L 6 KR 696/01

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 20 KR 2129/99
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 696/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ist eine gesetzliche Krankenkasse zur Übernahme der Kosten einer Therapie unter Anwendung von Thymoject und selenase nicht verpfflichtet.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. September 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenfreistellung für eine Thymuspeptid-Therapie unter Verwendung von aus dem Kalbsthymus gewonnenem Organhydrolysat, das u.a. unter den Bezeichnungen Thymoject oder Thym-Uvocal als Fertigarzneimittel vertrieben wird und einem Selen-Präparat.

Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet u.a. an chronisch-obstruktiver eitriger Bronchitis (COPD) mit zunehmend rezidivierend fieberhaften Exazerbationen, Brochiektasie insbesondere des linken Unterlappens mit Pseudomonas aeruginosa-Besiedelung, latenter pulmonaler Hypertonie, chronischer Sinusitis maxillaris beiderseits, stereoidinduzierter Nebennierenrindeninsuffizienz, chronischen Lumboischialgien rechts bei Spinalstenose L 4/5 und Osteochondrose sowie chronischer respiratorischer, seit 1995 O2-bedürftiger respiratorischer Osteochondrose.

Am 27. Juli 1998 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Therapie mit dem Thymuspräparat Thymoject zur Behandlung seiner chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung. Diese lehnte die Kostenübernahme am 22. Oktober 1998 nach Einholung eines Gutachtens des Dr. U. vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) Thüringen vom 20. Oktober 1998 ab.

Unter dem 2. November 1998 beantragte die Hausärztin des Klägers, Dipl.-Med. M., die Durchführung einer "Kur" mit dem Präparat Thym-Uvocal.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein Gutachten der Dr. W. vom MDK Thüringen vom 9. März 1999 ein, wonach das Arzneimittel Thym-Uvocal niedermolekulare Thymuspeptide enthalte und in Deutschland im Sinne einer fiktiven Verkehrsfähigkeit zur spezifischen Immunstimulierung bei primärer Immundefizienz bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen, als Zusatztherapie bei Tumoren und Präkanzerosen, Folgeschäden nach Bestrahlung und Behandlung mit Medikamenten mit immunsupressiver Wirkung zugelassen sei. Die Anwendung von Thym-Uvocal bei der Erkrankung des Klägers (schweres Asthma und Emphysembronchitis) betreffe nicht diese zugelassenen Indikationen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Auf die Klage hat das Sozialgericht einen Befundbericht der Dipl.-Med. M. vom 11. Juli 2000 eingeholt, nach dem diese dem Kläger die Präparate dringend zur Stärkung des Immunsystems angeraten habe.

Nach einer Auskunft des Herstellers von Thymoject (b. Arzneimittel GmbH) vom 2. Oktober 2000 ist dieses für Erkrankungen, die mit einem Immundefekt verbunden sind, wie z. B. Tumore, rheumatische Erkrankungen, allergische Erkrankungen, endokrine Regulationsstörungen sowie als Geriatrikum indiziert.

Nach der von Dipl.-Med. M. ausgestellten undatierten ärztlichen Bescheinigung nebst anliegendem Rezept vom 9. März 2001 hat diese eine biologische Regenerationskur, die eine Infusionstherapie mit Thymoject und selenase 100 pro injectione über fünf Wochen umfasse, empfohlen.

Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, Arbeitsausschuss "Arzneimittel", hat in seiner Auskunft vom 26. September 2001 mitgeteilt, dass kein aussagefähiges und wissenschaftlich evaluiertes Erkenntnismaterial über Qualität und Verbreitungsgrad der Thymustherapie vorliege, das zur Beurteilung im Rahmen der Anerkennung der Behandlungsmethode herangezogen werden könne.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. September 2001 abgewiesen.

Mit seiner Berufung trägt der Kläger vor, sein Zustand habe sich hinsichtlich der Atemwegserkrankungen weiter verschlechtert. Eine Therapie mit Thymuspräparaten sei medizinisch notwendig und zweckmäßig, weil die jahrelange intensive Behandlung mit Antibiotika und Cortison nicht erfolgreich gewesen sei und das Immunsystem weitgehend zerstört habe. Der Gesetzgeber habe die Thymus-Therapie gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Dementsprechend habe das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 1989 (Az.: 3 RK 19/87) ausgeführt, dass die Behandlung mit Thymusextrakten zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne des Krankenversicherungsrechts sei, obwohl diese Mittel in den Arzneimittelrichtlinien nicht vorgesehen seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 27. September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von den Kosten einer Biologischen Regenerationskur, die eine Infusionstherapie mit Thymoject und selenase 100 pro injectione über 5 Wochen umfasst, freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich im wesentlichen auf die Gründe des in erster Instanz ergangenen Urteils. Eine Thymustherapie sei nach Nr. 17.1 Buchst. m der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien/AMR) in der Fassung vom 31. August 1993, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 246 vom 31. Dezember 1993) nicht verordnungsfähig, weil die Voraussetzungen für die Notwendigkeit dieser Therapie und der therapeutische Nutzen nicht gegeben seien.

Der Senat hat einen ärztlichen Befundbericht des Prof. Dr. Bonnet vom 12. Juli 2002 und eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 5. November 2002 eingeholt. Demnach handelt es sich bei dem Präparat Thymoject um ein Organhydrolysat im Sinne von Nr. 17.1 Buchst. m AMR, das sich im Nachzulassungsverfahren befinde und nach Recherche in der Datenbank des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) für folgende Anwendungsgebiete verkehrsfähig sei: Erkrankungen, die mit einem Immundefekt verbunden sind, z. B. rheumatische Erkrankungen, bösartige Tumore, allergische Erkrankungen, endokrine Regulationsstörungen, z. B. Funktionsstörungen der Schilddrüse, Blutdruckanomalien, Entwicklungsstörungen des Kindes, z. B. Mongolismus, Geriatrikum, z. B. Abnutzungserscheinungen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Therapie unter Anwendung von Thymoject und selenase pro 100 pro injectione.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V ist die beklagte Krankenkasse zur Versorgung des Versicherten mit dem für die Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Eingeschränkt ist die Verpflichtung durch die §§ 2 Abs. 2 und 12 Abs. 1 SGB V (vgl. BSGE 82, 233, 235 f.). Sie erfasst insofern nur solche Leistungen, die für die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen das verkehrsfähige Fertigarzneimittel Thymoject gemäß Nr. 17.1 Buchst. m AMR als Organhydrolysat im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht als verordnungsfähig eingestuft hat. Denn gemäß Nr. 17 AMR fehlen für das Arzneimittel im Allgemeinen die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie, für deren therapeutischen Nutzen oder es kann das Behandlungsziel ebenso auch durch nicht medikamentöse Maßnahmen erreicht werden.

Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers kommen den vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erstellten Richtlinien Normqualität in dem Sinne zu, dass sie nicht nur innerhalb des Leistungserbringer-, sondern auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (vgl. BSGE 78, 70; BSGE 82, 41, 47 f. und BSGE 85, 36). Dies gilt auch für die AMR (vgl. BSGE 81, 240, 242). Die von dem Kläger zitierte Entscheidung des BSG vom 9. Februar 1989 (BSGE 64, 255), die auf Grundlage des § 182 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die AMR nur als Vorschriften untergesetzlichen Rechts wertete, ist überholt.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Thymustherapie auch als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V zu werten ist. Denn unterstellt, dieses träfe zu, darf sie nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V (Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL)) zumindest bis zum Behandlungsbeginn (nur auf diesen Zeitpunkt kommt es an (vgl. BSG vom 28. März 2000 - Az.: B 1 KR 18/99 B)) Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Ausweislich der vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 26. September 2001 dem Sozialgericht gegenüber erteilten Auskunft lag bis dato eine entsprechende Empfehlung nicht vor. Der Bundesausschuss verfügte über kein aussagefähiges und wissenschaftlich evaluiertes Erkenntnismaterial, welches die Grundlage für eine Anerkennung der Behandlungsmethode bilden könnte.

Die Beklagte ist auch nicht deshalb zur Leistung verpflichtet, weil ein Mangel im gesetzlichen Leistungssystem - weil das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde - vorliegt. Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesausschuss entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung bisher nicht entsprechend tätig geworden ist; auch dem Senat ist eine entsprechende Sachlage nicht bekannt.

Dass nach der undatierten Bescheinigung der behandelnden Dipl.-Med. M. eine von ihr so bezeichnete Biologische Regenerationskur unter Verwendung des Arzneimittels Thymoject in Kombination mit der Gabe von selennase 100 pro injectione durchgeführt werden soll, ändert nichts hat an dieser Beurteilung. Denn der therapeutische Nutzen und die Wirtschaftlichkeit einer Behandlungsweise ist nur auf Grund einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller zugehörigen Leistungen zu bewerten. Die veranlassten Leistungen wie der Einsatz eines (weiteren) Medikaments sind Bestandteil der einheitlichen, unter Verantwortung des Arztes stehenden Behandlung, deren Zweckmäßigkeit als Ganzes zu beurteilen ist (vgl. BSGE 86, 54).

Ob die vorgesehene Anwendung von Thymoject möglicherweise nicht mit dessen Indikation übereinstimmt, ist unerheblich. Denn ein solcher Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung wäre u.a. nur gerechtfertigt, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vgl. BSGE 89, Seite 184). Hierfür gibt es angesichts von Nr. 17.1 Buchst. m AMR keinen Anhalt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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