S 18 AL 1142/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 18 AL 1142/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 26. Juli 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2002 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 13. Mai 2002 bis zum 27. Mai 2002 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die Beklagte trägt der 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der 1957 geborene Kläger arbeitete zuletzt seit 1996 als Verkaufsstellenleiter der Firma G. G1 I. Vertriebs GmbH.

Am Samstag, den 11. Mai 2002, erfuhr der Kläger überraschend, dass die Firma aufgelöst wurde. Ein entsprechendes Schreiben des Arbeitgebers vom 11. Mai 2002 erhielt der Kläger am Montag, den 13. Mai 2002. Darin hieß es unter anderem, die Filiale sei vorläufig geschlossenen worden, der Arbeitnehmer werde mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von der Verpflichtung zur Arbeit freigestellt, so dass er ab sofort dem Arbeitsamt zur Vermittlung zur Verfügung stehe. Der Insolvenzverwalter empfehle deshalb, sich unter Vorlage dieses Schreibens sofort bei dem zuständigen Arbeitsamt arbeitslos zu melden. Arbeitslosengeld werde nämlich nicht rückwirkend, sondern erst ab dem ersten Tag der persönlichen Antragstellung gewährt, soweit der Arbeitnehmer in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehe.

Der Kläger behauptet, er habe sich nach Erhalt des Schreibens telefonisch bei der Beklagten gemeldet, um das zuständige Arbeitsamt zu erfragen. Er sei dann zum Arbeitsamt - Nord durchgestellt worden. Die Mitarbeiterin der Beklagten habe bestätigt, dass er sich dort arbeitslos melden könne. Im Verlauf des Gespräches habe er mitgeteilt, dass sein bereits gebuchter Urlaub unmittelbar bevorstehe, woraufhin die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes erklärte habe, der Kläger stehe dem Arbeitsamt nicht zur Verfügung, wenn er in den Urlaub fahre, so dass er sich nicht arbeitslos melden könne. Allein deshalb habe er sich an diesem Tag nicht mehr arbeitslos gemeldet und den Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Statt dessen stellte der Kläger noch am 13. Mai 2002 einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld, der abschlägig beschieden wurde. Arbeitsentgelt hat der Kläger für die Zeit ab dem 13. Mai 2002 auch nicht erhalten.

Am späten Nachmittag des 13. Mai 2002 trat der Kläger den am 6. Mai 2002 für die Zeit bis zum 27. Mai 2002 gebuchten Urlaub an. Nachdem der Kläger den Urlaub vor Ort um eine Woche verlängerte, stellte er am 7. Juni 2001 einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld, welches antragsgemäß mit Bescheid vom 26. Juli 2002 ab dem 7. Juni 2002 gewährt wurde.

Hiergegen erhob der Kläger am 16. August 2002 Widerspruch und vertrat die Ansicht, Arbeitslosengeld stehe ihm bereits ab dem 13. Mai 2002 zu. Zur Begründung führte er aus, von der "endgültigen Pleite" seines Arbeitgebers habe er erst am 11. Mai 2002 erfahren. Eine Stornierung seiner schon vor längerer Zeit gebuchten Reise sei nicht mehr möglich gewesen. Er habe am 13. Mai 2002 die telefonische Auskunft einer Mitarbeiterin der Beklagten erhalten, dass er sich nicht arbeitslos melden könne, solange er dem Arbeitsamt wegen seines Urlaubs nicht zur Verfügung stehe. Diese Auskunft sei ihm wiederholt gegeben worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hieß es, Anspruch auf Arbeitslosengeld habe nur derjenige, der sich persönlich beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos melde. Entgegen der Auffassung des Klägers bestehe kein Hinweis darauf, dass seine persönliche Arbeitslosmeldung zu einem früheren Zeitpunkt als dem 7. Juni 2002 erfolgt sei. Auch die Beantragung des Insolvenzgeldes vom 13. Mai ersetze nicht die persönliche Arbeitslosmeldung im Sinne des § 122 SGB III. Die persönliche Arbeitslosmeldung könne nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ersetzt werden, selbst wenn der Kläger tatsächlich, was nicht nachgewiesen sei, fehlerhaft beraten worden sein sollte.

Hiergegen hat der Kläger am 30. September 2002 Klage erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung seiner Klage wiederholt er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juli 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2002 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 13. Mai 2002 bis zum 6. Juni 2002 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, des Vorbringens der Beteiligten und des Inhaltes der Bescheide wird auf die Verwaltungsakte mit der Kundennummer 589103 und die Gerichtsakte verwiesen und ergänzend Bezug genommen. Die genannten Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2002 ist insoweit rechtswidrig, als dem Kläger kein Arbeitslosengeld für die Zeit vom 13. Mai 2002 bis zum 27. Mai 2002 gewährt wurde. Darüber hinaus hat der Kläger jedoch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 28. Mai bis zum 6. Juni 2002.

Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 13. Mai 2002 bis zum 27. Mai 2002, da er die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt.

Gemäß § 117 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld der Arbeitnehmer, der arbeitslos ist, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet hat und die Anwartschaftszeit erfüllt.

Gemäß § 122 Abs. 1 S. 1 SGB III muss sich der Arbeitslose persönlich beim zuständigen Arbeitsamt arbeitslos melden. Dies bedeutet nach ständiger Rechtsprechung, dass der Arbeitslose im Arbeitsamt seine Arbeitslosigkeit mitteilt. Eine telefonische oder schriftliche Meldung genügt nicht (vgl. u.a. Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 10 Rdnr. 81). Der Kläger ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu stellen, als habe er sich am 13. Mai 2002 persönlich arbeitslos gemeldet und einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt.

Grundsätzlich kann ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben sein, wenn eine Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers vorliegt, dem Betroffenen ein sozialrechtlicher Nachteil entstanden ist und eine Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Nachteil besteht. Der Anspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Sozialleistungsträger die ihm gegenüber dem Versicherten obliegenden Pflichten rechtmäßig erfüllt hätte. Der Betroffene ist dann so zu stellen, als stehe ihm das infolge der Pflichtverletzung beeinträchtigte Recht in vollem Umfang zu. Der Herstellungsanspruch kann Leistungsträger aber nicht zu einer Gesetz und Recht widersprechenden Behandlung verpflichten (BSG SozR 3 – 4100 § 125 Nr. 1 S. 10 mwN).

Im vorliegenden Fall ist der Beklagten eine Beratungspflichtverletzung vorzuwerfen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Ausführungen des Klägers zu seinem Telefonat am 13. Mai 2002 zutreffend sind und ihm gesagt wurde, dass er sich nicht arbeitslos melden kann, wenn er seinen Urlaub antritt und er deswegen von einer Arbeitslosmeldung im Arbeitsamt Abstand genommen hat. Hierfür spricht zum einen das Schreiben des Arbeitgebers, in dem der Kläger auf die Notwendigkeit einer sofortigen persönlichen Arbeitslosmeldung hingewiesen worden ist, sowie zum anderen die Tatsache, dass er sich noch am 13. Mai 2002 zur Beantragung von Insolvenzgeld ins Arbeitsamt begeben hat. Darüber hinaus hat der Kläger in überzeugender und widerspruchsfreier Weise sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung den Hergang des Telefonats dargelegt. Richtigerweise hätte die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes den Kläger auffordern müssen, unverzüglich persönlich im Arbeitsamt zu erscheinen, um sich persönlich arbeitslos zu melden, einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld und Gewährung der Ortsabwesenheit zu stellen. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass der Kläger allein aufgrund dieser falschen Beratung nicht im Arbeitsamt erschienen ist, um sich persönlich arbeitslos zu melden. Unstreitig ist, dass der Kläger zur Stellung des Antrages auf Gewährung von Insolvenzgeld persönlich im Amt gewesen ist. Es wäre ihm daher auch möglich gewesen, sich persönlich arbeitslos zu melden.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat es jedoch bisher abgelehnt, das Fehlen einer persönliche Arbeitslosmeldung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu heilen. Dagegen kommt ein Herstellungsanspruch in Betracht, wenn durch pflichtwidriges Verhalten des Leistungsträgers eine verspätete Antragstellung erfolgt (BSG SozR 5070 § 10 Nr. 31; SozR § 125 Nr. 3). Zur Begründung hieß es im Wesentlichen, dass sich Begebenheiten tatsächlicher Art in der Regel nicht durch einen Erstattungsanspruch ersetzen lassen. Die Arbeitslosmeldung, eine Tatsachenerklärung, dürfe wegen ihrer spezifischen Funktionen nicht ersetzt werden. Aufgabe der Arbeitslosmeldung sei es nämlich, das Arbeitsamt tatsächlich in die Lage zu versetzen, mit seinen Vermittlungsbemühungen zu beginnen, um die eingetretene Arbeitslosigkeit und damit auch die Leistungsverpflichtung möglichst rasch zu beenden (BSGE 60, 43, 45 = SozR 4100 § 105 Nr. 2). Aus dem Umstand, dass das Arbeitsamt vor Kenntnis vom Eintritt der Arbeitslosigkeit seiner Pflicht zur Arbeitsvermittlung tatsächlich nicht nachkommen könne, folge zugleich die Bedeutung der Arbeitslosmeldung für den Leistungsanspruch, der wegen dieses inneren Zusammenhangs erst mit ihrem Vorliegen zur Entstehung gelangen könne. Diese sei erforderlich, weil im Recht der Arbeitslosenversicherung der Grundsatz gelte, dass die sachgerechte Vermittlung in Arbeit den Vorzug vor der Gewährung von Leistungen besitze (BSG aaO.). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass der Kläger persönlich am Telefon die Beklagte über seine eingetretene Arbeitslosigkeit informiert hat. Theoretisch wäre die Beklagte damit in die Lage versetzt gewesen, mit ihren Vermittlungsbemühungen umgehend zu beginnen. Allein dem Umstand, dass es an der körperlichen Anwesenheit des Klägers im Amt gefehlt hat, vermag das Gericht keine so große Bedeutung beizumessen, dass der eigentliche Sinn des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, der gerade darin liegt, bei Leistungsstörungen als Folge von Pflichtverletzungen des Sozialleistungsträgers eine sachgerechte Lösung zu finden, zurückzutreten hat. Es erscheint unbillig, die Herstellung der Arbeitslosmeldung mit dem Hinweis zu verneinen, dass das Arbeitsamt bestimmte Handlungen wie den Beginn der Vermittlungstätigkeit nicht mit Wirkung für die Vergangenheit nachholen und ersetzen kann, wenn die Beklagte selbst durch die fehlerhafte Beratung für die unterbliebenen Umstände verantwortlich ist (vgl. die Kritik an der Rechtsprechung des BSG zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bei fehlender persönlicher Arbeitslosmeldung in Spellbrink/Eicher, § 10 Rdnr. 101 ff.).

Der Kläger hat darüber hinaus unstreitig die Anwartschaftszeit erfüllt und war auch arbeitslos im Sinne von §§ 118, 119 SGB III. Er war im genannten Zeitraum insbesondere auch verfügbar und arbeitsfähig. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Kläger während dieser Zeit im Urlaub befunden hat. Die Urlaubsabwesenheit des Klägers stand seiner Verfügbarkeit im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB III nicht entgegen. Nach § 3 EAO (Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (Erreichbarkeits-Anordnung)) steht die Ortsabwesenheit des Arbeitslosen der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat. Dabei soll das Arbeitsamt in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit die Zustimmung nur in begründeten Ausnahmefällen erteilen. Die Zustimmung darf jeweils nur dann erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird. Zwar hat die Beklagte der Ortsabwesenheit des Klägers nicht zugestimmt, der Kläger ist jedoch aufgrund des Herstellungsanspruches so zu stellen, als hätte die Beklagte die Zustimmung erteilt. Denn an diesem Tag hat sich der Kläger zumindest telefonisch arbeitslos gemeldet und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass er die Absicht hat, einen schon länger geplanten Urlaub anzutreten. Die Beklagte wäre deshalb verpflichtet gewesen, noch am 13. Mai 2002 eine Entscheidung darüber zu treffen, ob sie der Ortsabwesenheit des Klägers zustimmt oder nicht. Statt dessen hat sie dem Kläger die Auskunft erteilt, er könne sich für die Dauer seines Urlaubes nicht arbeitslos melden. Die Erreichbarkeits-Anordnung sieht die Genehmigung des Aufenthalts außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs in Ausnahmefällen vor. Ein Ausnahmefall liegt zur Überzeugung des Gerichtes vor, weil der Kläger seinen Urlaub bereits gebucht hatte, als er von der Betriebseinstellung erfahren hat, und diesen nicht mehr kostenneutral hätte stornieren können. Die Beklagte hätte daher bei pflichtgemäßer Ermessensausübung die urlaubsbedingte Abwesenheit für zwei Wochen im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles genehmigen müssen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Dezember 2004, Az. L 8 AL 2937/03).

Darüber hinaus hat der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld über den 27. Mai 2002 hinaus. Sein Urlaub war nämlich ursprünglich nur bis zum 27. Mai 2002 geplant und war von der Beklagten auch nur für diese Zeit zu genehmigen. Für den Zeitraum der spontanen Urlaubsverlängerung erfüllt der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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