L 6 RA 272/04

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 7 RA 1435/02
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 RA 272/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine gesetzlich fingierte Anwartschaft auf eine Altersversorgung der technischen Intelligenz scheidet bei einem Diplomingenieurökonomen, der ab 1. Mai 1990 als Wachmann beschäftigt war, aus. Zum relevanten Stichtag (30. Juni 1990) fehlt es an der der Berufsbezeichnung entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 9. Februar 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr. 1 bis 26 zum Anspruchs- und Anwartschafts-überführungsgesetz (AAÜG) nach § 8 AAÜG Beschäftigungszeiten vom 1. September 1965 bis zum 30. April 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und die in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.

Der 1935 geborene Kläger hat am 13. Juli 1965 nach Besuch der B.akademie F. den Titel des Diplomingenieurökonomen erworben. Vom 1. August 1965 bis zum 31. August 1966 war er als Diplomingenieurökonom beim VEB Z. R., vom 1. September 1966 bis zum 31. August 1968 in verschiedenen Funktionen beim VEB E. S. und seit dem 1. September 1968 bis zum 31. Dezember 1989 in leitenden Funktionen beim VEB P. tätig. Laut Sozialversicherungsausweis arbeitete der Kläger ab dem 1. Januar 1990, nach eigenen Angaben ab dem 1. Mai 1990, dort als Wachmann.

Eine Versorgungszusage erhielt er vor Schließung der Versorgungssysteme nicht. Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) zahlte er ab dem 1. Januar 1975.

Im August 2001 beantragte der Kläger die Feststellung seiner Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz. Mit Feststellungsbescheid vom 16. Juli 2002 lehnte die Beklagte die Feststellung von Zeiten als nachgewiesene Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. November 2002).

Mit Urteil vom 9. Februar 2004 hat das Sozialgericht Meiningen die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren vertritt der Kläger die Ansicht, weil er am 30. Juni 1990 nicht als Ingenieur sondern als Wachmann tätig gewesen sei, finde auf ihn § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG Anwendung. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG fingiere insoweit das Fortbestehen einer Versorgungsanwartschaft, "soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen". Dieser sei hier der Fall.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 9. Februar 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2002 aufzuheben und die Beschäftigungszeit vom 1. September 1965 bis zum 30. April 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 (zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz nach Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG)) und die in dieser Zeit erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Kläger am 30. Juli 1990 nicht in einer zusatzversorgungsrelevanten, das heißt einer (ingenieur-) technischen Beschäftigung in einem produzierenden VEB tätig war.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einschließlich der in diesem Zeitraum nachgewiesenen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt. Die Vorschriften des AAÜG sind auf ihn nicht anwendbar.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden haben. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG gilt, war ein Verlust der Versorgungsanwartschaften deswegen eingetreten, weil die Regelungen des Versorgungssystems ihn bei einem Ausscheiden vor dem Leistungsfall vorsahen, dieser Verlust als nicht eingetreten.

Der Kläger erfüllt nach dem Wortlaut der Vorschrift beide Voraussetzungen nicht. Er war am 1. August 1991, dem Datum des Inkrafttretens des AAÜG, nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft. Eine Einzelfallentscheidung, durch die ihm eine Versorgungsanwartschaft zuerkannt worden war, liegt nicht vor. Er hat weder eine positive Statusentscheidung der Beklagten erlangt, noch hatte er eine frühere Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages (EV) bindend gebliebenen Verwaltungsakts. Er war auch nicht auf Grund eines Einzelvertrags oder einer späteren Rehabilitationsentscheidung in das Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz einbezogen worden. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Ein Anwendungsfall einer gesetzlich fingierten Anwartschaft ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund einer Beschäftigung in der DDR zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung erfüllt hatte; der Betroffene muss vielmehr nach den Regeln des Versorgungssystems tatsächlich einbezogen worden und nach erfolgter Einbeziehung später ausgeschieden sein (vgl. Bundessozialgericht (BSG) vom 29. Juli 2004 -Az.: B 4 RA 12/04 R, nach juris). Nach § 3 Abs. 5 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 (nachfolgend: 2. DB z. ZAVO-techInt, GBl Nr. 62, S. 487) erfolgte die Erteilung einer Versorgungszusage ausschließlich durch Aushändigung eines "Dokuments über die zusätzliche Altersversorgung". Ein solches Dokument (Versicherungsurkunde) ist dem Kläger nicht ausgehändigt worden. Mangels vorheriger Einbeziehung konnte der Kläger daher nicht aus einem Versorgungssystem in diesem Sinne ausscheiden (vgl. BSG, a.a.O.).

Der Kläger war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft, wie sie sich aus der vom 4. Senat des BSG vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG herleitet.

Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 nicht in ein Versorgungssystem einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht aufgrund originären Bundesrechts (z. B. Art. 17 EV) einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. BSG vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 31/01 R, Az.: B 4 RA 41/01, Az.: B 4 RA 3/02 R, BSG vom 10. April 2002 - Az.: B 4 RA 34/01 R, Az.: B 4 RA 10/02 R, nach juris).

Der Kläger hat am 1. August 1991 die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (ZAVO-techInt, GBl. Nr. 93 S. 844) nicht erfüllt.

Dies ist nur dann der Fall, wenn nach § 1 ZAVO-techInt i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB z. ZAVO-techInt drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss am 30. Juni 1990 eine bestimmte Berufsbezeichnung (persönlichen Voraussetzung) und eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung). Die Tätigkeit oder Beschäftigung muss am 30. Juni 1990 bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens, verrichtet worden sein (betriebliche Voraussetzung (vgl. BSG vom 8. Juni 2004 – Az.: B 4 RA 56/03 R; BSG vom 18. Juni 2003 - Az.: B 4 RA 1/03 R; ebenso z.B.: BSG vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 32/01 R und vom 10. April 2002 - Az.: B 4 RA 10/02 R oder vom 18. Juni 2003 - Az.: B 4 RA 50/02 R)).

Hier fehlt es jedenfalls an der sachlichen Voraussetzung. Der Kläger, der berechtigt war den Titel des Ingenieurs zu führen, war am 30. Juni 1990 nicht als Ingenieur sondern als Wachmann in einem volkseigenen Betrieb beschäftigt. Insoweit bedarf es hier keiner Entscheidung darüber, ob der VEB P. ein volkseigener Produktionsbetrieb oder ein nach § 1 Abs. 2 der 2. DB z. ZAVO-techInt gleich gestellter Betrieb war. Der Kläger hätte demnach nach der zu diesem Zeitpunkt gegebenen Sachlage mangels Ausübung einer Ingenieurstätigkeit keinen (fiktiven) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt. Er war nach den Regelungen der ZAVO-techInt und der 2. DB z. ZAVO-techInt nicht Angehöriger der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben.

Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) liegt gegenüber denjenigen die mit entsprechender Qualifikation in das Zusatzversorgungssystems einbezogen wurden und gegenüber den Personen, die diese drei Voraussetzungen nach der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage erfüllten, nicht vor.

Das Bundessozialgericht hat § 1 Abs. 1 AAÜG verfassungskonform ausdehnend so ausgelegt, dass eine Versorgungsanwartschaft "aufgrund der Zugehörigkeit" bei am 30. Juni Nichteinbezogenen nicht nur in den Fällen der Gleichstellung durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG und der Versorgungsanwartschaften aus Systemen ohne konkreten Einbeziehungsakt besteht, sondern auch dann, wenn jemand auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 31. Juli 1991 gegebenen bundesrechtlichen Rechtslage einen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme gehabt hätte, wenn derjenige also am 30. Juni 1990 kraft Gesetzes Leistungen aus dem Versorgungssystem hätte beanspruchen können, das heißt obligatorisch im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" und ohne Entscheidung des Versorgungsträgers in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen (vgl. stellvertretend hierzu: BSG vom 9. April 2002 - Az.: B 4 RA 31/01 R, nach juris).

Eine Gleichstellung weiterer Personengruppen, die - wie etwa der Kläger - am 30. Juni 1990 keine dem Zusatzversorgungssystem entsprechende Beschäftigung verrichtet haben und deshalb nach den zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen die Voraussetzungen für eine (fiktive) Versorgungsanwartschaft Nichteinbezogener nicht erfüllten, ist nach dem Grundgesetz nicht geboten (vgl. BSG vom 8. Juni 2004 - Az.: B 4 RA 56/03 R, nach juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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