch relevante Erkrankung mit entsprechenden Leistungseinschränkungen vorliege, werde dadurch erschwert, dass in letzter Zeit bei Versicherten zunehmend der Verdacht habe geäußert werden müssen, dass Verhaltensweisen während der Begutachtung vorgetäuscht worden seien. Auf Grund gegebener Umstände sehe sich die Abteilung Ärztliche Begutachtung der Beklagten außer Stande festzustellen, ob die persönlichen Voraussetzungen für das weitere Vorliegen des Leistungsfalles gegeben seien. Eine abschließende sozialmedizinische Leistungsbeurteilung könne daher derzeit nicht gegeben werden. Empfohlen werde nochmals eine stationäre psychiatrische Begutachtung. Daraufhin wies die Beklagte ohne weitere medizinische Aufklärung den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2001 zurück. Zur Begründung legte sie insbesondere dar, dass es zu einer eindeutigen Besserung gegenüber den medizinischen Befunden gekommen sei, die zu der Rentengewährung geführt hätten. Die Klägerin sei im Stande, leichte, gelegentlich mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung und mit bestimmten weiteren qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Berufsunfähigkeit liege daher über Mai 2001 nicht mehr vor.

Am 19. Dezember 2001 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte ihre psychischen Beeinträchtigungen falsch bewertet habe. Sie leide weiterhin an einer tief greifenden Depression.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Akteninhalt und den Ausführungen im Wider-spruchsbescheid. Die Gutachter der Beklagten hätten bei der Klägerin hinsichtlich der psychischen Befindlichkeit eine Besserung gegenüber den Befunden festgestellt, die zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit geführt hätten. Auch die Klägerin habe eine gewisse Besserung eingeräumt.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, insbesondere des Neurologen und Psychiaters Dr. A., des Internisten Dr. A1, des Orthopäden Dr. S. und des Praktischen Arztes Dr. G ... Ihm liegen außerdem Berichte des Internisten Dr. E. sowie der Chirurgischen Notaufnahme des AK St. G. vor. Weiterhin hat das Gericht die Akten der Beklagten, die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Hamburg sowie die Krankengeschichte der Urologischen Klinik des UKE beigezogen.

Auf Veranlassung des Gerichts hat der Neurologe und Psychiater Dr. F. die Klägerin am 24. Oktober 2002 untersucht und ein Gutachten erstattet. Dr. F. ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch eine anhaltende lebensgeschichtlich bedingte depressive Verstimmung im Sinne einer depressiven Episode oberflächlicher, womöglich mittelschwerer Tiefe mit Somatisierung beeinträchtigt sei und darüber hinaus ein Wirbelsäulenverschleißleiden ohne Nachweis einer leistungsbeeinträchtigenden Bedrückung von Nervenwurzeln bestehe. Wie der Gutachter der Beklagten Herr W. zutreffend ausgeführt habe, werde man in Kenntnis des Krankheitsverlaufes sowie vor dem Hintergrund von Erfahrungen ähnlich gelagerter Fälle Zweifel daran zu äußern habe, ob im Jahre 1998 die Gutachter Dr. L. und Frau Dr. R. nicht zum Teil Erlebens- und Verhaltensweisen bei der Klägerin als krankheitswertig beurteilt hätten, die letztlich deren Willen unterworfen gewesen seien und denen damit Krankheitswert nicht zugekommen sei. Heute jedoch ließen sich derartige Gegebenheiten speziell in Kenntnis des Aktenverlaufes feststellen. Wie hoch allerdings der Anteil krankheitswertiger Erlebens- und Verhaltensweisen und komplementär, wie hoch der Anteil von dem Willen unterworfener und damit nicht krankheitswertiger Erlebens- und Verhaltensweisen sei, lasse sich auf Grund des willensgebundenen Verhaltens der Klägerin nicht mit der notwendigen Sicherheit entscheiden. Auf der Basis der von Herrn W. und ihm, Dr. F., erhobenen Befunde ergebe sich eine Besserung jedenfalls gegenüber den Gegebenheiten, wie sie bei der Rentengewährung als krankheitswertig vorausgesetzt worden seien. Eine Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin sei nur mit den von Herrn W. gekennzeichneten Unsicherheiten möglich. Jedenfalls ergebe sich keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin außer Stande sei, leichte Tätig-keiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten.

In der mündlichen Verhandlung am 5. November 2003 ist Dr. F. zu seinen Gutachten ge-hört worden. Hinsichtlich seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid vom 3. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Für die Aufhebungsentscheidung der Beklagten fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn der ursprüngliche Bescheid nach den neu vorliegenden Verhältnissen nicht mehr hätte erlassen werden dürfen (von Wulffen, SGB X, 2001, § 48 Rdn. 6). Zu vergleichen sind damit die bei der ursprüng-lichen Entscheidung bestehenden Verhältnisse mit denjenigen zum Zeitpunkt der Neufest-stellung, im vorliegenden Fall also die tatsächlichen Verhältnisse - allein insoweit kommt hier eine wesentliche Änderung in Betracht – bei Abgabe des Anerkenntnisses durch die Beklagte am 3. November 1998 mit denjenigen zum Zeitpunkt der Rentenentziehung. Entscheidend ist hier somit, ob bei Erlass des Widerspruchsbescheides am 23. November 2001 eine bei der Rentengewährung vorliegende Erwerbsunfähigkeit der Klägerin (§ 44 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI – a.F.) entfallen war.

Das in diesem Sinne eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, hat sich durch die gerichtliche Beweisaufnahme nicht nachweisen lassen. Insbesondere hat sich der Nachweis nicht ergeben, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides am 23. November 2001 wieder erwerbsfähig war. Zwar ist es sowohl dem Internisten der Beklagten Dr. V. bei seiner Untersuchung im Verwaltungsverfahren am 28. Februar 2001 als auch dem Psychiater der Beklagten Herrn W. bei der Untersuchung im Widerspruchsverfahren am 30. August 2001 im Gegensatz zu den gerichtlichen Sachverständigen im vorausgegangenen Klagverfahren (1998) gelungen, einen Kontakt zur Klägerin herzustellen. Hieraus haben beide Sachverständige die Schlussfolgerung gezogen, dass sich der psychische Gesundheitszustand der Klägerin gebessert habe. Als Nachweis dafür, dass die Klägerin in der Lage ist, einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nachzugehen (§ 44 Abs. 2 SGB VI a.F.), reicht dies jedoch nicht aus. Hierauf hat der Psychiater der Beklagten Herr W. in seinem Gutachten auch ausdrücklich hingewiesen, indem er sich außer Stande sah, eine abschließende sozialmedizinische Leistungsbeurteilung abzugeben und festzustellen, ob der Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit weiter vorliegt.

Auch dem Gericht ist es nicht gelungen, das Leistungsvermögen der Klägerin aufzuklären. So hat der gerichtliche Sachverständige Dr. F. auf seinem Fachgebiet bei der Klägerin zwar eine anhaltende lebensgeschichtlich bedingte depressive Episode oberflächlicher, womöglich mittelschwerer Tiefe mit Somatisierung festgestellt. Jedoch hat er ein psychisches Krankheitsbild, das so gravierend wäre, dass es der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entgegen stünde, nicht feststellen können (S. 21 des Gutachtens). Andererseits hat er sich, wie er in der mündlichen Verhandlung am 5. November 2003 nochmals erläutert hat, ebenso wenig wie der Sachverständige der Beklagten Herr W. in der Lage gesehen, das Leistungsvermögen der Klägerin einzuschätzen und sich auf die Aussage beschränken müssen, dass eine zeitliche Einschränkung oder gar eine Aufhebung des Leistungsvermögens für leichte körperliche Arbeiten nicht (überwiegend) wahrscheinlich sei (S. 24 des Gutachtens).

Im Kern beruht die Unmöglichkeit, das Ausmaß der psychischen Erkrankung und des Leis-tungsvermögens der Klägerin festzustellen, darauf, dass die Klägerin durch willensgebundene Verhaltenweisen eine schwere krankheitswertige psychische Störung vorzutäuschen versucht mit der Folge, dass ein realitätsgerechter psychiatrischer Querschnittsbefund vom Sachverständigen nicht erhoben und damit der willensgebundene Anteil des Störungsbildes nicht von dem ebenfalls bestehenden krankheitswertigen Teil abgegrenzt werden kann. Dass die Klägerin zwar nicht das gesamte, sehr wohl aber einen erheblichen Teil des bei ihr scheinbar bestehenden Störungsbildes willentlich präsentiert, ergibt sich für die Kammer aus den sie vollen Umfangs überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. F., der in seinem Gutachten und ergänzend bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegt hat, dass die im Zeitablauf inkonsistenten Verhaltensweisen der Klägerin durch eine hier in Betracht zu ziehende psychische Erkrankung nicht erklärbar wären, dass im Übrigen die von der Klägerin ihm gegenüber gezeigten Verhaltensweisen in den vorliegenden Berichten der behandelnden Ärzte keine Bestätigung finden und dass die auf Hausarbeiten hindeutenden Arbeitsspuren an den Händen einem durch völlige Passivität geprägten Tagesablauf widersprechen, wie er von der Klägerin und ihren Angehörigen geschildert wird.

Diese Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen stimmt in allen wesentlichen Punkten mit derjenigen des Vorgutachters der Beklagten Herrn W. nach dessen Untersuchung am 30. August 2001 überein, und schon vor diesem hat der Internist der Beklagten Dr. F. in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 31. Januar 2001 auf eine Vielzahl von Auffällig-keiten und Ungereimtheiten hingewiesen, wie sie auch Dr. F. in seinem Gutachten dar-gestellt hat.

Die Kammer hält es nicht für Erfolg versprechend, das Leistungsvermögen der Klägerin durch eine stationäre Begutachtung näher zu bestimmen. Solange die Klägerin nicht bereit ist, ihre der Erhebung der psychopathologischen Befunde entgegenstehenden willensge-steuerten Verhaltensweisen aufzugeben, kann eine stationäre Begutachtung keine anderen Ergebnisse bringen als die bisherigen ambulanten Begutachtungen. Auch dies hat der Sach-verständige Dr. F. bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung für die Kammer überzeugend dargelegt.

Ist somit nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten des Gerichts offen, ob die Klägerin (wieder) regelmäßig einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen kann und demgemäß, ob sich die tatsächlichen Verhältnisse, die zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses der Beklagten am 3. November 1998 vorlagen, wesentliche geändert haben, ist die Frage, wer die Folgen dieser Nichterweislichkeit trägt, nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu entscheiden. Danach gilt, dass ein Beteiligter die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig, SGG, 2002, § 103 Rdn. 19 a). Die objektive Beweislast für eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt im vorliegenden Fall somit bei der Beklagten, da die Entziehung der Rente die wesentliche Änderung der Verhältnisse voraussetzt (Meyer-Ladewig, a.a.O. § 103 Rdn. 19 e).

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht, wenn, was die Kammer durchaus für möglich hält, die Klägerin (bereits) zum Zeitpunkt der Rentengewährung gar nicht erwerbsunfähig und es ihr lediglich in dem vorausgegangenen gerichtlichen Verfahren gelungen war, gegenüber den beiden psychiatrischen Sachverständigen, deren Begutachtungsergebnisse letztlich zu dem Anerkenntnis der Beklagten führten, eine schweres psychiatrischen Krankheitsbild vorzutäuschen. Auch wenn dies der Fall gewesen sein sollte, was nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. F. in der mündlichen Verhandlung am 5. November 2003 nicht nachzuweisen ist, läge hierin keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse i.S.v. § 48 SGB X. In diesem Fall wäre die Erwerbsunfähigkeitsrente auf Grund einer Fehldiagnose gewährt worden. Die Aufdeckung dieses Fehlers stellt jedoch keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar (v. Wulffen, a.a.O. § 48 Rdn. 6). Eine Rücknahme des Rentenbescheides nach den Regelungen des § 45 SGB X kommt hier schon wegen der fehlenden Nachweisbarkeit einer Fehldiagnose bei der Rentengewährung nicht in Betracht.

Diesem Ergebnis lässt sich nicht entgegen halten, dass die Klägerin damit in die Lage versetzt würde, durch willensgesteuerte Verhaltensweisen in den Begutachtungssituationen die Erhebung verlässlicher psychiatrischer Befunde zu verhindern und sich damit vor der Entziehung einer ihr einmal gewährten und ihr möglicherweise wegen einer zwischenzeitlichen wesentlichen Änderung der Verhältnisse nicht mehr zustehenden Erwerbsunfähigkeitsrente zu schützen. Die von der Klägerin gezeigten Verhaltensweisen bei den Untersuchungen stellen nämlich schwerwiegende Verstöße gegen die in § 62 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) normierte Pflicht zur Mitwirkung bei medizinischen Untersuchungen dar. Diese berechtigen die Beklagte dazu, nach entsprechendem schriftlichen Hinweis und Fristsetzung ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise zu versagen oder zu entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind (§ 66 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 SGB I). Gemäß § 66 Abs.1 S. 2 SGB I gilt dies entsprechend, wenn u.a. der Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

Von dieser in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehenden Möglichkeit hat die Beklagte jedoch keinen Gebrauch gemacht. Danach ist es auch dem Gericht nicht möglich, die von der Beklagten auf § 48 SGB X gestützte Aufhebungsentscheidung unter Heranziehung des § 66 SGB I zu halten. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB X, der hier entsprechend anzuwenden ist (vgl. v. Wulffen a.a.O., § 43 Rdn. 2), kann nämlich eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, nicht in eine Ermessenentscheidung umgedeutet werden. Dieses Verbot steht einer "Umdeutung" im vorliegenden Fall entgegen; denn bei der Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 48 SGB X handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, während die Versagung oder Entziehung nach § 66 Abs. 1 SGB I im Ermessen des Leistungsträgers liegt.

Nach allem sind die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben.

Die sich auf die notwendigen außergerichtlichen Kosten beziehende Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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