L 13 V 4/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 44 V 23/93
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 V 4/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz -BVG-.

Der Kläger ist der Rechtsnachfolger seiner am 17. November 1995 verstorbenen Mutter, Frau H S, die am 4. Dezember 1990 Hinterbliebenenrente gemäß § 38 Abs. 1 BVG nach ihrem am 29. März 1950 verstorbenen Ehemann A S (A. S.) beantragt hatte.

Die Antragstellerin hatte ihren Antrag u.a. mit einem Bescheid der Versicherungsanstalt Berlin - VAB - vom 12. März 1952 begründet, in dem es heißt, dass aufgrund des § 34 der Verordnung des Magistrats von Groß -Berlin vom 22. Februar 1950 über Leistungen an Kriegsbeschädigte und deren Hinterbliebene (Magistrats-Verordnung -KbV-) anerkannt werde, dass der Tod des A. S., geboren am 31. Dezember 1904, mit militärischem oder mit militärähnlichem Dienst im Sinne des § 1 KbV ursächlich zusammenhänge. Ein Anspruch auf Kriegswitwenrente wurde seinerzeit nur deshalb versagt, weil die sonstigen - hier nicht relevanten - Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Mit Rentenbescheid vom gleichen Tage wurde ihr aber eine Waisenrente für den am 31. Oktober 1943 geborenen Kläger aus Anlass des Todes seines Vaters bewilligt.

Der Beklagte gewährte der Antragstellerin zunächst durch den Vorbehaltsbescheid vom 12. März 1992 mit Wirkung ab 1. Januar 1991 vorläufige Versorgungsleistungen. Nach weiteren Ermittlungen, insbesondere zu den Folgeschäden der Kriegsgefangenschaft, wurde der Rentenantrag dann durch Bescheid vom 5. November 1992 abgelehnt und der Vorbehaltsbescheid aufgehoben. Die zum Tode führenden Erkrankungen des früheren Kriegsteilnehmers A. S., eine Herzmuskelschwäche und ein Lungenödem, seien nicht als Schädigungsfolge nach dem BVG nachgewiesen. Es könne mithin nicht von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen den wehrdienstlichen Einflüssen bzw. den besonderen Umständen der Kriegsgefangenschaft und dem Tode des A. S. ausgegangen werden.

Der Widerspruch der Antragstellerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1993).

In dem hieran sich anschließenden Klageverfahren kam es dann zu weiteren medizinischen Ermittlungen, u.a. zu dem von Amts wegen eingeholten Aktenlagegutachten des Internisten Prof. Dr. D vom 20. November 1995 und des Kardiologen/Internisten Dr. H vom 19. Mai 1999. Beide Sachverständige vertraten die Auffassung, es lasse sich kein Ursachenzusammenhang zwischen dem Tode des A. S. und möglichen gesundheitlichen Kriegsfolgeschäden herstellen.

Das Sozialgericht hat den Beklagten unter Aufhebung der dem entgegenstehenden Bescheide durch das Urteil vom 6. März 2001 dazu verurteilt, dem Kläger als Rechtsnachfolger seiner während des Rechtsstreits verstorbenen Mutter Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 30. November 1995 zu leisten. Es könne dahinstehen, ob der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Tode des A. S. und den Bedingungen seiner Kriegsgefangenschaft erbracht worden sei. Der Beklagte sei jedenfalls voll umfänglich an die Entscheidung der VAB vom 12. März 1952 gebunden. Die vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland im Beitrittsgebiet ergangenen Verwaltungsakte seien gemäß Art. 19 des Einigungsvertrages -EV- grundsätzlich wirksam und würden den jeweils zuständigen Rechtsnachfolger binden. Bei der dem Bescheid vom 12. März 1952 zugrundeliegenden Regelung über Leistungen an Kriegsbeschädigte und deren Hinterbliebene habe es sich um eine versorgungsrechtliche Regelung gehandelt, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Tod des A. S. und seiner Kriegsgefangenschaft mit bindender Wirkung für den Beklagten als Rechtsnachfolger der VAB in diesem Funktionszusammenhang festgestellt habe. Ein Vergleich des Wortlauts der Vorschriften der KbV, insbesondere des § 1, und den Vorgaben in § 1 BVG zeige, dass Leistungsansprüche in beiden Vorschriften den gleichen Voraussetzungen unterlägen und dass zur Feststellung des Leistungsanspruches die Wahrscheinlichkeit genüge, dass die Gesundheitsbeschädigung oder der Tod mit einem der dort genannten Ereignisse ursächlich zusammenhänge. § 85 BVG stehe dieser Entscheidung nicht entgegen, denn diese Vorschrift werde von der Regelung des Art. 19 Abs. 1 EV verdrängt.

Gegen das am 28. März 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 11. April 2001. Nach Nr. 2 der Verwaltungsvorschrift (VV) zu § 85 BVG erstrecke sich die Rechtsverbindlichkeit der früheren Entscheidung nur auf den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG. Eine frühere Entscheidung sei nicht rechtsverbindlich für die Frage, ob eine Schädigung vorgelegen habe oder ob der Beschädigte zu dem nach dem BVG versorgungsberechtigten Personenkreis gehöre. Im Einigungsvertrag sei nur geregelt, dass die Ablehnung eines Ursachenzusammenhangs nicht verbindlich sein solle. Das zwinge nicht im Hinblick auf jede Anerkennung eines Kriegsleidens in der ehemaligen DDR zu dem Umkehrschluss, dass der Ursachenzusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG als verbindlich festgestellt gelten müsse. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG müsse sowohl ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem militärischen bzw. militärähnlichen Dienst und der Schädigung als auch zwischen der Schädigung und der geltend gemachten Gesundheitsstörung feststehen. Hier sei eine Schädigung des A. S. aufgrund der im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten zu verneinen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Versorgungsakte des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch als Rechtsnachfolger seiner Mutter auf eine ihr bis zu ihrem Tode zustehende Witwenrente nach § 38 Abs. 1 BVG.

Ein Leistungsanspruch des Klägers lässt sich zunächst einmal nicht damit begründen, dass der Beklagte der Mutter des Klägers bereits Versorgungsbezüge gewährt hatte. Sein Bescheid vom 12. März 1992 entfaltete keine Bindungswirkung im Sinne des § 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG- und präjudizierte auch nicht die spätere endgültige Entscheidung. Der Vorbehaltsbescheid, dessen Rechtsgrundlage sich aus § 42 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, ergibt, verlor seine Wirkung mit dem endgültigen Bescheid und entfaltete eine Bindungswirkung nur bis zu dem das Verwaltungsverfahren abschließenden - hier streitigen - Bescheid vom 5. November 1992 (vgl. u.a. BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr. 2 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts lässt sich der Anspruch des Klägers auch nicht mit einer Bindungswirkung des Bescheides der Versicherungsanstalt B vom 12. März 1952 rechtfertigen, mit dem entschieden worden war, dass der Mutter des Klägers kein Rentenanspruch als Kriegswitwe zustehe, obwohl anerkannt wurde, dass der Tod ihres Ehemannes mit militärischem oder militärähnlichem Dienst im Sinne des § 1 der Magistrats-Verordnung vom 22. Februar 1950 über Leistungen an Kriegsbeschädigte und deren Hinterbliebene zusammenhänge. Anders als das Sozialgericht hält das erkennende Gericht insoweit Art. 19 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl. II Seite 889 ff) nicht für einschlägig, sondern die Vorschrift des § 85 BVG.

Zutreffend ist, dass nach Art. 19 EV die vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im Beitrittsgebiet ergangenen Verwaltungsakte grundsätzlich wirksam bleiben. Mit dem Sozialgericht hat auch der erkennende Senat keinen Zweifel daran, dass der von der VAB (-Ost) erlassene Bescheid vom 12. März 1952 ein im Beitrittsgebiet ergangener Bescheid ist. Der Beklagte ist hieran entgegen der Auffassung des Sozialgerichts jedoch nicht gebunden, weil § 85 BVG gilt. Nach dieser Vorschrift hat die Versorgungsverwaltung eine Entscheidung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des BVG (es ist am 1. Oktober 1950 in Kraft getreten, die Magistrats-Verordnung gilt frühestens seit dem 22. Februar 1950) als rechtsverbindlich hinzunehmen, soweit mit ihr nach versorgungsrechtlichen Vorschriften, die vor dem 1. Oktober 1950 gegolten haben, die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung (wie sie jetzt § 1 BVG beschreibt), bejaht worden ist.

Der Senat lässt es hier dahinstehen, ob es sich bei dem zur Grundlage des Bescheides vom 12. März 1952 gemachten § 34 der Magistrats-Verordnung um eine versorgungsrechtliche Vorschrift im Sinne des § 85 BVG handelt. Seine grundsätzliche Anwendung scheitert auch nicht daran, dass Art. 19 EV die spezialgesetzliche Vorschrift ist. § 85 BVG ist gleichwohl anwendbar. Das folgt aus Anlage 1 zum EV, Kapitel VIII, Sachgebiet K (Soziales Entschädigungsrecht und Rehabilitation) Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe h. Danach gilt § 85 BVG nicht für eine den ursächlichen Zusammenhang verneinende Entscheidung. Da hier eine den Ursachenzusammenhang bejahende Entscheidung vorliegt, ist im Umkehrschluss aus der genannten Bestimmung des EV § 85 BVG anwendbar (BSG SozR 3-3100 § 85 BVG Nr. 1 unter Hinweis auf Sailer in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage 1992, § 85 BVG Rdnr. 11).

Eine Rechtsverbindlichkeit des Verwaltungsaktes vom 12. März 1952 gemäß § 85 BVG kommt aus anderen Gründen nicht in Betracht. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift besteht nur eine Bindung an den Teil der Entscheidung, der über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG eine Aussage trifft. Die frühere Entscheidung ist also nicht in vollem Umfang für eine Beurteilung nach dem Bundesversorgungsgesetz von Bedeutung. Es muss sowohl ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem militärischen Dienst (oder einem vergleichbaren Tatbestand) und der Schädigung (erstes Glied der Kausalkette) als auch zwischen der Schädigung und der Gesundheitsstörung (zweites Glied der Kausalkette) bestehen. Es muss mithin ein Zusammenhang bestehen zwischen dem zur frühzeitigen Entlassung des A.S. aus der Kriegsgefangenschaft führenden Zustand und seinem Tod. Nach den nach Aktenlage zu treffenden Feststellungen war die Entlassung des A.S. wegen Dystrophie und Abmagerung erfolgt, während sein Tod einer Herzwassersucht zuzuschreiben war. Es fehlt mithin an einer Erfüllung der zweiten Kausalkette. Das ergibt sich zur Überzeugung des Senats nicht nur aus dem Ergebnis der vom Sozialgericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten sondern auch aus dem von A.S. im Jahre 1948 betriebenen Verfahren auf Anerkennung als Schwerbeschädigter, das von ihm allein mit orthopädischen Beschwerden begründet worden war. Hingegen wird sein allgemeiner Zustand im Untersuchungsbefund vom 3. August 1948 als genügend beschrieben. Hier findet sich kein Hinweis auf einen Kriegsfolgeschaden.

Wegen der Unvollständigkeit der zweiten Kausalkette ist nicht nach § 85 BVG rechtsverbindlich festgestellt, dass der Tod des A.S. im Zusammenhang mit den dem Militärdienst bzw. der Kriegsgefangenschaft eigentümlichen Verhältnissen gestanden hat. Das hat auch der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend so gesehen und dem Kläger zu Recht einen Versorgungsanspruch versagt.

Der Anspruch des Klägers lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass ihm durch den Rentenbescheid der VAB vom 12. März 1952 eine Waisenrente aus Anlass des Todes seines Vaters zuerkannt worden war. Auch hieraus lässt sich keine Bindungswirkung im Sinne des § 85 BVG herleiten. Diese Vorschrift gilt zunächst nur für den Beschädigten selbst, ist aber im Wege der ausdehnenden Auslegung auch auf die Fälle anzuwenden, in denen schon nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften über den Anspruch der Hinterbliebenen und damit über den ursächlichen Zusammenhang des Todes des Beschädigten mit einem schädigenden Vorgang entschieden worden ist (BSGE 8 S. 16, 18). Allerdings erstreckt sich die Bindungswirkung einer Entscheidung über eine Waisenrente nicht auf die Entscheidung über die Witwenrente (BSGE 11 S. 194 ff.). Im Übrigen enthält auch dieser Bescheid ebenso wie der an die Mutter des Klägers gerichtete Bescheid vom gleichen Tage keine rechtsverbindliche Aussage über eine Verknüpfung der zum Tode führenden Gesundheitsstörung des A. S. und seiner in der Kriegsgefangenschaft erworbenen Erkrankungen.

Die Berufung des Beklagten musste nach alledem Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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