L 19 B 21/05 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 42/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 21/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
SGB II § 22 (Kosten der Unterkunft, Angemessenheit, Produkttheorie)

Die Angemessenheit von Mietaufwendungen bestimmt sich aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro m² (Produkttheorie).

Der Hilfe Suchende hat zu belegen , dass ihm zumutbare Unterkünfte im Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers nicht zur Verfügung stehen.

LSG NRW, Beschluss vom 01.08.2005 L 19 B 21/05 AS ER
I. Instanz: S 10 AS 42/05 ER SG Köln
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.05.2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfenen hat (Beschluss vom 17.05.2005), ist unbegründet.

Angesichts der von der Antragstellerin mittlerweile vorgelegten außerordentlichen Kündigung ihres Mietverhältnisses und der darin ausgesprochenen Räumungsaufforderung könnte die vom Sozialgericht noch verneinte Eilbedürftigkeit vorliegen (vgl.: die Rechtsprechung des OVG NW, etwa Beschluss vom 16.03.2000, 16 B 308/00, FEVS, 52,24 ff., das bereits bei bevorstehender Kündigung und Räumungsklage einen Anordnungsgrund angenommen hat).

Zur Überzeugung des Senats fehlt vorliegend aber ein Anordnungsanspruch.

Denn die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf höhere als die ihr mit Bescheiden vom 30.11.2004, 30.03.2005, 11.04.2005, 19.04.2005 bewilligten Unterkunfts- und Heizungskosten. Insbesondere steht ihr der tatsächlich aufgewendete Kaltmietzins nicht nach § 22 Abs. 1 SGB II (Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitslose) zu. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen nämlich nur erbracht, soweit diese angemessen sind. Weitere nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderliche Aufwendungen sind nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II allein bei Fehlen einer Preiswerteren Unterkunftsalternative zu übernehmen, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.

Mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu § 3 Abs. 1 Satz 2 Regelsatzverordnung in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BSHG (Zusammenfassung und weitere Nachweise im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2005, - 5 C 15/04) sind bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft die örtlichen Verhältnisse zunächst insoweit maßgeblich, als auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln ist. Diese Prüfung muss die Frage einschließen, ob dem Leistungsempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist bzw. war. Besteht eine derartige Unterkunftsalternative nicht, ist die tatsächliche Miete zu übernehmen. Sonach ist die angemessene Höhe der Unterkunftskosten als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro m² zu ermitteln ("Produkttheorie", Bundesverwaltungsgericht, a.a.O. sowie das zugrundeliegende Urteil des OVG NW vom 15.03.2004, - 12 A 714/03 -, info also 2005, 37 ff.; ZFSH/SGB 2005, 155 ff.).

Nach diesen Maßstäben sind die von der Antragsgegnerin ihrer Bewilligung zugrunde gelegten 297,- Euro nicht zu beanstanden. Diese Zahl entspricht dem Produkt aus der - in Anlehnung an das Wohnungsbindungsrecht - für Alleinstehende (noch) als angemessen anzusehenden Wohnfläche von 45 m² (5.71 a) der Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz, Runderlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport vom 08.03.2004 Ministerialblatt NW vom 10.05.2002 Nr. 23) und dem nach den örtlichen Verhältnissen am Wohnort der Antragstellerin als (noch) angemessen anzusehenden Kaltmietzins von 6,60 Euro je m² (45 x 6,60 = 297,-).

Den als noch angemessen anzusehenden Mietzins hat die Antragsgegnerin zutreffend unter Auswertung des für den Raum Köln geltenden Mietspiegels mit 6,60 Euro je m² bestimmt. In welcher genauen Höhe Aufwendungen für eine Unterkunft nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Mietpreissituation auf dem maßgeblichen regionalen Wohnungsmarkt angemessen sind, ist eine Frage der tatrichterlichen, auf den Einzelfall bezogenen Bewertung der für den jeweiligen Wohnungsmarkt zur Verfügung stehenden Informationen, die nicht durch Einsatz der für die Bemessung des Wohngeldes bestimmten Höchstbeträge ersetzt werden kann (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.08.2004, - 5 C 8/04 -, NJW 2005, 310 ff.).

Im Kölner Mietspiegel für nichtöffentlich geförderte Wohnungen nach dem Stand von Juli 2004, bei dem es sich um einen sog. "einfachen" Mietspiegel ohne die Indizwirkung aus § 558d BGB hinsichtlich der maßgeblichen ortsüblichen Vergleichsmiete handelt, finden sich Wohnungen in mittlerer Wohnlage bei Ausstattung mit Heizung, Bad, WC und einer Größe um 40 m² in der Spanne von 5,40 bis 7,- je m² bei bis 1960 bezugsfertigen Gebäuden auch in sehr guter Wohnlage noch in der Spanne von 5,95 bis 7,45 Euro. Im Mietspiegel der Gruppe 2 (Wohnungen die bis 1975 bezugsfertig wurden) liegt die Spanne für Wohnungsgrößen um 40 m² in mittlerer Wohnlage und mit der genannten Ausstattung bei 6,40 bis 8,30 Euro. Hiernach wird die Antragstellerin nicht auf die Inanspruchnahme qualitativ unzumutbaren Wohnraumes verwiesen, die auch nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum BSHG unzulässig war (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.05.1996, - 5 C 14/95 -, BVerwGE 101, 194 ff.).

Die Antragstellerin hat einen - den angemessenen Bedarf übersteigenden - besonderen Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht glaubhaft gemacht. Er ergibt sich zunächst nicht aus besonderen gesundheitlichen Verhältnissen der Antragstellerin. Die ist zwar nach dem vorgelegten Attest des Dr. N vom 16.01.2004 auf trockenen Wohnraum angewiesen ist (weswegen er einen Umzug aus der wohl feuchten Wohnung befürwortete). Trockener Wohnraum entspricht aber dem Standard. Die von der Klägerin genutzte Wohnung scheint hiervon abzuweichen. Ein an den angemessenen Bedarf übersteigender Bedarf ergibt sich auch nicht (mehr) unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Verfügbarkeit preiswerteren Wohnraumes. Nach den vom Senat eingeholten Auskünften des Haus- und Grundbesitzervereines, der Vereinigung von Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümern, des Mietervereines und des Amtes für u.a. Wohnungsversorgung mag insbesondere im öffentlich geförderten Wohnungsmarkt eine teilweise angespannte Bedarfslage bei Einpersonenwohnungen bestanden haben bzw. noch bestehen. Einheitlich werden jedoch die Chancen der Antragstellerin, eine adäquate angemessene Wohnung in dem Zeitraum seit der erstmaligen Aufforderung durch den (seinerzeit zuständigen) BSHG Träger im August 2003 zu finden, als realistischer angesehen. Der Senat sieht keine Veranlassung, eine hiervon abweichende eigene Einschätzung abzugeben. Insbesondere belegen nämlich die von der Klägerin vorgelegten Bewerbungslisten und Zeitungsausrisse nebst zugehörigen Kommentaren nicht, dass es ihr unmöglich gewesen ist bzw. noch ist, angemessenen Wohnraum zu erhalten. Welche Anforderungen an diesen Nachweis zu stellen sind, richtet sich nicht nur nach dem Verhältnissen am örtlichen Wohnungsmarkt sondern zudem nach den besonderen, Beschaffung neuen Wohnraumes u. U. erschwärenden Verhältnissen des Leistungsempfängers (Bundesverwaltungsgericht; Urteil vom 30.05.1996, a.a.O., OVG NW, Beschluss vom 17.03.1999, - 16 A 1546/98 -).

Persönliche Erschwernisgründe sind von der Antragstellerin nicht dargetan und sie sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere stellt es kein Vermittlungshindernis dar, dass die Klägerin auf öffentliche Leistungen angewiesen ist. Denn im Gegensatz zur Rechtslage nach dem BSHG werden Unterkunftskosten nach dem SGB II nicht mehr direkt an die Vermieter ausgezahlt (Ausnahme nach § 22 Abs. 4 SGB II).

Die Klägerin hat nicht belegt, das es ihr, bezogen auf ihr zumutbare Unterkünfte bezogen auf den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin, den Raum der Stadt Köln, seit August 2003 unmöglich gewesen ist, eine angemessene Unterkunft zu finden. Denn sie hat ihre bisherige Suche nach den vorgelegten Unterlagen auf eine Auswahl Innen stadt nahe begehrter Wohnlagen (insbesondere Sülz, Ehrenfeld, Lindenthal) beschränkt, während jeglicher Nachweis von Bemühungen um Wohnraum in preiswerten Stadtgebieten wie einigen nördlichen Stadtteilen oder rechts des Rheines fehlt.

Die Antragstellerin hat zudem jegliche Bemühungen um öffentlich geförderten und regelmäßig gegenüber den frei finanzierten Wohnungsbau preiswerteren Wohnraum unterlassen, ja sie hat nicht einmal dafür gesorgt, regelmäßig im Besitz eines Wohnberechtigungsscheines als der wichtigsten Zugangsvoraussetzungen zu solchem Wohnraum zu sorgen.

Von der Verfügbarkeit angemessenen Wohnraumes ist daher (weiterhin) auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.

Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung an das Bundessozialgericht ist nicht zulässig, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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