L 1 U 453/01

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 17 U 2560/98
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 453/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 2. April 2001 aufgehoben und die Klage sowohl gegen den Veranlagungsbescheid vom 31. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1998 als auch gegen die Beitragsbescheide vom 22. April 1999 (für das Jahr 1998), vom 25. April 2000 (für das Jahr 1999) und vom 25. April 2001 (für das Jahr 2000) abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Veranlagung des Klägers zum Gefahrtarif der Beklagten ab dem Jahre 1998.

Der Kläger ist eine in der Rechtsform des eingetragenen Vereins agierende Verbraucherschutzeinrichtung mit Beratungsstellen im gesamten Freistaat.

Mit Bescheid vom 31. März 1998 veranlagte die Beklagte den Kläger ab dem 1. Januar 1998 auf Grund des vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Gefahrtarifes. Als Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen erfolgte die Veranlagung des Unternehmens in die Gefahrtarifstelle 20 mit der Gefahrklasse 1,14.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, dass nicht nachvollziehbar sei, warum im weitesten Sinne vergleichbare Unternehmensarten, die vorher der gleichen Gefahrklasse zugehörig gewesen seien, nunmehr wesentlich günstiger eingestuft würden. In der Gefahrtarifstelle 16 seien Kammern mit einer Gefahrklasse 0,70 angesiedelt, in der Gefahrtarifstelle 29 Gewerkschaften mit einer Gefahrklasse 0,50 und in der Gefahrtarifstelle 45 diplomatische und konsularische Vertretungen mit einer Gefahrklasse von 0,62. Noch fraglicher sei die Einstufung von Unternehmen, deren Tätigkeit im engeren Sinne vergleichbar sei mit der Tätigkeit einer Verbraucherzentrale wie Versicherungsunternehmen mit einer Gefahrklasse von 0,42, Sozialversicherungsträger ebenfalls mit einer Gefahrklasse von 0,42 und Bausparkassenvertreter mit einer Gefahrklasse von 0,40. Selbst Architekturbüros seien mit einer Gefahrklasse von 0,72, Versicherungsvertreter mit einer Gefahrklasse von 0,77 und technische Überwachungsunternehmen mit einer Gefahrklasse von 0,55 günstiger eingestuft.

Mit Schreiben vom 13. Juli 1998 informierte die Beklagte den Kläger aufgrund seines Widerspruches nochmals über den Gefahrtarif und einige grundlegende Neuerungen. Dazu führte sie aus, dass die Aufstellung des neuen Gefahrtarifs nach versicherungsmathematischen Anforderungen auf Grund der gesetzlichen Neuregelung mit der Einführung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) erforderlich geworden sei. Das SGB VII hebe für die gesetzliche Unfallversicherung deutlich das Erfordernis hervor, versicherungsmathematische Aspekte bei der Gefahrtarifaufstellung zu berücksichtigen (vgl. § 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft sei eine Vielzahl von Unternehmensarten zusammengefasst, die sich unter anderem nach Art und Gegenstand ihrer Unternehmen, nach der eingesetzten Technik und nach ihren Gefährdungsrisiken unterschieden. Die einzelnen Unternehmensarten nähmen dementsprechend die gesetzlichen Leistungen unterschiedlich stark und unterschiedlich kostenintensiv in Anspruch. Der Beitrag sei daher nicht nur nach den Arbeitsentgelten, sondern auch nach Gefährdungsrisiken abzustufen. Dazu diene der Gefahrtarif. Der Gefahrtarif enthalte die Gefahrklassen für alle Unternehmensarten, die der Verwaltungs-BG zugeordnet seien. Gefahrklassen würden nicht für einzelne Unternehmen, sondern für Gefahrgemeinschaften (Gefahrtarifstellen) festgestellt. Bei der Bildung der Gefahrtarifstellen sei zu berücksichtigen, dass die Gefahrklassen nicht zu starken Zufallsschwankungen unterlägen, die Gefahrgemeinschaft also ausreichend stabil sei, um solche Schwankungen zu reduzieren.

Nachdem der Kläger trotz des Aufklärungsschreibens an seinem Widerspruch festhielt, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 1998 den Widerspruch zurück.

Das Sozialgericht hat auf die Klage den Bescheid der Beklagten vom 31. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1998 abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger der Gefahrtarifstelle 16 zuzuordnen und die Beiträge neu zu berechnen. Die weitergehende Klage hat das Sozialgericht abgewiesen.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass Gegenstand des Verfahrens die Zuordnung des Klägers zu einer Gefahrtarifstelle des Gefahrtarifs vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 2000 und die entsprechende Beitragsberechnung sei. Der Kläger habe Anspruch auf Zuordnung zur Gefahrtarifstelle 16 und entsprechende Neuberechnung. Im gerichtlichen Verfahren seien die Vorgaben des Gefahrtarifs als autonomes Recht zur Zuteilung von Unternehmen zu den Gefahrklassen gerichtlich voll überprüfbar. Maßgeblich sei zunächst die Auslegung des Gefahrtarifs. Er lasse vom Wortlaut her sowohl die Zuordnung für einen Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen als auch zu einem Verband zu. Der Wortlaut allein ermögliche nicht eine Entscheidung, ob der Kläger der Gefahrtarifstelle 20 oder 16 zuzuordnen sei. Die Zuordnung habe nach den Tätigkeiten des Klägers zu erfolgen. Hierbei sei von Bedeutung, ob die Tätigkeit vorwiegend in Büroräumen oder im Außendienst stattfinde und welches Ausmaß der Publikumsverkehr habe. Hierbei sei die Satzung des Klägers heranzuziehen. Dabei könne der Status als Verein durchaus dem Begriff des Verbandes nach der Gefahrtarifstelle 16 zugeordnet werden, denn in dem Gefahrtarif sei nicht zu erkennen, dass es sich nur um Verbände aufgrund öffentlichen Rechts oder um Verbände der freien Berufe oder der gewerblichen Wirtschaft handeln solle. Andererseits sei der Vereinszweck nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Satzung die Wahrnehmung und Verwirklichung humanistischer, sozialer, kultureller und ökologischer Interessen der Bürger. Dieser könne vom Wortlaut her auch ohne weiteres als Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen im Sinne der Gefahrtarifstelle 20 verstanden werden. Wesentlicher sei die Art der Tätigkeit in Geschäftsstelle und Verbraucherberatungsstellen und andererseits durch mobile Aktionen und Vorträge sowie in Außenstellen. Nach den Feststellungen des Gerichts sei der Kläger insbesondere durch Beratung von Bürgern und durch Interessenvertretung in der Öffentlichkeit tätig. Dabei stehe die Beratung im Vordergrund. Die Einordnung des Schwerpunktes der Tätigkeit spreche entscheidend für die Einordnung als Verband entsprechend der Gefahrtarifstelle 16. Dass mit einem Verband nur öffentlich-rechtliche Verbände gemeint sein könnten, mache der Gefahrtarif nicht deutlich. Die Tätigkeit des Klägers stehe daher der Beschreibung der Gefahrtarifstelle 16 näher, auch wenn Aufgaben, wie die Vertretung gemeinsamer Interessen in der Öffentlichkeit und gegenüber anderen Institutionen und Organisationen, die Durchführung geeigneter Veranstaltungen zur Erreichung der Ziele, ebenfalls zum Zweck des Vereins gehörten. Die Klage sei aber unbegründet, sofern der Gefahrtarif insgesamt angegriffen werde. Die Kammer gehe davon aus, dass der Gefahrtarif der Beklagten trotz zum Teil unbestimmter Begriffe noch auslegungsfähig sei.

Mit der Berufung trägt die Beklagte vor, dass entgegen der Ansicht des Sozialgerichts eine Zuordnung bereits nach dem Wortlaut möglich sei. Die Formulierung "Kammer, Verband, Organisation der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft" mache hinreichend deutlich, welches der Gegenstand der in der Gefahrtarifstelle 16 zusammengeschlossenen Unternehmen sei. Dies sei die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen durch selbstverwaltende Organisationen der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft. Durch diese Institutionen würden die Interessen von Berufsgruppen oder Gewerbezweigen gebündelt und einheitlich nach außen vertreten. Der Kläger hingegen vertrete die Interessen seiner Mitglieder in der Verbraucherberatung bzw. die Verbraucherinteressen, auf jeden Fall aber nicht die Interessen einer Berufsgruppe oder eines Gewerbezweiges. Wenn das Sozialgericht meine, der Kläger sei als Verein wie ein Verband im Sinne der Gefahrtarifstelle 16 zu behandeln, dann verkenne es dabei, dass die Begriffe Kammer, Verband, Organisation in dieser Gefahrtarifstelle synonym verwandt würden und immer Vertretungen der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft gemeint seien, unabhängig von deren rechtlichen Ausgestaltung. Visualisiert könnte man den korrekten Inhalt der Gefahrtarifstelle auch so darstellen: (Kammer, Verband, Organisation) der freien Berufe und gewerblichen Wirtschaft. Die Zuordnung des Klägers zu dieser oder jener Gefahrtarifstelle sei gerade nicht nach dessen einzelnen Tätigkeiten vorzunehmen, weil dies das Prinzip des Gewerbezweig bezogenen Gefahrtarifs durchbrechen würde. Bei der Festlegung von Tarifstellen könne sich ein Unfallversicherungsträger zweier verschiedener Systeme bedienen. Beim Tätigkeitsprinzip würden einzelne oder mehrere Tätigkeitsarten einer Tarifstelle zugewiesen. Der große Nachteil dieses Prinzips sei der ungeheure Verwaltungsaufwand, mit dem die Tätigkeit ermittelt und überwacht werden müsse. Deshalb hätten alle gewerblichen Berufsgenossenschaften das Gewerbezweigprinzip umgesetzt, das an den Unternehmensgegenstand bzw. -zweck anknüpfe. Unter der dem Kläger zuzuordnenden Unternehmensart "Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen" würden im Wesentlichen Einrichtungen verstanden, die die Wahrnehmung und Förderung gemeinsamer Interessen ihrer Mitglieder zum Gegenstand hätten und deren Aktivitäten sich unter anderem erstreckten auf Vertretung gemeinsamer Interessen in der Öffentlichkeit und gegenüber anderen Institutionen und Organisationen, Durchführung geeigneter Veranstaltungen zur Erreichung der Ziele und Beratung der Mitglieder. Unternehmen wie z. B. Bürgerinitiativen, Schutzgemeinschaften, Verbraucherschutz, humanitäre Organisationen würden daher der Gefahrtarifstelle 20 zugeordnet werden. Vereine seien Unternehmen mit ideeller Zielsetzung. Bei ihnen sei Art und Gegenstand des Unternehmens ausnahmslos in der Satzung geregelt. Der Kläger verfolge den Zweck der Wahrnehmung und Verwirklichung humanistischer, sozialer, kultureller und ökologischer Interessen der Bürger durch Schaffung geeigneter Einrichtungen, Aufklärung der Verbraucher und außergerichtliche Besorgung von Rechtsangelegenheiten. Diese Zielsetzung lasse sich zwanglos unter den Begriff Zusammenschluss zur Verfolgung gemeinsamer Interessen fassen. Ihm stehe auch nicht entgegen, dass die Mitglieder des Klägers nicht etwa natürliche Personen seien, sondern 18 Vereine. Offenbar könne keine der 18 Mitgliedsvereine des Klägers wirksamen Verbraucherschutz betreiben, weshalb man sich zur Verfolgung dieses gemeinsamen Interesses zusammen getan habe. Unerheblich sei bei der Veranlagung des Klägers in den Gefahrtarif, ob und in welchem Umfang Tätigkeiten außerhalb von Büroräumen ausgeführt würden. Die konkreten Tätigkeiten seien gerade kein Zuordnungskriterium zu den Gefahrtarifstellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 2. April 2001 aufzuheben und die Klage sowohl gegen den Veranlagungsbescheid vom 31. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1998 als auch gegen die Beitragsbescheide vom 22. April 1999 (für das Jahr 1998), vom 25. April 2000 (für das Jahr 1999) und vom 25. April 2001 (für das Jahr 2000) abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und unter Abänderung des Veranlagungsbescheides vom 31. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1998 und der Beitragsbescheide vom 22. April 1999, 25. April 2000 und 25. April 2001 die Beklagte zu verurteilen für die Jahre 1998 bis 2000 bei der Beitragsberechnung die Gefahrtarifstelle 16 (Gefahrklasse 0,70) zu Grunde zu legen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten habe das Sozialgericht den in der Gefahrtarifstelle 16 enthaltenen Begriff des Verbandes zutreffend ausgelegt. Ebenso werde, entgegen der Auffassung der Beklagten, das Prinzip des Gewerbezweig bezogenen Gefahrtarifs mit der Zuordnung des Klägers zur Gefahrtarifstelle 16 nicht durchbrochen. Im juristischen Sprachgebrauch sei ein Verband die Sonderform eines Vereines. Der Begriff des Verbandes und seiner rechtlichen Grundlagen seien gesetzlich nicht geregelt. Als Verband werde die Vereinigung natürlicher und juristischer Personen bezeichnet, die die Interessen ihrer Mitglieder im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder wissenschaftlichen Bereich fördere. Dieses verdeutliche, dass der Begriff Verband sowohl im allgemein, als auch im juristischen Sprachgebrauch, weit gefasst sei und Vereinigungen meine, die die Interessen ihrer Mitglieder fördern. Die Ansicht der Beklagten, die Begriffe Kammer, Verband, Organisation der Gefahrtarifstelle 16 seien in Klammern zu setzen und der Zusatz der freien Berufe und gewerblichen Wirtschaft gelte für alle drei Begriffe, sei unzutreffend. Der Zusatz der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft beziehe sich nur auf den Begriff Organisation, der ohne diesen Zusatz keinen Sinn mache. Es sei ferner nicht zu beanstanden, wenn das erstinstanzliche Gericht die Zuordnung des Klägers zum Gefahrtarif nach dessen Tätigkeit vornehme. Zwar sei richtig, dass die Beklagte sich bei der Aufstellung ihres Gefahrtarifs für das Gewerbezweigprinzip entschieden habe. Das Gewerbezweigprinzip sei in den Gefahrtarifen der Berufsgenossenschaften allerdings in der Regel nicht ausnahmslos verwirklicht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

Die Berufung ist begründet. Die erstinstanzliche Entscheidung, in der die Beklagte wegen fehlerhafter Veranlagung zur Neuberechnung der Beitragsleistung nach der Gefahrtariftstelle 16 verurteilt worden ist, war aufzuheben.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Bewertung der Frage, ob eine Zuordnung zur Gefahrtarifstelle 20 rechtmäßig ist oder aber eine Zuordnung zur Gefahrtarifstelle 16 zu erfolgen hat. Abgewiesen hat das Sozialgericht die Klage, soweit sie auf die Rechtmäßigkeit des gesamten Gefahrtarifes abzielte. Diesbezüglich ist Rechtskraft eingetreten. Hiergegen hat weder der Kläger noch - verständlicherweise - die Beklagte Rechtsmittel eingelegt. Insofern ist es dem Senat verwehrt, den gesamten Gefahrtarif einer inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen.

Sowohl der Veranlagungsbescheid vom 31. März 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 1998 als auch die Beitragsbescheide für die Jahre 1998, 1999 und 2000, die die erfolgte Veranlagung in die Gefahrtarifstelle 20 umsetzen, sind rechtmäßig.

Der Senat hat hier auch über die Beitragsbescheide für die Jahre 1998 bis 2000 zu entscheiden, weil das Sozialgericht die Beklagte neben der Änderung der Veranlagung zur Neuberechnung verurteilt hat. Zwar ändern oder ersetzen die Beitragsbescheide den Veranlagungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht. Ihre Einbeziehung kann aber aus Gründen der Prozessökonomie geboten sein, wenn gegen sie dieselben Einwände erhoben werden, wie gegen den Veranlagungsbescheid (vgl. BSGE, 18, 93). Zum anderen muss sich der Senat dann mit den Beitragsbescheiden beschäftigen, wenn das Sozialgericht den Unfallversicherungsträger zur Neuberechnung verurteilt. Die Beteiligten sind mit dieser Verfahrensweise auch einverstanden. Weitere Beitragsbescheide sind jedoch nicht Verfahrensgegenstand und dies schon deshalb nicht, weil die Beteiligten insofern eine gesonderte Verfahrensweise vereinbart haben.

Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid ist § 159 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Nach dieser Norm veranlagt der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den einzelnen Gefahrklassen. Die den jeweiligen Gefahrtarifstellen zuzuordnenden Gefahrklassen sind aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten zu berechnen (§ 157 Abs. 3 SGB VII). Dass dies aber kein reiner Rechenakt ist, entspricht der, vom Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks 13/2204 S 73, 110 ff) kodifizierten Praxis der Unfallversicherungsträger, die auch vom BSG (Urteil vom 18. Oktober 1994 - 2 RU 6/94 -, in SGb. 1995, 253 ff) gebilligt wurde. Insofern handelt es sich nicht um bloßes Rechenwerk, sondern den Zusammenfluss rechnerischer und wertender bzw. gewichtender Faktoren. Das Zahlenwerk muss nicht nachrechenbar, wohl aber nachvollziehbar sein. Aufgrund der eingeschränkten Überprüfungsbefugnis der Gerichte bei Gefahrtarifen (BSGE 91, 128 ) kann nicht jeder Fehler bei der Aufteilung der Lohnsummen oder Unfalllasten Beachtung finden, andererseits muss das Zahlenmaterial als solches gesichert sein.

Der Ansicht des Sozialgerichts, dass der Kläger als Verband in die Gefahrtarifstelle 16 einzuordnen ist, kann der Senat nicht folgen. Es bedarf schon nicht der Auslegung, dass der Kläger nicht nur ein Verein, sondern auch ein Verband ist. Als Verein ist der Kläger ein Zusammenschluss zur Förderung gemeinsamer Interessen. Auch jeder Verband dient seiner Definition nach der Förderung gemeinsamer Interessen. Letztlich ist jeder Verein als Verband zu bewerten, wenn auch nicht jeder Verband ein Verein ist.

Die Gefahrtarifstelle 16 will jedoch nicht jedwede Vereinigung zur Verfolgung gemeinsamer Interessen erfassen, sondern nur die dort explizit genannten. Aus der Aufzählung in der Gefahrtarifstelle 16 geht für den Senat eindeutig hervor, dass es sich dabei allesamt um berufsbezogene Vereinigungen handelt, weil es keinen Sinn machen würde, berufsbezogene Organisationen generell mit Verbänden unterschiedlichster Ausrichtung in einer Gefahrtarifstelle zu vereinen. Zudem beinhaltet auch der dort genannte Begriff der Kammer ein berufsständisches Element, weshalb nicht ersichtlich ist, weshalb dieses zwar bei der Organisation (und Kammer), nicht aber bei einem Verband erforderlich sein soll. Im Übrigen würde die Regelung der Gefahrtarifstelle 20 bei der durch das Sozialgericht vorgenommenen Auslegung keinen Sinn machen.

Eine berufsbezogene Vereinigung ist der Kläger zweifelsohne nicht.

Wenn man der Argumentation des Sozialgerichts folgen würde, wäre die Gefahrtarifstelle 20 ohne eigenen Regelungsinhalt, weil die dort genannten Interessengruppierungen immer auch unter den Begriff Verband und damit die Gefahrtarifstelle 16 fallen würden. Dies war von der Beklagten weder beabsichtigt, noch kann sie von dem Betroffenen so verstanden werden, wenn er sich die Systematik des Gefahrtarifs mit den einzelnen Gefahrtarifstellen vergegenwärtigt. In der Gesamtschau wird deutlich, dass es ganz spezielle und dann allgemeinere Zuordnungen von Gewerbezweigen gibt. Besonders deutlich wird das Gefahrtarifsystem bei der Behandlung der Gewerkschaften. Die unter der Tarifstelle 29 allein genannten Gewerkschaften sind als Vereine organisiert und könnten daher unter die Gefahrtarifstelle 20 fallen als Organisation zur Verfolgung gemeinschaftlicher Interessen. Zudem sind sie ein Verband und dienen damit der Verfolgung beruflicher Interessen, was für die Gefahrtarifstelle 16 sprechen würde. Gleichwohl kann sich die Beklagte nicht aussuchen, wo sie die Gewerkschaften eingruppiert. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten muss der jeweils spezielleren Gefahrtarifstelle der Vorzug gegeben werden unabhängig von der Höhe der Gefahrenklasse. Bezogen auf den Kläger bedeutet das aber, dass mangels einer spezielleren Regelung die Gefahrtarifstelle 20 zum Tragen kommt.

Inwieweit es rechtlich korrekt ist, die Gewerkschaften in einer eigenständigen Tarifstelle zu führen, wenn sie eventuell dazu beitragen könnten, das Risiko in einer anderen, ebenfalls auf sie zutreffenden Tarifstelle zu minimieren, kann dahingestellt bleiben, weil das Gesamtvertragswerk nicht zur Überprüfung steht.

Anhaltspunkte dafür, dass das für die Tarifstelle 20 verwendete Zahlenmaterial falsch sein könnte, hat der Senat nicht. Zwar ist die pauschalierende Argumentation des Klägers auf den ersten Blick nachvollziehbar, wenn er für sein Unternehmen ein ähnlich hohes Risiko wie bei Berufsverbänden oder Gewerkschaften sieht, die jedoch in anderen Gefahrtarifstellen mit niedrigerer Gefahrklasse eingruppiert sind. Die einzelnen Gefahrenklassen errechnen sich aber anhand der gezahlten Lohn- und Entschädigungssummen, die die Beklagte für alle Gefahrtarifstellen vorgelegt hat und die der Senat im Einzelnen nicht nachzuprüfen hat. Das in der Gefahrtarifstelle 20 verwendete Zahlenmaterial rechtfertigt die errechnete Gefahrenklasse. Die entsprechende Lohnsumme ist dabei genügend groß gewählt worden, um eine gerechte Risikoverteilung zu gewährleisten. Eine willkürliche Aufteilung oder eine nicht sachgerechte Beurteilung ist nicht erkennbar.

Es ist auch nicht systemfremd, den Kläger in die Gefahrtarifstelle 20 einzustufen. Die anderen dort erfassten Organisationen (Elternverbände, Mietervereine etc.) sind ebenfalls Interessenverbände mit ähnlich hohem Risiko wie der Kläger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen einer Vielzahl betroffener Verbraucherzentralen zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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