S 40 U 67/00

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 67/00
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 23/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird festgestellt, dass die Beklagte für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen vom 07.09.1995 der zuständige Unfallversicherungsträger ist. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, welcher Unfallversicherungsträger für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen vom 07.09.1995 zuständig ist.

Die 1977 geborene Beigeladene begann ab dem 03.08.1995 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Altenpflegerin in Thüringen. Die Ausbildungsstätte war das A. Senioren- und Pflegeheim H ... Der theoretische Berufs-schulunterricht sollte in der E.-Schule gGmbH P. erfolgen. Am 07.09.1995 befand sich die Beigeladene auf dem Weg von ihrem Wohnort zu der E.-Schule in P., als sie mit ihrem Wagen von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum prallte. Hierbei zog sie sich erhebliche Verletzungen zu, die unter anderem zu einer laufenden Verletztenrente führten.

Am 25.09.1995 erstattete die zuständige Krankenkasse der Beigeladenen eine Unfallanzeige an die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Die BGW leitete die Unfallanzeige am 05.10.1995 an die Beklagte weiter, weil sie ihre Zuständigkeit annahm. Mit Schriftsatz vom 03.11.1995 übersandte die Beklagte die Unterlagen über den Arbeitsunfall an die Klägerin, weil sie die Klägerin für die Entschädigung des Arbeitsunfalles der Beigeladenen für zuständig hielt.

Mit Schriftsatz vom 11.03.1999, eingegangen am 15.03.1999, teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie nach ihren weiteren Ermittlungen davon ausgehe, dass die Abgabe der Unterlagen an die Klägerin zur Entschädigung des Arbeitsunfalles zu Unrecht erfolgt sei. Im Einzelnen führte die Klägerin aus, die Beigeladene habe sich am Unfalltage auf dem Weg zur Berufsschule befunden. Die im Mitgliedskataster der Klägerin erfasste Berufsschule (E.-Schule P. gGmbH) sei im Falle der Beigeladenen nicht als Maßnahmeträger einer durch das Arbeitsamt geförderten Bildungsmaßnahme aufgetreten, sondern als reine Berufsschule.

Somit habe die Beigeladene zum Unfallzeitpunkt nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 c Reichsversicherungsordnung (RVO) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, wobei sich für den Besuch der Berufsschule nach § 657 Abs. 1 Nr. 5 RVO die Zuständigkeit der Beklagten ergeben würde.

Mit Schriftsatz vom 17.03.1999 sandte die Beklagte der Klägerin die Unterlagen zum Unfall der Beigeladenen erneut mit der Begründung zurück, die Klägerin sei für die Entschädigung zuständig. Bei der E.-Schule P. habe es sich um eine private berufsbildende Schule gehandelt, sodass nach dem anzuwendenden Recht der RVO die Zuständigkeit bei der Klägerin gelegen habe.

Nachdem im weiteren Verlauf keine Einigung über die Zuständigkeit erzielt werden konnte und nachdem die Beklagte einen Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung erklärte, hat die Klägerin am 08.02.2000 eine Feststellungsklage erhoben.

Sie vertritt die Auffassung, dass die Beigeladene bei dem Besuch der E.-Schule P. ihrer gesetzlichen Berufsschulpflicht nachkam. Aus § 655 Abs. 1 RVO i. V. m. § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO ergebe sich daher die Zuständigkeit der Beklagten. Zwar werde die E.-Schule P. in ihrer Gesamtheit nicht auf Kosten des Landes oder in dessen Auftrag durchgeführt, dies sei jedoch auch nicht notwendig, da der Gesetzeswortlaut "in seinem Auftrag" dahingehend auszulegen sei, dass das Unternehmen nicht eine Schule insgesamt sein müsse, sondern auch ein einzelner Teil der Ausbildung hierunter fallen könne. Für den von der Beigeladenen besuchten theoretischen Unterricht ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin - der Berufsschulbildung im Rahmen ihrer gesetzlichen Schulpflicht - sei das Land Thüringen eindeutig der Sachkostenträger der Maßnahme und damit sei die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger.

Weiter trägt die Klägerin vor, die E.-Schule P. führe den Berufsschulunterricht "im Auftrage" des Thüringer Ministeriums für Soziales und Gesundheit durch und erhalte dafür vom Kultusministerium des Landes Lehrgangsgebühren (es sei davon auszugehen, dass das Lehrmaterial wie Bücher usw. von der Berufsschule, d. h. dem Land Thüringen gestellt werde und neben den Lehrgangsgebühren auch die weiteren Sachkosten der Maßnahme umfasse). Somit habe sich das Land seiner ihm obliegenden Rechtspflicht zur Schaffung ausreichender Kapazitäten in staatlichen Schulen entledigt, die Durchführung seiner eigenen Aufgabe auf eine private Institution verlagert und hierfür die Kosten übernommen.

Auch sei die Ausbildung der Beigeladenen "auf Kosten" (§ 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO) des Freistaates Thüringen durchgeführt worden. Der E.-Schule P. wurde auf Antrag mit Bescheid des Thüringer Kultusministeriums vom 04.02.1996 eine entsprechende staatliche Finanzhilfe gewährt, sodass eine Kostenbeteiligung des Freistaates vorliege.

Im Übrigen trägt die Klägerin vor, bei der E.-Schule P. gGmbH handele es sich um eine staatlich genehmigte Ersatzschule im Sinne des Art. 7 Abs. 4 S. 2 Grundgesetz (GG). Diese Norm habe ihre landesrechtliche Ausgestaltungen § 13 Abs. 1 Thüringer Schulgesetz und dem Thüringer Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft erhalten. Mit dem Bescheid des Thüringer Kultusministeriums vom 12.08.1994 sei der E.-Schule P. die staatliche Genehmigung erteilt worden, eine Ersatzschule in freier Trägerschaft zu errichten und zu betreiben. Die Schule führe die Schulform höhere Berufsfachschule mit dem Bildungsgang Altenpflege. Wie bereits der Begriff der Ersatzschule erkennen lasse, sei eine solche Einrichtung trotz freier Trägerschaft eine Institution, die staatliche Einrichtungen ersetze. Nach dem entsprechenden Thüringer Schulgesetz erfülle die E.-Schule P. damit den staatlichen Bildungsauftrag.

Sie sei damit ein besonderer Teil des staatlichen Bildungssystems geworden, welches sich z. B. darin äußere, dass sie als Schule in freier Trägerschaft der staatlichen Schulaufsicht unterliege (§ 3 Thüringer Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft - ThürSchfTG -).

Derartige Ersatzschulen würden mit Genehmigung des Freistaates Thüringen das Recht erhalten, Schüler zur Erfüllung ihrer Schulpflicht aufzunehmen, sodass im vorliegenden Falle die Erfüllung der Berufsschulpflicht betroffen sei. Es liege insgesamt ein Auftragsverhältnis im Sinne des § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO vor. Durch die Genehmigung zum Betrieb der Ersatzschule habe der Freistaat Thüringen die E.-Schule P. beauftragt, staatliche Berufsbildungsaufgaben wahr-zunehmen. Dies ergebe sich auch daraus, dass das für den Bereich Altenpflege zuständige Fachministeriums für Soziales und Gesundheit der E.-Schule P. regelmäßig Ausbildungsplätze zuweise. Mit der Zuweisung von Ausbildungsplätzen werde die generelle Beauftragung der Ersatzschule mit Bildungsaufgaben auf konkrete Ausbildungsverhältnisse konkretisiert und damit die Beauftragung bestätigt.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),

festzustellen, dass die Beklagte für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen vom 07.09.1995 der zuständige Unfallversicherungsträger ist.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls der Beigeladenen sei die Beklagte lediglich für den Versicherungsschutz von Schülern in allgemein bildenden privaten Schulen nach § 655 Abs. 2 Nr. 5 RVO zuständig gewesen. Für den Versicherungsschutz von Schülern an privaten berufsbildenden Schulen sei in der Regel die Klägerin zuständig gewesen. Erst zum 01.01.1997 sei die Beklagte nach § 128 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - SGB VII - auch für den Versicherungsschutz von Schülern an privaten berufsbildenden Schulen zuständig geworden.

Diese Erweiterung der Zuständigkeit für den Versicherungsschutz von Schülern an privaten berufsbildenden Schulen habe der Gesetzgeber vorgenommen, damit auch für diesen Personenkreis ein beitragsfreier Versicherungsschutz gewährleistet werde und die mit § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO gegebene Ungleichbehandlung von Schülern an privaten allgemein bildenden Schulen und privaten berufsbildenden Schulen beseitigt werde, weil grundsätzlich zwischen der beruflichen und der allgemeinen Bildung eine Gleichwertigkeit bestehe.

Insbesondere greife auch nicht die Regelung des § 655 Abs. 1 i. V. m. § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO im vorliegenden Fall. Wie die Klägerin selbst ausführe, seien die Lehrgangsgebühren für die Beigeladene von Land Thüringen getragen worden. Dies reiche jedoch nicht aus, um eine Sachkostenträgerschaft des Landes zu begründen. Die Tragung von Gebühren oder ähnlichem für einen vom Land an die Einrichtung entsandten Versicherten würde hierfür nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht genügen. Im Übrigen sei dies auch die Auffassung des Thüringer Kultusministeriums.

Die Beigeladene hat keinen Sachvortrag getätigt und keinen Antrag gestellt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das Gericht den geschlossenen Ausbildungsvertrag zwischen der Beigeladenen und dem Pflegeheim, den Bescheid über die vorläufige Anerkennung als Ausbildungsstätte (des Pflegeheimes) vom 25.04.1994 und die Vereinbarung über die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für die Altenpflegeausbildung zwischen dem Pflegeheim und der E.-Schule P. vom 17.08.1995 angefordert und beigezogen.

Die Klägerin hat im Verfahren ebenfalls noch die Genehmigung der E.-Schule P. als Ersatzschule in freier Trägerschaft des Thüringer Kultusministeriums vom 12.08.1994, den Zuweisungsbescheid vom 14.09.1995 des Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit an die E.-Schule P. über die Ausbildungsplätze und den Bescheid vom 04.02.1996 über eine staatliche Finanzhilfe eingereicht. Auf die Inhalte wird ausdrücklich Bezug genommen.

In einem Termin am 01.10.2004 hat das Gericht das Sach- und Streitverhältnis mit Vertretern der Klägerin und der Beklagten ausführlich erörtert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Erörterung und Entscheidungsfindung der Kammer.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klage als Feststellungsklage statthaft (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen, obwohl eine Erstattung nach § 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für Sozialleistungen, die die Klägerin vor dem 15.03.1998 erbracht hat, insoweit nach § 111 SGB X ausgeschlossen ist. Anzuwenden ist § 111 SGB X in der bis zum 31.12.2000 gültigen Fassung (aF.), weil die Ausschlussfrist nach verfassungskonformer Auslegung der Übergangs-vorschrift des § 120 Abs. 2 SGB X nF. am 01.07.2000 bereits abgelaufen war (vgl. BSG vom 24.02.2004, Az: B 2 U 29/03 R).

Die Klägerin hat ihren Erstattungsanspruch im Sinne dieser Vorschrift erst mit dem Schriftsatz vom 11.03.1999 - eingegangen bei der Beklagten am 15.03.1999 - ordnungsgemäß angemeldet und entsprechend betragsmäßig beziffert. Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X aF. ist von Amts wegen zu beachten und kann nicht abbedungen werden, sodass es insoweit rechtlich nicht relevant ist, dass die Beklagte auf die Erhebung der Einrede der Verjährung (§ 113 SGB X) verzichtet hat.

Das besondere Feststellungsinteresse ist jedoch vor dem Hintergrund der laufenden Rentengewährung zu bejahen. Insoweit ist ein Erstattungsanspruch geltend gemacht und nicht nach § 111 SGB X aF. ausgeschlossen, weil die Beigeladene aufgrund des Arbeitsunfalles vom 07.09.1995 unter anderem eine laufende Verletztenrente erhält.

Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor.

Die Klage ist begründet.

Die Beklagte ist der zuständige Unfallversicherungsträger für die Entschädigung des Arbeitsunfalls der Beigeladenen vom 07.09.1995. Die Beigeladene hat an diesem Tage einen Arbeitsunfall im Zuständigkeitsbereich der Beklagten erlitten, weil sich der Unfall auf einem versicherten Weg zur Erfüllung der gesetzlichen Berufsschulpflicht ereignete, die im Auftrage des Landes Thüringen durch die E.-Schule P. durchgeführt wurde.

Die Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 655 Abs. 1 i.V.m. § 653 Abs. 1 Nr. 5 der hier noch anwendbaren Reichsversicherungsordnung – RVO - (vgl. §§ 212, 214 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VII -). Nach diesen Vorschriften ist das Land Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in den Fällen des § 539 Abs. 1 Nr. 14, wenn das Unternehmen auf Kosten des Landes oder in seinem Auftrag durchgeführt wird.

Die Beigeladene hat einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall in der Gestalt eines Wegeunfalls erlitten. Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543, 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 548 Abs. 1 Satz 1 RVO). Als Arbeitsunfall gilt nach § 550 Abs. 1 RVO auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass die Beigeladene nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 c RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, denn zum Unfallzeitpunkt befand sie sich als Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung auf einem versicherten Weg zur Erfüllung der gesetzlichen Berufsschulpflicht. Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO über das Beschäftigungsverhältnis zum Pflegeheim/Ausbildungsstätte kommt daher nicht in Betracht, so dass die BGW als erst angegangener Versicherungsträger nicht zuständig ist.

Die Zuständigkeit die Beklagten ergibt sich nicht, wie die Klägerin meint, aus der so genannten Sachkostenträgereigenschaft. Bereits aus dem Wortlaut des § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO ist zu entnehmen, dass "das Unternehmen auf Kosten" des Landes betrieben werden müsste, damit die Zuständigkeit der Beklagten begründet wird. Der Sachkostenträger im Sinne dieser Vorschrift ist jedoch regelmäßig nicht der Träger der reinen Kosten einer konkreten Maßnahmen, sondern der "Träger der Einrichtung" und daher in der Regel der Rechtsträger "hinter der Einrichtung". Der Sachkosten- bzw. Rechtsträger ist daher im vorliegenden Fall die E.-Schulen gGmbH P., die als Unternehmer (§ 658 Abs. 2 Nr. 1 RVO) insoweit im Mitgliedskataster der Klägerin eingetragen ist. Für die Sachkostenträgereigenschaft spielt es grundsätzlich keine Rolle, wie sich der Sachkostenträger tatsächlich refinanziert bzw. aus welchen öffentlichen oder privaten Mitteln sich einzelne Maßnahmen finanziell, gegebenenfalls durch Bezuschussung, tragen.

Die Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich vielmehr daraus, dass die konkrete Maßnahme - hier die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Berufsschulpflicht der Beigeladenen – "in deren Auftrage", d.h. im Auftrage des Landes Thüringen durchgeführt wurde.

Die Kammer geht nach den Gesamtumständen dieses Einzelfalles davon aus, dass letztlich durch die konkrete Zuweisung der Ausbildungsplätze ein Auftrag bzw. ein auftragsähnliches Verhältnis zwischen dem Land Thüringen und der E.-Schule P. begründet wurde. Wie ein solches Auftragsverhältnis im Sinne des § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO zu definieren ist, richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Nach §§ 662ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verpflichtet sich der Beauftragte durch die Annahme eines Auftrages, ein ihm von dem Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen. Wird für diese Geschäftsbesorgung eine Vergütung vereinbart bzw. gezahlt, so handelt es sich um einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Die Auftragsausführung, d.h. die Besorgung des Geschäftes, erfolgt im fremden Interesse durch den Auftragnehmer, der an sich die Sorge eines anderen trägt, ohne dass ein wirtschaftliches Interesse erforderlich ist (vgl. Palandt-SPRAU BGB 64. Aufl. 2005 zu § 662 Rz. 6 und § 675 Rz. 3). Die E.-Schulen dürfen als gemeinnützige GmbH keine Gewinne im steuerrechtlichen Sinne machen, erhalten aber durch das Land Thüringen für die Durchführung des Berufsschulunterrichtes eine staatliche Finanzhilfe. Nach Auffassung der Kammer spielt jedoch vorliegend die Feststellung, ob eine entgeltliche Beauftragung vorliegt keine Rolle und es kann offen bleiben, ob das begründete Auftragsverhältnis bzw. das auftragsähnliche Verhältnis konkret nach § 662 oder § 675 BGB zu definieren ist, denn es ist für die Rechtsfolge der §§ 655, 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO nicht relevant.

Aus den gesetzlichen Bestimmungen über die Ausbildung in der Altenpflege in Thüringen ergibt sich die Verpflichtung für Auszubildende, der gesetzlichen Berufsschulpflicht nachzukommen.

Die Durchführung dieser gesetzlichen Berufsschulpflicht stellt ein eigenes Geschäft des Landes Thüringen dar, welches auf die E.-Schulen P. übertragen wurde. Nach dem Thüringer Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (Thüringer Altenpflegegesetz – ThürAltPflG - vom 16.08.1993) sind Altenpflege-schulen genehmigungsbedürftig und die praktische Ausbildung hat in anerkannten Ausbildungsstätten zu erfolgen.

Konkret wurde dem A. Senioren- und Pflegeheim H. mit Bescheid vom 25.04.1994 die vorläufige Anerkennung als Ausbildungsstätte nach § 6 ThürAltPflG erteilt. In diesem Bescheid wird ausgeführt, dass die Ausbildungsstätte verbindlich erklärt, die Vorschriften über das Zusammenwirken mit den anerkannten Altenpflegeschulen und deren Gesamtverantwortung für die Gestaltung der Ausbildung (§ 4 Abs. 3 ThürAltPflG) zu beachten und in den Ausbildungsverträgen festzulegen, an welcher Altenpflegeschule die Ausbildung erfolgen soll. Die Zahl der Ausbildungsplätze für einen Ausbildungsgang wird der Ausbildungsstätte jährlich durch das Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit gesondert zugewiesen. Mit dieser Zuweisung erfolgt gleichzeitig eine Anerkennung auf Erstattung der Ausbildungsvergütung oder der Gewährleistung einer Ausgleichszahlung nach § 28 Abs. 2 ThürAltPflG.

Die Ausbildungsstätten einschließlich der Hospitationsstellen unterliegen der Fachaufsicht durch das Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit oder der von ihr beauftragten Behörde (Heimaufsichtsbehörde).

Für die Kammer stellt sich der Sachverhalt und damit das nach ihrer Auffassung vorliegend begründete Auftragsverhältnis in der Weise dar, dass nach dem Thüringer Altenpflegegesetz die gesamte Ausbildung im Berufsbereich der Altenpflege detailliert gesetzlich geregelt ist. Hierbei besteht die gesetzliche Berufsschulpflicht in speziellen Altenpflegeschulen. Diese Altenpflegeschulen bedürfen der Genehmigung durch den Kultusminister im Einvernehmen mit dem Minister für Soziales und Gesundheit (§ 5 ThürAltPflG).

Die E.-Schule ist als Ersatzschule in freier Trägerschaft entsprechend genehmigt und unter staatliche Schulaufsicht gestellt worden. Im Genehmigungsverfahren hat das Thüringer Kultusministerium die namentlich benannten Lehrkräfte der E.-Schule auf ihre Qualifikation im einzelnen überprüft und im Genehmigungsbescheid vom 12.08.1994 festgestellt, dass einzelne Lehrkräfte für vorgesehene Fächer nicht eingesetzt werden dürfen, weil es bei ihnen an der entsprechenden Qualifikation mangele. Nach dem Thüringer Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (vom 23.04.1994 ThürSchfTG) ist es Lehrkräften an staatlichen Schulen möglich, für eine Dienstleistung an Ersatzschulen beurlaubt zu werden, ohne besoldungsrechtliche Nachteile zu erlangen (§ 10 ThürSchfTG). Auch kann die Ausübung der Tätigkeit von Schulleitern und Lehrkräften nach Anhörung des Schulträgers durch das Landesverwaltungsamt untersagt werden, wenn diese ein Verhalten zeigen, dass bei an staatlichen Schulen beschäftigten Schulleitern oder Lehrkräften die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigen würde (§ 7 Thür SchfTG).

Das Betreiben einer staatlich anerkannten Ersatzschule, die detaillierten gesetzlichen Vorgaben mit Aufsichts- und Weisungsbefugnissen auch im Hinblick auf die Qualifikation der Lehrkräfte an der Ersatzschule, die der Qualifikation von Lehrkräften an staatlichen Schulen entsprechen muss, zeigt nicht nur eine enge Verzahnung im Thüringer Schulsystem, sondern vielmehr, dass das Land Thüringen seine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung des Berufsschulunterrichtes im Rahmen eines Auftragsverhältnisses auf die Ersatzschule - hier E.-Schulen - übertragen hat. Ein Auftraggeber sucht regelmäßig seinen Auftragnehmer sorgfältig aus, wobei der Auftragnehmer den Auftrag dann eigenverantwortlich ausführt. Auch vorliegend hat die E.-Schule den Auftrag, die gesetzliche Berufsschulpflicht im Rahmen der detaillierten gesetzlichen Regelungen eigenverantwortlich auszuführen (§ 1 ThürSchfTG).

Gleiches gilt im Prinzip für die Ausbildungsstätten, die ebenfalls der Anerkennung durch Verwaltungsakt bedürfen. Die Anzahl der Ausbildungsplätze in der Altenpflege in Thüringen wird ebenfalls vom Minister für Soziales und Gesundheit durch Rechtsverordnung festgesetzt (§ 6 Abs. 2 ThürAltPflG). Der gesamte Inhalt der theoretischen und praktischen Ausbildung in der Thüringer Altenpflege, sowie die Prüfungsinhalte werden vom Kultusminister und vom Minister für Soziales und Gesundheit durch Verordnung geregelt (§ 8 ThürAltPflG).

Ebenfalls wird in dem Gesetz geregelt, wie das Verhältnis zwischen dem Auszubildenden und der Ausbildungsstätte, der Ausbildungsstätte und der Berufsschule etc. zu regeln und zu gestalten ist. Zwischen der Ausbildungsstätte und der E.-Schule P. wurde daher die "Vereinbarung über die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für die Altenpflegeausbildung" am 17.08.1995 über die Bereitstellung von 3 Ausbildungsplätzen zum 03.08.1995 geschlossen. Mit Bescheid über die Zuweisung von Ausbildungsplätzen für das Jahr 1995 vom Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit vom 14.09.1995 wurden der E.-Schulen P. für das Pflegeheim als Ausbildungsstätte die entsprechenden Ausbildungsplätze zugewiesen. Der Freistaat Thüringen hat im Bereich der Ausbildung "Altenpflege" alle an der Ausbildung beteiligten Stellen mit einem detaillierten öffentlich-rechtlichen Erlaubnis- bzw. Genehmigungsvorbehalt zum Führen und Betreiben einer Ausbildungsstätte oder Berufsschule, sowie mit einer staatlich verordneten Fachaufsicht belegt. Die damit verbundene Durchführung der gesetzlichen Berufsschulpflicht wurde auf die sich in freier Trägerschaft befindliche E.-Schulen gGmbH P. als fremdes Geschäft übertragen und damit ein Auftragverhältnis im Sinne der §§ 655 i.V.m. § 653 Abs. 1 Nr. 5 RVO begründet.

Nach Überzeugung der Kammer ändert auch die Begründung zum SGB VII nichts an der Zuständigkeit der Beklagten. Dort heißt es in der Bundestagsdrucksache 13/2204 zum Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz zu § 128, Seite 106:

"Nummer 3 erweitert den beitragsfreien Versicherungsschutz bei den Unfallversicherungsträgern im Landesbereich für Schüler an privaten allgemein bildenden Schulen auf Schüler an privaten berufsbildenden Schulen. Bisher sind die Schüler dieser Schulen bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft versichert, die von den Schulträgern hierfür Beiträge erhebt."

Der Gesetzgeber wollte mit den neuen Regelungen im SGB VII zwar eine einheitliche Zuständigkeitsregelung für den Bereich der gesetzlichen Schulpflicht bzw. Berufsschulpflicht erreichen, doch ist mit dieser allgemeinen Aussage im Gesetzgebungsverfahren gerade nicht dokumentiert, dass vorher ausschließlich die Zuständigkeit der Klägerin in den Fällen gegeben war, in denen gesetzliche Berufsschulpflicht bei einer privaten Schuleinrichtung durchgeführt wurde.

Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass - soweit ersichtlich - in den bisherigen Zuständigkeits- bzw. Beitragsstreitigkeiten regelmäßig nur um die Frage der "Sachkostenträgereigenschaft" gestritten wurde (§ 655 Abs. 2 Nr. 5 1. Alt. RVO) und die 2. Alt. "im Auftrage" bisher keine Rolle spielte. Würde man mit der Beklagten davon ausgehen, dass der Gesetzgeber diese Streitigkeiten zur Sachkostenträgerschaft vor Augen hatte, so wäre durch die Neuregelung im SGB VII eine entsprechende Klarstellung erfolgt. Einen solchen Fall gilt es aber vorliegend nicht zu beurteilen.

Die Kammer weist noch darauf hin, dass die Zuständigkeit der Klägerin auch nicht über eine so genannte Formalversicherung begründet wurde, weil für die Beigeladene tatsächlich keine Beiträge an die Klägerin abgeführt wurden.

Nach alledem ist die Kammer davon überzeugt, dass ein entsprechendes Auftragsverhältnis begründet wurde, indem das Land Thüringen die Durchführung der gesetzlichen Berufsschulpflicht auf die E.-Schule als Ersatzschule delegiert, sich aber durch die gesetzlichen Regelungen massive Eingriffs- und Überwachungsmöglichkeiten vorbehalten hat. Der Freistaat Thüringen hat im Bereich der Altenpflege im Verhältnis zu sonstigen Ausbildungen, bei denen ebenfalls gesetzliche Berufsschulpflicht besteht, in einem erheblich höherem Maße Einfluss auf alle Beteiligten genommen. Es ist zumindest bei anderen Ausbildungsverhältnissen üblich, dass die Ausbildungsstätte selbst bestimmt, wie viele Personen ausgebildet werden sollen. In der Thüringer Altenpflege behält sich das Land sogar vor, die konkrete Anzahl der Auszubildenden einer - genehmigten - Ausbildungsstätte vorzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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