L 3 U 387/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 496/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 387/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 30.10.2003 und des Bescheides vom 16.10.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2002 verurteilt, den Unfall des Klägers vom 23.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren. II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Unfall des Klägers vom 23.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Der am 1968 geborene Kläger, Maschinenbautechniker bei der Firma P.D., O., erlitt am 23.07.2001 auf dem Heimweg von der Arbeit eine Augenverletzung durch einen Glassplitter. Er hielt seinen Pkw vor seiner Garage an, um das Garagentor aufzuschließen und nahm beim Aussteigen seinen auf dem Beifahrersitz liegenden Rucksack auf und eine ebenfalls dort liegende Wasserflasche mit einer Elektrolytlösung, die er wegen einer bestehenden Erkrankung immer mit sich führte, in die rechte Hand. Er legte den Rucksack über die rechte Schulter, stieg mit Schwung aus und dabei rutschte ihm der Rucksack von der Schulter und riß ihm die Flasche aus der Hand. Sie fiel zu Boden und zerplatzte. Durch einen ins Auge gelangten Glassplitter erlitt er eine perforierende Hornhautverletzung.

Die Beklagte zog zur Aufklärung des Sachverhalts einen Augenarztbericht der Augenklinik der L.-Universität M. bei. Sie lehnte mit Bescheid vom 16.10.2001 die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfalls vom 23.07.2001 ab. Es handele sich nicht um einen Wegeunfall. Die Augenverletzung sei durch eine Gefahr, die der privaten Sphäre des Klägers zuzurechnen sei, entstanden.

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, das Zurücklegen des Heimweges sei zumindest wesentliche Mitursache für die Augenverletzung. Er leide von Geburt an an einem Diabetes mellitus mit beginnender Nephropathie, so dass die Einnahme einer angepassten Elektrolytlösung, die sich in der Flasche befunden habe, erforderlich sei, um sowohl die Arbeit selbst als auch den Arbeitsweg zu ermöglichen. Er legte Berichte der Augenärztin Dr.B. vom 25.09.2001/15.02.2002 vor und trug vor, die Garage bilde eine bauliche Einheit mit dem Wohngebäude, es sei jedoch nicht möglich, von der Garage durch eine Tür ins Wohngebäude zu kommen. Die Garage müsse vielmehr verlassen werden, um ins Wohngebäude zu kommen. Der versicherte Nachhauseweg sei im Unfallzeitpunkt noch nicht beendet gewesen.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2002 zurück. Da die Flasche rein zufällig beim Aussteigen aus dem Auto geplatzt sei, sei der Kläger nicht einer Wegegefahr erlegen.

Hiergegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, das Unfallereignis vom 23.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm die gesetzlichen Leistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 v.H. zu gewähren. Gerade durch die Notwendigkeit des Mitführens der Getränkeflasche zur Arbeit habe eine Wegegefahr zwischen Arbeitsstätte und Wohnung bestanden. Das Mitführen der Flasche mit der Elektrolytlösung sei betrieblich zumindest wesentlich mitbedingt gewesen, somit in den Bereich der betrieblichen Sphäre einzuordnen. Auch habe er vor dem Unfall den vollständigen Nachhauseweg noch nicht beendet gehabt. Er hat ein weiteres Attest der Dr.S. vom 05.08.2002 vorgelegt.

Das SG hat einen Befundbericht der Dr.B. und der Augenklinik der LMU München eingeholt und sodann mit Urteil vom 30.10.2003 die Klage abgewiesen: Der Kläger habe den Unfall nicht während der Flüssigkeitsaufnahme erlitten, sondern in dem Moment, als er aus dem Auto gestiegen sei, sei ihm die Flasche aus der Hand gefallen und zerschellt. Die Verletzung sei nicht durch einen Wegeunfall, sondern durch ein zufälliges Ereignis im privaten Bereich eingetreten.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und wiederholt, er sei wegen seiner Erkrankung gezwungen gewesen, auch auf dem Arbeitsweg die fragliche Flüssigkeit mitzuführen. Er bezog sich auf das Attest der Dr.S. vom 26.01.2004.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 30.10.2003 und des Bescheides vom 16.10.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2002 zu verurteilen, seinen Unfall vom 23.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm hierwegen die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.10.2003 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 23.07.2001.

Nach § 8 Abs.2 Nr.1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der hiernach erforderliche Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit setzt eine räumliche und zeitliche Beziehung zwischen Weg und Tätigkeit voraus sowie einen inneren ursächlichen Zusammenhang des Weges mit der Tätigkeit.

Sofern der Weg unterbrochen wird durch das Einschieben persönlicher, für die Wegezurücklegung nicht erforderlicher Handlungen, ist für den Versicherungsschutz zu unterscheiden, ob die Unterbrechung einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht oder ob sie wesentlich allein aus privaten Gründen erfolgt (Bereiter-Hahn, Kommentar, § 8 Anm.12.29).

Eine dem Zurücklegen des Heimwegs nicht unmittelbar dienende Tätigkeit schließt den Unfallversicherungsschutz nur dann aus, wenn die Unterbrechung nach Art und Umfang als so wesentlich anzusehen ist, dass während ihrer Dauer die ursächlichen Verknüpfungen mit dem Zurücklegen des Heimwegs als rechtlich unwesentlich in den Hintergrund treten (BSGE 20, 219, 212).

Während einer einer privaten Verrichtung dienenden Unterbrechung besteht jedoch Versicherungsschutz, wenn die Besorgung- Erledigung keine rechtlich ins Gewicht fallende und somit keine erhebliche Unterbrechung des Weges nach und/oder von dem Ort der Tätigkeit bedeutet, sondern nur als geringfügig anzusehen ist (Brackmann, Kommentar, S.487 e m.w.N.).

Für die Beantwortung der Frage, ob die Unterbrechung wesentlich oder unwesentlich ist, bedarf es einer Würdigung der Gesamtumstände im Einzelfall (BSGE 20, 219).

Im Hinblick hierauf ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass das Ereignis vom 23.07.2001, bei dem der Kläger eine perforierende Hornhautverletzung erlitten hat, einen Arbeitsunfall darstellt und zu entschädigen ist.

Der vom Kläger lebensnah und glaubwürdig geschilderte Vorgang spielte sich in der Weise ab, dass er das Fahrzeug vor dem Garagentor anhielt, um dieses aufzuschließen und beim Aussteigen den auf dem Beifahrersitz befindlichen Rucksack griff, ihn mit dem Tragegurt über die rechte Schulter legte und in die rechte Hand die Elektrolyteflasche nahm, die ihm beim Aussteigen durch das Herabsinken des Rucksacks getroffen, aus der Hand fiel. Die Unterbrechung seines Heimwegs durch das Aufheben von Rucksack und Flasche erfolgte nicht aus betrieblichen Gründen. Sie war eine private Besorgung. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass der Kläger wegen seiner Erkrankung auf das ständige Mitführen einer Elektrolytlösung angewiesen war, denn das Mitführen eines Medikamentes dient eigenwirtschaftlichen Zwecken, nämlich der eigenen Gesundheit (BSG, SozR Nr.2 zu § 548 RVO). Die vom Kläger vorgenommene private Besorgung in Form des Greifens der Elektrolyteflasche und des Rucksacks, um sie vor dem Einfahren des Fahrzeuges in die Garage aus dem Auto zu nehmen, stellte eine in die versicherte Tätigkeit eingeschobene Verrichtung dar und unterbrach den Heimweg nicht wesentlich. Es handelte sich vielmehr um eine geringfügige Verrichtung, die bei natürlicher Betrachtungsweise nur eine geringfügige Unterbrechung der versicherten Tätigkeit (Nachhauseweg) bewirkte. Der Kläger hat sich hierfür nicht räumlich von Heimweg entfernt, denn er war im Begriff auszusteigen, um das Garagentor zu öffnen. Der zeitliche Faktor entfällt, da die Handlung des Aufgreifens von Rucksack und Flasche zeitlich mit dem Aussteigen zusammenfiel, gleichsam eine Parallelhandlung darstellte. Der Kläger blieb in Bewegung auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause und ging nebenher privaten Belangen nach. Es erfolgte also keine Zäsur innerhalb des Nachhauseweges mit der Folge, dass der innere Zusammenhang mit dem Arbeitsweg entfallen würde. In Fällen einer privaten Parallelhandlung hat die Rechtsprechung vielmehr Versicherungsschutz angenommen (Bereiter-Hahn, Kommentar, § 8 Anm.12.31 m.w.N.).

Die Argumentation der Beklagten geht fehl, dass die Gefahr ausschließlich in der privaten Sphäre des Klägers entstanden sei und das Unfallgeschehen auch jederzeit und an jedem Ort sich hätte ereignen können, so dass die Gefahr rein zufällig auf dem Weg zur Arbeit wirksam geworden sei. Dies ist gerade nicht der Fall, sondern die Gefahr ist auf dem Heimweg nur deshalb wirksam geworden, weil der Kläger sich zum Aufschließen des Garagentores aus dem Kraftfahrzeug bewegen musste und hierbei den Rucksack und die Flasche aufnahm, wodurch das Unfallgeschehen ausgelöst wurde.

Während der nur geringfügigen Unterbrechung besteht Versicherungsschutz nicht nur gegen allgemeine Gefahren, sondern grundsätzlich auch gegen Gefahren, die aus der geringfügigen Unterbrechung selbst herrühren (BSG SozR 2200 § 550 Nr.37, 53 - Kugelschreiberfall; BSG, Urteil vom 18.12.1974, 2 RU 37/73). Es ist daher unschädlich, dass durch das Aufnehmen der Flasche mit dem Zweck, diese abzustellen, der Unfall verursacht wurde.

Da die besonderen Voraussetzungen der sogenannten selbstgeschaffenen Gefahr, die auch bei einer geringfügigen Unterbrechung den Versicherungsschutz ausschließen (Brackmann, a.a.O. S.487 g), nicht vorliegen, ist der Unfall des Klägers vom 23.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die Beklagte hat die entsprechenden Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Auf die Berufung des Klägers war das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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