L 13 R 81/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 11 R 1/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 R 81/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. März 2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die dem Kläger im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob wegen eines Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg) die Hinzuverdienstgrenzen überschritten wurden und deshalb dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente) in der Zeit vom 01.09.1999 bis 31.08.2000 zum Teil nicht und zum Teil nur gekürzt zu zahlen ist.

In der streitigen Zeit war der Kläger arbeitslos und bezog bis zum 21.08.2000 Alg in Höhe von 771,30 DM für September und November 1999, 797,01 DM für Oktober und November 1999, 826,15 DM für Januar 2000, 772,85 DM für Februar 2000, 256,15 DM für März 2000, 488,10 DM für April und Juni 2000, 504,37 DM für Mai 2000, 575,05 DM für Juli 2000 und 74,13 DM für die Zeit bis zum 21.08.2000; im Anschluss hieran bezog er Arbeitslosenhilfe (Alhi). Die Bundesagentur für Arbeit legte der Leistungsbemessung ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 552,30 DM in der Zeit bis zum 20.06.2000 und sodann von 607,53 DM zugrunde. Zusätzlich hatte er ab März 2000 Einnahmen aus einer geringfügigen abhängigen Beschäftigung in Höhe von 630 DM monatlich bzw. 734 DM im Mai und Juni 2000.

Der Kläger hatte im Jahr 1998 0,0776 Entgeltpunkte (EP) aus Beitragszeiten erlangt; beitragsfreie bzw. beitragsgeminderte Zeiten wurden in diesem Jahr nicht zurückgelegt.

Die Beklagte bewilligte mit dem vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg (S 25 RJ 211/98) geschlossenen gerichtlichen Vergleich vom 29.05.2001 BU-Rente unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 21.04.1999. In Ausführung dieses Vergleichs gewährte sie mit Bescheid vom 16.10.2001 BU-Rente ab dem 01.05.1999. Zugleich führte sie aus, die Rente sei in der Zeit von 01.09.1999 bis zum 31.07.2000 nicht und in der Zeit vom 01.08. bis 31.08.2000 nur in Höhe von einem Drittel der Vollrente zu zahlen, weil der zulässige Hinzuverdienst überschritten werde. Hierbei berücksichtige sie entsprechend der ihr vom Arbeitsamt F mitgeteilten Bemessungsentgelte für die Zeit vom 28.08.1999 bis 20.06.2000 einen Hinzuverdienst von monatlich 2.393,30 DM und in der Zeit vom 21.06. bis 21.08.2000 von monatlich 2.632,63 DM. Als Hinzuverdienstgrenzen des Klägers legte sie für die Zeit vom 01.07.1999 bis 30.06.2000 für eine BU-Rente in voller Höhe 1.267,61 DM und in der Zeit vom 01.07. bis 31.08.2000 für eine BU-Rente in voller Höhe 1.275,23 DM, für eine solche in Höhe von 2/3 1.700,30 DM und für eine solche in Höhe von 1/3 2.125,38 DM zugrunde.

Der Kläger widersprach am 02.11.2001, soweit für den streitigen Zeitraum eine Rentenzahlung verweigert bzw. gekürzt wurde. Zur Begründung führte er aus, er habe in den streitigen Zeiträumen Leistungen lediglich in Höhe von monatlich ca. 800,00 DM erhalten, bzw. - nach Aufnahme einer geringfügigen Tätigkeit - nur in Höhe von rund 500,00 DM zuzüglich 630.- DM aus der geringfügigen Beschäftigung.

Die Beklagte holte daraufhin erneut eine Auskunft des Arbeitsamtes F ein, wonach die Bemessungsgrundlage ab dem 28.08.1999 wöchentlich 550,00 DM und ab dem 22.06.2000 wöchentlich 610,00 DM betragen hat und wies sodann mit Bescheid vom 09.04.2002 den Widerspruch zurück: Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift des § 96a des 6. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sei als Hinzuverdienst bei einer Sozialleistung das dieser zugrundeliegende monatliche Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu berücksichtigen. Die Höhe des tatsächlich gezahlten Alg sei nicht maßgeblich.

Der Kläger hat am 08.05.2002 Klage zum SG Duisburg erhoben. Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 17.12.2002 (B 4 RA 23/02 R in SozR 3-2600 § 96a Nr. 1) entschieden hatte, dass für Zeiten des Bezuges einer nach 1998 beginnenden BU-Rente vom Januar 1999 bis Dezember 2000 bei gleichzeitigem Bezug einer Sozialleistung mit Lohnersatzfunktion nur deren Geldwert, nicht ihre Bemessungsgrundlage, als erzielter Hinzuverdienst berücksichtigt werden dürfe (2. Leitsatz der o.a. Entscheidung) hat er sich zur Stützung seiner Auffassung insbesondere auf dieses Urteil bezogen.

Das SG hat mit Urteil vom 23.03.2005 die Beklagte antragsgemäß unter teilweiser Aufhebung der angegriffenen Bescheide verurteilt, die dem Kläger für den Zeitraum ab dem 01.05.1999 bewilligte BU-Rente unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Hinzuverdienstes anstelle des der Sozialleistung zugrunde liegenden Bemessungsentgeltes zu gewähren. Zur Begründung hat es sich der Entscheidung des BSG vom 17.12.2002 (aaO.) angeschlossen.

Die Beklagte und Berufungsführerin hat gegen das ihr am 18.04.2005 zugestellte Urteil am 02.05.2005 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausgeführt hat, die Rentenversicherungsträger würden dem Urteil des BSG vom 17.12.2002 (aaO.) über den dort entschiedenen Einzelfall hinaus nicht folgen. Nach ihrer Auffassung könne nicht davon ausgegangen werden, dass es der Wille des Gesetzgebers gewesen sei, § 96a Abs. 3 SGB VI insgesamt mit Wirkung vom 01.01.1999 an in Kraft zu setzen, ohne dass Satz 3 tatsächlich Anwendung finde. Auch bei Arbeitsentgelt werde i. ü. nicht der erzielte Hinzuverdienst, also das Nettoarbeitsentgelt, berücksichtigt, sondern ein fiktives Arbeitsentgelt (Bruttoarbeitsentgelt) in Ansatz gebracht. In diesen Fällen wie auch bei dem Alg-Bezug sei daher der Betrag (das Arbeitsentgelt) als Hinzuverdienst heranzuziehen, aus dem die zu erbringende Leistung errechnet werde. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass nach der Konzeption des Rechts z. B. der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung demjenigen, der anstelle von Einkünften aus Erwerbstätigkeit Lohnersatzleistungen beziehe, ein gewisser Einkommensverlust zugemutet werde, d. h. die weggefallenen Einkünfte durch die Lohnersatzleistung gerade nicht voll ausgeglichen würden. Genau dies sei aber die Folge der Entscheidung des SG, die damit Erwerbstätige benachteilige.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23. März 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich weiterhin auf die Rechtsprechung des BSG, wie sie im Urteil vom 17.12.2002 (aaO.) zum Ausdruck kommt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie der beigezogenen Leistungsakten der Agentur für Arbeit F Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger in der Zeit vom 01.09.1999 bis 31.08.2000 eine BU-Rente unter Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Hinzuverdienstes statt des fiktiven Entgelts nach § 96a Abs. 3 SGB VI und damit im Ergebnis eine BU-Rente in voller Höhe zu zahlen ist. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind insoweit rechtswidrig, als sie diesen Zahlungsanspruch verneinen.

Der Kläger hat aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 29.05.2001 und des dieses ausführenden Bescheides vom 16.10.2001 Anspruch auf BU-Rente ab dem 01.05.1999 als Stammrecht. Aus diesem Stammrecht hat er für den streitigen Zeitraum jeweils monatliche Zahlungsansprüche in Höhe einer vollen BU-Rente. Dem steht § 96a SGB VI entgegen der Ansicht der Beklagten nicht entgegen. Nach § 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der vom 01.01.1999 bis 31.12.2000 geltenden Fassung vom 16.12.1997 (aF) beträgt die Hinzuverdienstgrenze bei einer BU-Rente
a. in Höhe von einem Drittel das 87,5-fache,
b. in Höhe von zwei Dritteln das 70-fache,
I. in voller Höhe das 52,5-fache, des aktuellen Rentenwerts (§ 68). vervielfältigt mit dem EP (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) des letzten Kalenderjahres vor Eintritt der BU, mindestens jedoch mit 0,5 EP. Nach Abs. 3 S. 1 Nr. 4 steht bei der Feststellung eines Hinzuverdienstes, der neben einer BU-Rente erzielt wird, dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen gleich der Bezug von den weiteren in § 18 a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) genannnten Sozialleistungen. In dieser Vorschrift ist als Sozialleistung u.a. das Alg genannt.

Nach § 96a Abs. 3 S. 3 ist als Hinzuverdienst zwar das der Sozialleistung zugrunde legende monatliche Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu berücksichtigen. Satz 3 des Abs. 3 von § 96a SGB VI aF findet jedoch auf BU-Renten für die Bezugszeiträume 01.01.1999 bis 31.12.2000 keine Anwendung (so Urteil des BSG vom 17.12.2002, aa0.). Es steht, sollte er grundsätzlich überhaupt auf BU-Renten Anwendung finden können, im Widerspruch zum ausdrücklichen Tatbestand von § 43 Abs. 5 SGB VI in der vom 01.04.1999 bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung (aF). Nach dieser Vorschrift wird eine BU-Rente abhängig vom "erzielten" Hinzuverdienst geleistet. § 96 a Abs. 3 S. 3 SGB VI stellt demgegenüber einen nicht erzielten und damit fiktiven Arbeitsverdienst dem erzielten gleich. Der Senat folgt insoweit den entsprechenden Ausführungen des BSG im Urteil vom 17.12.2002 (aa0.). Wegen des klaren Wortlauts von § 43 Abs. 5 SGB VI aF kann ist es unerheblich, ob es nicht Wille des Gesetzgebers war, § 96a Abs. 3 SGB VI in Kraft zu setzen, ohne dass Satz 3 zunächst tatsächlich Anwendung fand. Da die von der Beklagten gewünschte Auslegung, die zur Inhaltsänderung des § 43 Abs. 5 SGB VI aF gegen dessen Wortlaut führen würde, contra legem und damit im Regelfall sogar verfassungwidrig ist, sind die auch weiteren von ihr zur Berufungsbegründung vorgebrachten Argumente nicht durchgreifend.

Damit ergeben sich unter Zugrundelegung der von der Agentur für Arbeit F übermittelten Werte des dem Kläger im streitigen Zeitraum gezahlten Alg sowie des sich aus deren Leistungsakten ergebenden Entgelts aus seiner geringfügigen abhängigen Beschäftigung in der Zeit von März bis August 2000 als Hinzuverdienst und der jeweils Monat für Monat zu ermittelnden individuellen Hinzuverdienstgrenzen folgende Berechnungen:

Die Beklagte hat den Rangstellenwert des Klägers aus den letztem Kalenderjahr vor Eintritt des Versicherungsfalls der BU, dem Kalenderjahr 1998, richtig festgesetzt. Der Kläger hatte nur 0,0776 EP aus diesem Kalenderjahr, so dass gemäß § 96a Abs. 2 Nr. 3 letzter Halbsatz 0,5 EP zugrunde zu legen sind. Dies hat die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid getan.

Die aktuellen Rentenwerte betrugen in der Zeit vom 01.09.1999 bis zum 30.06.2000 48,29 und vom 01.07. bis zum 31.08.2000 48,58. Damit hat der Kläger bereits die Hinzuverdienstgrenzen für eine volle BU-Rente nicht überschritten, was sich aus der nachfolgenden Gegenüberstellung ergibt:

Zeitraum
Hinzuverdienst des Klägers
Hinzuverdienstgrenze für eine volle BU-Rente

September 1999
771,30 DM
1.267,61 DM

Oktober 1999
797,01 DM
1.267,61 DM

November 1999
771,30 DM
1.267,61 DM

Dezember 1999
797,01 DM
1.267,61 DM

Januar 2000
826,15 DM
1.267,61 DM

Februar 2000
772,85 DM
1.267,61 DM

März 2000
886,15 DM
1.267,61 DM

April 2000
1.118,10 DM
1.267,61 DM

Mai 2000
1.238,37 DM
1.267,61 DM

Juni 2000
1.222,10 DM
1.267,61 DM

Juli 2000
1.205,05 DM
1.275,22 DM

August 2000
704,13 DM
1.275,22 DM

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Senat hat noch einmal davon Abstand genommen, Gerichtskosten nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu verhängen. Er hält die Möglichkeit, hier eine Missbräuchlichkeit der Rechtsverteidigung durch die Beklagte anzunehmen, durchaus für gegeben.

Es besteht keine Veranlassung, nach § 160 SGG die Revision zuzulassen. Die entscheidungserhebliche Problematik ist bereits Gegenstand höchstrichterliche Rechtsprechung (Urteil des BSG vom 17.12.2000, aa0.) gewesen. Zudem handelt es sich um ausgelaufenes Recht, da die Vorschrift des § 43 SGB VI aF zum01.01.2001 neu gefasst wurde.
Rechtskraft
Aus
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